Zwei Tage nach der Einweihungsfeier erschien Johanna beim morgendlichen Misten im Stall. Die beiden jungen Männer sahen überrascht von ihrer Arbeit auf, denn eigentlich hatten sie ausgemacht, dass ihre Chefin ihnen nicht mehr zur Hand ging, da sie andere Dinge zu tun hatte.
»Jungs, kommt mal eben her zu mir. Ich muss was mit euch besprechen.«
Die zwei stellten ihre Arbeitsgeräte an die Seite und gingen zu der jungen Frau hinüber.
»Wir müssen heute den kleinen Stalltrakt rechts neben meinem Haus säubern und die Boxen frisch einstreuen. Ich habe gerade einen Anruf von einem weiteren Kunden bekommen, der zwei seiner Pferde hier unterstellen und bereiten lassen möchte. Und da er wohl über Weihnachten und Neujahr in Urlaub fährt, will er die Tiere schon morgen am späten Vormittag bringen.« Sie legte Rye die Hand auf den Arm. »Das bedeutet für dich etwas mehr Arbeit, aber auch mehr Geld. Ich frage mich nur, ob es dir nicht zu viel wird, denn die Pferde von deinem Freund kommen ja auch morgen – wenn auch nur für ein paar Tage.«
Riley schüttelte den Kopf. Für ihn war jedes neue Tier eine willkommene Abwechslung und wenn er dafür noch Extrageld bekommen sollte – umso besser. »Ich krieg das schon hin. Keine Sorge.«
»Und zur Not bin ich ja auch noch da, nich?«, meldete sich Eric zu Wort, nicht ohne einen spöttischen Unterton in der Stimme. »Oder brauchen die Pferde Beritt vom großen Meister Andersson?«
Johanna sah den Blonden einen Moment erstaunt an. »Nein, es ...«
»Gut, dann sollten wir nicht hier rumstehen und quatschen, sondern zusehen, dass wir keine Zeit verlieren, damit die Boxen topp sind«, unterbrach Eric sie.
Er hatte genug gehört und die Arbeit tat sich ja nicht von alleine. So drehte er sich ohne eine Antwort abzuwarten um und verschwand wieder, um weiter zu misten.
Die anderen beiden sahen ihm hinterher.
»Hat er irgendwas? Er ist so komisch! Ist etwas vorgefallen zwischen euch, von dem ich nichts weiß?«, wandte Johanna sich mit leiser Stimme an Riley.
Der schüttelte den Kopf und erwiderte: »Ich weiß es nicht. Zwischen uns ist alles okay. Frag ihn doch am besten selbst.«
»Gut, das werde ich. Aber jetzt sollten wir erst mal sehen, dass wir unseren Job machen. Ich muss in die Stadt, einige Dinge besorgen. Bis später.«
»Bis später.« Rye stand noch einen Moment da, bis die Stalltüre hinter seiner Chefin ins Schloss gefallen war, dann widmete auch er sich wieder seiner Arbeit. Natürlich wusste er, was seinen Kollegen triggerte, aber das sollte der Johanna selbst erzählen … oder auch nicht.
Eric hievte die letzte Schaufel Mist in die Schubkarre und lehnte sich dann einen Moment an die Wand. Augenblicklich schweiften seine Gedanken ab.
Louis hatte sich nach ihrer gemeinsamen Nacht und einem doch etwas peinlichen Frühstück zu Viert, noch nicht wieder bei ihm gemeldet. Und auch wenn er sich nicht mehr als einen One-Night-Stand von dem Ganzen versprochen hatte, so fühlte es sich trotzdem mies an.
Sicher, es waren keine achtundvierzig Stunden her, seit sie sich getrennt hatten, seit Louis mit Lysander nach Hause gefahren war, aber … Eric hatte irgendwie doch zumindest mal eine SMS erwartet. Leise seufzte er. Er hätte es wissen müssen, dass die ganze Sache wirklich nur für eines gut gewesen war: sündigen, heißen Sex … mehr nicht.
»Was grübelst du schon wieder?« Rileys Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Nichts«, brummte der Blonde, schnappte sich die Schubkarre und schob sie in den Gang, um sie auf dem Misthaufen hinter dem Stall zu entleeren.
»Eric!«
Genervt stellte der Angesprochene das Gefährt ab, bevor er sich zu Rye drehte und ihn ansah. »Was?«
»Wenn es dich so sehr nervt, dass er sich nicht meldet, warum rufst du ihn nicht an oder schreibst ihm?«
Eric lachte freudlos auf. »Wer sagt dir kleinem Klugscheißer denn, dass es darum geht? Es dreht sich nicht immer nur alles um Liebe oder die Bumserei. Ich habe wichtigere Sachen im Kopf, okay? Und jetzt lass mich zufrieden.« Mit diesen Worten wandte er sich wieder ab und setzte seinen geplanten Weg fort.
»Gott, was bist du eine verzickte Diva«, brummte Riley genervt. Er konnte nicht verstehen, wo Erics verdammtes Problem lag. Wenn er solche Sehnsucht nach dem anderen Mann hatte oder auch nur klären wollte, wie und ob überhaupt es zwischen ihnen weiter laufen sollte, dann musste er schon ein wenig Eigeninitiative zeigen. Kopfschüttelnd widmete sich Riley wieder seiner Arbeit …
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»Du kannst mich nicht zwingen mitzufahren.« Mit diesen Worten betrat Louis die kleine Küche ihres Wohnhauses, wo Lysander an einem der Küchenschränke lehnte, eine Tasse mit Kaffee in der Hand, und seinen Stallmeister schmunzelnd beobachtete.
»Doch, das kann ich, aber ich hoffe, dass du freiwillig mitkommst. Es sind nur ein paar Tage, dann sind wir wieder zurück.«
»Das ist mir egal. Ich bleibe hier. Fahr alleine nach Frankreich, um deine Geschäfte abzuwickeln«, schnaubte der Dunkelhaarige genervt.
»Und ich sage dir, dass du mitkommen wirst, weil ich dich brauche! Es werden maximal vier Tage sein, die wirst du überleben. Um was geht es hier eigentlich? Warum sträubst du dich so gegen eine kurze Geschäftsreise mit mir? Hm?« Lysander war langsam auch abgenervt. Louis‘ Verhalten seit seiner Nacht mit Eric war … der Vampir fand keine Worte dafür. Der dunkelhaarige Franzose war nur mies gelaunt und zog sich von ihm, Lysander, zurück, wann immer er konnte. So kannte der Vampir seinen langjährigen Gefährten nicht. Der war eigentlich ein Überschwang an guter Laune mit einem Schuss Sarkasmus. Die Tage, an denen Louis schlecht gelaunt gewesen war, die konnte man über die Jahrzehnte, die sie zusammen lebten, an fünf Fingern abzählen.
»Was spielt es für eine Rolle, warum ich nicht mitfahren will? Ich will es einfach nicht und basta!« Der Stallmeister drehte Lys den Rücken zu, stützte sich auf der Arbeitsplatte ab und sah aus dem Fenster.
»Wenn es um Eric geht ...« , begann Lysander, wurde aber von dem Anderen jäh unterbrochen, der herumwirbelte und seinen Chef anfunkelte.
»Übertreib es nicht. Ich will nicht darüber reden, verstanden?!«
»Und ich hab keine Lust mehr, deine Launen auszubaden. Also, wenn es um Eric geht, wenn er so wichtig für dich ist, warum hast du dich dann bisher nicht bei ihm gemeldet? Tut man das nicht, wenn man jemanden vermisst? Ruft ihn an oder simst ihm? Wir leben im Zeitalter des Internets. Du musst keinen Boten mehr schicken, der tagelang unterwegs ist«, der Vampir grinste frech.
Louis Augen funkelten immer noch gefährlich und hatten einen unheilvollen roten Schimmer, als er knurrend einen Schritt auf Lysander zumachte. »Sehr witzig, Lysander, wirklich. Außerdem … woher willst du wissen, dass ich das nicht getan habe? Ihn angerufen oder so?"
»Nun, Riley hat es mir in seiner letzten SMS geschrieben.«
»Riley? Und woher will er das wissen?«
Lysander lachte auf. »Eric ist sein Arbeitskollege? Und der schleicht wohl schlecht gelaunt wie nie durch die Gegend, ähnlich wie du, und Rye meint, das liegt daran, dass du dich nicht meldest. Und auch wenn Riley nichts gesagt hätte, ich brauche dich nur zu beobachten, dann weiß ich, dass es nur das sein kann. Aber was ist das Problem?«
»Das Problem? Das Problem ist, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. Eric ist ein toller Kerl und ich mag ihn wirklich, aber ich bin mir nicht sicher, ob das reicht. Und er hatte gerade eine derbe Enttäuschung. Ich möchte nicht seine nächste sein.« Louis rieb sich über die Augen und seufzte.
»Du weißt, dass ich das sehr gut nachvollziehen kann, aber wäre es dann nicht besser, mitzukommen, um etwas Abstand zu der Sache zu bekommen? Ansonsten kann ich nur sagen: Rede mit ihm. Sag ihm, was in dir vorgeht.«
»So wie du es mit Riley machst, ja?« Louis schnaubte.
Der Vampir verdrehte die Augen. »Ich habe ihm mittlerweile gesagt, dass ich Zweifel hatte. Aber die sind verschwunden. Ich will mit ihm zusammen sein. Also überleg dir, was du willst. Wir bringen morgen gegen Mittag die Pferde zum Visby Stall und anschließend fahren wir nach Frankreich.«
»Ich werde ...«, setzte Louis an, doch Lysander fuhr ihm über den Mund.
»Du, mein Lieber, wirst mitfahren. Du arbeitest für mich und wenn du den Job behalten willst, dann weißt du, was du zu tun hast. Ende der Diskussion!« Mit einem Knall stellte der Vampir seine Tasse auf der Anrichte ab und verließ den Raum.
Louis sah ihm entgeistert nach und versetzte dann dem Küchenstuhl einen Tritt, bevor er sich auf den Weg zum Stall machte, um die Pferde zu versorgen.
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Schnaufend ließ sich Riley auf einen Strohballen fallen und machte die Beine lang. Draußen war es bereits dunkel und der kleine Stall, den Johanna ihnen zu säubern in Auftrag gegeben hatte, war immer noch nicht fertig. Das Gröbste war zwar getan, aber es mussten noch alle Boxen eingestreut werden. Eric hatte sich gegen zehn auf den Markt verzogen und da Rye keine Lust gehabt hatte, alles alleine zu schrubben, hatte er sich erst mal um den Beritt der Pferde gekümmert. Am frühen Nachmittag war schließlich Sarah aufgetaucht, nachdem Johanna sie angerufen hatte, und hatte mit ihm zusammen den Stall gesäubert.
»Gott sei Dank ist das erledigt. Hätte nie gedacht, dass es so viel Arbeit ist. Wie lange steht das Teil schon leer?«
Sarah lehnte sich an eine der Boxentüren und zuckte die Schultern. »Ich glaube fast ein Jahr.«
»Das hat man gemerkt.«
»Ja, aber jetzt ist es ja getan. Noch das Stroh rein und gut«, sie zwinkerte Riley zu, der sich ächzend erhob. Irgendwie war er heute nicht wirklich gut drauf.
Sarah lachte und knuffte ihm in die Seite. »Du wirst alt.«
Schief grinsend brachte er wieder etwas Abstand zwischen sich und die junge Frau. Er wollte ihr keinen Anlass geben, irgendetwas falsch zu verstehen, also machte er auch keinen Blödsinn mit ihr, so wie er es ansonsten bestimmt getan hätte. Sarah auf Distanz zu halten war einfach gesünder. Vor allem für ihn.
Sie hatten gerade die letzte Box fertig eingestreut, als sich die Stalltür knarrend öffnete und Eric sich zu ihnen gesellte.
Anerkennend nickte er. »Wow, das sieht ja richtig nice aus hier. Ich hab versucht, früher vom Markt wegzukommen, aber ihr kennt das ja. Ausgerechnet dann kommen Leute, die sich für die Arbeit interessieren, die man macht. Den ganzen Tag ging das so. Es war wie verhext. Aber ihr zwei habt das ja auch so gut hinbekommen. Neues Dreamteam, hm?«
Für letztere Bemerkung fing er sich einen bösen Blick seines Kollegen ein, was Eric mit einem Schmunzeln abtat. »Gut, dann ist hier alles erledigt?«
Die beiden Anderen nickten synchron und der Blonde fuhr fort: »Perfekt, dann kann ich mich ja verziehen. Füttern schafft ihr wohl auch noch alleine.«
»Klar«, brummte Riley, »aber wenn du noch einen Moment wartest, dann können wir zusammen nach Hause verschwinden.« Er warf Eric einen flehenden Blick zu und der nickte seufzend.
Sarah schnaubte nur leise. Sie wäre lieber weiter mit Rye alleine gewesen, aber sie schluckte den bissigen Kommentar, den sie auf der Zunge hatte, hinunter. Stattdessen setzte sie ihr schönstes Lächeln auf.
»Okay, Jungs, dann lasst uns mal rübergehen.«
Eine halbe Stunde später waren alle Pferde versorgt und die beiden jungen Männer mit ihren Tieren auf dem Weg nach Hause.
»Du wolltest mich tatsächlich mit ihr alleine lassen, oder?«
»Klar! Ich finde es immer lustig, wie du dich windest, damit eben genau das nicht passiert«, lachte Eric und erntete ein unwilliges Schnauben von Riley.
»Das ist gar nicht lustig. Du weißt genau, wie unberechenbar Sarah ist. Mir hat der Nachmittag in ihrer Gesellschaft gereicht, im halbdunklen Stall. Sie fand das wahrscheinlich auch noch romantisch.«
Eric kicherte. »Wahrscheinlich. Aber du hast es ja überlebt. Komm ...« Er trieb sein Pferd in einen leichten Galopp. »Mir ist kalt und ich hab Hunger.«
Seufzend sah Riley ihm einen Moment hinterher, bevor er Braveheart ebenfalls antrieb und Eric folgte.
Am nächsten Morgen widmete sich Rye nach dem Füttern erst einmal Flame, die am Tag zuvor etwas zu kurz gekommen war. Eric, der sich heute auf dem Markt abgemeldet hatte, weil er nicht die ganze Arbeit des Eingewöhnens der neuen Pferde seinem Kollegen überlassen wollte, lehnte auf der Umzäunung des Reitplatzes, wo Riley die kleine Stute bewegte, und beobachtete die beiden.
»Was hat Johanna gesagt? Wer bringt wann welche Pferde?«
Riley hielt Flame neben ihm an. »Beide gegen Mittag. Genaue Uhrzeit weiß ich nicht. Aber wir werden es ja sehen. Wieso? Willst du abtauchen, bevor er kommt?«
»Wenn das so wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier, sondern in Visby auf dem Markt. Eine bessere Möglichkeit, um ihm aus dem Weg zu gehen, hätte es nicht gegeben, oder was meinst du?« Erics sarkastischer Tonfall war nicht zu überhören.
Darauf ging Riley aber gar nicht ein, sondern nickte und erwiderte: »Ja, sicher.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Also willst du mit ihm reden?«
»Wenn es sich ergibt. Ich weiß ja nicht mal, ob er das will.«
»Das siehst du, wenn du es versuchst.«
»Ach wirklich? Du bist unglaublich, Andersson«, schnaubte der Blonde leicht genervt. Auf Klugscheißerei konnte er gerade gar nicht. Er war innerlich so nervös, dass er am liebsten kotzen gegangen wäre. Was erhoffte er sich von der Konfrontation mit Louis? Vielleicht wollte der ja gar nicht mit ihm reden. Vielleicht würde er, Eric, sich ja hier nur zum Affen machen. Er bereute mit jeder verstreichenden Sekunde mehr, dass er nicht auf den Markt gegangen war.
»Vielleicht wäre es doch besser, wenn ich verschwinde. Er hat sich bis jetzt nicht gemeldet, also legt er offensichtlich keinen Wert auf mich. Warum sollte ich ihn ansprechen? Vielleicht ...«
Die Augen verdrehend erwiderte Riley: »Vielleicht, vielleicht, vielleicht … Aber ja, geh … lauf weg vor ihm und heul‘ lieber weiter rum! Eric, tu dir selbst den Gefallen und klär das.«
»Du hast leicht reden«, brummte der Jüngere leise, »Bei dir ist ja alles ...« Mitten im Satz brach er ab, als ein dunkler SUV mit einem Pferdeanhänger im Schlepptau auf den Hof gefahren kam.
Leise seufzend beobachtete Eric, wie der Fahrer auf dem kleinen Platz neben dem Herrenhaus parkte und dann ausstieg.
Erstaunt raunte der Blonde: »Das … ist ja gar nicht Lysander. Das muss dann wohl der andere Typ sein, von dem Johanna geredet hatte.«
Er hörte, wie Riley scharf die Luft einzog und wandte ihm irritiert den Blick zu. Der Dunkelhaarige saß wie erstarrt auf Flames Rücken und war kreidebleich um die Nase.
»Was … was ist denn mit dir?«, fragte Eric leise, aber Riley starrte auf den Fahrer des dunklen Mercedes, der die beiden entdeckt hatte und langsam auf sie zukam.