Es war beinahe Sonnenhoch, als sich die beiden Gefährten, Jarik und Tiron, auf dem Weg zu den Bogenschützen machten und den Berittenen den Rücken kehrten. Tiron mochte die Chance nutzen, bei Ben persönlich vorzusprechen, um ihn für die Ernennung zum Oberscharführer zu danken. Auch was die angebliche Verbindung zu Lerina anbelangte, interessiert ihn sehr. Sie betraten gerade die Zugbrücke, als Tiron gedankenverloren in die Tiefe blickte und die Augen alarmiert verengte. Schnell griff er mit der Linken nach dem Umhang Jariks und hielt ihn fest.
»Hey, was soll das?«, brüskierte sich dieser, als er fast aus dem Sattel gezogen wurde.
»War mir nicht so, dass dieser Graben ...« Tiron deutete, mit der anderen Hand hinab, »... bisher kein Wasser beinhaltet hat und demnach nur nacktes Gestein zu sehen sein sollte?«
»Was meinst du? Lass mich gefälligst Los.« Jarik zog ruckartig, mit kraftvoller Schulterbewegung, den Umhang aus der haltenden Hand und schnaubte. Mit schüttelndem Kopf schwang er sich aus dem Sattel seines Rosses und begab sich an den Rand der Brücke, die Korian mit einem Geländer versehen hat lassen, um selbst in die Tiefe zu schauen. Er erstarrte, weitete erstaunt die Augen und schluckte. Er erinnerte sich der Worte seines kleinen Freundes, die er ihm mit auf seinem Weg gab.
Sobald der Sichelgraben, vor der Mauer sich füllt, ist dies das Zeichen, das der Schacht endgültig dicht und gefüllt ist. Wir haben den Bachverlauf dahingehen verändert, dass die Bergquellen sich füllen, wenn der Schacht überläuft.
»Wir müssen sofort zu Benjamin und Goram.« Jarik wartete nicht, warf die Zügel lose über den Sattel und gab seinem Tier einen Klaps auf den Hintern. Sein Ross schnaufte und trottete nach vorn. Sein Ziel war der Stall der äußeren Burg. »Komm schon«, rief er zurückblickend und lief weiter.
»Was ist denn los?«
Jarik antwortete jedoch nicht und so gab auch er seinem Ross die Zügel frei und rann hinterher.
Verhaltene Stimmen drangen hinter der verschlossenen Tür zu Bens Gemach hervor, eine Männliche und eine Weibliche. Sie schienen ein vertrauliches Gespräch zu führen und leises Kichern mischte sich ab und an darunter.
»Was ist los, was gibt es so Dringendes, Freund Jarik?«
»Das werde ich erzählen, sobald wir mit Benjamin reden können.«
»Na dann mal los, mein Bëor wird nur schal«, erklärte Goram und ging erhobenen Kopfes an den dumm dreinschauenden Tiron und Jarik vorbei. Er hob die Rechte und pochte munter drauf los.
Tiron sah verwundert zu Jarik, der nur die Brauen verzog und mit den Schultern zuckte. Die Tür wurde geöffnet und Lerina erschien lachend in dem sich zeigendem Spalt. Gedämpftes Licht und wohlige Wärme drangen sich freie Bahn aus dem Gemach - hinaus auf den kühleren Gang.
»Besuch, Herr. König Goram, die Herren Jarik und Tiron.«
»Kommt rein, Freunde«, rief es aus dem Hintergrund.
Ben saß auf einem gemütlichen Stuhl und hatte seine nackten Füße auf den gegenüberstehenden auggelegt. Bei kurzer Betrachtung trug auch Lerina kein Schuhwerk, obwohl sie zu früherer Tageszeit neue Stiefel zur Schau zeigte. Ein großes Bett stand mittig der hinteren Wand und ein massiv neu gezimmerter Tisch zierte mit Schnitzereien die Mitte des Raumes. Eine umfassende Karte, angefertigt von Thanh, die das Land Rongard und die neue Mark detailreich zeigte, hing gegenüber der befensterten Wand und nahm diese zur Hälfte ein.
»Was kann ich für euch tun?«
Tiron grinste und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die nackten Füße Bens und Lerinas. »Soso, der Fürst muss sich ausruhen?«
»Oh ja. Lerina ist meine Heilkundige und massiert mir den schmerzenden Knöchel.« Er hob den Geschwollenen leicht an. »Siehst Du?«
»Ah und zu Zwecken der Übung ist sie ebenso barfuß und lässt sich vom Fürsten höchstselbst massieren?«
Ben besah sich erst seine Füße, dann die Lerinas und schürzt die Lippen. Er verschränkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf in den Nacken und verzog gespielt die Augenbrauen. »Ja.« Tönte er schwungvoll und blickte zurück zu seinen Freunden. »Das klingt nach einer vernehmlich guten Erklärung. Genauso war es.«
Lerina konnte sich ein Kichern nicht verkneifen, griff nach ihren Stiefeln und verneigte sich förmlich. »Ich sehe später noch einmal nach euch, Herr.«
Die Tür schloss sich hinter ihr und Ben schaute ihr vornübergebeugt hinterher.
»Nu ist sie weg. Also, was ist passiert?«
»Würd mich auch interessieren«, brummte Goram.
»Jarik?«
Dieser holte tief Luft und atmete langsam aus. »Der Sichelgraben. Der vor der Burg.«
»Ja, was ist mit dem?«, fragte Ben mit erhobener linker Braue.
Goram wippte ungehalten mit den Beinen und knetete sich die Hände.
»Er läuft voll.«
»Was?«, riefen Goram und Ben beinah zeitgleich. Ben hingegen sprang abrupt auf, um auf seinen eigenen Füßen zu stehen und knackste mit dem rechten schmerzerfüllt zur Seite. »Ah, verdammt.«
Er setzte sich sogleich wieder und rieb sich den Schmerz pochenden Knöchel.»
Wenn der Graben vollläuft, bedeutet das ...«, begann Goram und Jarik vollendete den Satz. »Dass der Schacht ein für alle Mal dicht ist.« Er nickte. »Aguschal hat mir erzählt, dass dies das Zeichen sein wird. Dieser Opfer fordernde Schlund ist dicht und das eingeleitete Wasser läuft in die alten Bachbetten.«
Ben sah zu Goram hinüber, der seinen Blick erwiderte und freudig lächelte. »Goram, was ist dran?«
»Ebendies, was dein oberster Schwertmann gesagt hat. Es ist vollbracht, dank eurer Hilfe.«
Die nächste Tageswende war angebrochen und der Morgen graute. Die Reste der Feiernden, der zur späten Zeit geendeten Wehrübung, wurden auf- und weggeräumt. Schallende Rufe und stetes Klopfen zeugten vom Beginn der weitergeführten Arbeiten an den zahlreichen zu erledigenden Baustellen.
Lerina hatte Ben den Fuß dick und stramm verbunden, nachdem die Besprechung mit Jarik, Tiron und Goram endlich beendet war, und nach ihr hat rufen lassen. Sie hatte ihn geschallt, wie er nur hat so unvernünftig aufspringen können und das mit einem verstauchten Fuß. Gescholten senkte er den Blick und in einem gedacht unbeobachteten Moment ihr die Zunge herausgestreckt. Lerina jedoch bemerkte diese ungeziemende Gestik und griff reflexartig zu.
»Helm....«, stotterte Ben ohne Gewalt über seine Zunge.
»Wie ein kleines verwöhntes Balg«, grinste Lerina und nährte sich seinem Gesicht. »Dem ich nicht zu widerstehen vermag.« Sie ließ seine Zunge los, schloss die Augen und küsste ihrem Fürsten ungefragt auf die Lippen.
»Entschuldigt, ich hätte nicht ...«
Er griff nach ihrem Hals, als sie sich zurückzuziehen gedachte. »Nein, diesmal nicht«, hauchte Ben und führte ihre Münder abermals zusammen. »Schluss mit Entschuldigungen.«
Lerina half ihrem Fürsten vorsichtig auf und führte ihn hinüber zur Bettstatt, worauf sie gemeinsam eng umschlungen versanken.