Die Sonne stand hoch und die Luft war für diese Jahreszeit drückend heiß und schwül. Seit drei Tageswenden wurden die fleißigen Handwerker und Bauhelfer nun schon von einer schieren Hitzewelle gequält. Allerorts sah man strapazierte Blicke und sich den Schweiß aus den Augen wischende Arbeiter, aber niemand mochte für diese Zeit die augenblicklichen Tätigkeiten niederlegen. Angebote, in den kühleren Dämmerungszeiten zu werken, wurden vehement abgelehnt. Viele der Männer und Frauen, die auf den Baustellen nicht benötigt wurden und sich gegenseitig behinderten, nutzten diese Zeiten und verstärkten ihre Anstrengungen, um die vorgelegten Arbeiten zu vollenden. Ein jeder war bestrebt so schnell als möglich mit dem Abschluss des Weilerbaues voranzukommen, um noch vor beginn der kalten Monde, die unaufhaltsam näher rückten, weiterzuziehen. Die Bewohner des Pass-Weilers hatten sich bereiterklärt, ihre Arbeitskräfte beim Horduz- und Martram-Gehöft einzusetzen, sodass alle Heimatlosen sich auf den Weilerbau konzentrieren konnten.
Einzig die Kinder und die, die noch zu jung und schwach zum Helfen waren, fanden die Hitze grandios. Das kühle Wasser des Sees sowie die seichten Ufer luden zum Planschen ein und die warme Luft trocknet die nassen Leiber fast augenblicklich. Frauen hatten sich mit ihren Arbeiten an eben jenen See begeben, um die Kinder zu beaufsichtigen und nutzten die Gelegenheit, ihre nackten Füße im kühlenden Nass baumeln zu lassen. Einige von ihnen erhaschten auch sehnsüchtige und einschlägige Blicke auf die sich abkühlenden und in ausreichender Anzahl muskulösen Männer, die sich allesamt völlig unberührt ihrer Kleidung oder Aufmachung in den See begaben. Zumeist nur mit einer kurzen Hose bekleidet, ließen sie sich einfach vom Steg aus hineinplumpsen oder sprangen, zum Vergnügen der Kinder, mit aufspritzenden Sprüngen neben die Frauen hinein.
Trotz der bedrückenden Hitze und schweißtreibenden Anstrengungen waren allesamt in glücklicher Verfassung und brachten diese hinreichend zum Ausdruck. Randvoll, mit Wasser gefüllte Eimer wurden mittels Leitern den arbeitenden Männern auf den Dächern gereicht, die sich die Erfrischung über den Kopf gossen, um so ihre erhitzt schwitzende Köper abzukühlen.
Da sich ein Aufenthalt im großen Zelt, welches für Besprechungen jeglicher Art errichtet wurde, bei diesen Temperaturen nicht möglich war, hatte sich Ben mit seinen Freunden unter eine himmelwärts gespante Leinenbahn gesetzt, die nach allen Seiten hin offen stand. Er ließ sich von Thanh die aktuellen Arbeiten der Landkarte der Mark zeigen und besprach mit ihm die eingezeichneten Neuerungen der letzten Ausritte. Im Nordwesten, oberhalb des Horduz-Gehöftes, entdeckte eine der Patrouillen einen schmalen steil ansteigenden Weg, welcher sich dem Gebirge hinaufschlängelte und auf etwa einhundert Längen verfolgt und kartografiert war.
Bedingt dessen, dass Spuren von Heulern gefunden wurden, ordnete Ben verstärkte Patrouillengänge an, übertrug Yaeko die Verantwortung und ernannte ihn offiziell zum Oberscharführer.
»Lass dich von einem unserer Metzen und Schreiner begleiten. Sie sollen diesen Weg als auch das Umfeld überprüfen, ob sich eine Besicherung mittels Palisade durchführen lässt.«
»Ich danke dir für die Ernennung und werde mich sofort mit ein paar Männern aufmachen.«
»Sobald ihr mit der Erkundung fertig seid, reitet hier in diesen Einschnitt. Diese Höhle ist zwar leer angefunden, aber ich möchte nichts riskieren.«
»Geht klar. Ich mach mich gleich auf dem Weg«, bestätigte Yaeko mit dem üblichen Gruß mit der Rechten, geführt zum Herzen und machte sich auf den Weg zu den Lagerstätten der Jäger. Er rief einige der Männer namentlich zusammen und ließ nach Handwerkskundigen suchen, die sie beim Ausritt begleiteten, und erklärte ihren Auftrag.
»Er ist bereits voll in seinem Element und wird dir als Oberscharführer treu dienen. Hast du eine Aufgabe für mich?«
»Ja Jarik, einfach, aber zu erledigen. Du kommst endlich mal wieder raus.« Ben lächelte ihm entgegen und hob mahnend den rechten Zeigefinger, da dieser zu einer Erwiderung ansetzte. »Du schnappst dir eine Schar und überbringst dem Pass-Weiler als auch den beiden Höfen eine Einladung zur Einweihung unseres neuen Weilers. In zwei Tageswenden, so hat Korian berichtet, sollen alle Bauarbeiten abgeschlossen sein. Er hat vorgeschlagen, die Errichtung von Wehr- oder Aussichtstürmen den künftigen Bewohnern zu überlassen, um den gewaltig angewachsenen Tross in Bewegung zu bekommen.«
»Also sollen die letzten Hammerschläge den Festakt einleuten.«
»Genau.«
»Die kalten Monde nähern sich. Auch wenn hier im Weiler etwa zweihundert Menschen fortan leben, werden wir mit mehr als fünfhundert Weiteren, eine stattliche Zeltstadt bieten.«
»Eben aus diesem Grunde müssen wir aufbrechen. Die hiesigen Bewohner haben noch Einiges zu bewerkstelligen und müssen unsere Lagerspuren beseitigen, um Flächen rings um den Apfelhain für Ackerbau zu schaffen. Einer der Bauern hat mir von einer Getreideart erzählt, die nur innerhalb der kalten Zeiten gedeiht, und will diese hier ausbringen.«
»Dann sollten wir uns sputen, die Zeit wird knapp.«
»Ähnlich hat der Gute sich auch ausgedrückt«, juxte Ben.
»Nun gut, ich stelle eine Schar zusammen und breche auf.«
Der Fürst Neumarks verabschiedete sich von Jarik und Thanh und schaute, mit der rechten Hand die Augen beschattend, übers Gelände. Zielstrebig ging er los und begab sich zum See, wo er auf den Steg zuhielt.
»Hofschreiner! Herr Korian!«
Der Gerufene saß neben einer rothaarigen Frau, die in seinem Alter zu sein schien, und unterhielt sich mit ihr. Ihre Füße baumelten im kühlen Nass und die Frau hob ihr linkes Bein immer wieder an, um das Wasser an ihrem Hacken hinabtropfen zu lassen. Sie spielt mit ihren Zehen und lachte ausgiebig. Er richtete seinen Blick auf ihn und hob grüßend die Hand. Ben erkannte, dass er ihr etwas ins Ohr flüsterte und sich auf ihrer Schulter abstützte, um aufzustehen. Zum Abschied wuselte er ihr Haar mit der Rechten und fing sich dafür einen Klaps auf dem Hintern ein, welches er mit gespielt bösem »Hey!« quittierte und auf seinen Fürsten breit grinsend zueilte.
»Was seh ich denn da?«
»Hm, was denn? Ach das?« Korian sah zu seiner Liebschaft hinunter und winkte ihr zu. »Ich bin glücklich, wie seit langen nicht mehr.«
»Lerina berichtete mir bereits davon. Ich wünsche euch alles Glück, welches ihr finden könnt, Korian.«
»Wie kann ich euch helfen, Herr? Ich war schließlich grad am Turteln«, neckte er und sah immer wieder verstohlen zum Steg.
»Ich hatte ein verwirrendes Gespräch mit Elm‘emo dem Hüter und möchte dazu gern eure Meinung hören.«
»Oh. Ich vermute, es geht um meine Tochter. Wollen wir ein wenig des Weges?«
Ben nickte dankend und wies mit der Rechten die Richtung. Ohne Umschweife begann sein Hofschreiner zu erzählen und begann bei seinem Familienstammbaum. Er sprach mit Stolz und geschwollener Brust von seinen Vorfahren, die stets dem Fürsten der Mark treu dienten und Ben ließ ihn gewähren, ohne seinem Redefluss durch Kommentare oder Fragen zu unterbrechen. Etwas wehmütig gelangte er zu dem Wendepunkt, als eine unwiederbringliche Liebesvereinigung mit einem der Hüter entstand und seine Familie für immer brandmarkte. Nicht jede Generation war durch die Blutsbande gezeichnet, sodass man stets dem Irrtum erlag, das Blut habe sich weiterhin verdünnt, ohne weitere Vorzeichen der Gabe zu unterliegen. Lerina sei in der zweiten Generation, als bei ihr die Anzeichen ersichtlich wurden. Niemals erlag sie Krankheiten und Wunden heilen bei ihr überdeutlich schnell. Auch sollte sie um ein vieles älter werden, als es normalen Menschen vorbehalten war.
»Herr, ich habe bereits mehrfach mitbekommen, was meine Tochter für euch empfindet. Sie scheint sich euch gegenüber hingezogen und schwärmt über beide Ohren. Ich fürchte nur, es wird ihr das Herz brechen, wenn ihr einst eurem Alter erliegt.«
Ben legte ihm beruhigend die Linke auf die Schulter. »Ich fürchte, das wird nicht so schnell geschehen.«
»Aber es wird.«
»Ja, durchaus. Ich vermute aber, das selbst eure Enkel dies nicht erleben werden, es sei denn, jemand anderes legt Hand an.«
Korian blieb abrupt stehen und fasste Ben mit der Rechten ans Handgelenk, um auch ihn am Weitergehen zu hindern. »Verzeiht. Aber was sagt ihr da?«
Ben erklärte ihm die Zusammenhänge, was er durch Elm‘emo in Erfahrung brachte und somit die Langlebigkeit mit Lerina teilte. Dieser nickte verstehend und gemeinsam gingen sie zurück zum Lager.