Eine dunkel gekleidete Gestalt ritt nächtlich, fernab der Wege, auf einen dicht bewaldeten Hain zu. Eine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, glomm ein kleines Licht darunter hervor.
Gemächlich führte er sein nachtfarbenes Pferd zielstrebend in die Düsternis Schatten werfender Bestände. Beide schienen sich ihrer gewiss, das Tier scheute nicht und dessen Reiter blieb Gelassen.
Stürmische Böen trieben Wellen über die hügeligen Wiesen und ließen nebst Astwerk ganze Bäume tanzen. Wie gierig zupackende Klauen wirkte das ausladende Geäst von Trauerweiden und anderer krummwüchsig Gewachsener.
Dorthin, wo sein Tier in trug, verirrten sich nur die Wenigsten. Die meisten derer von vornherein absichtlich. Der Baumbestand wuchs hier üppig und dicht, nicht zuletzt wegen des morastigen Untergrundes. Wölfe hielten in der Nähe ihr Revier und vertrieben Arglose, die ihr Glück suchten. Einige sagten ihnen nach, diese Bestien seien Artverwandte der riesigen Scrawt.
Äußerst selten lagerten abseits der Baumgrenze Holzfäller, die auf Geheiß der ›Obristen‹ Holz schlugen. Wozu dieses dienlich sein sollte, entzog sich einem jeden. Die Bäume wuchsen nicht gerade und stämmig genug, als dass diese als Baumaterial in Betracht kämmen.
Der Reiter schmunzelte, immer dann, wenn es ihn in die Nähe dieses unscheinbaren Waldes trieb. So unbedeutend dieser auch sein mochte, so verbarg er gewissenhaft und seit Zeiten gedenken.
Manche nannten es Offenbarung andere wiederum Schicksal. Dieser Wald war weder das eine noch das andere.
Vor vielen Generationen, als Agrea noch von Sippen und Clans bevölkert wurde, bestatteten etliche Familien ihre Liebsten in dieser morastigen Gegend. Die Trauerweiden galten einst als Wächter der Toten und sollten augenscheinlich böse Geister davon abhalten, die Seelen der gegangenen zu verleiten.
Das gesamte Gebiet blieb unangetastet und verwilderte zunehmend. Der Baumbestand weitete sich aus und die Wegungen hindurch verkümmerten bis zur Unkenntlichkeit.
Das, was sich dahinter jedoch verbarg, war das Ziel von Reiter und Ross.
Weit hinter dem schützenden Geäst des Waldes und des morastigen Bodens, begann rückseitig einer Felsennadel der Aufstieg. Man könne direkt an dieser ein Lager aufschlagen, der Zugang bliebe dennoch weitestgehend unentdeckt. Er war scheinlos wie irreführend und offenbarte erst tief beschritten seinen wirklichen Zweck. An breitester Stelle würden drei Berittene nebeneinander herschreiten können, an schmalster hingegen nur einen. Selbst wenige kampferfahrene Männer könnten diesen Aufmarsch gegen eine gesamte Armee erfolgreich halten. Der Reiter wusste, dass etwa auf halben Wege Zwillingstürme und ein beschlagenes Tor ein weiteres Vorankommen immens behinderte. Unzählige Opfer würde ein Aggressor in kauf nehmen müssen, diese Barriere zu überwinden.
Jene, die das scheinbar Unmögliche dennoch schaffen mochten, stünden schlussendlich vor einer abschließenden Garnisonsmauer, die ein weiträumiges Tal dahinter bewachte.
Nickend trabte er an und führte sein Tier hinauf. Begleitet wurde er von etlichen Augenpaaren, die sein Vorankommen beobachteten. Jene hielten sich verborgen. Kein verräterischer Laut durchdrang die Stille und so ahnte der Mann eher wo sie sich aufhielten, als das er es wahrhaftig wusste. Ab und an bemerkte er einen aufsteigenden Vogel, der von dannen flog.
»Ho, Ser Vangard. Willkommen daheim.«
Er zügelte sein Ross und erlaubte seinem verspannten Rücken eine erholsame Verbeugung. Endlich konnte er seine starre Haltung ablegen und schwenkte seinen Oberkörper umher.
»Euer Ritt war anstrengend«, stellte der Sprecher fest und trat mit einer gerade entzündenden Fackel aus den Schatten. Eine Schar begleitete diesen und gesellte sich um den Reiter, der die Zügel fahren ließ und absaß.
»Das war er und noch viel mehr«, bestätigte der seltsam gekleidete Mann, der sich nächtlich oftmals in Memnach aufhielt. Zumeist in der Schänke von Breide saß er abseits mit seiner Pfeife und lauschte dem Treiben der Betrunkenen.
»Haben sich die wehrten Herren ›Obristen‹ eine neue Schweinerei einfallen lassen?«
»Nein, Hauptmann.« Benommen wischte er sich durchs Gesicht und atmete tief ein und wieder aus. Vor seinem Mund bildete sich ein feiner Nebel. »Wenn es das nur wäre. Wir müssen zur Burg, es gibt Nachricht, die alles ändern wird.«
Wie zur Bestätigung erscholl im Widerhall des Gebirges ein lang gezogener Ruf. Es war jedoch keiner der gegenwärtigen Käuze, die unweit ihrer Stellung nisteten.
Langsam hob er seinen Kopf und suchte nach dem Ursprung.
»Eurem Blick nach zu urteilen stimmt es also.«
Angesprochener hob fragend die Brauen. »Was ist passiert?«
»Das gemeine Volk berichtet hinter vorgehaltener Hand von Widerständlern.«
»Was ist daran neu? Sie waren schon immer da und plänkelten sich mit diesem thulenischen Pack.«
»Diese sind scheinbar anders. Sie kommen des Nachts und schnitzen die alten Zeichen ins Gebälk. Sie werden von Schattenjägern begleitet und ...«
»Und?«
»Seit ein paar Tagen baut ein Bussardpärchen sein Nest im Signalturm. Euer Vater, der Graf und die junge Maid Memnachs befahlen sämtliche Schmieden und Essen zu befeuern.«
Er stand da, wie zur Salzsäule erstarrt.
»Ser?«
»Wie lautete das Geheiß meines Vaters genau?«
»Der ›Falke‹ ruft sein Gefolge. Zeigen wir ihm, dass wir noch da sind. Feuert die Schmieden, schlag die Hammer. Lasst Eisen schmelzen und Klingen formen. Sattelt die Pferde. Für die Myrefall ... für Agrea ... FÜR DEN ›FALKEN‹.«