Schwer beladene Karren rollten an den geschundenen Leibern der Gefährten vorbei und entluden ihre Lasten auf der freigeräumten Kippvorrichtung.
»Wo ist Yaeko, oberster Schwertmann?«
Jarik sah bemitleidenswert auf und erkannte Tiron, einer derer, der mit seinem Freund aus Kindheitstagen hier am Schacht seit Zehntagen Wache schob. Jarik senkte seinen Blick und atmete schwer. Kopfschüttelnd erklärte er, dass er es nicht geschafft habe und wie es passierte. Er selber war Zeuge des Geschehens, konnte aber nicht rechtzeitig eingreifen.
Fachkundig gingen heilkundige Naïns durch die Reihen, begutachten leichte wie schwere Verletzungen. Sie reinigten großflächig alles, was nach einer solchen aussah. Sie schienten Arme wie Beine und verbanden Prellungen und Schürf- sowie Kratzwunden. Einige waren so Tief, dass eine Naht unumgänglich war. Gleichgültig nahmen die Verletzten die Behandlungen hin. In Ihren Augen spiegelte sich das Antlitz des Todes und waren für das jetzt und hier nicht weiter zugänglich.
Zehnteltage vergingen und die beladenen Karren sollten kein Ende nehmen. Bis hinunter zur Eingangshöhle, hatten diese sich wartend eng aneinandergereiht und harrten aufs Vorankommen. Nur langsam lichtete sich die schiere Menge und die Reihen zogen sich allmählich in die Länge. Unentwegt kippte die Vorrichtung jeweils vier Ladungen in die Tiefe und der aufgeschüttete Hang im Schacht hob sich erneut. Die unten abgestellten Wachposten stellten Brennsteinbecken auf, damit die Wächter von ihren oberen Posten aus, in der Nacht jedwede Bewegung ausmachen konnten. Eines der Becken wurde oberhalb des Loches aufgestellt, und mit einem Speer markiert. Sodann kletterte auch diese Schar hinauf und kehrte dem Schacht vorerst den Rücken.
Bis spät in die Nacht hinein, ließ Aguschal die Karren ihre Lasten abkippen, um deren schiere Anzahl zu reduzieren. Es ist besser, wenn die Meisten von ihnen wieder auf dem Rückweg sind, wenn wir unsere Gefallenen beklagen, hatte er bekundet und den Rückkehrern eine entsprechend klingende Nachricht für Goram und Ben mitgegeben.
Während der Nacht herrschte vollständige Stille. Der Schacht wie das vorhandene Loch, das in die Tiefe führte, lagen befremdlich ruhig da.
Der Morgen brach an und die Naïns bereiteten die Vorrichtung abermals vor und ließen die verbliebenen Karren anrollen. Bis zu Sonnenhoch, so die aktuelle Zählung, sollte es andauern, bis alle aufgestauten Karrenladungen in der Tiefe zum Liegen kamen. Erneut kletterte eine Schar hinab, löschten die Brennsteinbecken und bezogen Posten. Arbeiter gesellten sich zu ihnen und schafften mit ihren Bergwerkswerkzeugen das aufgeschüttete Geröll hinüber zum Felsen. Größere Brocken, die mit in die Tiefe gestürzt waren, wurden so recht zügig bedeckt und bildeten mit dem riesigen Verschlussfelsen eine stabile Sohle.
Jarik und Aguschal hatten lange diskutiert und den gefluteten Gang gegenüber dem Anstieg mit einbezogen. »Wenn dieser bereits bis zur Decke vollgelaufen ist, wird das Wasser seinen Weg auch bis in die große Höhle finden, wir müssen nur dafür sorgen, dass stetig genügend Wasser einläuft.« Äußerte Jarik und Aguschal stimmte Argumentationslos zu. So entschlossen sich die beiden, beginnend zu Sonnenhoch alle Kippungen einzustellen. Die übrigen, noch beladenen Karren sollten ihre Last während des Einleitens letztmalig abkippen.
»Alle sind raus. Öffne die Schleuse«, wies Kabar an, welches gleichauf befolgt wurde. Als die schwere Steinplatte sich hob, wurde sie von ratternden Ketten und mahlendem Knirschen begleitet.
Wasser drängte durch die stetig größer werdende Öffnung. Der in den Fels gehauene Kanal füllte sich und die ersten dünnen Rinnsale stürzen in die Tiefe. Die Schleuse hob sich weiter, immer mehr Wasser drängte hervor und stürzte als kleiner Wasserfall in den Schacht. Es dauerte nicht Lange und eine schmutzig trübe Suppe sammelte sich auf dem Grund. Der Wasserstand hob sich stetig, bis zu dem markierten Loch. »Stop«, rief Kabar durch seine zu trichtern geformten Hände. Rasseln und Knirschen verklungen – die Steinplatte der Schleuse blieb an Ort und Stelle. Der Wasserfluss war kanalisiert und sorgte dafür, dass der Pegel im Schacht sich weder senkte noch anstieg. Das einfließende Wasser nutzte den einzig offenen Weg und füllte so hoffentlich die Höhle der Morroval.
Jarik und Aguschal standen auf der Kippvorrichtung und beobachteten. Erschrockenes Kreischen tönte leise aus dem Loch hervor und bewies den Leuten, dass die Morroval nahe dem verschütteten Tunnelausgang auf eine Möglichkeit zum Ausbruch warteten oder bereits begonnen sich daraus hervorzugraben.
»Hebt die Schleuse einen Spaltbreit, die Öffnung fasst noch mehr Wasser.«
Galoth übernahm die Winde, mit dem die schwere Platte gehoben und gesenkt werden konnte, drehte es einmal um die eigene Achse und arretierte sie.
»Ich glaube, unsere Aufgabe ist getan, Aguschal.«
»Ja. Du und die deinen, ihr habt uns einen schwerlich gutzumachenden Gefallen erbracht und wir stehen in eurer Schuld. Ihr habt tapfer gekämpft, auch wenn wir gute Freunde verloren. Ihr alle seid mir stets Willkommen.«
»Danke. Ich gebe Befehl zum Abmarsch und reite in einem Zehnteltag. Ich muss mit Benjamin reden und den Verlust der Männer erklären.«
Aguschal reichte dem obersten Schwertmann die Hand und dieser ergriff sie beim Handgelenk. Herzhaft drückten sie zu und besiegelten ihre Freundschaft.
»Er war ein guter und gewissenhafter Mann, es tut mir leid.«
»Ich werde deinem Vater von unserem Erfolg berichten, er wird Stolz auf dich sein.«
Aguschal hob leicht die Mundwinkel, welches man als Lächeln deuten konnte, sparte sich jedoch gesprochene Erklärungen. Er war in seinen eigenen Gedanken versunken. Jarik erteilte Befehle und begab sich in einen der Türme, um die Habe seines gefallenen Freundes zusammenzuraffen, diese wollte er mit sich nehmen und in ein Grab nahe der Burg beilegen.
Als die Schwertmänner und abgestellten Arbeiter bereit zum Aufbruch waren, wurden sie von den Naïns freundschaftlich verabschiedet.
»Sobald der Sichelgraben, vor eurer Mauer sich füllt, gilt dies als Zeichen, das der Schacht endgültig dicht und gefüllt ist. Wir haben einst den Bachverlauf dahingehen verändert, dass die trockenen Bergbäche sich erneut füllen, wenn dieser überläuft.«
»Ich werde darauf achten, lebe wohl mein Freund.«
Beklommen führte Jarik zwanzig Arbeiter und keine zwei Zehnen Schwertmänner nach Hause – zur Burg Neumarks. Eine Schar Gefallener und sein Freund Yaeko galt es zu beklagen. Ihre sterblichen Überreste mussten sie zurücklassen, sie lagen als dauernde Wächter im kalten Nass und konnten nicht zu ihren Ahnen standesgemäß begleitet werden.