Selbst der hartnäckigste Schnee und das dickste Eis konnten den wärmenden Sonnenstrahlen nicht länger standhalten. Die kalten Monde galten endlich als überstanden. Die ersten zurückgekehrten Schwingen bereiteten ihre Nester und trillerten ihre Lieder lauthals hinaus. Die Temperaturen waren, obwohl noch Früh in der Jahreswende bereits angenehm warm. Dadurch, dass der Sichelgraben konstant seine Wasserhöhe hielt, wurde der See unweit der künftigen Stadt und nahe dem kleinen Wald wieder gespeist. Das frische Nass lud hartgesottene Kinder zum Planschen ein, sie bespritzten vergnügt mit Füssen wie Händen vorbeieilende. Freudiges Gelächter schallte durch die Baustellen der Burg und vereinzelten Ansammlungen außen gelegener Häuser.
Ben gesellte sich zu Lerina, die auf der Ummauerung des Brunnens im Innenhof saß und ihre nackten schlanken Füße unter den Speier eines offenstehenden Pferdemaules baumeln ließ. Mit dem Gesicht gen Himmel genoss sie die wohlige Wärme und träumte vor sich hin.
»Schöne Gedanken?«, erkundigte sich Ben beim Hinsetzen und hob sein linkes Knie auf die Mauer, um ihr seitlich gegenüberzusitzen. Die Sonne zauberte eine strahlende Aura auf ihre hübsch anzusehenden Züge.
Sie neigte den Kopf in seine Richtung, schlug die Lieder verträumt auf und schenkte ihm ein herzhaftes Lächeln. »Weiß nicht, sag du es mir«, forderte sie ihm schlicht aber kokett und spielte mit ihren Zehen im herabfallenden Wasser.
»Wieso weißt du es nicht? Magst du es mir verraten?«
Lerina zog die Beine an und drehte sich ihm entgegen. Sie saßen sich Auge in Auge und beobachteten lächelnd einander. »Die kalten Monde sind vorüber, das Volk atmet auf und die Betriebsamkeit nimmt zu. Die Burg und auch die Wohnstätten nehmen Gestalt an.«
Ben nickte. »Ja, zum Glück und dank unserer Freunde, den kleinen Herren, kommen wir zügig voran.«
»Ja, ...« sie senkte ihre Stimmfarbe, wurde hauchzart und nahezu flüsternd. »... das stimmt wohl.«
»Lerina, ...« Ben atmete tief durch und griff nach ihren zierlichen Händen. Er streichelte mit den Daumen ihre Handrücken. »... gerade heraus.«
»Wie du meinst.« Lerina entzog ihm ihre Hände, um sich abzustützen. Aus der sitzenden Haltung wurde eine Knieende, sie reckte ihren Kopf fordernd nach vorn. »Wir beide, du und ich, haben sehr viel Zeit miteinander verbracht. Einem jeden ist dies wohl bekannt.«
Abermals nickte Ben. »Stimmt«, bestätigte er.
»Ich ging in deiner Amtsstube ein und aus.«
»Mhm, auch das ist richtig und nicht nur da. Aber, was willst Du mir mit alledem sagen?«
»Benjamin, bitte. Wann wirst du deine Gefühle für mich zulassen, auch öffentlich zeigen? Mein Vater, dein oberster Schwertmann, sogar die kompletten Schwertmänner wissen es anscheinend besser. Du weißt, wie ich zu dir stehe. Wie stehst du zu mir?« Sie ergriff seine Hände, die seit seinem Eintreffen in Rongard gröber und kräftiger geworden waren, als je zuvor. Sie zitterten unruhig und sie küsst erst die Linke, dann die Rechte. »Ich will keine einzige Nacht mehr ohne dich. Sei an meiner Seite«, hauchte sie beschwörend.
Ben schluckte und überlegte, nahm ihr Gesicht in beide Hände und zog es an das seine. Er presst seine Lippen auf die ihren und schenkte ihr einen unerwartet langen wie kräftigen Kuss. Anwesende, Arbeiter wie Schwertmänner, die das Geschehen beobachten, klatschten und jubelten lauthals. So mancher sprach laut aus, was andere dachten.
»Na endlich.«
»Wird aber auch Zeit.
»Na bitte.«
»Ja, Lerina. Ihr alle habt verdammt nochmal recht. Ich muss endlich zu meinen Gefühlen stehen ... auch öffentlich.«
Ihr Gesicht lief hochrot an und strahlte. »Wann werdet ihr zurück sein?«
Er kam nicht Drumherum seiner neu entflammten Liebe zu gestehen, dass es ein Ritt ins Ungewisse werden würde. Es war an der Zeit sein geleistetes Versprechen einzulösen. Der Klippenpass war frei von Schnee und Eis. Während der verbliebenen kalten Zehntage hatte er wiederholt mit Goram und Aguschal die örtlichen Gegebenheiten oberhalb dieses Passes besprochen und mit seinen engsten Vertrauten einen Plan ersonnen. Gleichsam die handwerklichen Künste der Naïns auf den Baustellen benötigt wurden, war es doch ihr innigster Wunsch ihrem angestammten Heim endlich näher zu kommen. Die Arbeiter und ausgebildeten Handwerker Neumarks seien außerordentlich gut, räumten die naïnischen Baumeister hochachtungsvoll ein und somit war seitens Goram geklärt, dass die Zeit gekommen sei.
Die Fläche des Gipfelplateaus müsse im Sturm genommen wie auch die Flanken zu den Abstiegen in die alten Schächte. Dem abführenden Pass nach Westen und vor allem das Tor, welches in die Ebenen des Berges führte, gesichert werden. Die erfahrensten Kundschafter und Brüder, Kabar und Galoth, berichteten, dass die Minenschächte und der westliche Pass selten Anlaufstelle der Brut seien. Das Eingangsportal jedoch, stand unter stetiger Bewachung. Bedingt der umstehenden Ruinen, mochten sich die Streiter, aber auch die Kämpfer der gegnerischen Seite, vorteilhaft verschanzen und das Unterfangen unerwartet beeinflussen. Tiron, einer der Oberscharführer und mittlerweile Bens Freund, setzen auf den geübten Umgang mit den Bögen und wollten jene Überreste als Brustwehr nutzen.
»Es ist schwieriges Gelände und es wird Blutzoll fordern.«
Lerina verschloss die Augen und legte ihre Stirn auf die Bens. »Geb mir ein Versprechen. Eines, welches du nicht wagst zu brechen.«
»Ich werde es tun, Liebes.«
Sie suchte in seinen Augen nach Schalk, fand jedoch nur leuchtend blaue Ehrlichkeit und erbitterte Ernsthaftigkeit. »Verspreche mir heil nach Hause zu kommen.«
Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln und stimmte nickend zu. Seine Lippen öffneten sich ganz leicht und fanden die Ihre erneut. »Das werde ich«, hauchte er ihr liebevoll ins Ohr.