Wenn ich ehrlich bin, dann hat mich das was der Junge gesagt hat, schon irgendwie geärgert. Es gab eine Zeit, da hätte sich niemand getraut so mit mir zu reden, aber wir sind hier im Süden und ich bin nur ein Gefangener in einem stinkenden Schafstall. Seufzend sah ich mich erneut um, aber selbst wenn ich Lust gehabt hätte aufzustehen, waren meine Füße so eng gefesselt, dass ich nur hüpfen könnte. Mit etwas Geschick wäre ich möglicherweise sogar entkommen, aber wohin? Wenn überhaupt ein Fluchtversuch möglich war, dann erst bei Dunkelheit. Allerdings hoffte ich tatsächlich darauf, dass bis dahin jemand kam um mir etwas zu trinken zu bringen und mir mitzuteilen wie es mit mir weitergehen sollte.
Kennt ihr das Gefühl, wenn man eigentlich nicht mehr wegrennen mag? Der Gedanke sich zur Ruhe zu setzen und ein respektables Leben anzunehmen, kam mir ja nicht das erste Mal in den Sinn. Auch wenn ich zur Zeit nur sehr wenig Geld hatte oder eigentlich gar keines, denn unsere Sachen hatten wahrscheinlich die Männer mitgenommen, die uns aufspürten. Abgesehen davon, ich liebe meine Arbeit, wenn man es denn als solche bezeichnen kann. Kopfschüttelnd beschloss ich einfach weiter sitzen zu bleiben und entweder auf Gesellschaft oder die Abenddämmerung zu warten.
Meine Gedanken führten mich zurück zu dem Abend, an dem wir die ersten Pläne machten. Mittlerweile hatten wir herausgefunden, dass die Bewohner des Bauernhofes, die Familie Hussard, keine Züchter im eigentlichen Sinne waren. Wenn man den Informationen trauen konnte, hatten sie wohl mehrere Welpen in den Bergen gefunden und sich ihnen angenommen. Die Bewohner der Gegend waren sich einig, dass es sicher eher große Hunde waren als Wölfe oder Mischlinge. Die Wölfe entwickelten sich, wurden aber eher Freigänger als Schoßhunde, was bedeutet, dass sie sich zwar füttern lassen und wohl auch ein gutes Verhältnis zu den Menschen dort haben, aber trotzdem eher als Rudeln in den Bergen leben. Wie viele Tiere es mittlerweile gab, konnte uns keiner sagen, aber die meisten fanden es so oder so unheimlich. Wenn ich auch nur annähernd recht mit meiner Vermutung hatte und es sich tatsächlich um die sagenumwobenen Wölfe mit dem farbwechselnden Fell handelte, konnten wir ein Vermögen machen.
Cassandra hatte den Vorschlag gemacht Fallen aufzustellen und uns einfach ein paar von den Wölfen zu fangen, sobald wir ihre Angewohnheiten kennengelernt hatten, ihre Schlafplätze entdeckt und sie besser verstanden, doch an diesem vollkommen bescheuerten Plan konnte jeder erkennen, dass sie nicht weit genug dachte. Genau so ein Vorgehen hatte damals dazu geführt, dass sie praktisch ausgestorben waren und mehr Legende als Wirklichkeit. Außerdem sind Wölfe nicht dumm, sie stehen füreinander ein und merken sich Gefahren. Wir wären nach einem Fang nie wieder nah genug an einen von ihnen herangekommen. Hier war Weitsicht gefragt! Matthis und Johann beteiligten sich wenig an den Plänen, wie immer. Sie waren eher Macher, als Planer. Ich mag zwar nicht ihr Oberhaupt gewesen sein im klassischen Sinn, aber ich war definitiv der Kopf des Ganzen. Ob wohl jemand von ihnen überlebt hat? Es hatte nicht so ausgesehen und somit gingen vermutlich vier Leichen auf meine Kappe. Zwar hatte ich sie nicht selbst umgebracht, aber es war meine Idee gewesen. Egal, es hilft nicht der Sache nachzuweinen.
Zurück zu unserem Plan. Er war riskant, keine Frage, aber es machte wesentlich mehr Sinn. Einfach das kopieren, was die Familie auf dem Bauernhof bereits geschafft hatte. Wolfswelpen klauen, sobald es welche gab und die mitnehmen und selbst weiterzüchten. Genial oder?
Vor der Scheune tat sich endlich etwas und riss mich aus meinen Gedanken. Es waren mehrere Stimmen, aber ich konnte kaum verstehen, was sie sagten. Allerdings klang es deutlich nach Streit. Keine schlechte Voraussetzung für mich ehrlich gesagt, immer davon ausgehend das es in dem Streit um mich geht, denn wenn sich zwei Parteien nicht einig sind, kann man leichter Zwietracht sähen. Schon Kleinkinder lernen diesen Umstand schnell, wenn sie ihre Eltern oder Großeltern gegeneinander ausspielen. Angestrengt versuche ich herauszufinden worum es geht, doch ich höre nur kleine Brocken.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wird endlich die Tür geöffnet und ein Mann tritt zu mir in den Stall. Er ist groß, vielleicht sogar größer als ich, was man aus meiner Perspektive leider nicht genau erkennen kann. Er hat rote lange Haare, die zu einem Zopf gebunden sind. Das kenne ich hier schon, die ganze Familie scheint voller Rotschöpfe zu sein. Einen Moment überlege ich, wie ich mich geben soll, doch in dem Augenblick wo ich sein Gesicht besser sehen kann, vergeht mir jede Zurückhaltung. Der Typ ist einer der beiden Männer, die mich und meine Leute hochgenommen haben und am Ende sogar das alte Bauernhaus abgefackelten, welches uns als Zuhause auf Zeit gedient hatte. Das brennende Haus, war das Letzte, was ich sah, bevor mir die Lichter ausgeblasen wurden.
»Du kommst ja ohne Fackel,« schaffte ich zu sagen, trotz der trockenen Kehle. Meine Stimme kam mir immer fremder vor.
Der Mann, sein Name war Leon, wenn ich mich recht erinnerte, grinste nur breit und zog ein Jagdmesser aus seinem Stiefelschaft hervor. Glaubt der etwa damit bei mir Eindruck schinden zu können? Jeder Mann, der etwas auf sich hält, hat irgendwo Messer oder eine Pistole versteckt.
»Oh lieber mit einem Messer? Sehr kreativ, wollt ihr mich nicht lieber an die Wölfe verfüttern?«
Eigentlich weiß ich, dass es besser wäre die Klappe zu halten und bei anderen hätte ich es wohl auch auf die Mitleidsmasche versucht oder es auf die anderen geschoben, aber allein der Anblick dieses widerlichen Holzfällertyps machte mich wütend und leider damit auch meine Zunge lockerer als es gut für mich war. Sein Schweigen war keine große Hilfe.
»Nun komm schon, bring es zuende oder sag mir, was ihr euch sonst für mich ausgedacht habt. Möchtest du mich vielleicht auf andere Weise bestrafen, was das angeht, bin ich äußerst flexibel. Mann oder Frau ist mir eigentlich egal.«
Ich versuche meinen Blick so anzüglich wie möglich zu gestalten, dabei wandern meine Augen an seinem Körper auf und ab. Zugegeben, der kann sich schon sehen lassen. Keine großen Muskelberge, aber unter dem leichten Pullover und der Weste, die er trägt, lässt sich doch das ein oder andere erahnen. Auf jeden Fall scheint er sich um seinen Körper zu kümmern. Mit wachsender Befriedigung muss ich feststellen, dass ich scheinbar den richtigen Knopf gedrückt habe, denn sein Blick verdüstert sich merklich und seine Augen werden schmal. Gut, damit kann ich arbeiten.
»Wann hat dich das letzte Mal jemand rangelassen? Ich meine, ihr lebt hier ja ganz schon abgelegen und es kommen sicher nur sehr selten Besucher her.«
In seinen Augen beginnt ein Feuer zu lodern und ich kann einfach nicht anders, als laut zu lachen.
»Du bist ein sehr mutiges Stück Scheiße, mich zu provozieren, obwohl ich ein Messer in der Hand halte und über dein Leben entscheide«, hörte ich ihn nun sagen. Dummerweise musste ich weiter lachen, was irgendwann in ein leises Kichern mündet. Das war der Beweis, ich verlor echt den Verstand.
»Und bevor du noch mal so einen Schwachsinn erzählst, meinem Liebesleben geht es gut, ich bin verheiratet!« Bei den Worten hob er stolz den Kopf.
Unnötig zu sagen, dass ich wieder lachen musste, bis mir tatsächlich alles wehtat. Auch die Wange, denn mittlerweile hatte Leon die Geduld verloren und mir eine Ohrfeige verpasst.
»Jetzt wird es interessant«, brachte ich atemlos hervor, »also wie wird es mit mir weitergehen?«
Ich sah, wie mein Gegenüber tief durchatmete und mich dann direkt ansah.
»Wir haben noch nicht entschieden wie es weitergeht, nur dass wir dich nicht an die Stadtwache ausliefern werden. In eurem Unterschlupf ist einfach zuviel passiert und es würde mehr Aufmerksamkeit auf uns und die Wölfe lenken, als uns lieb ist. Wenn es nach mir ginge, wärst du allerdings bereit tot. Du kannst von Glück reden, dass meine Familie glaubt, dass aus dir noch Informationen rauszubekommen sind.«
Überraschend sah ich zu Leon auf. Was für Informationen sollte ich haben, die irgendwie interessant sein könnten. Wir haben uns schließlich die letzten Wochen ausschließlich mit den Wölfen und der Beobachtung des Bauernhofes beschäftigt. Ich glaube kaum, dass es hier etwas gibt, dass er nicht weiß. Scheinbar muss meine Irritation auch in meinem Gesicht zu sehen sein.
»Ihr wart im Wald zu viert, aber wer weiß, wem ihr noch davon erzählt habt. Ich bin nicht dumm weißt du? Auch ich jage und verkaufe zum Teil Felle an die Händler in der Stadt. Mir ist klar, dass ihr viel Geld erwartet habt und daher möchten wir sehr gerne wissen, mit wem ihr noch über eure Entdeckung gesprochen habt. Also es ist ganz einfach, umso eher du etwas ausspuckst, umso eher finden wir eine Lösung wie wir dich loswerden.«
Tolle Aussichten, dachte ich und sah ihn einfach erst einmal an. Wir hatten niemand anderem davon erzählt. Wäre ja auch schon blöd gewesen, da uns sowieso ohne Beweis niemand glauben geschenkt hätte. Daher wollten wir abwarten, bis wir einen Erfolg vorweisen konnten und uns dann nach einem Käufer umsehen. Da es sowieso nur Welpen waren, auf die wir es abgesehen hatten, wäre noch einige Zeit ins Land gegangen bis wir wirklich Profit aus der Sache hätten schlagen können. Moment, das bedeutete aber auch, dass Leon und seine Familie nicht die eigentliche Absicht erkannt hatten. Sie gingen weiterhin davon aus, die Wölfin wäre unser Ziel gewesen.
»Wir könnten damit anfangen, dass du mir etwas zu trinken und zu essen gibst. Ich hocke schließlich schon eine ganze Zeit hier, auch etwas mehr Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit mich zu erleichtern, wäre absolut traumhaft.«
Diesmal versuchte ich es mit einem Hundeblick, der leider bei Leon nichts auszulösen schien. Dieser musterte mich von oben bis unten und schien nachzudenken.
»Vielleicht wenn wir deine Fußkette abnehmen und dich irgendwie an die Stallwand ketten, ich überleg mir was.«
Damit steckte er das Messer weg, wandte sich von mir ab und schon war die Tür wieder zu und ich erneut allein. Seufzend versuchte ich erneut meine Sitzposition etwas zu verändern. Meine Beine fühlte ich gar nicht mehr, womöglich waren sie bereits abgestorben, aber ich lebte immerhin noch. Leon hatte ein paar interessante Informationen dagelassen, allerdings nicht genug um mir einen Schlachtplan zu überlegen. Er war auch nicht die richtige Person dafür, also konnte ich nur hoffen, dass irgendwann jemand anders mit dem Aufpassen betraut wurde. Wenn man immer gegen das Gesetz arbeitet, lernt man irgendwann auch Menschen zu manipulieren, aber die mussten wesentlich naiver sein. Junge Mädchen passten da eigentlich immer sehr und ich wusste, dass in der Familie Hussard auch davon ein paar zu finden waren. Alles was ich also tun konnte, war abwarten und das war ich sowas von Leid. Nach der ganzen Zeit, die wir mit beschatten und ausspionieren verbrachten, war ich so froh gewesen endlich zur Tat schreiten zu können. Das unter den Wölfen auch eine trächtige Fähe war, war mehr als wir uns erträumt hatten. Ein erwachsenes Tier und bald einige Welpen dazu war ein sehr guter Anfang. Oder wäre es gewesen, aber wir wissen ja nun, dass es anders kam als gedacht.