Isoke schwieg und starrte auf seine Hände, die langen Finger und die kleinen, feinen Narben auf der dunklen Haut. Er ballte sie zu Fäusten und beobachtete wie sich seine Sehnen anspannten, das Spiel von Knochen und Muskeln, die sich in Harmonie bewegten und allein seinem Willen gehorchten. Früher, hatte er mir einmal erzählt, hatten seine Hände ihm alles bedeutet. Sie waren seine Werkzeuge gewesen, mit denen er wundervolle Kunstwerke erschaffen hatte. Heute waren sie gebrochen und geschunden, wie alles in unserer kleinen, dunklen Zelle. „Manchmal wünsche ich mir fast sie würde es tun. Sie würde mich einfach töten“, hauchte Isoke so leise, dass ich es kaum verstand, „Aber dann, ich weiß nicht, will ich leben, auch wenn es bedeutet, für immer hier unten zu bleiben. Womöglich weil es bedeutet für immer hier unten zu bleiben. Keine Ahnung, ich muss mich wie ein Verrückter anhören.“
Ich starrte Isoke mit großen Augen an. „Nicht den Mut verlieren“, murmelte ich zweifelnd und sah meinen Freund verwundert an. Verlor er gerade die Hoffnung? „Wir werden leben.“
Isoke lachte freudlos auf. „Wie schnell sich die Dinge doch ändern können. Sollte ich nicht der Mutige sein und du derjenige, der getröstet wird? War es nicht immer so? Und jetzt sieh uns an. Ich weiß, dass sie uns nicht töten wird, wie sind ihre Gefangenen, ihre Marionetten und sie hält alle Fäden in der Hand. Ich frage mich nur manchmal was sie daran, an uns, so faszinierend findet. Ob wir sie glücklich machen oder welchen Nutzen sie aus uns zieht.“
„Das frage ich mich schon seit wir hier unten sind, aber wie sollen wir je die Gedanken einer Irren verstehen können?“
„Irre? Ich weiß nicht so Recht. Ist sie verrückt?“ Isoke sah mich fragend an und biss sich auf die vollen Lippen.
„Du hast Recht“, antworte ich mit einem schiefen Lächeln, „Du hörst dich wie ein Verrückter an.“
„Das beruhigt mich, danke“, grinste Isoke und schüttelte den Kopf. Er streckte die Beine aus und legte die Hände gefaltet in den Schoß. Ich tat es ihm gleich, freute mich über die Symmetrie unserer Körper. Wie tief muss ich gesunken sein, um mich über etwas Derartiges zu freuen? stellte ich missmutig fest und richtete meinen Blick wieder auf die Steinmauer, mein Lächeln verblasste.
„Aber Egon hat mich mal das Gleiche gefragt“, erinnerte ich mich dunkel an den Toten. Isoke runzelte die Stirn und nickte bedächtig, auch er dachte an ihn, an den Freund und Beschützer, den wir beide verloren hatten. „Er war schon lange vor uns bei ihr, und wenn er es nicht wusste, wie sollen wir ihr Geheimnis kennen?“
„Vielleicht hat er gekannt.“
„Er war unser Freund, Isoke! Wenn er etwas gewusst hätte, hätte er uns davon berichtet.“ Ich stöhnte auf und verdrehte die Augen. Es war nicht schwer seine paranoiden Gedankengänge nachzuvollziehen.
„Vielleicht auch nicht.“
„Vielleicht hat er es hier unten auch nicht mehr ausgehalten, es wäre ihm nicht zu verdenken. Auch ich habe schon oft daran gedacht meinen Kopf solange gegen die Wand zu schlagen bis ich diesem Albtraum entkomme, doch bei meinem Glück, werde ich nur bewusstlos und wache auf ihrem Tisch auf.“ Bei dem Gedanken lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und ich fröstelte. Wie schön musste es sein, in einem Tisch nur ein Möbelstück zu sehen und kein Gegenstand der Qual. Weshalb habe ich diesen Luxus nie geschätzt?
„Wir werden leben“, wiederholte ich und sah Isoke fest an. „Hörst du was ich sage? Wir werden leben und irgendwann einen Weg in die Freiheit finden.“ Mein Freund sah mich mit schräg gelegtem Kopf an.
„Ich weiß nicht einmal, ob ich das noch möchte“, hauchte er leise.
„Leben?“, fragte ich verwirrt.
„Nein“, antworte Isoke tonlos und richtete den Blick auf die schwere Eisenluke, „Freiheit.“