Jarik war der Erste, der die Fassung wiedererlangte, legte dem Fremden besonnen die Hand auf die Schulter, nickte und fing an zu erklären. »Nun gut Benjamin. Wir befinden uns in einem verborgenen Pass nördlich der Middellande, einer der Marken Rongards. Wir fanden dich bewusstlos, mehr wissen wir nicht – außer der von dir für uns unverständlichen Bericht. Eines jedoch weiß ich unterdessen mit Gewissheit. Du bist hier zu Lande nicht beheimatet. Aber, ...« er hob den Zeigefinger, seiner Rechten, als auch die Brauen wissend und gab Ben das Gefühl eine bedeutende Rolle einzunehmen. »Du trägst die Rüstung eines Schwertmannes aus längst vergessenen Tagen.« Mit schwangeren Gedanken, die tief in der Geschichte zu schwelgen schienen, erläuterte er ausladend weiter. »Dein Schwert ähnelt bis ins Detail den Ausführungen und Erzählungen überlieferter Abendgeschichten. Einer Zeit, als unsere Leute noch geeint und voller Zuversicht lebten. Ein geachtetes Volk zu Pferd. Reiter die es verstanden vom Rücken der Beritte den Tod in die Reihen der Feinde zu tragen. Auch dein verlängerter Jagdbogen zeugt aus jener Epoche, ebenso deine fließend gewandte Art der Schwertführung. In einer anderen Zeit, einer unlängst vergangenen, stünde die Behauptung nahe du seiest einer der führenden Schwertmänner der Marken.«
Bevor Ben etwas erwidern konnte, hob Jarik die Hand und bat darum, ihn ausreden zu lassen. »Diese jedoch gibt es nicht mehr und du giltst insofern, zumindest für mich als weltfremd oder gar als Hochstapler. Was dein Auftritt auch immer bedeuten mag, ich hoffe er entstammt hoffnungsvoller Natur. Unser Volk leidet seit drei Generationen unter der Unterjochung Lord Inats und seinen Horden.«
Es herrschte beklemmende Stimmung innerhalb der Gruppe, als Jarik seine Erklärung beendete und in den Augen der Jagdgruppe spiegelt sich so etwas wie ein Hoffnungsfunke. Ben hatte während der gesamten Ausführung, unwissentlich sein Schwert in der Hand behalten und befingert, wurde sich dessen jedoch bewusst und steckte es zurück in die schützende Scheide. Er befühlte seine Wunde und zuckte zischend zusammen, als er zu voreilig die geschwollenen Wundränder betastet.
»Du sprichst von einer längst vergessenen Zeit. Ich versuche, mich in eure Situation hineinzudenken. Berichtige mich bitte, wenn ich falsch liege.«
Jarik nickte und bat ihn fortzufahren.
»Euer Volk war ein Reitervolk, welches mit Pferden lebte und diese nicht nur als Nutztiere ansah, sondern als Einheit zwischen Mensch und Tier. Jeder reitfähige Mann, in Anbetracht seines kampffähigen Alters, wurde daraufhin ausgebildet dieses zu hegen, zu pflegen und zu verstehen. Kurzum mit diesem eine Gesamtheit zu bilden, so wie man mit einer Frau beginnt, eine Gemeinsamkeit einzugehen.« Ben schaute von Jarik zu Fendrik hinüber zu Eric. Da sich niemand äußerte, fuhr er mit seinem Erklärungsversuch fort. »Es gab ein stehendes Kontingent an Berittenen, den Schwertmännern als auch deren Kommandanten, die wiederum einem Obersten der Mark, vermutlich einem Fürsten unterstanden. Wenn dieser zu den Waffen rief, wurden ebenfalls die kampffähigen aus dem Umland zusammengezogen. Diese hingegen höchstwahrscheinlich eigenständig in Person und unterlagen zu bestimmten Gegebenheiten einem Mark übergreifenden Königtum. Liege ich mit meiner Vermutung halbwegs zutreffend?«
Verwunderung und Sprachlosigkeit bezüglich diesen vermeidlich Fremden huschten über die Züge der Anwesenden und verstohlene Blicke wurden getauscht. Die alten Legenden bahnten sich den Jägern ins Gedächtnis.
Der Eine wird kommen.
»Benjamin, du scheinst mit unserer Geschichte beängstigend vertraut. Die waffenfähigen Männer waren einst alle beritten und wussten ihre Pferde gezielt einzusetzen, stimmt. Aber auch diese konnten zu Kriegszeiten nutzbare Waffen sein. Sie ließen sich nicht von Kampfeslärm scheuen, realisierten jede Bewegung mit den Schenkeln, keilten und bissen in feindlichen Reihen. Die Schwertmänner als stehende Besatzung, geführt von einem obersten Schwertmann, der als rechte Hand des Fürsten seiner Mark diente. Und ja, die Fürsten wählten einen aus ihrer Mitte zum König. Wenn Du all dies von uns und unserem Land weißt, so sage mir, woher stammt dieses Wissen«, verlangte Jarik zu erfahren.
»In meiner Welt, aus der ich komme, leben wir in einer Zeit, wo man Pferde ausschließlich wirtschaftlich nutzt und nicht mehr in Kleidern und Rüstungen herumwandert, wie wir sie hier tragen. Das treiben nur noch einige Wenige, wie ich es soeben tue. Da wo ich herkomme, veranstalten wir regelmäßige Treffen um uns mit Kunststoffwaffen, also Waffen aus weichem Material, mit denen man sich nicht verletzen kann, zu Schaukämpfen. Auch schreiben Leute Geschichten über nicht existierende Welten und Geschehnisse, so wie Schwertmänner und Pferdelords.« Ben sackte leicht in der Stimmlage zusammen, wissentlich das er sein bisheriges Leben scheinbar verlor und schilderte weiter. »So scheine ich gegenwärtig, auf seltsamer Weise, ein lebendiger Teil einer solchen zu werden. Mein Schwert, welches ursprünglich nicht echt sein dürfte, trennt einem deiner Männer fast den Kopf vom Rumpf und dieser Ort ist nicht der, den ich verlassen habe.«
Fendrik sah von Ben aus hinauf in den kristallblauen Himmel, runzelt mit den Lippen und sprach eindringliche Gedanken laut aus. »Jarik, wir müssen. Wir verweilen bereits zu lange von der Heimstatt entfernt und sollten in Kürze dorthin zurückkehren, bevor Gerüchte entstehen, die uns die Brut auf den Leib hetzen. Benjamin soll uns begleiten, seine Waffen jedoch vorrangig verbergen.« Bemessen blickte er zu dessen Brust. »Ebenso seine Rüstung. Andere könnten sich an die Machart dieser entsinnen und die Zukunft, die uns mit ihm womöglich beschert nachhaltig verändern.« Er drehte sich zum Gehen, überlegte es sich dann doch anderes und zeigt mit ausgestrecktem rechten Finger auf Ben. »Sofern er durch Magie oder was auch immer hier her entsendet wurde, besteht die Gefahr, dass der oder die Verursacher bereits davon Kenntnis erhielten.«