Echos von den Karrenführern und den Rädern auf hartem Grund hallten durchs Innere und bahnten sich an ihre Ohren.
»Gehen wir«, meinte er und schritt voran.
Wie versprochen durchschritten die Männer auf halbem Weg ein in den Fels eingelassenes, offen stehendes Tor, welches den Einlass in eine Felsenkammer gewährte. Zu ihrer Rechten und Linken befanden sich in den Fels getriebene Balkone mit Brüstungen, dahinter waren Bänke und Tische zu erkennen. Waffen und Schilde zierten die Wände sowie liebevoll gemeißelte Friese. Vier riesige Säulen trugen die Last des Berges und wurden von einer ebenfalls aus Stein gehauenen Balustraden abgegrenzt, sodass mittig ein zu beschreitender Weg voran wies. Breit genug für zwei nebeneinanderstehende Karren, die sich wie angedeutet sammelten.
»Ihr Tüchtigen, worauf wartet ihr hier?«
»Oh, zum Gruße Herr Jarik. Der Weg voraus ist verstopft und die vorderen Karren dürfen ihre Last nicht abladen. Unsere kleinen Freunde und die Schwertmänner wollen sich in den Schacht abseilen, um dort nach dem rechten zu schauen.«
»Dann sollten wir uns eilen, um bei dem Spektakel dabei sein zu können. Männer auf, sonst kommen wir zu spät.«
Ein jeder grüßte freundlich die Vorübereilenden und erhoffte sich Auskunft, was es zu berichten gab. Doch die Männer winkten schweigend ab und eilten schnellen Schrittes an den Karren vorbei.
Ein grandioser Blick ließ die Fünf tief die bitterkalte Luft in ihre Lungen saugen, als sie ins Freie traten und vor der Brüstung des Balkons standen. Direkten Blickes auf das mittels Naïnhand erschaffene, aber dennoch unfertige Gebilde blickend, weiten sich ihre Augen staunend. »Diese gestallt. Das Gesicht weint.«
»So sieht es aus, ja. Wunderschön.«
»Da.« Jarik zeigte in die Tiefe. »Das ist ihre Stadt. Und dort bauen sie an dieser dritten Ebene, die Galoth angesprochen hat.«
»Was für eine Baukunst. Und hier werden einige unseres Volkes den Winter über verbringen?«
»Kommt, Männer. Wir werden die Stadt noch in Ruhe begutachten können. Wir sollen uns rechts halten, um zum Schacht zu gelangen.« Jarik stieß sich von der Brüstung des Balkons ab und hielt sich zu genannter Richtung. Lautes Gerede und Anweisungen tönten, als sie sich einem Durchgang näherten, dessen Gebirgsmassen das Plateau von dem dahinter trennte – eine Art Trennwand zweier Klüfte.
Vor ihnen verbreiterte sich der Gang zu einer Terrasse, an deren Übergänge zum Fels, zur rechten und linken, jeweils ein Turm erbaut, still wache hielt. Etwa mittig, zwischen diesen ragte eine hölzerne Vorrichtung in den Schlund hinaus, auf dem reges Treiben herrschte. Bogenschützen standen in den Türmen wie auf dem Balkon parat und hatten Stellung bezogen. Fackeln lagen griffbereit neben zwei Seilleitern und aufgerollten Seilen, die gewissenhaft an die Brüstung des Balkons geknüpft waren. Gegenüber des Schachtes hockten auf einem Vorsprung eine Hand voll Naïns und bearbeiten den Fels. Der Betrachtung nach hatten sie vor, den Vorsprung zum Einstürzen zu bringen, welches anscheint die Ursache des geführten Streitgespräches zwischen Yaeko und Aguschal zu sein schien. Yaeko zeigte immer wieder zu den hämmernden hinüber und motzte lautstark.
»Hey Freunde, was ist denn hier los?«, rief Jarik und nährte sich mit beschwichtigend erhobenen Händen.
»Der Verrückte hier will doch allen Ernstes, diesen Vorsprung so weit bearbeiten, dass dieser ohne größere Probleme zum Einsturz gebracht werden kann. Dass uns das Teil da unten auf den Kopf knallen kann, scheint dabei belanglos zu sein.« Yaeko wurde sich nun endlich bewusst, wer da vor ihm stand und stockte. »Jarik? Hey, was treibt ihr denn hier.«
»Eigentlich dich und die Männer besuchen. Scheinbar zur rechten Zeit. Was geht hier vor?«
»Grüße oberster Schwertmann. Wir wissen nicht was uns dort unten erwartet und ich habe meinen Steinschlägern angewiesen, diesen ...« Aguschal deutete zu den arbeitenden hinüber. »... Vorsprung zum Einsturz vorzubereiten. Durch die Kippungen fällt das Gelände unten schräg zur Seite und irgendwo muss das eingeleitete Wasser ja wohl hin sein.«
Jarik sah in die Tiefe und ihm wurde bewusst, was der Posten, unten bei den Pferden erwähnt hatte.
Seid zwei Tageswenden haben sie Wasser in den Schacht geleitet.
Nur es war kein Wasser zu sehen, nur eine gähnende Schwärze.
»Leuchtet ein. Ihr habt mit dem Fels vor, einen mutmaßlichen Tunnel zu versperren.«
Aguschal nickte eifrig und stimmte der Annahme zu. »Ganz recht. Dieser Vorsprung kann uns behilflich sein, diesen vermaledeiten Schacht endlich ein für alle Mal dicht zu bekommen.«
»Wie lange werden eure Steinschläger noch benötigen?«
Genau in diesem Moment pfiff einer dieser und winkte. Alle Arbeiter erhoben sich und stellten ihr klopfen ein. »Fertig. Nur noch wenige Schläge, und das Ding stürzt in die Tiefe.«
Yaeko schaute seinem Gegenüber finster entgegen. »Ich traue dem Frieden nicht«, schnaubte er.
»Verständlich, mein Freund. Nur vergiss nicht, die kleinen Herren sind absolute Meister ihres Handwerkes. Sollen wir gemeinsam hinunter?«
»Los geht‘s, Männer. Wollen wir doch mal sehen, was uns da unten erwartet.«
Jarik zwinkerte dem verblüfft drein schauenden Aguschal zu und stieg über die Brüstung. An einer der Seilleitern baumelnd, kletterte er in die Tiefe. Eimer mit Fackeln wurden herabgelassen und hingen zum Greifen nah, als sein Füße loses Geröll berührten. »Seid vorsichtig, der Kram hier ist äußerst lose.«
»Das kann nur die obere Schicht sein. Zwei Tageswenden eingeleitetes Wasser verdichten die Erde mit dem Geröll«, widersprach Galoth, der sich an einem der baumelnden Seile neben ihm herabließ. Er griff sich eine der Fackeln und entzündet sie in einem metallenen Behälter, der mit Brennstein gefüllt zu sein schien und an einer Kette vor ihnen hin und her pendelte. Vorsichtig aber Behänden kletterten sie tiefer, um den nachrückenden den nötigen Platz zu schaffen. Jarik, Yaeko, Aguschal, Galoth, Kabar und jeweils eine halbe Zehn Schwertmänner und Naïns hatten sich auf der schräg verlaufenen Geröllhalde versammelt und blickten sich mit entzündeten Fackeln um.
Geschätzte fünfzehn Längen trennten den aufgeschütteten Boden, bis hinauf zu den Wartenden und es kamen etwa weitere zwei Längen hinzu, bis die Truppe festen, aufgeschwemmten Boden erreichte. Galoth war etwas vorangeschritten und hielt seine Fackel, soweit seine Arme es zuließen nach vorn gestreckt und spähte ins Dunkle. »Hier. Kommt her, dort vorn ist ein Loch ... ein Höhlengang.«
Yaeko schaute beklommen den Schacht hinauf und schauderte. Direkt über ihnen erstreckte sich der Überhang, den Vorsprung, der mit wenigen Handgriffen in die Tiefe stürzen sollte. Jarik bemerkte den Blick, legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken die Richtung.
»Bleibt die Frage, wohin dieser Eingang uns führt.«
»Das Aguschal, ist unsere Aufgabe herauszufinden.«
Dieser nickte und gab einem seiner Naïns die zuvor abgesprochene Order Zeichen zu geben. Daraufhin kletterten und seilten sich weitere in den Schacht hinab und griffen geschwind zu den herabgelassenen Waffen und Werkzeugen. »Was hab ihr vor?«, flüsterte Jarik zu Galoth, der ihn mit leicht geneigtem Kopf ansah, so als studiere er den Wert der Frage.
»Wir sichern uns den Rückweg. Hier unten bei uns, deine Schwertmänner und unsere Axtschläger, oben auf dem Geröll Bogenschützen und Speerkämpfer. Die Arbeiter werden das abgekippte Zeug weiter in den Schacht ziehen, um Platz für weitere Kippungen zu schaffen.«
»Verstehe«, gab Jarik vor, war sich innerlich jedoch nicht ganz sicher, was das nützen solle.
Galoth, der bereits vor dem gähnenden Loch stand, hielt seine Fackel hinein und verschmolz mit der Schwärze. Nach und nach stiegen so Naïns und Pferdeherren ins finstere Nichts, dass sie verschluckte. Leise Echos schallten aus dem Höhlengang und trugen gesprochene Wortfetzen an die Ohren der sich bereithaltenden Wachposten und Arbeiter. Letztgenannten begannen ehrgeizig damit, ihre Hacken und Schaufeln in die aufgeschütteten Geröll- und Erdmassen zu versenken. Unsicher, aber dennoch bestrebt trugen, rollten und hieften die Schuftenden größere Steinbrocken seitlich des Tunneleinganges. Das losere Erdreich trugen sie auf tablettartigen Blechen, welche die Naïns Trog nannten. Schnell entstand so, seitlich des Zuganges Aufschüttungen, die bis zur Oberkante des selbigen heranreichten. Sodann wurde der Schutt rechts und links daneben aufgeschüttet. Loses Geröll und Erdreich rutschten ständig von der Schräge nach und veranlasste die Wachposten, ab und an ihre Stellung zu wechseln. Arbeiter kletterten zu ihnen hinauf und zogen mit ihren Werkzeugen lose Massen hinab, um den ihren so ebenere Flächen zu schaffen, auf denen sie Stehen, knien oder hocken konnten.
Auf dem Plateau postierte, wiesen die wartenden Karrenlenker an, ihre Fuhrwerke so nah wie möglich hintereinander einzureihen. Die Steinschläger hatten angedeutet so viele Karren wie irgend möglich anzusammeln, um in relativ kurzen Abständen ihre Lasten in den Schacht zu stürzen.
»Was habt ihr getan?!«
»Ja Benjamin. Ich bitte untertänlichst um Verzeihung.«
»Werter Herr Halis, dieses Privileg müsst ihr euch erst wieder verdienen. Bis dahin bleibt euch nur die höfische Anrede. Ihr habt nicht nur mich zu tiefst enttäuscht. Auch die Übrigen habt ihr mit diesem eigensinnigen Vorgehen hintergangen.«
Der Hofschmied schluckte und senkte sein Haupt. Die Schultern, sofern bei diesen Muskelbepackten überhaupt möglich, hingen schuldbewusst und schlaff herab. »Ich verstehe, mein Fürst.«
»Wie konntet ihr es wagen? Dieser Weg führt ins Unbekannte und Heuler treiben sich auf diesem herum. Die Palisade ist momentan unser einziger Schutz vor ihnen. Ihr wisst selber, dass wo Heuler streunen die Brut nicht fern sein kann.«
»Ja Herr. Aber Herr Goram höchstselbst erzählte doch, dass dieser Weg aufgrund seiner Verwilderung zu dieser Zeit nicht überwindbar sei.«
»Verteidigt ihr euch wahrlich mit solch Lappalien? Auch wenn ihr stattdessen einen Weiler nahe diesem baut, um den euren aus Bregeran und weiteren Obdachlosen Unterkunft vor den kalten Monden zu bieten, entschuldigt dies nichts jener Tat. Es kommt einer bodenlosen Frechheit gleich, einen stümperhaften Palisadenschutz zu bauen.«
Der Hofschmied nannte zwar einen robusten Körper sein Eigen, aber er war durchaus in der Lage Fehler einzugestehen und zeigte dies überdeutlich.
»Herr, bitte. Ich werde aus eigenen Mitteln den Posten vor Ort mit ausreichend Wärme spendenden Brennsteinen und Verpflegung versorgen. Hinzu werde ich dafür Sorge tragen, dass beginnend mit dem Tauen des Schnees meine schuldhafte Bauweise, stabilieren weicht.«
Ben starrte aus zu schlitzen zusammengekniffenen Augen und schwieg. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt begann er, um den Knieenden Schmied herum zu wandern. Goram stand in der Nähe, schaute dem Schauspiel gemütlich an einer Mauer lehnend zu und grinste.
»Ich nehme euch beim Wort. Ihr seid entlassen.«