Nachdem die Bekanntgabe des Wachtmeisters und seinen Wächtern amtlich galten, trat so etwas wie Gelassenheit ein. Streifende Wachen gab es von je her und wurden erst mit Ernennung Delavars zum Schwertmeister abgesetzt und durch Ly'an als Oberhaupt erneut eingefordert.
Auch Si'mons Alltag wurde beinahe zeitgleich angenehmer. Er war ein Mischkind aus unterschiedlichen Völkern. Obwohl Behänden, ausdauernd und flexibel wie ein Lynke, war sein Körper stark und muskulös wie der eines Menschen.
Seit nunmehr zwei Jahreswenden trainierte er mit den Wächtern im umgrenzten Hinterhof des Ratshauses unter steter Beobachtung seines Onkels Ma'rit. Nicht nur er und seine Leute gewahrten die immensen Fortschritte wie das wachsende Selbstbewusstsein ihres Schützlings. Das weibliche Geschlecht im Hain wurde ebenso auf ihn aufmerksam und das bereits seit seinem grandiosen Sieg über Alanel und seinem Ziehvater.
Was Si'mon mit seinen Worten offen aussprach, trauten sich viele nicht einmal zu denken und so wuchs er endlich in die verschlossene Gemeinschaft hinein.
Immer dann, wenn sie annahmen, er würde es nicht bemerken, warfen ihm die jungen Frauen verstohlene Blicke zu. Sie tuschelten unentwegt über seine geschmeidig wirkenden Muskeln. So andersartig er doch sei, so beflügelte er die Vorstellungen des anderen Geschlechts. Um seine markanten Gesichtszüge weiter hervorzuheben und ihn nach menschlichen Maßstäben männlicher wirken zu lassen, trug er sein Haar kürzer, beinahe kurz.
Ly'an selbst war es, die seinem Wunsch nachkam und ihm diese schnitt, wie bei jenem Mann, den er im Traum begegnete. Auf ihrer Frage hin, wie er auf solch einen Haarschnitt käme, wich er ihr jedoch vehement aus.
Si'mon beendete seine Übungen für die heutige Tageswende und schwang sein Schwert noch ein wenig aus dem Handgelenk. Obwohl er von Geburtswegen halb Lynke war und Temperaturunterschiede zu kompensieren wusste, trug er auch das menschliche Erbe in sich. Sein Körper schwitzte bei Anstrengungen und so begann er sich anzugewöhnen, mit freiem Oberkörper zu trainieren.
Alle kannten seine befremdliche Muskulosität, dennoch war er stolz und zeigte sie gern.
»Zeigst du mir ein paar wirkungsvolle Hiebe, Si'mon?«
Er hob den Blick zur einzig offen stehenden Tür. »Damit du ebenso wie ich die Reifeprüfung nicht bestehst? Nein Al'riel, lass gut sein.«
»Aber, du bist doch auch so anerkannt und hast die Prüfung bei den Wächtern absolviert. Bitte Si'mon.«
Sie trat näher, legte ihre flache linke Hand auf seine verschwitzte Brust und sah ihm mitten ins Gesicht. Ein Blick mit absichtlich gehobenen Augen und hängendem Mundwinkel.
»Die Antwort lautet nach wie vor ... nein.«
Mit einem letzten Schwung verharrte seine Klinge einen gezählten Atemzug in der Luft, dann schob er sie in die von einem Posten bereitgehaltene Scheide. Dieser nickte und entfernte sich ohne Kommentars.
Al'riel war zwei Sommer jünger als Si'mon und durfte somit nur am Rande mit ansehen, wie die älteren mit richtigen Waffen übten und sich auf ihre Prüfungen vorbereiteten. Ihre Wahlwaffe galt auch nicht dem Schwert wie bei vielen der männlichen Prüflinge, ihr Talent oblag dem Bogen. Dennoch, sekundär mit der Klinge umzugehen, musste sie in der Lage sein.
Ihre Gesichtszüge veränderten sich von flehend zu begierig. Ihre Hand wanderte abwärts seiner Brust, bis nur noch Fingerspitzen seine Haut berührten und über seinen Bauchnabel glitten. Gänsehaut überzog seinen gesamten Körper. Kurz bevor sie den Bund seiner Hose erreichte, ergriff er ihr Handgelenk. »Nicht. Ich geh hinauf zur Quelle, um mir die Anstrengung des Tages vom Leib zu waschen.« Er sah über ihre zarten Schultern hinweg. »Piwik«, rief er und sogleich raschelte es neben der jungen Lynke. Mit einem kecken Lächeln auf den Lippen blickte sie in jene Richtung.
Der Kopf eines Eichhörnchens lugte aus einem nahestehenden Busch. Es sauste an Al'riel empor, windete sich um ihren Körper und sprang.
Sie lächelte. »Ich glaube, es ist nichts Neues für dich, wenn ich dieses Tier immer noch nicht verstehe?«
Si'mons lachen war wie eh und je, herzhaft und ehrlich. »Ich weiß auch nicht, was er an mir findet. Vielleicht mag er mich genauso gern wie du mich?« Er schenkte ihr ein aufmunterndes Zwinkern, welches ebenso als fordernd bewertet werden konnte.