Die letzten Hammerschläge verklangen und mahnende Rufe zur Essensausgabe wurden laut. Unzählige Lagerfeuer säumten das Gelände und freudiger Gesang überstimmte das Getriller der Schwingen. Der Mond spiegelte sich in dem leicht wellenden Wasser des Sees, wo er mit unterschlagenen Beinen am Ufer hockte und grübelte. Er mochte an diesem Abend nicht an geselligen Treffen teilhaben, zog sich deswegen an den See zurück und saß angelehnt im Schutze des Waldrandes an einem Baumstumpf. Jarik erklärte sich bereit, den Leuten über den Verlauf der letzten Tageswende zu berichten und Interessierte gebeten, sich in die Nähe des größten Feuers einzufinden und ihm zu lauschen.
»Ihr erinnert euch, als wir ein Lager der Gouwors überrascht und aufreiben konnten. Ähnliches ist uns mit dem zweiten Tross wiederfahren, nur dass diese Brut diesmal unsere Leute überrascht und beinahe aufgerieben hatte.« Er hielt kurz inne und beobachtete die entsetzten Gesichter und betrübten Ausdrücke. Unsere Freunde, Fendrik und Eric, erlitten nahezu eine halbe Hundertschaft an Verlusten. Es wären deutlich mehr geworden, wären ihnen nicht einstige Verbündete zur Hilfe geeilt und ihnen somit die Zeit verschafft, die wir benötigten, um das Blatt dieses Scharmützels zu wenden.«
»Wer sind diese Verbündeten?«, fragte jemand der Umsitzenden.
Jarik schüttelte leicht und immer noch ungläubig den Kopf. »Keine Geringeren als die Kinder der Berge, die todgeglaubten Naïns. Ihr König, Herr Goram, und sein Sohn, Prinz Aguschal, werden uns die Ehre eines Besuches erweisen, sobald wir unsere Aufgabe hier für beendet erklären und weiter ziehen.«
Verhaltenes Getuschel raunte durch die Anwesenden und Jarik ließ sie reden.
»Werden die Gouwors nicht erneut Suchtrupps entsenden?«
»Wir haben den Ersten, als auch den Zweiten komplett vernichtet, darunter auch einen ihrer abtrünnigen Hüter.« Erschrockene Laute und Raunen wurden augenblicklich lauter. Jarik hob die Rechte und bat um Ruhe.
»Sie werden sie nicht finden. Der unter den längst tot Geglaubten, Herr Elm‘emo, weilt unter den unsrigen und hat geholfen, die Kadaver der Brut restlos zu vernichten. Nur der Wind weiß, wo er die staubigen Überreste hin verwehte. Unsere Spuren wurden gänzlich verwischt. Niemand wird uns suchen. Weiterhin haben wir beschlossen, keinen weiteren Nachschub mehr zu empfangen. Wir sind auf uns gestellt.«
Viele der Umstehenden sahen sich verlegen an, ganz so als wäre ihr Todesurteil gesprochen. Andere jedoch lächelten und zeigten deutlich ihr Einverständnis.
»Wir verfügen über weit mehr Menschen in unserer Mark, als uns momentan lieb sein kann. Es wäre doch uneinsichtig, wenn es uns nicht gelänge, in kürzester Zeit eigenständig zu werden«, bestätigte einer der ersten Ankömmlinge. Um seine Worte zu untermauern, schlug er sich mit der geballten Faust in die holte Linke.
»Freunde, wir wollen nicht Trübsal blasen, sondern den Nachwuchs willkommen in unserer Mitte aufnehmen. Unter ihnen sind Handwerker und solche, die diesen zur Hand gehen werden. Dieser Weiler wird bei Fertigstellung etwa zweihundert Seelen Unterkunft bieten. Somit ist deutlich, dass wir abermals mit dem verbliebenen Rest weiter ziehen müssen.«
»Jarik, wo ist unser Fürst? Wieso teilt er mit uns nicht das Feuer?«
»Er hat die vergangenen Zehntage mehr gearbeitet und gelitten als wir alle gemeinsam. Auf seinen Schultern lasten Aufgaben, die ihn erdrücken wollen. Er bat mich, euch über den Nachschub zu berichten und erbittet sich Seelenfrieden am Ufer des Sees. Aber bitte lasst ihn dort sitzen und nachdenken. Er hat es sich verdient.«
»Habt ihr bereits weiteres Bauland erdacht? Wir hörten, dass Thanh der Kartograf nicht weiter ausgeritten ist und die Berittgrenze direkt hinter dem See verläuft.«
»Ihr habt recht, guter Herr. Thanh hat sich die vergangenen Tageswenden ausschließlich mit dem Zusammenfassen der Fakten beschäftigt, um diese in eine einzige Karte verarbeiten zu können. Beginnend mit dem Ausritt der Patrouille zum Morgengrauen, wird auch er wieder dabei sein.«
Mit der letzten Ausführung schaute Jarik zu den aus dem Zelt lugenden Thanh hinüber, der über beide Ohren erfreut lächelte.
»Aber nun wollen wir feiern und früh ruhen gehen. Viel Arbeit wartet auf uns.«
Jarik erhob sich und schlenderte von Schatten zu Schatten der Zelte, rüber zu seinem Eigenen. Auf halben Weg trat ihm Yaeko in den Weg und gesellte sich schweigend an seine Seite, welches er nach einem Blickwechsel brach. »Hast du schon von Halis gehört?«
Jarik nickte seufzend. »Ich stimme nur vorerst zu, mein Fürst. Hat er gesagt. Ich bleibe in eurem Dienste, wenn ihr mir zugesteht, mein Handwerk unter eurem direkten Banner zu stellen. Ich will eine eigene Schmiede an eurem Hofe«, brummte er Halis Stimme nach und grunzte belustigt.
»Und was hat Benjamin gesagt?«
»Er hat zugestimmt. Halis ist der begnadetste Schmied, den Rongard zu bieten hat. Er hat ihn zum Hofschmied erhoben, ebenso wie Korian zum Hofschreiner.«
»Ich bin gespannt, wo uns unser Fürst noch hinführen wird. Der zweite Weiler ist nahezu gebaut und wir führen unzählige Menschen mit uns herum. Wenn ich nicht wüsste, dass diese das Leben in Zelten von jeher kennen, ich würde wetten, dass wir bald einen Aufstand niederzuschlagen bekämen.«
»Wie du bereits sagtest, Yaeko. Unsere Leute kennen es nicht anders. Nur mit dem Unterschied, endlich ein Ziel vor Augen zu haben. Sieh dir nur an, was sie mit eigenen Händen geschaffen haben. Lass uns zur Ruhe gehen, Benjamin dürfte noch am See sein. Ich vermute, dass Elm‘emo ihn dort aufsuchen wird. Er wollte mit ihm reden und ich befürchte, dass es reichlich spät werden wird.«