Auf dem weitläufigen Turnierfeld, das an den Königspalast angrenzte, brannten unzählige Fackeln und tauchten die vielen Tische, auf denen später das Essen aufgetragen werden sollte, in warmes Licht. Ebenso erleuchtet waren die Schaustellerbuden, bunten Zelte und kleinen Bühnen für Musikanten. Ein großer Tanzboden lud zu Ausgelassenheit ein. Doch bevor das Volk sich seinen Vergnügungen hingab, drängte es sich an die geöffneten Flügelfenster des königlichen Thronsaales. Dieser lag ebenerdig zum Turnierfeld und durch die großen Bodenfenster gelangte man auf eine Terrasse.
Doch momentan gab es dort kein Durchkommen mehr. Jeder wollte dabei sein, niemand wollte den Einzug der königlichen Prinzen und Prinzessinnen verpassen.
Rowan stand neben dem Thron seines Vaters, ebenso wie seine Geschwister. Durch die vielen Kerzen in den Kronleuchtern war es warm im Saal und die vielen neugierigen Menschen versperrten die großen Fenster.
Noch war der Saal beinahe leer, da selbst die Vettern und Cousinen, die bei Hofe lebten, es liebten, offiziell von einem Herold aufgerufen zu werden.
Doch sobald der große Raum voll war, mit Gästen, Dienstboten, warmem Essen und Hunden, würde es beinahe unerträglich heiß sein. Schon jetzt spürte Rowan, wie sich der dunkelblaue Seidenkragen im Nacken mit Schweiß vollsog.
Er nahm sich vor, Plinus, den Schneider, mit seinen eigenen Nadeln zu foltern, weil dieser ihn in einen mitternachtsblauen Gehrock aus dickem Samt gesteckt hatte.
»Das betont die Farbe Eurer Augen, mein Prinz!«, hatte er gefaselt. Dieser Narr! Er musste ja auch nicht einen Abend lang in einem Saal mit über einhundert Menschen aushalten. Wobei Meister Plinus als hochangesehener Hofausstatter natürlich eingeladen war.
Neben ihm murrte Eugena vor sich hin und Rowan wandte sich zu ihr um.
»Alles in Ordnung?«, flüsterte er.
»Plinus scheint mich für fett zu halten. Das Korsett ist so eng, ich werde wahrscheinlich nicht einmal ein einziges Würstchen essen können.« Und tatsächlich wirkte ihre Taille so schmal, dass Rowan glaubte, sie mit den Händen umfassen zu können.
Ein leises Zischen von Seiten der Königin ließ die Geschwister verstummen. Auf den Schlossmauern hatten die Fanfarenbläser ihr wohlklingendes Spiel begonnen und das laute Klopfen des Herolds mit seinem Stab verkündete, dass der Einmarsch der Gäste beginnen sollte.
»Nun denn also, auf ein Neues«, sprach König Marek und erhob sich etwas umständlich aus dem Thronsessel. Der Hofschneider schien ihn buchstäblich in sein Gewand eingenäht zu haben bei dem vergeblichen Versuch, den etwas vorstehenden Bauch des wohlgenährten Monarchen zu kaschieren.
»Was meinst du, meine Liebe. Ob Golga noch grauer ist als letztes Jahr? Kaum zu glauben, dass er so alt ist wie ich.« König Marek kicherte lausbubenhaft und zwinkerte seiner Gemahlin zu. Trotz seiner fünfzig Lebensjahre waren sowohl sein Haar als auch sein gepflegter, gestutzter Vollbart noch immer rabenschwarz. Lediglich die Falten um die Augen verrieten, dass er bereits in den mittleren Jahren war. Königin Rabea lächelte nur, richtete sich die weiten Ärmel ihres goldgelben Gewandes und erhob sich ebenso.
Das Gemurmel der neugierigen Menschen an den Terrassentüren verstummte vor Spannung, als die weiten Türen des Thronsaales aufschwangen, der auffällig gewandete Herold eintrat und eine Schriftrolle entrollte.
»Ihre königlichen Majestäten, König Golga und Königin Pané von Tenedus«, verkündete er mit sehr lauter, klarer Stimme und ließ seinen Stab ertönen.
Ein kleiner, untersetzter Mann mit ergrautem Haupt trat in den Saal, am Arm eine elegante Frau mittleren Alters mit schwarzen, schlicht frisierten Haaren, gewandet in ein schimmerndes Kleid aus zinnoberroter Seide. Gemessenen Schrittes und unter Beifall des zuschauenden Volkes schritt das tenedische Regentenpaar auf König Marek und seine Familie zu.
Wie es Sitte war, verbeugten sich die Gäste vor dem Königspaar, bevor man sich mit kameradschaftlichem Händedruck und Umarmungen begrüßte. Königin Pané war die Schwester Mareks und die Begrüßung fiel sehr herzlich aus.
»Du siehst bezaubernd aus, Schwester. Gibt es einen Anlass für das Strahlen? Ein Enkelchen vielleicht?«
Die Königin lachte. »Nein, bis dahin wird es wohl noch etwas dauern. Noch ist unser Gelen ja nicht verheiratet.«
Die Majestäten aus Tenedus wurden von einem höflichen Diener zu ihrem Platz an der Tafel geleitet, während der Herold die weiteren Gäste ankündigte.
Rowan schwitzte immer mehr und zwang sich dennoch zu einem herzlichen Lächeln, wann immer man sich an ihn richtete. Seine Vettern und Cousinen aus Tenedus hatten schon immer ein gutes Verhältnis zu ihm gehabt und er mit ihnen.
»König Titus und Königin Freda von Hammonia«, tönte der Herold weiter. Auch hier erfolgte die obligatorische Verbeugung vor der eigentlichen Begrüßung. Rowans Mutter, Königin Rabea, war die Zwillingsschwester König Titus', was diesen zu Rowans Onkel machte. Der Prinz mochte den lauten, zuweilen etwas anstrengenden Monarchen lieber als den immer stillen, eigenbrötlerischen König Golga von Tenedus, der durch Heirat, nicht durch Blut, mit ihm verwandt war.
Dem Königspaar aus Hammonia folgten ebenso deren Kinder. Rowans Augen erblickten seine Cousine Ana in ihrem waldgrünen Kleid sofort. Die Farbe des Stoffes ließ ihr rostrotes Haar und ihre feinen Sommersprossen auf der Nase strahlen.
Sie sah zu ihm hoch und musste grinsen. Zwischen ihnen bestand seit Kindertagen eine Art Einverständnis und Rowan mochte sie von all seinen Vettern und Cousinen am liebsten.
Eine Pause entstand, mit der der Herold verdeutlichen sollte, dass dies alle Herrscherpaare waren.
Rowan wunderte das nicht. König Thedosio von Trallien, einem kleinen Königreich, das von Annwyn, Tenedus und Hammonia umschlossen wurde, sich an der Nordseite dem Meer öffnete und zu fast allen Teilen auf einer fruchtbaren Hochgebirgsebene lag, nahm niemals an dem Solem-Festen teil noch richtete er diese in seiner Stadt Thalea aus. Der trallische Herrscher galt als Einsiedler, der Einflüsse von außen fürchtete. So geschah es auch selten, dass Sprösslinge aus dessen Königshaus zu den Feierlichkeiten anwesend waren.
Der Herold verlas nun die Namen der Gäste, die zwar königlichen Blutes waren, jedoch keine Regenten.
Rowan schmunzelte, als seine Tante Ilyn, Schwester König Mareks, am Arm ihres Gemahls, eines kleinen Fürsten, den Saal betrat. Sie war wie immer pummelig mit reizenden, rosigen Wangen und wirkte mütterlich matronenhaft in dem Kleid aus blassrosa Seide, während ihr spindeldürrer Gatte aussah wie eine Spinne. Als Rattenschwanz folgten den beiden ihre drei liebreizenden Töchter Asoka, Nuria und Barid sowie ihr jüngster Sohn Timor. Der ältere Sohn Eren war mit Prinzessin Ima, der Tochter König Titus', vermählt und saß bereits an der Festtafel. Die hübsche Nuria würde im Herbst Kronprinz Gelen von Tenedus heiraten.
Als der Herold Rowans Tante Puria, die dritte Schwester König Mareks, aufrufen wollte, stürmte ein kleiner Junge an ihm vorbei. Alles lachte einen Moment über den verdutzten Ausdruck in dem Gesicht des Mannes, bevor er sich wieder fing.
»Prinz Nicosi von Annwyn«, verkündete er und alle lächelten über den niedlichen kleinen Prinzen, der nicht abwarten konnte, mit seinem Vetter Prinz Jonah zu spielen. Nicosis Mutter, Prinzessin Puria, folgte ihrem Sohn milde lächelnd, eingehakt bei ihrem stattlichen Gemahl, einem reichen Kaufmann aus Piscina, Annwyns großer Hafenstadt an der Mündung des Caystros, Numantias großem Strom. Hinter ihnen folgte ihr fünfzehnjähriger Sohn Merow. Purias einzige Tochter Nala war seit vergangenem Sommer mit Prinz Leon, dem Thronfolger Hammonias, vermählt und saß bereits neben ihm am Tisch.
Das Spektakel zog sich noch einige Zeit hin und Rowan war einmal mehr erstaunt, wie groß doch die königlichen Sippen Numantias tatsächlich waren. Jedes Königspaar hatte mindestens zwei, doch meist eher drei bis vier Kinder, die wiederum heirateten und eigene Kinder bekamen. Und über den Kamm genommen, waren die drei großen Herrscherhäuser derartig miteinander verschwägert, dass Rowan womöglich keine Prinzessin finden würde, die nicht gleichzeitig auch seine Cousine war.
Natürlich hätte er seine Gemahlin auch unter den Töchtern der Fürsten oder der reichen Kaufmannsfamilien, ja sogar unter dem einfachen Bürgertum Isaras wählen können – es bestand keine Pflicht für einen Königssohn, adelig zu heiraten – doch ihm fehlte die Zeit. Er hatte sich bereits entschlossen, endlich seiner Pflicht als Thronfolger nachzukommen. Er musste sich verloben. Möglichst bald.
Nach einer gefühlten Stunde rollte der Herold sein Pergament wieder zusammen und pochte erneut mit dem schweren Stab auf den Steinfußboden. Dies war das Signal für König Marek, das Wort zu ergreifen. Er erhob sich und hielt einen kostbaren Weinkelch empor.
»Verehrte Majestäten, liebe Freunde und Familie, hochgeschätztes Volk. Ein weiteres Jahr kommen wir zusammen, der glorreichen Geschichte und unserem Erretter Solem zu gedenken. Doch wie seit jeher schon, soll dies kein Fest der Trauer sein, sondern der Freude. So bitte ich euch, sei fröhlich, ausgelassen, genießt Speis' und Trank. Der Ernst des Lebens hat uns früh genug wieder.« Beifall von den Gästen im Saal und dem noch immer zusehenden Volk ertönte.
Der Herold pochte erneut und machte die neugierigen Zuschauer darauf aufmerksam, dass das Festmahl draußen aufgetragen wurde. Dies führte dazu, dass sich die Menge schnell zerstreute.
Ein kühler Luftzug, der nun endlich ungehindert in den Saal dringen konnte, streifte Rowan und ließ ihn seufzen. Er nahm sich fest vor, nach dem Mahl an die frische Luft zu gehen, bevor der Tanz begann und die Prinzessinnen ihn vereinnahmen würden.
Die Dienstboten begannen, die Speisen in den Saal zu bringen und Rowan staunte über die schiere Menge. Das Gesinde, das während des eigentlich arbeitsfreien Solem-Festes Dienst tat, wurde besonders gut entlohnt und es dankte seinem König, indem es sich bei der Zubereitung der Speisen förmlich überschlug. Ein ganzer Ochse aus der Glut stand zum Verzehr bereit, ebenso drei Spanferkel, Berge von noch heißem Brot, frisches Gemüse, große Schüsseln mit dampfenden Kartoffeln, Terrinen mit Suppe, frischer Fisch aus Piscina, sogar kostbare Orangen und Mandarinen aus einem Land weit im Süden. Ein kleinerer Beistelltisch wurde begehrlich gerade von den kleinen Prinzen und Prinzessinnen angeschaut, türmten sich darauf doch bunte Törtchen, Küchlein und andere Naschereien.
Als König Marek das Mahl eröffnete, griffen alle freudig zu. Auch Rowan genoß die guten Speisen und besonders den warmen, mit Zimt verfeinerten Wein. Sogar Eugena, die befürchtet hatte, ihr Korsett würde ihr das Essen vermiesen, hatte einen vollen Teller bereits zur Hälfte geleert.
Musikanten untermalten das Stimmengewirr, das Lachen und das Klirren von Besteck auf Tellern mit heiterer Musik und diverse mehr oder weniger schamhafte Rülpser wurden als Lob an die Köche verstanden.
Rowan lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und seufzte. Sobald das offizielle Mahl vorüber war, wurden die Speisetische zusammengeschoben, um eine Tanzfläche im Saal zu schaffen. Man ließ das restliche Essen wie ein Buffet stehen und schaffte nur die Reste und das schmutzige Geschirr in die Küchenräume, während die meisten Gäste dazu neigten, einen kurzen Moment auf die Terrasse zu gehen, um sich abzukühlen.
Wenn der Tanz, ein allabendliches Ritual, begann, wurden alle Gäste unter sechzehn Jahren angehalten, die Festlichkeiten zu verlassen. Die Jüngeren hatten dann für gewöhnlich Nachtruhe und wurden zu Bett gebracht, während man die Älteren beschäftigte, bis es auch für sie Zeit war. Für die Erwachsenen und Gäste ab sechzehn Jahren konnte der Tanz jedoch bis zum Sonnenaufgang dauern. Doch hatte man es mit Backfischen wie Prinzessin Eugena zu tun, konnte dieser Plan schon mal nach hinten losgehen. Sie schlich sich nämlich auch schon einmal auf die Tanzböden des einfachen Volkes, wo man es mit dem Alter nicht so genau nahm. Es gab, wenn das Wetter mitspielte, häufig Bankette unter freiem Himmel, auf denen Mitglieder der königlichen Familien mit den Gästen des einfachen Volkes gemeinsam feierten.
Während des Solem-Festes vergaß man die unterschiedlichen Stände und Gesellschaftsschichten.
Doch Eugena war mit fünfzehn Jahren noch nicht offiziell heiratsfähig und hatte somit eigentlich auf keinem dieser Tanzböden am Abend etwas zu suchen.
Ein leichter Stoß unter dem Tisch erregte die Aufmerksamkeit des Prinzen und riss ihn aus seinen Gedanken. Vermutlich einer der Hunde, die auf Knochenjagd waren. Als Rowan das Tischtuch anhob, blickte er jedoch in Jonahs blaue Augen. Der Junge saß dort im Schneidersitz, den Mund mit Puderzucker und Marmelade bestäubt, mehrere gezuckerte und mit Konfitüre gefüllte Teigbällchen im Schoß.
»Was machst du denn hier unten?«, fragte der Kronprinz verdutzt.
»Verrat' mich nicht, Roro. Sonst stehlen Nicosi, Merow und Barid nur wieder meine Krapfen«, stammelte der kleine Prinz erschrocken und Rowan nickte.
»Na gut, aber dafür gibst du mir jetzt einen ab.«
Der kleine Junge drückte seinem älteren Bruder eine Süßigkeit in die Hand und der Prinz ließ das Tischtuch wieder fallen.
»Ich gehe einen Moment frische Luft schnappen«, sagte er zu seiner Mutter, die ein Törtchen zerlegte, und erhob sich. Mit wenigen Schritten war er durch eine der Terrassentüren getreten und kühle Aprilluft strich ihm über das erhitzte Gesicht. Sich an die Brüstung der großzügigen Veranda lehnend verspeiste er den kleinen Krapfen und blickte auf das Turnierfeld, das von Fackeln erhellt und von tanzenden und heiteren Menschen belebt wurde. Ausgelassenes Lachen wehte es zu ihm herüber.
»Versteckst du dich vor deinen Pflichten, Cousin?«
Rowan lächelte, denn er erkannte Anas Stimme sofort und wandte sich zu ihr um.
»Mitnichten, Cousine. Ich warte das ganze Jahr auf einen Tanz mit dir. Doch dort drin ist es entsetzlich heiß.«
Die Prinzessin nickte und lehnte sich an die Brüstung. »Ja, deswegen zog es auch mich nach draußen.« Eine Weile betrachteten sie das Feiern des Volkes schweigend.
»Hätte man gewusst, dass das Wetter so gut werden würde, hätte man einen Pavillon für den Tanz aufbauen können«, brach Rowan die Stille zwischen ihnen.
»Das wäre sehr angenehm gewesen. Aber Onkel Marek hat wohl aus dem Fehler meines Vaters letztes Jahr gelernt, als der Wolkenbruch die erste Nacht buchstäblich ins Wasser hat fallen lassen«, musste die Prinzessin plötzlich lachen. Beim vergangenen Solem-Fest, das in Hammonias Hauptstadt Leontini stattgefunden hatte, hatte ein regenreiches Unwetter alles weggespült und die Gäste in das Schloss fliehen lassen. Im Nachhinein amüsierten sich alle darüber, doch damals waren die meisten sehr erschrocken gewesen.
»Eigentlich weiß jeder, dass es in den Sälen fürchterlich warm wird und trotzdem begeht man jedes Jahr denselben Fehler und kleidet sich in zu schwere Stoffe. Was würde ich geben, das Gewand ablegen zu können ...«, seufzte Ana und Rowan fing an zu grinsen.
»Tu' dir keinen Zwang an. Da ist nichts, was ich nicht schon einmal gesehen hätte.«
Die Prinzessin errötete bis zum Haaransatz angesichts der Erinnerung, die ihr Cousin in ihr wachrief. »Wir waren Kinder, Rowan.«
»Wir waren sechzehn und wussten sehr wohl, was wir taten«, entgegnete der Prinz leise.
Es war eine laue Nacht wie diese gewesen, neun Jahre her, als sich die beiden im Stall versteckt hatten, weil ihnen das Fest und der Tanz zu öde erschienen war. Sie hatten schnell gemerkt, dass es aufregender war, den Körper des jeweils anderen zu erforschen.
Rowan hatte dieses einmalige Ereignis niemals vergessen. Jedes Jahr wartete er darauf, dass Ana, die nur wenig jünger war als er, sich verlobte. Sie war lange Zeit schwer krank gewesen und hatte an einer Form der Schwindsucht gelitten, weswegen eine frühere Hochzeit nicht möglich gewesen war.
»Ich warte seit dieser Nacht darauf, dass du eine ehrbare Frau aus mir machst, das ist dir hoffentlich klar, oder, Vetter?«, sagte Ana keck in seine Gedanken rein. Sie klang fröhlich, doch man hörte den Unterton, der deutlich machte, dass sie ihre Worte ernst meinte.
»Wie hätte ich, wo du doch so angeschlagen warst?«
»Behaupte jetzt noch, du hättest nur auf meine Genesung gewartet und ein Blitz erschlägt dich. Du wärst niemals zu mir gekommen, ich weiß das. Du liebst mich nicht und mit weniger gibst du dich nicht zufrieden. Ich verstehe dich sehr gut, was allerdings nicht heißt, dass ...« Sie verstummte und Rowan sah sie von der Seite an.
»Du würdest einem so verqueren Kerl wie mir die Hand zur Ehe reichen, wenn ich dich darum bäte?«, fragte er leise flüsternd.
»Ja, das würde ich. Weil du es bist«, hauchte Ana in die kühle Abendluft, blickte ihm einen Moment in die Augen und eilte dann beinahe fluchtartig in den Festsaal zurück.
Rowan blieb allein zurück und seufzte. Ana liebte ihn. Das hatte sie schon, als alle anderen Jungen noch Schwachköpfe für sie gewesen waren. Er war immer ihr Held, ihr bester Freund gewesen, der einzige, mit dem sie ihre Zeit verbringen wollte.
Und er liebte sie – doch nicht so, wie ein Mann seine Ehefrau, seine Geliebte, lieben sollte, sondern wie ein Bruder seine Schwester.
Diese eine aufregende Nacht im Heu war eine seiner liebsten Erinnerungen, aber nicht wegen dem Körperlichen, das sie erlebt hatten, sondern wegen des Gefühls der Nähe. Kein anderer Mensch kannte ihn so, wie Ana es tat. Der Gedanke, diesen intimen Akt der Liebe noch einmal zu wiederholen, widerstrebte ihm, nun da er erwachsen und kein hormongesteuerter Halbwüchsiger mehr war.
Und doch war Ana die einzige Frau neben seiner Mutter, die nicht bereits nach kurzer Zeit an seinen Nerven zog. Er und seine Cousine verstanden sich blind, hatten denselben Humor, dieselben Interessen und konnten immer ehrlich zueinander sein.
Wenn Rowan aufrichtig zu sich selbst war, wusste er, dass Ana die perfekte Frau für ihn war. Sie war ihm in Liebe ergeben und ihm lag sehr viel an ihr. Besser würde er es vermutlich mit keiner anderen Frau des Reiches treffen können. Sicher konnte er lernen, sie auch wie eine Geliebte zu lieben und ihr gerecht zu werden, wie sie es verdiente.
Seufzend kehrte er in den Saal zurück, als für den ersten Tanz aufgespielt wurde.
Ja, Ana war die Richtige für ihn. Sie würde ihm genügen und sie konnten einander glücklich machen. Gleich morgen würde er mit seinem Vater und anschließend mit ihr darüber reden.
»Da bist du ja, mein lieber Vetter. Darf ich erwarten, dass du mich aufforderst?« Rowan lächelte, reichte Ana seine Hand und der Tanz begann.