Drei volle Marstage waren vergangen, seitdem die kleine Gruppe Aloria verlassen hatte, um mit der Erkundung des roten Planeten fortzufahren. Ihnen folgte eine Spur aus regelmäßig blinkenden Leuchtbojen, welche ihnen am Ende ihrer Expedition den Weg zurückweisen sollten. Gunnardson ging mit den beiden Gonaii der Gruppe voraus und blickte sich aufmerksam um. Es war in den frühen Morgenstunden als sie die ersten Ausläufer des südlichen Hochlandes, erreichten. Die kleinen Gesteinsbrocken, die sich über die Einöde verteilten waren kleinen Tafelbergen gewichen, die sich bald in zu riesigen Gebirgsketten und Hochplateaus vereinigen würden. In regelmäßigen Abständen hob Gunnardson den Kopf und blickte in den Himmel. Seit der letzten Nacht hatte ihn eine innere Unruhe erfasst und sowohl die Ereignisse, die sich am Himmel abspielten als auch das Verhalten der beiden Marsianer verstärkten seine Sorgen. Er hob die Hand und brachte somit die Gruppe zum Stehen.
»Was ist los? Warum halten wir?«
Gunnardson drehte sich um. Monifa Afolayan, die Biologin der Expedition war an ihn herangetreten und blickte ihn fragend an.
»Schauen Sie auf die Sonne.«, antwortete er. »Sehen Sie den Halo? Das ist ein Anzeichen für einen aufkommenden Sturm. Wir müssen halt machen und irgendwo Schutz suchen.«
»Können wir nicht weitergehen und die Abstände der Leuchtbojen verkürzen?«
Gunnardson schüttelte den Kopf. »Das ist zu riskant. Ich weiß nicht wie stark der Sturm wird und wie lange er anhält.«
Die junge Frau nagte nachdenklich an ihrer Unterlippe »Können Sie die Höhe des Risikos eines Verlusts der Orientierung einschätzen?« Gunnardson seufzte. Er konnte den Ehrgeiz der jungen Wissenschaftler nachvollziehen, aber manchmal nervte er ihn. Besonders in Situationen wie diesen. »Es ist eindeutig zu hoch. Es wimmelt hier von Erdlöchern und ich glaube niemand von ihnen will herausfinden wie tief es da hinab geht!« Mit diesen Worten wandte er sich ab und unterhielt sich mit den beiden Führern. Auch sie hatten die Veränderung bemerkt und wussten um die Gefahren des Sturms. Es gab in der Nähe einige Höhlen, in denen sie Unterschlupf finden und den Sturm abwettern konnten. Somit war die Entscheidung gefallen und die Gruppe suchte Schutz in einer der nahegelegenen Höhlen, während der Wind auffrischte und immer mehr an Stärke gewann. Bald füllte ein unheimliches Heulen die Luft als der Sturm übers Land fegte und eine gigantische Staubwolke vor sich her trieb. Die Sicht wurde immer trüber und bald drang nur noch ein leichter Schimmer von der Sonne zur Oberfläche herunter. Die Expeditionsteilnehmer entluden gerade die letzten Ausrüstungsteile von Antigrav-Schlitten als die ersten Ausläufer des Sandsturms sie erreichten. Während die anderen bereits in der Höhle untergetaucht waren hantierte Veniamin Konstantinov an der mobilen meteorologischen Messstation herum. Er wollte die Gunst der Stunde nutzen und durch die unterschiedlichen Messungen neue Erkenntnisse über die Wetterverhältnisse auf den Roten Planeten gewinnen. Im Gegensatz zu seinen Kollegen war er als Meteorologe nicht auf das vorgegebene Forschungsgebiet beschränkt.
»Verdammt noch mal, wo bleiben Sie? Das Wetter kann jeden Moment umschlagen«, drang Gunnardsons Stimme aus dem Funkgerät an sein Ohr.
»Ich kalibriere nur noch die Messsysteme, dann komme ich.«, sagte Konstantinov, während er an einem Regler drehte. Gunnardsons Antwort verstand er nicht, da die Störungen zu stark waren. Anscheinend wurde der Sturm noch von einem Gewitter begleitet. Ein Grund mehr die Geräte so fein es ging einzustellen und die neuen Sensoren des Spektrometers auszutesten. Erneut knisterte das Funkgerät und Veniamin meinte seinen Namen zu hören, aber er war sich nicht sicher. Er beendete seine Arbeiten an der Messstation in aller Ruhe und überprüfte ein letztes Mal die Verankerungen. Er nickte zufrieden, wandte sich ab und ging ein paar Schritte in Richung der Höhle. Zu seinem Verdruss musste er feststellen, dass der Sturm seine Spuren im Sand verwischt hatte. »Gunnardson, können Sie mir ein Signal geben, damit ich sie besser finden kann?«, rief er ins Funkgerät. Statisches Rauschen war alles, was er als Antwort erhielt. »Gunnardson, hören Sie mich? Bitte Antworten Sie mir!« Nervös blickte er sich um. Er war mitten in der Staubwolke gefangen und konnte kaum etwas erkennen. Es war als wäre er in ein rot gefärbtes Meer getaucht. Hätte ihn jemand gefragt wo oben und unten sei, so hätte er keine Antwort darauf gehabt. Panisch drehte sich Veniamin um, aber auch die Messstation war nicht mehr zu sehen. Sein Herz schlug schneller und kalter Schweiß trat aus seinen Poren aus. Konzentrieren. Er musste sich nur konzentrieren, dann würde alles gut gehen. Die Messtation lag direkt hinter ihm, er hatte sie immerhin im rechten Winkel verlassen. Oder war er zwischendurch abgebogen? Konnte das sein? War er etwa verloren und dem Sturm hilflos ausgeliefert? Sein Atem beschleunigte sich und er geriet ins Wanken. »Gunnardson, wo sind Sie? Helfen Sie mir!«, rief er erneut in den Äther aber diesmal blieb alles stumm. Konstantinovs Atem ging immer schneller und das Pochen in seinem Kopf nahm zu. Seine Beine waren weich und gaben schon unter ihm nach und er ging in die Knie. Aus Angst sein Visier zu beschädigen legte er sich auf den Rücken, aber das verschlimmerte seine Lage nur noch. Weder Boden noch Himmel konnte er unterscheiden und er bekam das Gefühl zu fallen. Während sich alles um ihn herum drehte, drohte eine riesige Faust seinen Magen umzustülpen und nur mühsam unterdrückte er den Brechreiz. Irgendetwas packte ihn und zog ihn davon. Einzelne Fakten bezüglich der Meteorologie auf dem Mars durchbrachen die Mauer, welche die Panik um seinen Verstand errichtet hatte und breiteten sich aus. Windgeschwindigkeiten von mehreren Hundert Stundenkilometern. Tornados. Forscher, die hinfort geweht und nie gefunden wurden. Das war zu viel. Getrieben von nackter Angst zappelte er wild mit Armen und Beinen, versuchte sich irgendwo festzuhalten und schrie aus Leibeskräften. Er ignorierte dabei Gunnardsons Fluchen, das nun klar und deutlich aus dem Funkgerät drang. Stattdessen fiel er in einen schwarzen Abgrund und verlor die Besinnung.