Bedacht aber bestimmt, zerteilten wie im tackt schlagend die Ruderblätter die nunmehr ruhige See. Kaum dass sie den Bereich der Wogen und Riffe verließen, hielten ihre Barken Kurs. Weder verhaken noch kanten der Ruder. Keine Strömung, die sie ins Verderben zu ziehen vermochte. Die geladene Fracht wog schwer und drängte die Boote tief in das ruhende Nass.
Die Mannen näherten sich mit jedem Riemenzug. Eine unbenennbare Beschwerlichkeit legte sich bleiern über die Züge der Anwesenden. Geradewegs ruderten sie für jedermann offensichtlich, auf die Kogge zu, auf derer sie niemand zu bemerken schien. Weder auf dem Oberdeck noch in der Takelage war Bewegung auszumachen. Entweder die Besatzung bediente sich unbekümmert dem Alkohol, es war eine wohl durchdachte List und würden alle samt der Verdammnis anheim gehen oder ...
Der Bugmann verengte die Augen zu schlitzen und bis die Zähne aufeinander. Mit der Zunge schnalzte er Laute, die dem Anlaben von Wasser glichen und gab Zeichen die Waffen lockern.
Das Schiff trug weder Fahne noch Wimpel. Nichts deutete auf dessen Eigner, Ursprung gar Auftrag hin. Etwas Urtümliches hing schwer in der Luft - erschwerte das Atmen.
»Das gefällt mir nicht.«
»Was auch immer es ist, wir werden es herausfinden«, meinte der Bugmann gelassen. Seine Stimme hingegen zeugte von dessen Angespanntheit. Seine Rechte umspann einen Wurfhaken. »Und zwar ... jetzt.«
Kaum ausgesprochen langten sie Backbord an. Mit ausgestreckten Händen und Haken hielten sie die Barken ruhig. Tampen wurden über die Rehling geworfen, um ihre Boote zu fixieren. Beinahe zeitgleich schwangen die Ersten geschickt aufs Deck des Schiffes und schwärmten aus.
Wohin sie auch schauten, ringsum erblickten ihre geweiteten Augen das gleiche. Flach atmeten sie durch offenstehende Münder. Der durchdringend kupferne Geruch war gegenwärtig und drang bis hinab der noch wartenden.
Die Leiber jener, die womöglich die Besatzung darstellten, lagen allesamt in leidwürdigen Posen. Krampfhafte Haltungen und schmerzverzerrte Gesichter zeigten deutliche Spuren. Scherben von Krügen und Flaschen knirschten unter den Sohlen der Mannen, die von einem zum anderen schritten. Mit Füßen und Waffen drehten sie jene, deren Züge nicht zu erkennen waren.
Einige wiesen Anzeichen eines Hinterhalts auf. Ihnen wurde mit scharfen Klingen die Kehle zerschnitten, ins Herz gestochen oder durch den Rücken die Lunge durchstoßen.
Ein Gnadentod, den die Mannen nicht gewähren würden. Die übrigen starben schon eher nach ihrem Gefallen, wenn auch auf feige Art und Weise. Dennoch zweckmäßig.
Die Augen jener stierten blutunterlaufen und hervorgequollen ins Leere. Viele hielten zweifelhaft Hände an Hals oder Mund, oftmals gar in perfide Form hilflos verkrampft. Nicht selten, hatte sich einer der gemeuchelten den Unterkiefer so weit hinabgezerrt, dass die Wangen aufrissen. Andere wiederum vollbrachten es, Finger, zu Krallen verzerrt, tief hinter die Kehle zu bohren.
Was sie alle jedoch gemein hatten, waren bläulich rot schlierende Adern, die ihre Gesichter wie ein Netz durchzogen.
»Was beim Barte, ist hier geschehen?«
»Bugmann«, rief einer der Mannen vom Heck. »Hier.« Der Rufende wedelte aufgeregt mit seiner Hand und schien mit der anderen etwas zu halten.
»Noch ein Toter oder ...« ihm blieben weitere Worte im Halse stecken, als er sah, worauf sich der Mann bezog.
Der Hecklotse war es, der den Faden aufnahm und die Stille brach. »Irgendjemand scheint den Hass auf dieses blauhäutige Pack mit uns zu teilen.«
»Das hier sind aber keine Thulenen.«
»Wohl kaum. Aber sie schienen mit ihnen zu paktieren. Es waren Sklavenhändler und nicht besser als diese räudigen Hunde.«
»Wie kommst du darauf. Steht das auf seiner Stirn?«
Der Hecklotse gluckste auf. »Nein, auf seiner Brust.« Er hob den Kopf des Getöteten mit der flachen Seite seiner Axt. »Sieh.«
Wie beschrieben prangte ungelenk eingeritzt auf der Gleichen das Wort ›Zinker‹, eine andere Wortfindung zu Verräter und wurde gängist von denen verwendet, die in den dunkelsten Gassen Holmfirth lebten.
Kurz darunter klaffte ein hässliches Loch, durch derer die Ruderspill um etwa eine Elle hervorstach. Der Hiesige, angenommen der ehemalige Kapitän, musste mit gewaltiger Kraftanstrengung auf diese geschleudert oder gedrängt worden sein.
Es blieb ihnen unbegreiflich, wo sich die Täter oder vielmehr Vollstrecker aufhalten mochten. Nirgends gab es Anzeichen und ein anderes Boot hätten sie bemerkt.
Ein weiterer muskelbepackter Mann trat heran, die Waffen unbehelligt in den Aalen auf dem Rücken tragend. Er nickte Respekt bekennend kurz den Kopf. »Keine Überlebenden. Dies hat jemand an den Masten genagelt.«
Der Bugmann nahm das Papier an sich und las vor. »Misstraut uns ein weiteres Mal und es werden eure Leiber sein, die in der Sonne verfaulen. Nehmt es und betrachtet es fortan als Schuld tilgend.« Er sah auf und musterte die Umstehenden, die spöttisch grinsten.
»Werft die Kadaver über Bord und macht Reinschiff. Hisst die Last und seht, dass wir den Rest vom Strand bekommen. In zwei Tagen fahren wie nachhause.« Zu seinem Hecklotsen merkte er weiter an: »Sieh nach, was noch brauchbar ist und findet dieses abtrünnige Gift. Ich will es nicht auf meinem Schiff wissen.«
Als er allein auf dem Kastell stand, sah er zurück. In jene Richtung, in welcher Agrea und dieser verfluchte Wald am Horizont sein Schattenbild ankündigte. Er glaubte in der Ferne eine Spiegelung wahrzunehmen, die einzig für ihn bestimmt war. Gedankenversunken drehte er die Botschaft und erkannte eine weitere Nachricht am unteren rechten Rand. Eine Zweite sogar auf der Rückseite, die nicht für ihn gedacht war.
»Danke für die Eisenschweine. Schmieden können wir glücklicherweise selbst, wenngleich wir anderes als Handel andachten. Besinnt euch der Abmachung. Holz gegen Waffen, Rüstzeugs und Barren ...«
Er zwängte einen bitteren Kloß hinab und sah abermals auf. »Was verflucht ... wie ...«
Eine am Horizont erspähte Kogge, die sich den Inseln auf direktem Kurs näherte, offensichtlich sogar über Kenntnisse der nahegelegenen Untiefen verfügte, sorgte für einen Aufmarsch.
Ortsansässige Jarls riefen vorausschauend zu den Waffen und informierten die Altvordern. Meldereiter preschten zu allen Höfen und Weilern. Wo ein sich näherndes Schiff zeigte, mochten weitere nicht unweit sein.
Erst auf doppelter Schusslänge gängiger Bögen erkannten die Wartenden, dass mehrere schwer beladene Barken hinter der Kogge vertäut wurden. Winkend wie grölend gab sich die Besatzung endlich zu erkennen.
Eiligst rannten Männer auf die modrig gewordenen Stege und bereiteten sich aufs Anlanden vor. Viele weigerten sich ihren Augen zu trauen und vermuteten eine neuerliche List des Feindes. Ausgewählte fuhren mit fünf Barken in Richtung Festland und kamen mit vieren zurück. Die Fünfte hingegen schienen sie gegen eine hochseetaugliche Kogge eingetauscht zu haben.
Das gekaperte Schiff lief unter Zwiehalt und angelegten Pfeilen der angetretenen Männer an.
Der Rat der Alten beschloss mit einstimmiger Zusicherung der Jarls, die Worte Dolvis schwer zu wichten. Das hätten sie von Anfang an tun sollen, so wie die Nachricht, die sie erhielten, unmissverständlich unterstrich.
Egal mit wem sie sich eingelassen haben mögen. Diese Leute verfügten über Mittel und Wege. Sie vollbrachten es gar, den Seemann ohne erkennbare Schwierigkeiten zu einem Schiff zu verhelfen.
Das gelöschte wie begehrte Baumaterial wurde wie vorherbestimmt aufgeteilt. Es musste ihnen scheinen, wie ein Geschenk des Himmels. Über dermaßen viel vorbereitetem Holz, konnten sie unter normalen Umständen nur träumen.
Fuhrwerke rollten an, um die Mengen entsprechend aufzuteilen. Die Stämme würden vor Ort verarbeitet und ihrer künftigen Bestimmung zufolge genutzt werden. Auf der Königsinsel sollten nebst der Seewacht vorrangig die Stege als auch Anlandungen schleunigst erneuert werden.
Parallel zu den bevorstehenden Ausbauten und Neuerrichtungen, wurden unter Anstrengungen die Essen und Schmieden befeuert.
Barren, Waffen und Rüstzeugs musste her und sie waren mehr als angetan, einen steten Tauschhandel aufrechtzuerhalten.
Der Bugmann und Kapitän ihrer ersten Kogge war es, der dem Rat die Botschaft unter die Nase hielt. Auf dieser stand ein persönlicher Gruß, welchen er ihnen nicht vorzuenthalten gedachte.
Ein eindeutiger Hinweis, wann und wo ein Schiff unter dem Banner Bendas am Rande der Mittelsee in See stechen würde.
Ein Siegel, eingeprägt in das Papier, bedeutete dem Rat, von wem eben jene Botschaft entsprang.
Die lückenhaften Erzählungen, die in den finsteren Ecken Holmfirth zu den Inseln getragen wurden, schienen sich schlussendlich zu bewahrheiten.