Die Haut des Vaters änderte sich von aschfahl in rosig, das Leben kehrte zurück in seine Glieder. Noch bevor er die Situation entsprechend einschätzen und darauf reagieren konnte, sprang ihm Veit um den Hals.
»Veit, wie ...« er schob ihn von sich und sah auf zu dem Fremden, der mit respektvollem Abstand lächelnd dastand. Nüchtern hielt er ihn im Auge, seine freie Hand deutete auf den vom Bann befreiten Bereich. »Was für eine Teufelei ist das«, verlangte er ohne Umschweife zu erfahren.
Es war jedoch nicht Si'mon der ihm antwortete. »Papa, das ist Simon. Er kommt von weit her und hat mich als Ersten geweckt. Sie doch nur, er kann sich in diesem Grau bewegen und schläft nicht ein.«
Zur Unterstreichung des Gesagten betrat Si'mon den Vorbau des Hauses und blieb dem Anstand gewahrend vor dem Eingang stehen. Es verbat die Gastfreundschaft des jeweiligen Besitzers, nicht ungebeten die Schwelle zu übertreten. Mit jedem getätigten Schritt wich zugleich der Bann.
»Simon, so?«
Angesprochener nickte zustimmend, fand es jedoch vorteilhafter seinem Gegenüber erst einmal in der Wirklichkeit ankommen zu lassen.
»Von weit her kommst du also. Wie weit ist weit? Wie ist es möglich, dass dieser Zauber vor dir weicht? Woher stammst du und was willst du?«
Si'mon blies die Wangen auf und prustete aus. »Ich möchte nicht unhöflich wirken, aber ich kann euch nicht alle Fragen zugleich beantworten. Wenn ihr erlaubt, möchte ich zuvor wissen, mit wem ich das Vergnügen habe. Meinen Namen, obwohl vereinfacht ausgedrückt, kennt ihr bereits.«
Beeindruckt des gewählten Gegenwindes hob Veits Vater die linke Braue und nickte. Irgendetwas an der Haltung des Fremden vermittelte ihm ein gewisses Maß an Autorität, die er respektierte. »Wolff. Meine Mutter gab mir den Namen Wolff und seit jeher trage ich diesen mit Stolz. Ich diente einst unter König Kilian als Kommandant der Garnison im ›Tiefwald‹.« Seine Stimme wechselte in eine sanftere beinahe schmerzhafte Tonlage. »Bis ich persönlich Befehl erhielt, als Vorsteher diesen Weiler zu befestigen.«
Die Rechnung ging auf und Si'mon erfuhr auf annehmliche Art und Weise, was sich zugetragen und dieser Ort all die Jahreswenden über unbehelligt blieb.
Wolff setzte sich, wo der Junge, geboren zweier Geschlechter, zuvor stand - auf den mit stabilen Bohlen bereiteten Vorbau, der das Gebäude mit einem einzelnen Schritt vom Boden trennte. Veit gesellte sich zu ihm und munterte Si'mon auf es ihnen gleich zu tun. Piwik kuschelte sich auf den Schoß Veits, der lachend begann, dem kleinen Tierchen hinter den Ohren zu kraulen.
Der König selbst befahl Dreien seiner Garnisonen den sofortigen Rückzug. Die Kommandanten wurden abbeordert und sollten sich um ihre Heimatdörfer kümmern. Letztlich standen nur noch die Unterführer den rückziehenden Soldaten zur Verfügung. Ihr Befehl galt der Befestigung der Garnisonen, möglichst ohne dem Treiben des einrückenden Gegners mit angriffen entgegenzuwirken. Berichten zu Folge blieben Ortschaften, die sich als nicht wehrhaft zeigten, unbehelligt. Mit seinen übrigen Mannen deckte er den Rückzug der Lynken.
Es kam zum letzten Gefecht, in jenem zu viele ihr leben ließen. Auch König Kilian fiel, um seiner Geliebten und ihrem Volke den Rücken zu decken. Der Krieg schien vorüber, denn es wurden alsdann keine kriegerischen Akte mehr geführt. Die Nomaden wie ihre monströsen Begleiter zogen sich zurück. Kurz darauf erhielten die drei Königsstädte und die größeren Siedlungen Botschaften von den Besetzern.
Sie erklärten die Länder diesseits und jenseits des Flusses als erobert und würden jegliche Aufstände im Keim ersticken. Sie ließen die Menschen in ihrem Tagwerk gewähren. Auch als sie begannen, frei erreichbare Weiler zu befestigten.
Ein gehetzter Bote aus der Garnison Tiefwalds ritt in Senkenthal ein. Dieser überbrachte Kunde, dass der lähmende Zauber jenseits des Ufers begann, den Wald zu befallen. Die Garnison samt Besatzung sei diesem bereits anheimgefallen und er dehne sich weiter und unaufhörlich aus.
Wolff begab sich wiedersetzend jeglicher Einwände in besagten Forst und suchte das Schlachtfeld auf. Lange kniete er trauernd vor dem gefallenen König, seinem Freund und beweinte dessen Verlust. Seine geborgenen Überreste bettete er unweit des Weilers, gleich neben einem Monolithen.
Es vergingen drei Erntezeiten, als die Besatzer begannen, Menschen zu verschleppen. Niemand wusste, wohin sie geführt noch was aus ihnen wurde. Auch aus Senkenthal forderten sie junge kräftige Männer wie Frauen.
Kurz bevor die Zeit der Ernteeinfuhr der vierten Jahreswende ausgerufen wurde, marschierten Nordnomaden auf und belagerten den Weiler. Anstatt die Wälle zu erstürmen, schien ihre Aufgabe nur darin zu bestehen die Bewohner einzuschüchtern und hinter ihrem Schutz zu halten.
Von den Wehrgängen konnte man das nahende Grau beobachten, wie es mit jedem Zehnteltag näher rückte, bis zum letzten Atemzug habe Wolff darauf gehofft, dass die Lynken einen Weg fänden, diesem Zauber entgegenzuwirken.