Mit zarten Berührungen ihrer Fingerspitzen fuhr sie den Oberflächen des Mobiliars entlang, als sie auf den Treppenaufgang zuhielt. Verträumt und mit glasigem Blick betrat sie die oberste Stufe. Sie hatte wieder geweint, wie so oft in letzter Zeit. Von unten tönte eine ungehaltene Stimme. »Was bitte wollen sie mir hier für wahr verkaufen? Keine Spuren, kein Gewaltverbrechen, also ad acta!?«
Sie schniefte und ich Bauch krampfte. Sie wusste, wer am anderen Ende der Leitung sprach.
»Hören sie mal gut zu, sie Wald und Wiesen Cowboy von einem Polizisten. Mir ist egal, was sie sind oder was sie zu sein vorgeben ... Nein verflucht, jetzt halten sie gefälligst die Luft an. Es gibt keinerlei Beamtenbeleidigung, oder haben sie schon mal versucht einen Titel oder einen leblosen Gegenstand zu verspotten? ... Na herzlichsten Glückwunsch. Solange ich sie nicht persönlich verunglimpfe, fahre ich sie an, wie es mir gefällt. Es ist immer noch mein Sohn, der spurlos verschwunden ist!«
Katrin konnte ihren Tränenausbruch nicht länger standhalten. Jedes Mal, wenn es nichts Neues gab, brach der Schmerz in form von Tränen aus ihr heraus.
»Na Bravo. Nach ihrem Kenntnisstand ist mein Junge also nur Kippen kaufen gegangen und hat seine Verlobte als auch seinen Vater, wie auch seine Besitztümer vergessen? Dann erklären sie mir doch mal, wie er das angestellt haben soll, wenn sie mir gerade eben erst erklärt haben, das keinerlei Spuren aus dieser beschissenen Senke hinausführen. Fakt ist doch, dass sie unfähiger Dorfscherriff nicht weiterkommen und die nächstliegende Kripo ebenso wenig.«
Katrin legte ihrem Schwiegervater in Spee, beruhigend die Hand auf die Schulter und drückte sanft zu. Er versteifte sich, schnaufte schwermütig und nickte benommen. »Gut. Hören sie, da von ihrer Seite aus keine Hilfe zu erwarten ist, werde ich jetzt parallel selbst agieren. Ich setze eine ordentliche Detektei auf diesen Fall an und schalte die Presse hinzu. Guten Tag.«
Der Hörer des Telefons knallte auf die Station und Ralf sackte in sich zusammen. Mit dem Rücken ließ er sich an der Kommode hinabgleiten und setzte sich wie ein kleiner verängstigter Junge auf den Boden. Er schämte sich nicht einmal für seine Tränen.
»Mein Junge, verflucht und eins, wo ist Ben? Das kann doch alles nicht sein. Katrin, wo steckt er nur?« Er griff flehend nach ihr und zog sie zu sich in die Arme. Beide weinten sie und hielten sich tröstend in den Armen.
Zusammen verließen Ben und Yaeko die Siedlung und bewegten sich westlich des Gebirges. Von freiem Gelände, welches in kleinen Teilen mit Getreide bebaut wurde, ritten sie in neuerlichen dichten Baumbestand. Die Schatten der Bäume waren deutlich dichter und vermittelten ein Gefühl von Gefahr.
Sie benötigten geschätzt einen Zehntag, als untypische Geräusche an ihre Ohren drangen. Hämmern, Klirren von Metall und Äxte, die in Holz schlugen und Rufe aus den Wipfeln der umstehenden Bäume. Erst auf dem zweiten Blick und mittels Hilfe Yaekos fand Ben derer Ursprung. Weit oben waren kleine Plattformen angebracht, auf derer jeweils ein Mann Platz fand, um die Gegend unbemerkt im Auge zu behalten. Es wurde stetig lauter und schlagende Geräusche mischen sich unter gerufene Befehle. Es herrschte rege Betriebsamkeit am Rande der Schlucht, als sie eintrafen.
»Wow, Jarik und Eric haben in der kurzen Zeit saubere Arbeit geleistet. Schau dort drüben, richtige Hütten und eine Stallung innerhalb einer Koppel. Dort sehe ich Schützen, die auf Strohscheiben schießen. Du hast die Beiden echt unter Kontrolle«, freute sich Yaeko.
»Die Schlucht ist riesig«, blaffte Ben mit vor Erstaunen weit geöffneten Augen und reckte den Kopf interessiert vor, um mehr des Eindruckes in sich aufzunehmen. »Wie groß ist sie?«
Sein neuer Freund grinste, würde er nicht über zwei fest angewachsene Ohren verfügen, er wäre der Erste, der es vollbrachte, dies im Kreise vorzuführen. »Sie ist an der hintersten Stelle ungefähr vier Längen breit und hier vorn am Zutritt so etwa zwanzig. Lang würde ich meinen, in etwa dreißig bis vierzig. Erzähl mir jetzt nicht, du warst noch nicht ein einziges Mal hier.«
Schuldbewusst räusperte sich Ben. »Äh, ich muss gestehen, dass ich wirklich noch nicht hier war. Ich war so in den Erklärungen und Ausritten mit Tiron vertieft, das ich gar nicht daran gedacht habe, einmal vorbei zuschauen.«
Erstaunt über das Geständnis rückte Yaeko sich auf seinem Pferd zurecht. »Ach, du erteilst Aufträge und überwachst diese nicht mal? Pfui Benjamin, schäm dich«, meinte dieser belustigt und schmunzelte.
»Jaja, ich gelobe Besserung – Blödmann.«
»Hey Benjamin, Yaeko. Hier drüben«, rief Eric aus einer der drei errichteten Hütten und winkte.
Sie gaben ihren Pferden Zeichen anzureiten und lenkten diese in die umzäunte Koppel, wo sie ihnen Freilauf gewährten. Eric war in der Linken der drei Hütten verschwunden und somit stand ihr Ziel fest. Ben sah sich vor dem Eintreten um und bemerkte, dass auf der gesamten Fläche der Schlucht Bäume gefällt und an manchen Stellen begonnen wurde, Stümpfe aus dem Erdboden zu graben. Die Bauwerke selbst hegten den Anschein, bei der Errichtung weit mehr Ehrgeiz erhalten zu haben als die in den Siedlungen. Diese hier waren sichtlich stabil gebaut und boten auch bei schlechten Wetterverhältnissen entsprechend Schutz.
Beim Betreten bemerkte er erst derer Geräumigkeit. Zwei kleinere Räume unterteilen den gesamten und vermittelten so ein gewisses Maß an Struktur, wobei diese nicht mit Türen verschlossen wurden. In beiden standen Regale, gefüllt mit Krügen und eingewickelten Gegenständen. Im Hauptraum hatten die Männer nebst einem großen Tisch auch sechs Stühle platziert. Zwischen den hinteren Räumen, etwa mittig, haben Arbeiter eine Feuerstelle eingerichtet, um in kalten Tagen darin ein wärmendes Feuer zu schüren.
»Ah, der Herr Benjamin gibt sich die Ehre. Unser neues Lager steht und mein Bruder hat die gewünschten Jäger zusammengetrieben. Es stehen bereits Wachposten eingeteilt in den Bäumen, sodass wir hier die nötige Ruhe finden sollten, die du wünscht.«
»Ihr habt wahrlich gute Arbeit geleistet Jarik, danke. Natürlich auch an dich, Eric.«
Die beiden Angesprochenen erwiderten den erhaltenen Dank mit schlichtem Kopfnicken. »Ihr habt gleich drei Hütten gebaut und einen Stall dazu, diese Mark verfügt demnach doch über ordentliches Handwerk?«
»Durchaus, auch wenn wir keine richtigen Handwerker sind oder haben, schaffen wir dennoch etwas Brauchbares zusammenbauen. Wir haben uns allerdings ein wenig Hilfe besorgt, denn mit dem Umgang unserer Bögen sind wir geübter als mit einem Hammer«, erzählte Jarik.
»Wir konnten ein paar gute Männer verpflichten, die sich in der Kunst der Schreinerei auskennen und wir vorbehaltlos trauen. Ebenso einen Bogner, der für uns Bögen und Pfeile herstellt beziehungsweise repariert«, fügte Eric hinzu.
Ben bekam lediglich ein dankendes Kopfnicken zustande, bevor er sich rechtfertigte. »Entschuldigt, dass ich die vergangenen Tageswenden nicht hier war, ich habe mir meine Wissenslücken gestopft und die Gegend bis hinauf zum Pass angesehen. Ich hielt es für wichtig, da ich wusste, ich kann mich auf euch verlassen.«