Freudiges Gelächter und melodisch angestimmte Lieder klangen in seinen Ohren, als er am Ufer so dasaß und den kleinen Wellen des Sees bei ihrem Spiel zuschaute. Der klare Sternenhimmel spiegelte sich in dem Wasser wieder und die Wellen verzerrten die wahrlichen Sternengebilde. Vom Weiler aus nährte sich eine Person, die direkt auf ihn zuhielt und von Weitem winkte.
»Hallo Benjamin. Ich möchte gern unser Gespräch aufnehmen, auf welches du mich verpflichtet hast.«
»Mhm, ja. Das habe ich wohl.«
Ben erhob sich und wartete auf den Hüter, der mit ausladenden Schritten schnell heran war. Seine graue Robe wallte bei jedem seiner Schritte weit hinter ihm, als wenn sie seiner Geschwindigkeit nicht mitzuhalten vermochte. Er war noch nicht an ihm heran, als er auch schon mit der Rechten dem Ufer entlang deutete. »Wollen wir gemeinsam gehen?«
»Gern.«
Zu zweit schlenderten sie so schweigend nahe des Ufers.
»Was betrübt dich mein Junge? Ich habe dich bereits eine ganze Weile beobachten können.«
»Mir geistern die verschiedensten Dinge durch den Kopf, auf deren ich keinerlei Antworten habe.«
»Die da wären?«
»Sagt mir, was hat es mit meinen Wunden auf sich?«
»Wie meinst du das, Benjamin?«
»Als ich hier in diese, eure Welt kam. Ich weiß noch, dass ich auf diesen seltsamen Stein stürzte, den mit der Rune darauf. Ich müsste eine Platzwunde und eine entsprechende Narbe tragen. Ebenso weiß ich, dass ich hier ...«, er zeigte mit der flachen Hand auf sein Schienbein, »... eine recht große Narbe hatte.«
»Und nun sind beide nicht mehr zu sehen«, vollendete Elm‘emo die Feststellung. »Nun, ich vermute, das hängt ebenso damit zusammen, wie du meinen Bruder vernichtetest.«
»Bruder«, knurrte Ben, der stehen blieb und dem Hüter an den Kragen packte.
»Hm, nein. Nicht ein Bruder, wie du ihn dir denkst. Wir Hüter bezeichneten uns gegenseitig so. Also kein Bruder aus einem Familienstamm.«
»Entschuldigt.« Ben entspannte sich und nahm die Hand zurück, die sich schmerzhaft verkrampft anfühlte. »Wie hängt das alles zusammen?«
»Als du jenes andere Wesen meiner Art vernichtetest. Du erwähntest, etwas in dir hätte diesen Kampf ausgefochten.«
»Ich erinnere mich, ja. Es war ein seltsames Gefühl.«
»Als der Stein zur damaligen Zeit geschaffen wurde, zu der Zeit des letzten großen Kampfes, verschmolz der letzte Pretus sein Wesen mit eben diesem, von dem du sprachst, um über seine Aufgabe zu wachen.«
»Einen geeigneten Menschen zu suchen, der das geschundene Volk befreien soll«, erwiderte Ben in vorsichtig.
Verwundert blickte Elm‘emo seinen Gegenüber mit einem aufzuckenden Auge an und nickte. »Mhm, genau.«
»Nur so gedacht. Sprecht bitte weiter.«
»Als du dich bei dem Sturz auf diesem Stein verletztest, vermute ich, dass etwas seiner Energie, ein Teil des gespeicherten Wesens, in dich übergegangen ist. Und dieser Teil veranlasst nun deinen Körper, sich entsprechend selbst zu heilen oder zu verteidigen, sofern Magie im Spiel ist.«
»Ich bin – unverwundbar?«
»Nein, aber Wunden, sogar tiefe Fleischwunden, werden schneller als bei jedem anderen verheilen. Es wird nicht mal ein Kratzer zurückbleiben. Wenn du hingegen an lebenswichtigen Organen getroffen wirst, bedeutet dies unweigerlich den Tod, wie auch für uns Hüter.«
»Wenn mein Körper sich selbst regeneriert ...«
»Wirst du auch um ein Vielfaches älter, als ein Normalsterblicher. Ja.«
»Das soll heißen, wenn zum Beispiel Jarik und ich die vierzig Sommer erreichen ...«
»Wird er aussehen wie vierzig Sommer, du hingegen ... wie jetzt«, unterbrach ihn Elm‘emo wiederholt.
Schweigend gingen sie weiter nebeneinander her, bis Ben abermals stehen blieb und gedankenverloren auf den See hinausstarren.
»Dieser runde Stein. Ihr bezeichnetet ihn als Sprechstein. Um was für ein Ding handelt es sich dabei?«
»Stimmt. Ein uraltes Artefakt aus längst vergangenen Epochen. Sie sind nicht mehr gefahrlos zu gebrauchen und niemand weiß, wo oder wer über die Übrigen verfügt. Ich konnte den erbeuteten benutzen und einem hochrangigen Wesen, einen Brutmeister, davon überzeugen, dass die geschlagenen Gouwors erfolgreich waren. Ich erhoffe mir durch diese Tat, genügend Zeit erkauft zu haben, um diese Mark auszubauen und zu befestigen.«
Elm‘emo hatte mit dem trügerischen Blick gerechnet, weswegen er ihm erklärte, was ein Brutmeister war, welchen Aufgaben er nachging und wem dieses Wesen unterstand. So erfuhr Ben von den Geburtsorten und Stunden der Wesenheit der Gouwors, wie auch anderen.
»Zusammengefasst ...« Ben richtete seinen Blick auf den Hüter. »... Diese Brutmeister, von denen ihr sprecht, sind weitestgehend eurer Art – magische Wesen, jedoch nicht bedingt menschlicher Natur?«
»Durchaus. Magiebegabte sind nicht an ihre Wesensart beschaffen. Die Begabung ist oder war äußerst seltener Natur und einst hielten wir unsere Augen auf unseren Wanderungen offen. Selbstredend zu einer Zeit, in jener wir dem Pretus unterstanden, als Beobachter durchs Land streiften und den Völkern hilfreich zur Seite standen.«
»Ein Pretus ist - war - letztlich nur ein Hüter, der sein Wissensschatz und Weisheit gezollt, berufen wurde.«
»So und ähnlich. Unser Pretus war einst selbst ein Hüter, ja. Lange streift einer wie ich durch die Landen um sein Wissen und die damit verbundene Begierde zu stillen. Mancher bediente sich dabei nicht nur der Beobachtung, es bedurfte Einigerorts und für so manches Wesen auch als Opfer dienlich zu sein, um deren Wesensart vollends zu verstehen.«
Ben schaute Elm‘emo aus verengten Augen an und musterte ihn. »Für Wissen töten. Auch ihr?«
»Ich bin nicht Stolz darauf. Aber ja, auch ich bediente mich ab und an dieses Vorgehens. Viele meiner Brüder jedoch, bedienten sich geradezu und stets dieser Begierde stillenden Methode.« Elm‘emo saugte tief Luft in seine alten Lungen und atmete schwer aus. »Aus diesem Grunde verfielen sie auch den Verführungen Lord Inats.«
»Wie konntet ihr euch davor erwehren?«
»Weil ich dieser Art der Begierde vor vielen, vielen Jahren abgeschworen habe. Ich habe mich mit leib und Seele auf die Bedürfnisse der freien Völker verschrieben.«
Ben nickte und schluckte. »Was ist diese Brut. Ich weiß von Erzählungen, dass diese Abarten, geschaffen und nur durch sie der Sieg errungen wurde.«
»Diese Gouwors sind in der Tat nicht wie ihr Menschenwesen geboren, sie schlüpfen. In tiefen mit enorm hoch temperierten Höhlen werden sie in Schleimbeuteln gezüchtet und genährt. Sie sind, sobald sie daraus emporsteigen fertig entwickelt und kampfbereit. In nur sechs Monden ist eine neuerliche Generation aufgestellt.«
»Aber, was sind sie?«
»Sie sind nicht. Durch mehrere Kreuzungen, verschiedenster Wesen, hat Inat sie geschaffen. Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit, da ich auch mittels der tödlichen Begierde sie nicht ergründen kann. Ihr behänder Körperbau ist der eines Heulers, ihr Verlangen nach Fleisch und Blut eines Guhles aus den Marschen. Die Kampfkraft erbten sie aus der Zucht ihrer eigentlichen Vorfahren – den Orks.«
Ben hatte genug Wesenskunde erfahren, um das leidige Thema zu wechseln. »Sagt, werde ich jemals in meine eigene Welt zurückkehren können?«
Elm‘emo kannte um das mögliche Geheimnis, behielt es jedoch für sich und verdrehte die Wahrheit zugunsten Rongards. Ebenso, dass er gewisse Fäden gezogen hatte, behielt er für sich, damit Ben sich auf die vor ihm liegende Aufgabe voll und ganz konzentrieren konnte. »Ich weiß es nicht, vermutlich nicht. Was betrübt dich wirklich, Benjamin? Du kannst es mir anvertrauen.«
»Ich habe meine Verlobte in meiner Welt zurückgelassen. Das Seltsame dabei ist, als Lerina zu mir kam und mich überrumpelte ...«, er hielt inne und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Ich war hin und her gerissen. Ich hörte ein Wispern im Wind. Die Stimme Katrins.« Bens Tonfall strauchelte und versagte bei der Nennung seiner Geliebten fast vollends.
Elm‘emo verzog unmerklich die Brauen, war jedoch äußerst interessiert. »Was hast du gehört?«
»Ich solle loslassen und mein Leben leben.« Erwartungsvoll schaute er zu dem Hüter, ganz so als wisse er die Lösung.
Elm‘emo nickte verhalten, wissentlich, dass sein Vorhaben geglückt war. »Hast du solch Stimme schon einmal gehört oder im Anschluss daran?«
»Wartet, ja, doch. Im Pass, als wir gerade die Palisade durchritten und – davor auch. Mir war, als hörte ich Fendrik nach mir rufen. Er bat mich zur Eile. Kann das sein?«
Der Hüter nickte wissend, was ihm Ben offerierte. »Os‘tono war einst in der Lage, ihm Nahestehende auf weite Ferne hinweg wahrzunehmen, wenn Gefühlsregungen im Spiel waren. Meistens jedoch bei Gefahren. Auch hier scheinst du einen gewissen Teil dieser Gabe in dir zu tragen.«
»Das wird mir allmählich zu bunt. Es ängstigt mich und ich weiß nicht, wie ich damit umzugehen habe.«
»Du wirst Zeit brauchen, um mit dieser Begabung vertraut zu werden. Sofern sie nicht nur sporadisch auftaucht und du über keinen direkten Zugriff verfügst.«
»Gut.« Ben blickte bekümmert und unbeholfen zu Boden, anschließend jedoch wieder ihm direkt in die Augen und schwieg. Elm‘emo sah ihn aufmunternd an und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Da ist noch etwas, richtig?«
»Jarik bat mich, mit euch über die Familie Korians zu reden. Ich habe bereits versucht, dies mit ihm direkt zu tun, aber keine passende Überleitung gefunden.«
»Verstehe. Du interessierst dich für Lerina. Jetzt wird mir auch begreiflich, was du mit überrumpelt meintest. Sie fühlt sich dir hingezogen? Sie hat dich – geküsst?«
Verlegen sah Ben zur Seite. »Sie umschwärmt mich seit Längerem. Jarik hat mich mehrfach darauf hingewiesen und Korian selbst hat bei einer Rede ihr aufmunternd zugezwinkert. Und dann kam diese sinnliche Berührung.« Er strich sich gedankenverloren über eben diesen Arm. »Und dann dieser unerwartete Kuss. Ich glaube, etwas an ihr ist anders ...«
Erst, als er den fragenden Blick Elm‘emos bemerkte, fiel ihm auf, dass er gestockt hatte.
»Die Familie Rorlin, Korians Vorfahren, haben sich einst unwissentlich mit der Blutlinie eines Hüters vermischt. Es sollte eigentlich nicht erdenklich sein, aber in diesem Fall war es dennoch geschehen. So, als wolle das Schicksal persönlich Hand anlegen. Es ließ sich nie erklären, wie diese Verbindung überhaupt zustande kam, geschweige denn das Resultat. Wir verschwiegen diesen Umstand lange, jedoch erwuchs aus dieser Zuneigung die Frucht der Lenden und die Leute fingen an Fragen zu stellen, die wir nicht verdeutlichen konnten, zumal ein Hüter keinerlei Liebe verspürt, oder dazu in der Lage ist. Obwohl dem geborenen Mädchen weder direkte Verbindungen zu der Gabe nachzuweisen waren, hatte sie mit diesen eines gemeinsam. Sie lebte unnatürlich lange und erlag keinen Krankheiten. Auch Verletzungen verheilten bei ihr deutlich schneller als sie hätten dürfen.«
»Heißt das ...«
»Aus dem Mädchen reifte eine attraktive Frau heran, die ebenfalls eigene Kinder gebar. Keines dieser kam mit der Gabe oder jenem heilenden Fähigkeiten, noch mit der Langlebigkeit zur Welt. Erst deren Nachwuchs zeigte neuerlich diese Widernatürlichkeit. Eines jener Kinder wurde gar ein Hüter.«
»Also tritt dieses Phänomen nicht regelmäßig auf«, stellte Ben fest.
»Nein. Ich weiß dass Lerina, ebenso wie du, über eine ausgeprägte Wundheilung verfügt. Sie sieht auch noch deutlich jugendhaft aus für ihre zwanzig Sommer. Kurzum, sie ist euch körperlich gleichartig und wird über eine ähnliche Lebensspanne verfügen.«
Da keine Reaktion folgte, hakte er nach und fragte geradewegs heraus. »Du hegst den Gedanken, dich mit der jungen Frau zu verbinden?«
Anstatt einer Antwort erhielt Elm‘emo lediglich einen vielsagenden Blick aus leuchtenden Augen. Augen, die die Wärme der Zuneigung widerspiegelten.
»Wir sollten zurückgehen. Wir sind schon viel zu lange auf den Beinen. Denk über eine Zukunft mit ihr nach, Benjamin. Ich heiße sie gut und ihr zwei habt ein langes gemeinsames Leben vor euch.«