Fünf Zehnen der Schwertschar blieben zurück und bestreiften nach wie vor die Mark oder hielten ihre zugeteilten Posten. Dank der freien Lords würden diese bei bedingter Not ausreichend Unterstützung erhalten, sodass Ben mit den übrigen eineinhalb Beritten zum Klippenpass ritt. Der Boden dröhnte unter den vielen Hufen, derer Rösser und Pferde ihren Weg entlang trabten. All jene die den Reitern hinterher blickten taten dies mit stolzer Brust. Einen solch imposanten Anblick hatte es lange Zeiten in Rongard nicht mehr zu sehen gegeben.
Goram und Aguschal hatten sich bereits mit ihrem Gefolge zwei Zehnteltage zuvor abgesetzt, um den Pass voran zu sein. Sie wollten den Weg hinauf von umherstreunenden Heulern bereinigen und etwaige Bauten und Nester zerstören. »Wer, wenn nicht wir Naïns, sind dazu geeignet«, lieferte Goram trotzig als Argument und ließ sich von seinem Standpunkt nicht abbringen.
Die Bewohner des Berg-Weiler wurden auf die Ankunft der Schwertmänner unterrichtet und warteten unlängst auf die nahenden. Der Pass blieb für die Hufe der Pferde nicht zugänglich, noch dazu war die Ruinenfläche nicht für den berittenen Kampf geeignet und so gaben die Männer ihre treuen Tiere in die Obhut der angrenzenden Siedler. Die ausgebildeten Pferde der Schwertmänner benötigten grundlegend keinerlei Aufsicht, da sie sich nicht weit von ihrem Platz wegbegeben würden. Immer nur auf Ruf oder Pfiffweite des Reiters hielten sie Auslauf.
»Nun zählt es Männer. Der Pass misst fünfhundert Längen und ist an manchen Stellen mehr als eine breit. Die kleinen Herren sind uns voraus und somit sollte der Weg frei von Hinterhalt sein. Haltet dennoch Augen und Ohren offen, der Feind ist uns näher als uns Lieb ist.«
Die Scharführer, die sich um Ben versammelten, lauschten aufmerksam seinen Erklärungen und gaben die Anweisungen an ihre Männer weiter. Bis auf einhundert Längen wollten sie sich vorwagen und dort mit den verbündeten Kräften der Naïns zusammentreffen. Vereint sodann im Sturm die Ruinen einnehmen, wobei das Tor als eigentliches Hauptziel gesichert und stets unter Beschuss bleiben sollte.
Wie vereinbart, trafen die Schwertmänner vor dem Plateau mit dem, in voller Kampfmontur gerüsteten Naïnheer zusammen. Gemeinsam bildeten sie ein schlagkräftiges Aufgebot von mehr als drei Beritten.
»Mehr als dreihundert Kämpfer. Gut ausgebildete Männer.« Jarik nickte zu dem grimmig aufschauenden Goram. »Und natürlich Naïns.«
»Wie ist die Lage, Kabar?«, erkundigte sich Ben bei dem soeben hinzukommenden Kundschafter, der sich zielstrebig an die Seite seines Königs begab.
»So weit ich erkennen konnte, wurden die alten Schächte verschlossen. Verwitterte Bohlen und Balken liegen über den Zugängen und einiges an Schutt wurde beiseitegeschafft. Zwischen den Ruinen streifen nicht minder einhundert Gouwors und beaufsichtigen kleine Männer mit blasser Haut und roten Augen. Das Portal steht nach wie vor offen und wird von einer handvoll Berserkern besetzt gehalten.«
»Verflucht, was treibt diese vermaledeite Brut da oben? Was sind das für kleine Männer, konntest du mehr erkennen?«
»Nein, mein König«, erwiderte Kabar. »Aber ich wette, dass sie die Außenanlagen wieder aufbauen wollen. Diese anderen Burschen sind am ganzen Körper vollkommen bleich und ihre Augen stechen blutrot hervor. Sie sind nur in schäbig zerrissenen Leinenhosen gehüllt und sind hochgewachsen, wie die Kinder der Pferdeherren, oder wie wir selbst nur viel dünner.«
»Verflucht, ich kenne keine derartigen Wesen. Wenn doch nur euer seltsamer Freund hier wäre, dieser alte Hüter.«
»Wir können uns nicht auf ihn stützen Goram, das wisst ihr. Wie dem auch sei, sie scheinen verbündete Inat zu sein ... oder Gefangene.«
»Benjamin hat recht, sobald wir den Kampf eröffnen, werden wir herausfinden, auf wessen Seite diese Wesen stehen«, warf Jarik ein und schaute mit aufgezogenen Brauen abwechselnd von Ben zu Goram.
Die vereinten Kämpfer machten sich bereit und rückten vor. Zwei Pfeile sirrten unerwartet an den vorderen Männern vorbei, die mahnend die Faust zum Halten gehoben hielten. Vor dem alten Tor, der geschliffenen Mauer standen zu jeder Seite Gouwors postiert und beobachteten Geländemarken. Es blieb ihnen jedoch keine Zeit den nahenden Feind zu bemerken, gar Alarm zu schlagen. Beide Geschosse fanden ihr Ziel gekonnt und pfählten ihre Opfer im Stehen an die Mauerreste. Einer dieser Pfeile steckte einem jener zwischen den Augen und der Andere sollte von der Wirkung her das Herz des Zweiten zerrissen haben - sofern ein annehmbares überhaupt in deren Brustkörben schlüge.
»Dem gibt es nichts hinzuzugeben«, bewunderte Aguschal die Treffsicherheit der Schützen.
»Wer auch immer die Pfeile gelöst hat, ist ein Meister seines Tuns«, bestätigte Goram und nickte Ben anerkennend zu.
Die Vorderen, die den Halt anzeigten, winkten die Nachrückenden heran. Ben und Jarik, wie auch Goram und Aguschal, rückten bis zur fordersten Linie vor und spähten durch das verfallene Tor. Die übrigen Kämpfer verteilten sich schleunigst an den Mauerüberresten. Bogenschützen und Speerkämpfer sollten an jenen vorerst Stellung beziehen. Alle anderen machten sich bereit zum Sturm. Dadurch, dass viele Mauerabschnitte nur noch hüfthoch standen, war ein Überwinden selbiger nicht sonderlich hinderlich und so konnten Schwertmänner, wie Axtschläger ohne Anstrengung über diesen Hinweg. Welchem Zweck diese Ruinen einst verfolgten, war für Außenstehende, die den ursprünglichen nicht kannten, nicht abzuwägen. Nichts deutete mehr auf die eigentliche Bestimmung hin.
Die Kämpfer beobachteten die Situation und behielten Ben stets im Augenwinkel, da er es sein sollte, der den Befehl zum Angriff anzeigte. Ein verhaltenes Nicken seitens Goram war zu erkennen, als er sein Schwert hob. Die in der Hocke befindlichen begaben sich in gebückter Haltung. Waffen wurden fester gegriffen, schwitzige Handflächen eiligst an Hosenbeinen abgewischt. Die Anspannung eines jeden, war nicht nur sichtbar, man spürte deren Erregung auf ein ereignisreiches Geschehen. Ihnen allen war klar, dass sie nicht scheitern durften, denn dies würde bedeuten, dass auch Neumark und alle dort lebenden unweigerlich dem Untergang anheim gingen.
Die nach Aas stinkenden Gouwors verpesteten die Luft und ließen so manchen schwer schlucken. Trotz allem hielt der Kampfesmut unbetrübt, beflügelt dem Wissen, bereits zweimal den Sieg über ihre Häscher errungen zu haben.
Ben erhob sich und reckte sein Schwert voraus, Goram ahmte es ihm mit seiner Axt nach.
»Auf sie!«, brüllte Ben aus Leibes Kräften.
»Ai-Oi!«, knüpfte Goram an.
Die vorstürmenden Kämpfer nahmen ihren rassenüblichen Schlachtruf auf, liefen und sprangen aus ihren Deckungen und schwangen geübt ihre Waffen. Gouwors wie auch jene bleichen Wesen hielten von ihrem augenblicklichen Aufgaben inne und sahen sich überrascht um. Die ersten Schwert- und Axthiebe wurden voller Inbrunst ausgeteilt und dort wo sie auf nachgebenden Widerstand stießen, versenkten sich ihre scharfen Schneiden tief in Fleisch und Muskelgewebe. So mancher Hieb war dermaßen hart geführt, dass komplette Körperteile Blut strömend vom Rumpf getrennt zu Boden klatschten. Als wenn die übelkeitserregenden Ausdünstungen der Gouwors nicht schon züchtigend genug wären, mischte sich noch kupferner Geruch hinzu.
Die im Hintergrund belassenen Bogenschützen und Speerkämpfer rückten nach wenigen Augenblicken ebenfalls vor und bezogen vorbestimmte Stellungen. Die mit Speeren bewaffneten Naïns blieben bei den menschlichen Schützen und hielten ihnen Angreifer vom Leib. Pfeile sirrten, einem Schwarm gleich, durch die Luft, ihre Ziele befanden sich vor dem Eigangsportal, welches in den Berg hineinführte. Ben und Jarik bestanden darauf, so den Zu- als auch Ausgang von Feindbegegnungen frei zu halten und nachrückende Gegner unter Beschuss zu nehmen. Die Nahkämpfer sollten sich nicht mit dem Gedanken belasten, über kurz oder lang, weiteres Gezücht im Nacken vorzufinden. Nur wenige Gouwors hielten am Portal Stellung und waren rasch erledigt.
Oberscharführer Tiron koordinierte Schützen wie Speerkämpfer und behielt mit seiner ruhigen ausgelassenen Art stets den Überblick. Er befahl einen Teil seiner Männer und Naïns, die Flanken der Nahkämpfer freizuschießen.
»Spickt die Fressen, dieser Schweinsgesichter«, hatte er geschimpft und selbst einen aufgelegten Pfeil in die Seite eines dieser Bestien versenkt. Dieser drang seitlich, unterhalb der linken Achsel tief ein und ließ es wie einen geworfenen Stein Tod vornüber fallen.
Die auf der Freifläche der Ruinen streifenden Gouwors blieben leider nur kurz abgelenkt und der Überraschungsmoment war rasch vorbei. Dennoch, jener kurze Moment des Ansturmes reichte aus, dass etliche ihrer Art niedergehackt am Boden lagen und sich nicht mehr rührten. Der Feind, die geknechteten Pferdemenschen, aber auch die fälschlich todgeglaubten Naïns, rückten mit aller härtet vor. Jegliches, was ihnen vor die Schneiden ihrer Klingen und Äxte geriet, wurde gnadenlos gemetzelt. Von der Flanke, direkt am Zugang des Berges, hatten sich Fernkämpfer postiert und sicherten diesen. Einige lösten ihre Geschossen in Richtung der Ruinen und verstärkten das Vordringen ihrer Kämpfer.