Kein einziges Wölkchen war zu sehen, der Himmel strahlend Blau und die aufsteigende Sonne vertrieb die letzten Schatten und die Dämmerung machte dem Tage Platz. Warme Sonnenstrahlen bahnten sich ihren weiten Weg auf den lehmvertrockneten Boden, Schwingen trillerten ihre Lieder und die Betriebsamkeit in der Siedlung Jariks nahm seinen Lauf.
»He, Benjamin! Bist du schon auf?«, rief es von außen mit trommelnden Klopfgeräuschen an der bretterbewehrten Wand, welcher mal von Links nach rechts oder gar kreuz und quer für unangenehmen Lärm sorge. Im Inneren der Hütte war es noch vollkommen still, aber durch diesen unwillkommenen Weckalarm, begann sich dort etwas streckend und gähnend zu rühren. Der Stimme zu urteilen konnte es nur einer sein. »Mmmhhh ... danke Jarik, jetzt ja. Warte einen Moment, ja? Ich komme.«
Ben wühlte sich unter seiner Decke hervor, rieb sich das Gesicht und blickte sich um – rechts, links, rechts.
Scheiße. Also doch nicht nur geträumt.
Er begab sich gebeugt zum Tierfell, welches als Vorhang diente und die Außenwelt von der Innereren trennte. Er griff zu, hob ihn beiseite und blinzelte in die Morgensonne.
Boa, noch genauso trübselig wie vorher und stinken tut es eher Schlimmer.
»Guten Morgen Benjamin, konntest du etwas Entspannung finden? Ich und meine Jungs waren bereits unterwegs, um uns um deine Wünsche zu kümmern. Wo sollen wir das ganze Zeugs hinbringen, hier rein?«
Ben trat hinaus und streckte seinen gebeugten Körper. Breitbeinig und mit weit gereckten Armen dehnte er seinen Rücken in alle Richtungen und schwang die Hüften. »Naja, in Anbetracht der Umstände konnte ich durchaus etwas schlafen, seltsam Gut sogar. Sag, wo stecken Dario und Thanh, drinnen sind sie nicht.«
»Oh, Thanh arbeitet mit meinen Ausführungen an seinen Karten. Er will seine von Middellande überarbeiten. Dario ist auf, um für dich diverse Schriften zusammensuchen und sollte ...«, er sah hinauf zum Himmel, »... längst zurück sein.«
Ben streckte und reckte sich nochmals, gähnte herzhaft mit weit aufgerissenem Mund in seine Rechte und blinzelte die Restmüdigkeit aus den Augen. »Boa, ich glaube, ich brauche erst mal was zu futtern, ich habe einen mords Hunger.« Unüberhörbar brüllte ein gefangener Bär in seinem Bauch und zauberte seinem Gegenüber ein Lächeln auf die Lippen. Leicht verlegen sah er umher. »Hm, war ich das?«
»Na, dann komm mit rüber zu Fendrik. Er hat bereits frisches Wasser, Trockenfleisch und Dörrobst vorbereitet, er wollte mit dem Essen auf dich warten.«
Gemeinsam durchschritten sie die Lagerfläche, der etwas abseits liegenden Siedlung, wo die Jäger sich zusammengerottet hatten. Auf ihrem Weg fühlte Ben mehr, als das er sie sah – verstohlen schüchterne Blicke der Siedler, die jeden ihrer Schritte folgten. Er malte sich aus, was ihnen auf den Lippen lag.
Wer ist der Typ, was will er, was bringt er für Kunde und so weiter.
Um die trüben Gedanken aus seinem Kopf zu bekommen, lenkte er auf ein anderes Thema. »Jarik, gibt es hier irgendwo einen Platz, an dem ich ungestört mit den zusammengeklaubten Materialien arbeiten kann? Ich meine, ich brauche einen Ort, an dem man mich nicht stört oder voreilig sieht, was ich tue. Ich fühle mich unter deinen Leuten etwas unwohl.«
»Ist es denn so geheimnisvoll, Benjamin? Guten Morgen«, äußerte Fendrik neugierig beim Eintreffen seiner zwei nahenden Frühstücksgäste.
Anstatt einer weiteren Hütte erwartete die beiden lediglich ein grober niedrig gehaltener Tisch, nahe einer ausgebrannten Feuerstelle, der mit umworbenen Essen beladen, lieblos umherstand.
»Dir auch einen guten Morgen. Ja, es soll vorerst noch geheim bleiben.«
»Mmh.« Fendrik rümpfte die Nase und winkte mit beiden Armen lapidar ab.
»Nein, ernsthaft. Ich benötige Zeit. Ich muss mir erst einmal selber klar werden, was ich hier tue und was meine Aufgabe sein wird. Das versteht ihr doch, oder? Ich meine, ich wurde erst gestern aus meiner Welt herausgerissen und stehe hier neben Euch, in einer mir vollkommen unbekannten.«
Wiederstrebend nickten die Brüder, setzten sich im Schneidersitz und bedeuteten Ben, es ihnen gleich zu tun. Beim Essen sprachen sie über Belangloses und erklärten ihm die Zusammenhänge der Marken sowie deren Bewohner. Was ihre beklemmende Lage und Lebensweisen betrafen, wie sie zueinanderstanden und in welchem Maße, noch Handel untereinander betrieben wurde. Tauschhandel im Allgemeinen, da es keine Währung gab oder gegeben hatte. Der eine hatte etwas was der andere benötigte und erhielt als Gegenleistung etwas, was dieser wiederum gebrauchen konnte. Nicht selten auch eine körperliche Gegenleistung in Form einer handfesten Unterstützung oder Hilfeleistung. Sie erläuterten ihm die bereits kennengelernte Brut wie weitere Wesen, die im Namen Lord Inats ihr Unwesen trieben. Alles in allem also eine rein Unangenehme wenn nicht sogar bedrohliche Lebenssituation. Ein Kampf ums nackte Überleben und das jeden Tag aufs Neue. Er erfuhr ebenso, dass nur wenige des Lesens mächtig waren, so auch dem schreiben. In Rongard benutzten sie jedoch Ausdrücke wie »setzen von Zeichen« und das Lesen dieser, anstatt die ihm bekannten Formulierungen.
»Jarik, wie gut sind deine Männer ausgebildet?«
»Wie meinst du das? Ich verstehe nicht ganz.«
»Nun, Ihr seid doch Nachfahren des einstigen Reitervolkes. Männer, die auf dem Rücken ihrer Rösser stritten. Ich meine, wie gut könnt ihr mit den Bogen und dem Schwert umgehen? Mann gegen Mann und vom Pferd aus? Kämpft ihr im Beritt mit Lanzen und anschließend im Nahkampf?«
»Ah.« Verstehend hob er das Kinn und kratzte sich die linke Wange. »Lass mich versuchen zu erklären. Viele der Männer aus dem Land können in der Tat solide reiten, ja – aber es gibt leider nicht genügend eingerittene Pferde. Viele dieser werden von der Brut als Nahrung von den Wiesen gestohlen oder gejagt und wir können nichts dagegen unternehmen. Also lassen wir sie als freie Herden, wo sie sind. Lediglich wir Jäger dürfen unsere eigenen behalten. Mit den Bögen sind wir zu Fuß als auch vom Sattel besser als mit dem Schwert. Wir üben zwar immer wieder, greifen in Kämpfen aber meist nie darauf zurück. Vorher haben wir unsere Gegenüber mit dem Pfeil erlegt. Lanzen dagegen haben wir keine, Versuche solche zu bauen und auch sinngemäß zu führen sind gänzlich gescheitert.«
»Mhm, ich habe mir überlegt, wie wir meine Zeit hier sinnvoll nutzen können, damit es nicht langweilig wird.«