Eine weitere ereignislose Nacht verstrich und der Morgen dämmerte, als Ben durch den äußeren Lärm unliebsam erwachte. Seine Nachtruhe, zumindest das Übrige, was ihm geblieben war, als sein Model endlich fertig war, lag bei gefühlten wenigen Augenblicken. Gerädert quälte er sich aus seiner Bettstatt und rieb sich schlaftrunken die noch schweren Augen. Im Wohnbereich räumte er den Schild und das darauf gefertigte Werk in die hintere Kammer, die ihm als Lagerraum diente.
Na, dafür, dass ich auf einer Strohunterlage gepennt habe, konnte ich verdammt gut schlafen, wenn auch nur kurz. Ungewöhnlich gemütlich.
Sehnsüchtig warf er einen Blick zurück in seine Schlafkammer. Er reckte und streckte sich, bog sich zu allen Seiten und begab sich zu seiner Rüstung. Vor jener blieb er stehen, streckte bereits die Hände danach vor und verharrte. Anstatt diese anzulegen, griff er dann doch lieber zu der weit leichteren Jagdgarnitur und beabsichtigte Jarik zu fragen, wer ihm eine angemessene Stoffbekleidung schneidern konnte. Gekleidet schritt er ans Fenster der Seite des Einganges und sah hinüber zum Übungsgelände des Lagers. Die Gruppen standen bereits wiederholt auf dem Feld und trainierten, ganz so, wie er es angeordnet hatte.
Meine Güte was für Frühaufsteher. Ich sollte mir angewöhnen, meine innere Uhr vorzustellen, um nicht immer der Letzte zu sein. Was für ein hervorragendes Vorbild ich abgebe.
›Poch, poch, poch‹, rumpelte es an der Tür. Da er zu dieser Zeit niemanden erwartete geschweige denn hatte nahen sehen, fuhr er erschrocken zusammen. »Hey Benjamin, regen sich die Lebensgeister schon?«
»Sicher. Komm rein.«
Er drehte sich zur Tür und begab sich hinüber zum Tisch, wo er zwar sein Model abgeräumt, aber sämtliche Notizen und Pläne noch unsortiert übereinader lagen und einen unaufgeräumten Blick boten. Die Tür schwang auf und Jarik zusammen mit Eric, Fendrik und Yaeko kamen herein. Jarik war eindeutig verblüfft, seinen Freund bereits munter und gekleidet zu sehen. »Du meine Güte. Seit genau einem Zehntag trainieren wir und hatten gewettet, dass du nicht vor uns auf den Beinen sein wirst.«
Eric hob ebenso erstaunt die linke Braue, zeigte auf das Chaos, welches sich auf dem Tisch bot und blickte Ben ins Gesicht. »Der Unordnung hier und deinen Augenrinngen zu urteilen, hast du die ganze Nacht hindurchgearbeitet? Du siehst fürchterlich aus.«
Sichtlich geschafft setzte sich Ben auf die Tischkante, gähnte herzhaft und stützte sich mit den Händen auf. »Dass ich so unausgeruht aussehe, liegt wohl daran, dass ich, während ihr alle hier die Augen verschlossen haltet, in Ruhe arbeiten kann«, hielt er dagegen und deutete sodann seinen Freunden näher zutreten.
»Bestens gekontert, mein Freund.«
»Das will ich meinen Eric. Tretet näher, ich bin so weit.«
»Was? Lass sehen«, forderten seine Gäste beinahe zeitgleich.
Ben besprach mit ihnen ausgiebig seine angefertigten Notizen und Pläne, berichtigte Abläufe und Formalitäten mit Anregungen, die er noch nicht bedacht hatte. Er ging auf Fragen ein und erläuterte diese. Das Ziel sollte sein, im Tal hinter dem Brehin eine eigenständige und vor allem freie Mark zu gründen. In jener sollen Ausgewählte beginnen nötige Lebensstrukturen zu errichten. Wohnstätten, Felder zum Anbauen von Getreide und Gemüse. Von dieser Mark aus, soll das freie Volk dann beginnen die Invasoren zu bekämpfen und bestenfalls zurück hinter den Brinn zu drängen.
»Freunde, um in der neuen Mark schnellstmöglich voranzukommen, müssen wir uns in den nächsten Zehntagen bemühen und für den Abmarsch weitere Vorkehrungen treffen.« Er hob nebst den Brauen auch seinen mahnenden rechten Zeigefinger und grinste schelmig. Er betrat die hintere Kammer und holte den alten Schild mit seinem Model darauf hervor und bugsierte ihn auf den Tisch. Die Umherstehenden schauten verblüfft drein und Ben erklärte ihnen seine Gedanken dazu.
»Was schwebt dir vor, was sollen wir tun?«, verlangte Fendrik zu erfahren, ohne seinen begeisterten Blick von dem Model zu heben.
»Da unser Beritt nahezu perfekt ausgebildet ist, sogar im Umgang mit den neuen Lanzen, werden wir zwei Zehnen unserer Kämpfer und zwei weitere an Helfern, hinauf in den Pass schicken. Seit den letzten Tageswenden kommen immer wieder Menschen zu uns, um sich unserem Vorhaben anzuschließen. Wenn sie nicht vom alten Dario geschickt wurden, würde ich mir ernsthafte Sorgen machen, was unsere Sicherheit anbelangt. Er hat mich jedoch vor seiner Abreise darüber hinlänglich informiert, begabte und vertrauenswürdige Personen zu schicken. Ich möchte ...« Ben schaute in die Runde und fixierte Jarik. »... dass Fendrik diese Gruppe anführt und die nötigen Vorkehrungen trifft.«
Dass Dario eigentlich nichts dergleichen äußerte, behielt er für sich, um ihn nach wie vor zu schützen, obwohl er nicht benennen konnte, aus welchem Grund. Jedoch musste er seinen Freunden erklären, wieso sich der alte Mann so klammheimlich mit einem der Pferde aus dem Staub gemacht hatte.
Fendrik, mit Vorfreude seines bestehenden Auftrages, fing an mit den Beinen zu wippen und wollte schleunigst erfahren, worin seine Aufgabe bestehen mochte. Ben berichtete den Anwesenden, was er vom Pass in Erinnerung behalten habe und das bedingt durch viele Karren, Füße und Hufe, die Beschaffenheiten im Inneren nicht ausreichten. »Der Pass muss für die nahenden Fuhrwerke, Tieren sowie Berittenen vom Geröll befreit sein. Die Bäume in jenem kleinen Tal sollen gefällt, geschält und getrocknet werden. Die Schreiner beginnen sodann, vor dem Tal eine schützende Palisade zu errichten. Fertigt ein solides Tor und sichert die Befestigung mittels zweier Türme, sodass wir den Pass vor eventuellen Eindringlingen besser schützen können. Auch wenn dies vorerst unwahrscheinlich scheint, sollten wir von dieser Gefahr ausgehen. Suche Männer und Helfer, beladet die benötigten Karren und führe deinen Trupp nach Norden, sobald ihr abmarschbereit seid. Entsende einen Boten, im Falle, dass die Aufgabe vollbracht ist.«
Fendrik versteifte sich, führt die rechte Faust zum Herzen und verließ die Beratung, nicht ohne zuvor den bekümmerten Blick seines Bruders zu begegnen. Keiner von beiden sprach ein Wort. Von außen drangen bellende Befehle herein und sofort geriet die Betriebsamkeit des Lagers wieder in Schwung.
»Die Leute scheinen mit neuem Elan an die Sache heranzugehen. Sie fühlen, dass sich das Rad der Hoffnung beginnt zu drehen. Der eintönige und immer wiederkehrende Drill hat vielen die Moral genommen, obwohl jedermann weiß, dass sich unsere Fähigkeiten deutlich verbessert haben.«
Jarik wirkte angespannt und blickte auffällig oft zum Fenster. »Unsere und aller hier anwesenden Hoffnung stieg bereits in dem Moment, als wir begonnen haben hier unser Lager aufzuschlagen. Auch wenn wir lange und sehr hart trainieren mussten, werden die Resultate erst jetzt allmählich deutlich, Eric.«
»Jarik hat recht. Bisher konnten wir nur unsere Männer lediglich bis zur Erschöpfung drillen, sowie eingetroffene Handwerker ihre Fähigkeiten verfeinern lassen. Das war nicht sonderlich aufmunternd, aber nun folgen Taten und eben diese werden gesehen.«
»Sollen wir weiter mit dem Training fortfahren, oder hast du andere Vorstellungen, Benjamin?«
Dieser sah auf, rückte an seinem Model herum und schüttelt benommen den Kopf. »Nein. Gebt den Männern Zeit, das Verinnerlichte zu verdauen. Sie sollen den übrigen Arbeitern zur Hand gehen. Wir benötigen für unseren baldigen Abzug ausreichend helfende Hände, um die benötigten Baumaterialien beisammenzuhaben. Vorerst also kein Drill mehr.«
»Was muss erledigt werden, dass so vieler Hände bedarf?«, fragte Eric stirnrunzelnd.
»Wir brauchen reichlich Seile, Nägel und Krampen, Werkzeuge, Keile, geschält und getrocknete Stämme. Stellt sicher, dass daraus genügend Balken, Bohlen und Bretter geschnitten werden. Uns bleibt keine Zeit, die nötigen Stämme erst vor Ort zurecht zu sägen. Sammelt Sägemehl- und Späne, wir verwenden diese ebenfalls. Stellt eine Liste von Arbeitern zusammen, die wir mit auf unsere Reise nehmen. Wir benötigen Schreiner, Steinmetze, Schmiede, Holzfäller und natürlich Bauern. Als Helfer werden wir einfaches Volk heranziehen, welches uns begleiten wird. Denkt bitte an Familien mit Kindern. Ausreichend Abwechslung wird die erhitzen Gemüter abkühlen und die Moral aufrechterhalten.«
Die Anwesenden in der Hütte lauschten dem Treiben im Lager, begutachteten die besprochenen Notizen und wogen weitere Dinge betrefflich des bevorstehenden Abmarsches ab. Über den Sinn und Unsinn, zwecks der mitzunehmende Angehörige zuzüglich derer Kinder, wurde schnell beigepflichtet, da selbst hartgesottene Männer in Trübsal verfallen, wenn sie Sehnsucht leiden.
»Ich werde Leute ausschicken, um Bäume nahe der Grenze zu Südfluss zu fällen, andere sollen diese schälen und über den Feuern trocknen. Schreiner werden anschließend beginnen daraus Balken, Bohlen und Bretter zu sägen. Wir müssen schauen, dass unser hiesiger Schmied noch genügend Metall zum Verarbeiten findet, um uns mit Nägeln und Krampen versorgen zu können. Ich schicke eine Schar aus, weiteres Metall in den Siedlungen einzutauschen. Seile können wir aus den Häuten des Hornviehs schneiden. Ordentlich verarbeitet sollte uns das Leder über viele Jahreswende hinweg dienlich sein. Außerdem können wir so genügend Fleisch trocknen und einlagern, wildes Vieh gibt es weiter oben im Norden ausreichend.«
»Sehr gut Jarik, die Schar soll beim Einsammeln und Tauschen jedoch äußerst vorsichtig vorgehen. Wir befinden uns an einem heiklen Punkt unseres Vorhabens. Deine Siedlung befindet sich zwar nicht in unmittelbarer Hörweite, aber das Fällen der Bäume könnte unter Umständen ungebetene Gäste oder gar Patrouillen anlocken. Wir sollten unsere eigenen Wachtposten verstärken.«
»Komm Yaeko, wir werden uns um die Posten, dem Metall und die Bäume kümmern.« Angesprochener und Jarik griffen, wie zuvor auch Fendrik, zum Gruß mit der rechten Faust zum Herzen und verließen die Besprechung. Blieben nunmehr noch Eric und Ben, deren Blicke sich unvermittelt trafen.
»Was soll ich tun, Benjamin? Hast du etwas für mich?«
»Ja, das habe ich«, antwortete dieser und entfernte sich von dem Tisch.
Ben klopfte ihm auf die Schulter. »Begleite mich nach draußen, wir können uns beim Gehen unterhalten.«