ANNA
Hoffnung. Was ist schon Hoffnung? Vielleicht ist es die Aussicht auf Etwas, das man nicht zu Glauben scheint und dennoch davon träumt, dass es real wird. Dass man es schafft, diesen Traum wahr werden zu lassen. Das man eines Tages wieder in diese Augen blicken kann. In die Augen an denen man sein Herz verloren hat. Liebe zu spüren, wo jetzt nur eine Leere ist. Diesen Platz wieder zu füllen und glücklich zu sein. Hoffnung lässt einen voran gehen. Lässt einen nach vorne blicken. Auch wenn dort nichts existieren mag. Aber die Hoffnung ist ja da. Sie lässt dich hoffen, dass es Hoffnung gibt.
"Verdammt Nathan. Ich sagte doch, ich bin noch nicht soweit."
"Glaubst du, dass du das auch während eines Kampfes sagen kannst? Ich bin noch nicht soweit. Hör auf zu Grübeln und konzentrier dich."
Abwehrend und belustigt hebt er seine Hände und geht wieder ein Stück zurück. Der Waldboden auf der Lichtung knirscht unter seinen Füßen und ich warte nur darauf, dass er wieder angreift ohne mich vorzuwarnen. Seit einigen Wochen versucht Nathan mir das Kämpfen beizubringen. Also besser gesagt, wie ich mich selbst verteidige. Immer wieder fängt er an, ohne dass er bescheid gibt und er ist nicht gerade sanft zu mir. Wie einige blaue Flecken an meinen Beinen beweisen. Wie ich dieses überlegene Grinsen hasse, mit dem er mich gerade ansieht. Seine Grübchen sind bei dieser Art von Grinser noch besser zu sehen. Sechs Wochen lang, geht das jetzt schon. Tag ein, Tag aus. Jeden Tag früh Morgens aufwachen und vollkommen fertig am Abend wieder ins Bett. Dieses Training bringt mich noch um. Doch ich weiß auch, dass es mir helfen wird. Ich muss stärker werden. Muss meine Kräfte wieder erlangen. Sowohl die Geistigen als auch die Körperlichen.
Vor sechs Wochen war ich an einem Punkt, wo ich einfach nicht mehr konnte. Ich konnte nicht mehr so dahin vegitieren. Alles hinzunehmen ist keine Lösung. Ich musste einfach meinen Arsch hochbekommen und versuchen es wieder hinzubiegen. Also habe ich mich irgendwo in meiner kranken Fantasie damit angefreundet Alex wieder zurückholen zu können. Auch wenn ich keine Chance habe, muss ich es versuchen. Das bin ich ihm schuldig.
Seit dieser Entscheidung werde ich jeden Tag von Nathan geweckt. Nicht etwa um eine normale Uhrzeit. Nein, nicht mit Nathan. Mitten in der Nacht. Besser gesagt drei Uhr Morgens. Angefangen mit einem todbringenden Parcour durch den Wald. Todbringend deswegen, weil ich am Anfang nach ein paar Metern schon fast eingegangen wäre. Mittlerweile klappt es ganz gut, bis auf dass ich Nathan manchmal umbringen könnte. Er, mit seiner wiedererlangten uneingeschränkten Kondition. Ich hasse ihn manchmal dafür. Okay. Ich hasse ihn nicht. Ich schätze ihn. Er ist für mich da. Für mich und sogar für die anderen. Aber ich weiß auch, dass er sich über mich amüsiert, wenn ich wieder einmal fast auf allen Vieren zurückkrieche.
Nach dem Training mit Nathan, übernimmt Luna. Mit ihr mache ich jeden Tag, eine Art Meditation um meine Kräfte bündeln und kontrollieren zu können. Was gar nicht mal so schlecht funktioniert. Erst danach bekomme ich mein heißersehntes Frühstück. Wenn ich zurückdenke, war ich nie wirklich der Frühstückstyp. Doch jetzt. Jetzt könnte ich dafür sterben. Vor allem, da ich jetzt davor schon mindestens vier Stunden auf den Beinen bin.
Es ist schon fast mein Highlight des Tages. Vorallem ist es einer dieser Momente in denen ich es schaffe, nicht nur an Alex zu denken. Es sind alle am Tisch. Alle außer unseren Blutsauger – Freunden. Melina und Nathan sind wieder zurück in ihr Haus, kommen aber jeden Abend hier her, um mit uns die weiteren Pläne durchzugehen. Dies betrifft hauptsächlich die Suche nach Alex. Anfangs waren sie wie vom Erdboden verschluckt, doch in den letzten Tagen tauchen immer mehr Hinweise auf. Hinweise in Form von Nachrichten. Ereignisse, die teilweise für Menschen nicht verständlich sind und als Katastrophe abgegolten werden. Doch die anderen, vor allem die Seherin aus New York, sehen darin so etwas, wie eine Warnung. Eine Warnung für das was noch passieren wird. Sie vermuten, dass Salivana nicht umsonst die Macht über Alex wollte. Sie muss etwas Größeres vorhaben. Sie hat einen Plan und den gilt es zu zerstören. Genauso wie sie. Ich werde sie zerstören.
Nach dem harten Training mit Nathan und danach mit Salivana, komme ich endlich wieder zu Hause an. Ja. Ich nenne es mittlerweile mein zu Hause. Nach diesen ganzen Vorkommnisse habe ich mit meinem Vater und Mik gesprochen. Ich habe ihnen von Alex erzählt und die Geschichte etwas abgewandelt, um meinen Zusammenbruch zu erklären. Na gut. Ich habe ihnen gesagt er hätte mich verlassen. Was ja auch stimmt. Irgendwie. Es schmerzt noch immer wenn ich daran denke. Daran, wie er mir das letzte Mal in die Augen geblickt hat, als wüsste er was ihm bevorsteht.
Dann habe ich ihnen erzählt, dass es Zeit wäre mich zu verändern und ich wieder eine eigene Wohnung möchte. Es war echt hart, ihnen das beizubringen. Vor allem, da ich mit einer niederschmetternden Reaktion gerechnet habe. Doch nichts dergleichen. Mein Dad hat mich nur angesehen und gelächelt. Er hat gesagt, dass es Zeit wurde. Das er damit gerechnet hat, dass ich irgendwann wieder mein eigenes Leben brauche. Ein Leben, um nach vorne zu blicken. Mik war am Anfang etwas enttäuscht, aber da sie jetzt auf ein College geht und dieses eine Stunde Fahrtzeit entfernt liegt, zieht sie jetzt unter der Woche in ein Wohnheim.
Alles in allem ist es besser verlaufen als ich gedacht habe. Das Einzige ist, dass ich David manchmal dabei beobachtet habe, wie er dabei gelauscht hat wenn ich über meinen Vater gesprochen habe. Ich denke er möchte ihn gerne kennenlernen. Ich hatte ihm ja auch angeboten, dass wir uns eine kleine veränderte Geschichte ausdenken könnten um es meinem Vater zu erklären. Aber er hat nur lächelnd abgelehnt. Aber insgeheim weiß ich, dass er sich wünscht ihn kennenzulernen. Und ich werde darauf warten. Wenn es soweit ist, werde ich ihm zur Seite stehen.
Langsam und mit brennenden Oberschenkeln steige ich die Treppe nach oben, zu der Eingangstür. Als ich ins Haus komme, kann ich schon laute Stimmen und Gelächter aus der Küche hören. Meine Mundwinkel wandern automatisch nach oben, wenn ich den Jungs zuhöre. Irgendjemand streitet sich um die letzte Milch und dann höre ich die anderen schon johlen. Als ich in die Küche komme, sind kurz alle Blicke auf mich gerichtet. Peter und Mike halten beide die Milchpackung in der Hand. David und Marius sitzen am Tisch und beobachten lachend die beiden Vollidioten bei ihrem Machtkampf. Fast alle gleichzeitig fangen sie zu sprechen an bevor sie ihren kleinen Milch-Kampf fortführen.
"Morgen Anna."
Ja. Marius sitzt ebenfalls am Tisch. Ein weiterer Typ hier bei uns. Ich muss zugeben, am Anfang konnte ich meinen Hass auf ihn nicht zurückhalten. Doch irgendwann habe ich ihm dann in die Augen geblickt und es waren nicht mehr die selben. Es war wieder Leben in ihnen. Liebe und Traurigkeit. Deswegen habe ich dann auch nach ein paar Anläufen aufgehört, ihn wie den letzten Dreck zu behandeln. Er konnte es trotzdem nicht lassen und hat sich gefühlte tausend Mal bei mir entschuldigt. Obwohl es nicht seine Schuld war. Er wurde ebenso kontrolliert. Manipuliert von Salivana und dieser Schlampe. Lexa. Die Wut und der Hass auf sie könnten nicht größer sein. Wie konnte sie uns nur so hintergehen? Ich weiß noch nicht einmal den Grund für ihr handeln. Vielleicht empfindet sie noch immer Hass und Wut für Alex. Wer weiß. Ich weiß nur, dass Mike nach dieser Nacht, so wie ich, ein paar Wochen gebraucht hat um dass alles zu verdauen.
Doch jetzt setze ich mich mal zu den Jungs. Ich sterbe fast vor Hunger. David schiebt einen Stuhl für mich zurecht und lächelt mich an, als ich mich zu ihnen setze.
"Na. Siehst irgendwie ziehmlich geschafft aus."
"Trainier du mal mit Nathan. Er macht mich noch fertig."
"Glaub mir Anna. Mit Marius macht das auch keinen Spaß."
David wirft Marius einen belustigten Blick zu und Marius schenkt ihm eine neckische Antwort.
"Selbst Schuld, wenn du nicht mit einem Jäger mithalten kannst."
Alle brechen in Gelächter aus und erinnern und daran, dass vor ein paar Wochen David von Marius eine kleine Abreibung bekommen hat. David hat ihn damit aufgezogen, dass Jäger zu sein, gar nichts bedeutet und was er schon ausrichten könnte. Tja. Marius hat die Herausforderung angenommen und die beiden haben zu kämpfen begonnen. Nach ein paar Minuten hat David alles wieder zurückgenommen. Den Marius war echt gut. Schnell und kräftig. Und das ganze in Menschengestalt. Er hatte wirklich ein paar harte Schläge ausgeteilt. Seit diesem Tag trainieren die beiden täglich.
Als die anderen auch an den Tisch kommen, kehrt wieder Ruhe ein und Marius klärt uns über einige Neue Dinge auf.
"Also gut. Ich habe die halbe Nacht recherchiert. Und haltet euch fest. Ich habe etwas gefunden."
Fast schon zu aufgeregt legt er ein altes in ledergebundenes Buch auf die Mitte des Tisches. Alle blicken wir ihn an und warten gespannt darauf, was er zu sagen hat.
"Wisst ihr noch was die Seherin gesagt hat?"
Die Jungs nicken und Peter wiederholt, ein wenig genervt die Worte, die wir nun schon so oft gehört haben.
"Ja klar. Wie könnten wir das auch vergessen. Sie wird die finden, die verantwortlich für Gut und Böse und eine Seite wird fallen."
"Und genau das habe ich jetzt gefunden. Ich habe mir meine restlichen Sachen aus New York schicken lassen. Und dabei war ein Buch, das genau diese Worte wiedergibt. Es ist ein Art Prohpezeiung. Dieser Satz wurde von einer uralten Seherin gesprochen und sie beschrieb damit das Ende des Ausgleiches. Dass heißt, eine Macht wird zerstört und die andere wird sich erheben. Das Gleichgewicht wird nicht mehr länger existieren."
Wir alle blicken teilweise mit offenen Mündern in sein Gesicht. Eher ungläubig. Nicht so, dass wir nicht schon viel abgefucktes gesehen und erlebt hätten. Aber das. Das ist nun wirklich eine Spur zu verrückt. Und noch bevor ich meinen Mund aufmachen will, kommt mir Mike zuvor.
"Mann Marius. Jetzt im Ernst. Eine Prophezeiung?"
Die anderen stimmen mit leisem Murmeln und Räuspern zu und auch ich bin irgendwie nicht so davon überzeugt, wie es Marius zu sein scheint. Dann öffnet er das Buch und zeigt mit seinem Finger auf eine dunkle Gestalt. Es sieht aus wie ein Wolf in Menschengestalt. Aber Genaueres ist nicht zu erkennen. Dann spricht Marius mit voller Überzeugung weiter.
"Ich weiß Leute. Es hört sich verrückt an. Aber mal ganz ehrlich. Dass in den letzten Wochen war teilweise noch verrückter als das hier. Leute ich hatte nicht mal mehr mein Herz. Das ist doch wohl verrückt."
Diese Worte kommen so ehrlich von ihm, dass wir alle nicken und wieder zu einer Ernsthaftigkeit zurückkehren bevor er weiterspricht.
"Also. In dieser Prophezeiung wird beschrieben, dass eines Tages die Kräfte abgelöst werden durch das kontrollierte Böse. Das heißt, es existieren irgendwo Kräfte die unser System zu kontrollieren scheinen. Auch wenn mir das Neu ist. Jedenfalls wurden laut den anderen Aufzeichnungen die ich gefunden habe, diese Kräfte Akasha genannt. Eine Art höhere Macht die nur aus Energien zu bestehen scheint. Die alles im Gleichgewicht halten soll. Diese Macht schützte sich einst davor zerstört zu werden. Jedoch hatte dies nicht funktioniert und das Gleichgewicht kam durcheinander. Darum mussten auch sie sich eine Gegenmacht schaffen. Einen Zerstörer. Doch diese Macht war weise. Und sie legten etwas Unmögliches als Zerstörer fest. Eine Gestalt aus Vielen. Eine Gestalt aus verschiedenen Kräften zusammengesetzt."
Mir stockt kurz der Atem und der Name, der mir noch immer Schmerzen bereitet kommt leise über meine Lippen.
"Alex."
Marius nickt und blättert nochmals durch die alten vergilbten Seiten des Buches und stoppt dann bei einer Seite. Er zeigt mit dem Finger auf einen alten Text, den ich kaum entziffern kann.
"Genau. Die Mächte waren nicht so weise, wie sie dachten. Denn das scheinbar Unmögliche ist jetzt möglich. Durch eine Laune der Natur. Es wäre damals schon mit Elisabeth möglich gewesen. Nur gibt es hierbei auch einen kleinen Haken. Elisabeth hatte keine Seele mehr. Alex hat sie aber vielleicht noch und mehr Kräfte. Je mehr Wesen er in sich hat, desto stärker ist er. Und das Schlimmste daran ist, dass Salivana ihn kontrolliert. Sie wird ihn dazu bringen die Mächte zu zerstören. Sie wird die Dunkelheit über uns bringen. Falls diese Prophezeigung Recht behält. Doch zuerst muss sie diese Mächte finden."
Er stoppt mit seiner Erzählung und blickt uns dann wieder an.
"Und wie sollen wir sie dann finden, wenn nicht mal sie weiß wo sie auf diese Mächte trifft?"
David ist ebenso verwirrt wie ich. Wie alle hier.
"Das ist es ja gerade. Ich kenne jemanden der uns vielleicht vor ihr dorthin führen kann. Wir könnten sie abfangen. Wir müssen es wenigstens versuchen."
Ja wir können es versuchen. Und ja. Ich hoffe darauf ihn zu finden. Ich muss ihn finden. Wir müssen es aufhalten. Und ich schwöre bei allem, dass ich alles dafür geben werde. Alles um ihn wieder zu sehen. Um ihn wieder in meine Arme schließen zu können.