Um Erebor, dem Urbaum, jederzeit Nahe zu sein, wurden zwei Pavillons errichtet. Baldachine verbanden diese miteinander und verliehen ihnen so etwas wie ein festliches Aufgebot.
Der leichte Stoff waberte im seichten Wind. Im Hain sorgte die Kraft des Baumes für stets ausgeglichene wie gleich bleibende Temperaturen.
Ma'rit hielt nicht nur den kulturellen Platz unter beständiger Beobachtung, nagte nach wie vor dieser tief sitzende Verdacht an ihm.
Das Volk der Lynken wie auch der Lynkas beäugten das Vorgehen interessiert und unterhielten sich hinter vorgehaltener Hand. Sie wussten, dass Ereignisreiches geschah und der Baum fortwährend an Macht gewann, war es doch für einen jeden ersichtlich.
Deutlich zu spüren war auch der Widerwille einiger Weniger. Delavar und Arion verhielten sich seit Tageswenden zunehmend zurückhaltend, schienen jedoch im Verborgenen Ränke zu schmieden. Die Genesung des Urbaums bereitete ihnen Unbehagen und wurden so stetig beobachtet.
Ein berstender Krug ließ das angenehme Gefüge der Ruhe an diesem Ort wie eine Seifenblase zerplatzen. Lautstarkes Raunen entlang der Anwesenden lenkte umherstehende und neugierige zum Hain. Es war, als würde das Gebot des Oberhauptes nichts mehr gelten.
Niemand konnte es ihnen verdenken und so ließen Ly'an und Ma'rit all jene gewähren, die sich eilten, dem Schauspiel beizuwohnen. Delavar stand Abseits mit einer Hand voll Getreuer in den Schatten der Büsche. Er ballte die Hände zu Fäuste, sodass die Knöchel weiß hervortaten.
Ly'an schloss die Lieder und atmete schwer aber deutlich erleichtert aus. Eine Träne rann ihr der rechten Wange herab. Mit wenigen Schritten war sie heran und hob bedächtig die linke Hand. Sie wagte nicht die Rinde zu berühren und so hielt sie nur einen Hauch von Abstand inne. Sie spürte die Luft zwischen sich und dem Baum vor erigierender Macht vibrieren. Sie zerrte an ihr wie ein Kleinkind vor Verlangen an der Brust.
Erebor zeigte einst seinen Schützlingen, wenn besondere Ereignisse eintrafen. Er konnte nicht reden, oder wie eine Glocke läuten. Er verfügte jedoch über etwas, dessen andere Arten nicht gewahrten - die Verbundenheit zur Allmacht der Natur. Er besaß eine gegenwärtige Macht, die mancher als Magie oder Zauber benennen würde. Von jedem einzelnen seiner tiefgrünen Blätter viel in sich zerfallener Glitter, der erlosch, noch bevor dieser den Boden berührte.
»Kind der Ahnen.«
Ly'an erschrak und war versucht, unverzüglich ihre Hand dem Wirkungskreis des Baumes zu entziehen. Stattdessen fasste sie Mut und legte beide fest auf dessen Rinde. Ihre Stirn folgte und hielt die Lieder verschlossen.
»Fühle dich gewarnt, Kind der Ahnen. Unbedachtheit und Zwietracht hausen in deiner Mitte.«
Das viel zu seltene Phänomen hörte abrupt auf, die letzten Glitter vergingen.
Alle Anwesenden hielten ihren Blick andächtig auf das Oberhaupt gerichtet und warteten, was sie zu berichten habe, zählte sie zu jenen, die einst wie die Gayadisten mit der Natur in Zwiesprache gingen.
Ein Schauer überkam sie. Als würde ein eisiger Hauch über Nacken und Rücken wehen. Erebor bestätigte soeben, was Ma'rit all die Jahreswenden längst wusste und versuchte ihr nahezulegen.
Ihre Arme sanken herab, ihre Hände hielt sie ineinander verschränkt, um das aufkeimende Zittern der Finger zu verbergen. Sie wendete sich der wartenden Menge zu.
»Ihr, Kinder Lynkes und Lynkas. Erebor hat sich offenbart. Nach vielen Jahreswenden durfte ich wieder seine Gegenwart spüren. Ereignisreiches scheint geschehen, doch verhielt er sich bedeckt. Nur soviel, Si'mon und Alanel leben, und sind wohl auf.«
In Wahrheit wusste sie nicht, mit welchem Ereignis der Baum seine Schützlinge beglückte und vertraute sich ihr auch nicht an. In einem jedoch war sie sich deutlichst sicher. Das Gespür einer Mutter trüge nicht. Ihr Sohn lebte.
Delavar konnte sie unter den Anwesenden nicht sehen, spürte gleichwohl die Blicke seiner Begleiter im Rücken. »Alanel muss verschwinden, ebenso dieser Bastard. Geht und sucht sie.«