Ben betrat das für Besprechungen errichtete Großzelt, welches mittlerweile mit neu gezimmertem Mobiliar ausgestattet war. Ein großer Tisch diente als Unterlage für Thanhs Arbeiten, der Landkarten sowie den schriftlichen Niederlegungen ihrer Fortschritte seit ihrem Abmarsch, beginnend in Middellande, anfertigte. Anstatt Stühlen einigte man sich auf schlichte Bänke, die denselben Zweck erfüllten und die dadurch eingesparte Arbeitszeit sinnvoller genutzt werden konnte. Einfache Regale und Ständer, aufgefüllt mit vielerlei gesammelten Schriftstücken und Planzeichnungen von Aufbauten, Gerätschaften, und vielem mehr wurden ebenfalls drinnen gelagert. Darunter auch handwerkliche Anleitungen für die kommenden Generationen, von Schmiede- und Holzerzeugnissen, die Thanh von den Vorarbeitern diktiert bekam und niederschreiben durfte. Es war seine Idee gewesen, dieses Wissen schriftlich niederzulegen und für die Nachwelt fortan aufzubewahren.
»Jarik, du hast nach mir rufen lassen?«
»Durchaus. Ich würde gern ein paar Gedanken mit dir durchgehen.«
»Klar, worum gehst?«
»Wie du weißt, hatte ich die Patrouillen angewiesen die Mark großflächiger zu durchstreifen, da Thanh sein Kartenmaterial weitestgehend vervollständigt hat. Wir verfügen jetzt um ausreichend Geländekenntnisse, um uns weiter auszudehnen.«
»Das sind prima Neuigkeiten. Der Weilerbau nähert sich dem Ende und die Befestigung rundherum ist bereits so weit vorangeschritten, dass die Leute beginnen, Türme und Stege zu bauen. Damit sich die Bautrupps nicht ins Gehege kommen, sind sie schon dabei, die Gehöfte der Bauern zu errichten, obwohl der Plan war, dass dies erst geschehen solle, wenn der Großteil von uns weitergezogen ist.«
Jarik nickte. »Eben aus diesem Grund – wir sind zu schnell. Schau mal hier.« Mit dem Finger deutete er auf einen Karteneinschnitt im westlichen Gebiet der Mark »Oberhalb dieses Waldes. Die Patrouille erkundete einen stattlichen flecken Weideland mit einem kleinen Quellbach. Umschlossen vom Gebirge, wäre das ein perfekter Ort für eine Hornviehzucht. Die Tiere können nirgends hin, wenn man die Koppeln entsprechend baut und das Gras soll dort saftig und dicht wachsen.«
»Klingt vernünftig, zumal wir dringend Fleisch und Leder benötigen. Verfügen wir unter den Unsrigen über Züchter oder Hirten, die sich damit auskennen?«
»Nein, noch nicht. Ich habe mich bereits erkundigt. Wir können aber dennoch mit dem Hofbau anfangen, da in der Nähe auch kleinere wilde Herden grasen. Somit dürfte es nicht schwierig werden, eine ordentliche Zucht zu gewährleisten.«
»Stimmt, schicken wir also einen Boten nach Middellande. Bestimmt machen sich unsere Freunde schon sorgen, weil sie nicht wissen, was wir treiben. Wir sollten Yaeko damit betreuen. Er wird sich freuen, Fendrik wiederzusehen, du hingegen bist mir unabkömmlich.«
»Kann ich mir gut vorstellen, allem voran mein lieber Bruder. Aber noch was.« Mit dem Finger nun östlich der Karte tippend, ruhte dieser an einem weiteren Einschnitt. »Ein ähnlicher Platz, nicht so eben wie das Gelände, fürs Hornvieh, aber durchaus für die Pferdezucht geeignet. Und dafür haben wir unter uns jemanden, der sich auskennt.« Er schaute Ben an und lächelt, dabei wandert sein Finger weiter auf der Karte in mittiger Position. »Außerdem hier am See. Thanh meint, wir könnten dort einen zweiten Weiler gründen. Die Patrouille hat berichtet, dass der See kristallklar sei und reichlich Fischkommen bietet. Wäre eine feine Nahrungsergänzung, oder?« Die Bemerkung, dass er nicht nach Middellande reiten dürfe, ließ er absichtlich unberücksichtigt, oder ließ es sich zumindest nicht anmerken.
Gedankenverloren schaute Ben vornüber geneigt und mit den Händen auf die Tischplatte aufgestützt auf die unfertige, mit vielerlei Notizen behaftete Karte ihrer Mark. Mit den Augen schwenkte er von den gezeigten Positionen zu den Notizen und schob sichtlich angestrengt ständig die Unterlippe über die Obere und umgekehrt.
»Au Mann. Wir kommen hier echt nicht weiter und die Leute steigen uns noch aufs Dach. Stell Bautrupps zusammen. Ich möchte, dass diese von jeweils zwei Scharen flankiert werden. Nehmt Baumaterial aus den hiesigen Lagerungen und beladet die benötigten Karren. Sobald die ersten Arbeiten erledigt sind, sollen weitere Helfer ausrücken. Wir brauchen fürs Hornvieh als auch für die Pferde Personen, die sich um die Tiere kümmern, bis wir erfahrene Leute schicken können. Wobei, für die Pferdezucht steht jemand zur Verfügung, sagtest du.«
»Ja, ich suche den Pferdehüter auf, er soll sich um künftige Zuchthelfer bemühen und am Hofbau beteiligen. Soll ich mit Korian über den neuen Weiler reden?«
»Nein. Ich werde selbst zu ihm gehen und unsere Leute bestärken, ihre Lager hier abzubrechen und zum See zu ziehen. Kümmere dich bitte um die beiden Höfe und lass einen halben Beritt satteln. Sie sollen noch zur heutigen Tageswende Stellung am See beziehen und die Ankunft der Bautrupps vorbereiten.«
Mit dem üblichen Gruß zum Verständnis nahm Jarik Stellung und verließ das Zelt.
Thanh schaute von seinen Arbeiten auf. »Meinst Du, es ist gut, ihn von seinem Bruder fernzuhalten?«
»Es geht nicht anders. Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit, aber ich glaube, er würde ihn in vielerlei Ansichten in eine andere Richtung lenken, als die Fendrik selbst gehen würde. Ich geh und schaue, ob ich Korian finde.«