TOBIAS
Verdammt. Was habe ich da nur getan? Was habe ich mir dabei gedacht? Nichts du Arschloch! Ich knalle meine Hand auf das Lenkrad des geliehenen schwarzen Pick-Ups. So fest, dass es jetzt nicht mehr rund ist. Ich schüttle meinen Kopf in der Hoffnung, die Erinnerung an den perfekten Körper zu vertreiben, doch es gelingt mir nicht. Meine Finger bewegen sich durch meine Haare und ich schließe meine Augen. Hinter meinen Lidern läuft alles noch einmal vor mir ab. Ihr weiche Haut, die ich mit meinen Lippen berührt habe. Mein Schwanz in ihr. Ihr Stöhnen in meinen Ohren. Es macht mich wütend, dass sie geglaubt hat, sie würde sich mit Seth vergnügen. Ich wollte ihr zeigen, wer ich bin. Ich wollte das sie spürt, dass es nicht Seth war. Doch sie hat es nicht gemerkt. Es macht mich wütend, dass sie sich auf ihn eingelassen hätte. Auch, wenn er ich bin. Fuck, ist das kompliziert. Zuerst wollte ich sie gar nicht ficken. Ich wollte nur, dass Seth aufhört. Ich habe gegen ihn angekämpft. So lange, bis ich wieder meinen Körper kontrollieren konnte. Doch dann, dann spürte ich ihren Körper an meinem und ihre Hände in meinen Haaren. Ich hörte ihr Stöhnen, dass mich vollkommen verrückt gemacht hat. Also habe ich Arschloch einfach die Situation ausgenutzt. Ich konnte mich nicht zurückhalten. Doch ich konnte ihr auch nicht in die Augen blicken. Sie hätte es sofort gemerkt. Sie erkennt uns an unserer Augenfarbe. Also habe ich sie hart gefickt. Nicht zärtlich. Nicht sanft. Sondern hart und verzweifelt. Zu lange ist es her, dass ich ihren Körper das letzte Mal auf diese Weise gespürt habe. Zu lange, seit ich diese Lippen geküsst habe und zu lange, seit ich dieses Gefühl in meiner Brust gespürt habe. Ich denke, dass ich sie immer gebraucht habe. Auch, wenn ich es verbockt habe und ein Arschloch bin. Doch was mir Hoffnung gemacht hat, waren ihre Gedanken, die ich so plötzlich sehen konnte. Ich habe von dieser Gabe gehört und ich weiß, dass Seth diese Gabe hat, doch ich hatte sie bis jetzt nicht. Sie hat an mich gedacht. An unser letztes Mal. Der Tag, an dem Alina entstanden ist. Aus Liebe, die ich noch immer auf eine kranke Art und Weise für Marie empfinde.
Ich bin so wütend auf mich. Darum bin ich, so schnell ich konnte ins Bad gelaufen, damit sie nicht meine Augen sieht. Damit sie nicht sieht, wer ich bin. Und jetzt warte ich hier in der Hoffnung, dass ich ihr nichts erklären muss, dass die Situation wieder verkomplizieren würde. Denn ich will so schnell wie möglich diese Sache mit Baal erledigen. Obwohl mir das Töten keinen Spaß macht, ist es manches Mal nicht unausweichlich. Sehr oft, viel zu oft, muss man Opfer bringen. Auch, wenn dieses Opfer bedeutet mit einer Frau abzuhauen, die dich nur benutzt. Beim Gedanken an Savannah rebelliert mein Magen und mein Kopf schmerzt. Sie wollte mich rekrutieren. Wollte, dass ich unschuldige Mischwesen töte. Sie und diese verdammte Organisation der Gefallenen. Sie wollte mich glauben lassen, dass Halbdämonen sich immer dem Bösen zuwenden, doch ich habe zu viele getötet um diese Meinung noch teilen zu können. Denn in ihren Augen war immer diese Angst. Und wenn diese Halbdämonen wirklich dem Bösen zugewandt gewesen wären, dann hätten sie keine Angst gespürt. Denn ein Wesen ohne Seele kann keine Angst verspüren. Ein Wesen ohne Seele kann gar nichts spüren. Also habe ich begonnen nach den Hintergründen zu forschen. Ich habe die Halbdämonen nicht mehr getötet. Habe sie stattdessen in meinen Unterschlupf gebracht, um zu erfahren, warum die Organisation sie auslöschen will. Ich bin nicht stolz darauf, aber manche habe ich so lange gefoltert, bis ihre Worte blutgetränkt über ihre Lippen gekommen sind. Doch alle, wirklich alle, haben den Namen Kain erwähnt. Den Namen meines Bruders. Er soll diese Organisation gegründet haben, um all die Unreinen, so wie sie es nannten, auszulöschen.
Nach diesen Informationen habe ich begonnen, weitere Fragen an Savannah zu stellen. Ich wollte alles darüber wissen. Doch sie ist immer wütender geworden. Ist meinen Fragen ausgewichen! Daraufhin habe ich begonnen die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ich habe mich in den abgegrenzten Bereich einer ihrer Standorte geschlichen. Ich wollte herausfinden, wieso diese Bereiche für uns nicht zugänglich waren. Doch was ich dort gesehen habe, hat mich vollkommen aus der Bahn geworfen. Halbdämonen – Halbengel. Alle hingen sie kopfüber von der Decke. Ihre Körper zu einem Bündel zusammengeschnürt. Silberne Flüssigkeit fiel wie Regen in die Wannen unter ihren Körpern. Diese Flüssigkeit wurde weitergeleitet zu einem riesigen Stahlbehälter und dort haben Menschen in weißen Kitteln begonnen in ihren Glasflaschen etwas von dieser Flüssigkeit abzufüllen. Ich wollte nicht Gefahr laufen, geschnappt zu werden. Also habe ich mich zurückgezogen und einen dieser Menschen in den weißen Kitteln aufgelauert. Ein Mann Mitte vierzig. Ich habe ihn geschnappt und ihn ebenfalls in meinen Unterschlupf gebracht, um die Information zu bekommen, die ich benötigt habe. Doch die Worte, die ich ihm nach zwei abgeschnittenen Fingern entlockt habe, haben mich erstarren lassen. Er konnte mir nur sagen, dass sie versuchen einen Inhaltsstoff zu extrahieren, der die Essenz der Engel und Dämonen enthält. Ich wusste jedoch was diese Essenz wirklich bedeutet. Sie war die Kraft, die diese Mischwesen in sich trugen. Der magische Anteil in ihnen. Ich konnte nichts Weiteres aus ihm herausbekommen, denn er wusste selbst nichts. Er wusste nur, dass er seine Familie ernähren will und so begonnen hat, für die Organisation zu arbeiten. Was er mir hingegen verschwiegen hat, war, dass er sich, nachdem ich ihn freigelassen habe, eine Kugel in seinen Kopf jagen wird. Ich habe seine Worte nicht ernst genommen, als er ständig etwas davon gebrabbelt hat, dass er sowieso sterben wird, sollten sie es rausfinden. Denn er dürfe niemandem etwas davon erzählen.
Für einen Moment verspürte ich Mitleid, bevor ich mich daran erinnerte, dass er sehr wohl wissen musste, dass es nicht in Ordnung war, was er getan hat. Aber ich musste es trotzdem erfahren. Ich musste wissen, für was sie diese Essenz, diese Kräfte benutzen wollen. Also habe ich einer der Wachen aufgelauert. Ich wollte ihn ebenfalls dazu bringen zu reden. Doch ich habe ihn wohl unterschätzt. Denn ich wusste bis dahin nicht, dass es diese Waffe noch immer gibt. Ich habe von Legenden gelesen, in denen davon erzählt wird, doch dann spürte ich sie selbst. Ein Kristall, der uns schwach macht und uns Wesen von innen heraus verbrennt. Dies war auch der Gegenstand, den Marie aus meinem Fleisch entfernt hat. Nachdem ich es trotzdem geschafft habe, die Wache zu töten, konnte ich nur zu ihr. Sie ist die Einzige, der ich vertraue, auch wenn sie mir nicht vertraut. Und dann sah ich in diese Augen von Alina. Ich habe es nicht sofort kapiert, aber nach einem weiteren Blick habe ich es gewusst. Ich habe eine Tochter.
Seit dieser Erkenntnis ist alles anders. Ich muss nicht mehr nur auf mich alleine Acht geben, ich muss auch auf Alina und Marie aufpassen. Also gibt es nichts Wichtigeres, als meine Kräfte gänzlich zu erlangen und diese verdammte Organisation auszuschalten, die auch irgendwann hinter meiner kleinen Tochter her wären. Das werde ich auf keinen Fall zulassen.
Ebenso wie ich nicht zulassen werde, dass die Jäger Alina kriegen. Die Jäger sind fast noch schlimmer, als die Gefallenen. Klar, ich kann sie leichter ausschalten, da es sich dabei um Menschen handelt, aber sie sind überall. Wie kleine Kakerlaken, die sich unter jedem Dielenbrett verstecken. Was sie hingegen gefährlich macht, ist, dass sie eiskalt sind und große Angst davor haben, etwas nicht menschliches weiterleben lassen zu müssen. Sie wollen unsere vollkommene Vernichtung und jedes Opfer ist ihnen dafür recht. Sie schrecken vor nichts zurück.
Bei einem weiteren Blick auf die Uhrzeit werde ich ungeduldig. Ich sagte fünf Minuten und jetzt sind es bereits zehn. Sie weiß, dass ich sie nicht zurücklassen würde, aber sie weiß auch, dass ich wütend werde, wenn sie meine Regeln nicht befolgt. Ungeduldig tippe ich mit meinen Fingern auf das Lenkrad. Ich gebe ihr noch eine Minute. Verdammt. Keine Minute. Wütend steige ich aus dem Wagen und stapfe mit schnellen Schritten zurück zu diesem versifften Motel. Bereits als ich durch dieses Foyer gehe, dass nicht wie eines aussieht, rieche ich etwas Seltsames. Schwefel. All meine Sinne reagieren und stellen sich auf Alarmbereitschaft. Mit schnellen Schritten laufe ich nach oben. Nehme drei Treppen auf einmal, nur um im zweiten Stock die Tür zu unserem Zimmer zu sehen, die einen Spalt weit offen steht. Ich verlangsame meine Schritte um die Situation abwägen zu können. Lausche, ob ich etwas hören kann, dass mich wissen lässt, mit was ich gleich rechnen muss. Meine Sinne sind vollkommen auf den Überlebensmodus geschaltet. Mein Instinkt nimmt jetzt Überhand und ich lasse es zu, denn ich muss Marie retten. Mein Gehör nimmt einen Herzschlag wahr. Aber er ist zu kräftig. Zu ruhig, um der von Marie zu sein. Meine Hand wandert zu dem Messer, dass ich immer an meinem Unterschenkel trage. Eine Klinge, die mit dem Granulat aus dem Stein eines Korund geschliffen wurde. Korund kann die Haut eines Engels oder eines Dämons durchschneiden, aber ihn nicht töten. Will man einen Engel töten, braucht man eben diese Waffe, die auch mich quälen konnte. Die Einzig andere Form einen anderen Engel oder Dämon zu töten, ist, ihm mit einem Korund die Fontanelle zu durchbohren.
Mit meinem Fuß stoße ich die Tür an, die sich daraufhin knarrend öffnet. Mein Blick schweift im Zimmer hin und her, doch ich kann niemanden sehen. Ich höre nur diesen kräftigen Herzschlag. Ich versuche seinen Ursprung auszumachen, doch er ist überall. Verwirrung macht sich in mir breit. Ein Gefühl das ich nicht kenne. Ich mache einen weiteren Schritt in das Zimmer. Panik überkommt mich, beim Gedanken an Marie. Wo ist sie? Was ist mit ihr passiert? Geht es ihr gut?
Diese Gedanken sind es auch, die mich unvorsichtig werden lassen. Ich spüre ein Brennen in meinem Rücken. Etwas, dass sich durch mein Fleisch bohrt. Ein Schlag gegen meine Kniekehle zwingt auf den Boden. Ich will dagegen ankämpfen, aber irgendetwas paralysiert mich. Dann höre ich eine tiefe, vibrierende Stimme, die mir komischerweise bekannt vorkommt. Jedoch weiß ich nicht woher.
„Ruhig mein Junge.“
Obwohl ich mich dagegen wehre, so hat diese Stimme eine Wirkung auf mich. Sie lässt meinen Herzschlag unwillkürlich langsamer werden. So langsam, dass ich bald abdrifte in die Dunkelheit.