Sie lagen noch auf Tonis Bett, bis die Kerze auf dem Nachttisch heruntergebrannt war. Dann standen wie wie auf Kommando gleichzeitig auf. Zum Schlafen war es zu früh und noch rauszugehen wollten sie beide nicht. Also entschieden sie sich dafür, ins Wohnzimmer zu gehen und zu schauen, ob im Fernsehen irgendwo noch ein guter Film lief.
Toni schaltete das Licht an und sah dann Lydia dabei zu, wie sie auch noch die restlichen Kerzen ausblies.
Danach kam sie zu ihm hin und strahlte ihn an. "Das war so eine süße Idee. Danke nochmal." Sie umarmte ihn und küsste ihn einmal liebevoll.
Toni erwiderte den Kuss, aber ihre gute Laune konnte er absolut nicht teilen. Eher im Gegenteil. Der Gedanke, der größte Versager auf der Welt zu sein war wieder da und sorgte für ein dumpfes Gefühl im Magen und dass Lydia das, was vorhin passiert war, so völlig gelassen hinnahm, trug auch absolut nichts dazu bei, dass es besser wurde. Er starrte auf ihren Hinterkopf, während sie vor ihm her über den Flur zum Wohnzimmer ging und fragte sich, wieso sie nicht zumindest ein bisschen enttäuscht war. So, wie sie es vorhin kaum hatte erwartet können, endlich loszulegen, hätte sie es doch eigentlich sein müssen, oder?
Toni fühlte sich plötzlich, als sei er gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen, als ihm klar wurde, dass Lydia deswegen nicht enttäuscht war, weil sie damit gerechnet hatte, dass sowas passierte. Und hätte er sich damals nicht so doof angestellt, als sie ihm unter den Pullover gegriffen hatte, dann hätte sie bestimmt nicht gleich aufgehört und behauptet, er bräuchte noch Zeit. Nein, sie hätte sicher einfach weitergemacht und irgendwann wäre Toni dann auch bereit gewesen, ganz sicher. Er wollte es doch schließlich und sein Körper hatte dem gefälligst nachzukommen!
Er wusste nicht, ob er grade wütender auf Lydia oder auf sich selbst sein sollte, aber er ließ sich natürlich nichts anmerken und nahm sie fest in den Arm, nachdem sie im Fernsehen einen Film gefunden hatten und eng zusammen auf der Couch saßen.
Der Film hatte schon angefangen, was nicht schlimm war, denn sie hatten ihn beide schon einmal gesehen. Eigentlich die Gelegenheit, jetzt ein wenig zu knutschen und rumzumachen. Aber Toni, der sich auf einmal total erschöpft fühlte, hatte gar keine Lust, es zu tun oder überhaupt darüber nachzudenken. Natürlich konnte er jetzt noch weiterhin wütend auf sich selbst oder Lydia oder das Schicksal sein, aber stattdessen versuchte er mit dem Gedanken, dass es heute einfach nicht hatte sein sollen, erneut, das Kapitel für dieses Mal zu schließen und begnügte sich damit, Lydia einfach nur hin und wieder über den Arm zu streicheln.
Auch, als sie sich nachher in seinem Zimmer vor ihm auszog und in den mitgebrachten Pyjama schlüpfte, warf er ihr nur einen kurzen Blick zu, ohne weiter darüber nachzudenken. Als sie nebeneiander in seinem Bett lagen, schlang er den Arm um sie und zog sie fest an sich. Sie seufzte zufrieden und es dauerte nicht lange, bis Toni ihre tiefen gleichmäßigen Atemzüge hörte. Bei ihm selbst dauerte es noch ein wenig, bis er selbst einschlief. Aber nicht, weil er wieder düsteren Gedanken nachhing, denn die hatte er erfolgreich verscheuchen können. Es war einfach nur ungewohnt, mit Lydia in einem Bett zu schlafen.
Auch am Sonntag passierte gar nichts mehr, vorallem deswegen, weil Toni nicht genau wusste, wann Peter und seine Mutter wiederkamen und die Aussicht, von ihnen erwischt zu werden, tötete jegliches eventuell vorhandenes Verlangen in ihm ab. Auch Lydia machte keine Anstalten, es noch einmal zu versuchen und so frühstückten sie nur zusammen und dann ging sie.
In weiser Voraussicht hatte Toni keinen von seinen Freunden in das, was an dem Wochenende eigentlich hätte passieren sollen, eingeweiht, sodass auch niemand irgendwelche Witzchen über ihn reißen konnte. Sein Ego war definitiv schon genug angeschlagen, um diesmal dadrüber zu stehen. Dann schon lieber die Jungfrauen-Späßchen.
Sein erstes Mal mit Lydia war natürlich nur aufgeschoben und nicht aufgehoben und Toni hätte es am liebsten eher heute als morgen noch einmal probiert, aber Lydia schrieb in dieser Woche zwei Klausuren und musste nach der Arbeit noch lernen, wofür Toni natürlich vollstes Verständnis hatte. Und außerdem wollte er ja nicht, dass es mal eben so nebenbei passierte und eine Gelegenheit wie letztes Wochenende würde es erst einmal nicht mehr geben.
Nicht nur, dass er die Wohnung überhaupt selten länger für sich alleine hatte, sondern auch, weil er eine Kerze beim Aufräumen übersehen hatte, die Peter aber selbstverständlich sofort aufgefallen war. Zuerst war Toni starr vor Schreck gewesen und hatte sich auf eine Menge peinlicher Fragen eingestellt, aber stattdessen regte sich Peter nur darüber auf, dass er überhaupt Kerzen angezündet hatte, das Warum war ihm dabei völlig egal. Als er dann in seiner oberlehrerhaften Art erklärte, dass er nicht wollte, dass Toni ,mit Feuer spielte' brachte er ihn mit dieser Formulierung vollends auf die Palme und sie hatten einen heftigen Streit.
Und seine Mutter stellte auch keine Frage nach dem Warum, weil sie viel zu sehr damit beschäftigt war, zwischen ihnen zu vermitteln. Das Ganze endete schließlich damit, dass Toni in sein Zimmer ging und die Tür zuknallte.
Damit war sein Schicksal dann natürlich besiegelt, vermutlich würde Peter in seiner Paranoia am Wochenende nie mehr weggehen sondern die ganze Zeit auf der Couch hocken und aufpassen, dass Toni nicht die Wohnung zerstörte.
Und er wollte auch nicht Lydia fragen, wann denn bei ihnen mal keiner zuhause war, denn er fand, dass es ganz alleine seine Sache war, sich darum zu kümmern, dass sie einen geeigneten Ort fanden.
Er rief bei einigen Hotels an und erkundigte sich, ob er ein Zimmer buchen konnte, auch, wenn er noch nicht achtzehn war, aber immer bekam er die Antwort, dass er zwar das Zimmer buchen, das Hotel aber dann die Kontaktdaten von seinen Erziehugsberechtigten haben wollte, falls etwas schief ging. Das Risiko war Toni viel zu hoch, weswegen diese Lösung schon einmal wegfiel. Die ganze Sache nach draußen zu verlegen war auch keine gute Idee, das Wetter war viel zu unbeständig und es wurde auch immer kälter.
Das Ende der Woche nahte und Toni spürte ziemlichen Druck, da ihm immer noch nichts eingefallen war. Max hätte sicher eine Idee gehabt, aber nie im Leben hätte Toni ihn oder irgendjemand anderen danach gefragt.
"Jungs, wenn ihr am Wochenende was geplant habt, dann sagt das jetzt sofort ab!" brüllte Marc schon von Weitem, als er am Freitagmorgen kurz vor Unterrichtsbeginn auf Toni und die anderen zukam, die vorher schweigend auf dem Schulhof zusammengestanden hatten.
Marc klatschte einmal strahlend in die Hände, als er bei ihnen angekommen war. "Linus macht am Samstag 'ne fette Party in seinem riesigen Haus und die ganze Stufe ist eingeladen!"
Damit hatte er sie alle aus dem Zustand der Dösigkeit gerissen, in der sie sich vor seiner Ankunft befunden hatten. "Alter!" rief Max und hieb Marc begeistert auf die Schulter. "Das ist doch mal ne geile Ansage! Linus macht eindeutig die genialsten Parties, da ist immer nur die Oberklasse am Start." Er leckte sich die Lippen und Toni konnte sich lebhaft vorstellen was er grade vor seinem inneren Auge sah: ein Haufen halbnacker Mädels die auf dem Tisch tanzten.
Er musste grinsen, aber Marc riss ihn sofort wieder aus seinen Gedanken, als er mit dem Finger auf ihn zeigte und ernst sagte: "Und du, mein Freund, packst gefälligst das Grüblergesicht weg, schnappst dir deine kleine Freundin und dann kommt ihr auch! Ihr habt euch lange genug verkrochen und Pärchen gespielt! Es wird Zeit, mal wieder das Leben zu genießen!"
Toni hob beide Hände. "Ja Meister, Ihr habt mich überzeugt. Ich werde kommen und ich werde Lydia mitbringen," scherzte er, obwohl er eigentlich keine Lust auf eine Party hatte. Er wollte endlich seinen Plan in die Tat umsetzen.
Er nahm an, dass Lydia das auch wollte, sie hatte sich sicherlich schon gedacht, was Toni für dieses Wochenende geplant hatte aber als er ihr abends am Telefon von der Party erzählte, war sie sofort Feuer und Flamme. "Au ja!" rief sie begeistert. "Das ist nach der ganzen Lernerei genau das, was ich jetzt brauche! Um wieviel Uhr sollen wir da sein? Holst du mich ab?"
Den erneuten Schlag in die Magengrube versuchte Toni zu ignorierenm genau wie den Wunsch, sich selbst zu ohrfeigen, dass er ihr überhaupt von der Party erzählt hatte. Aber jetzt war zu spät, so begeistert wie Lydia gewesen war, konnte er ihr ja auch kaum sagen, dass er eigentlich keine Lust hatte, hinzugehen. Also ließ er sich nichts anmerken, als sie eine Zeit ausmachten und entschieden, dass Toni Lydia abholte.
Nachdem das Gespräch beendet war, saß Toni eine ganze Weile auf dem Schreibtischstuhl und starrte vor sich hin. Er versuchte sich damit zu beruhigen, dass das Wochenende ja nicht nur aus Samstag bestand und vielleicht würde sich durch die Party ja am Sonntag irgendeine Gelegenheit ergeben. Obwohl er sich einzureden versuchte, dass alles in Ordnung war, hatte er das Gefühl, als würde ihm etwas durch die Finger gleiten. Er hob den Kopf und sah zum obersten Fach seines Bücherregals. Natürlich waren die negativen Energien dieses verfluchten Buches der Grund, wieso er dachte, es wäre jetzt alles verloren. Er ballte die Faust. Jetzt würde er das verdammte Ding wirklich wegschmeißen! Er stand auf und zog es aus dem Regal.
Ohne ihm noch einen Blick zuzuwerfen ging er in den Flur, schlüpfte in die erstbesten Schuhe, nahm seinen Schlüssel und stieg die Treppe hinunter. Unten warf er das Buch in die Altpapiertonne und knallte den Deckel zu. Dann schnaufte er einmal zufrieden. Dieser Schritt war schon lange fällig gewesen. Und dieses Wochenende würde er den nächsten schon längt fälligen gehen.
Pfeifend stieg er die Treppe wieder hoch.
Wenn Linus, der absolute Partykönig des Gymnasiums, die ganze Stufe einlud, dann kam auch die ganze Stufe und als Toni und Lydia eine halbe Stunde nachdem es offiziell angefangen hatte, eintrafen, platzte das Haus bereits aus allen Nähten und die Musik war schon von Weitem zu hören. Freudig griff Lydia nach Tonis Hand. "Das wird super!" rief sie, beschleunigte ihren Schritt und zog Toni hinter sich her.
Der hatte immer noch keine Lust auf Party und war froh, als er im Gewimmel Max gefunden hatte. Er stand an der Bar im Wohnzimmer und redete auf ein Toni unbekanntes Mädchen ein, während Sarah neben ihm nicht sehr begeistert aussah.
Toni klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter, während Lydia ihn kurz umarmte und dann Toni ins Ohr schrie: "Da drüben sind Lena und Kerstin, ich werd sie mal eben begrüßen."
Toni sah ihr dabei zu, wie sie sich durch die Menge zu den Mädchen aus ihrer Berufsschule drängelte.
Er spürte eine Berührung am Arm und als er den Kopf hob stand Jonas aus seiner Klasse vor ihm. "Willste n Bier?" brüllte er und Toni nickte.
Mit der Flasche in der Hand lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Theke und ließ seinen Blick schweifen. Er sah einige bekannte Gesichter, aber niemanden, mit dem er sich unterhalten wollte und auf Tanzen hatte er auch keine Lust.
Dann machte sein Herz einen heftigen Sprung und ihm wäre fast die Flasche aus der Hand gefallen, als er in einer Ecke Oliver entdeckte. Er hatte den Arm um ein Mädchen gelegt, von dem Toni nicht mehr wusste, ob es Tatjana war, und war in eine lebhafte Unterhaltung mit den Leuten um ihn herum vertieft.
Tonis Blick saugte sich an ihm fest und wie immer, wenn er ihn sah, hörte der Rest der Welt um ihn herum auf zu existieren. Bis Max ihn heftig anstieß, weil es eine Runde Schnaps gab. Toni stürzte sein Pinnchen runter und bat Jonas dann gleich um eine neue Flasche Bier. So ging es die nächste Zeit weiter, Bier und Schnaps wechselten sich ab, während Toni seine Augen nicht von Oliver abwenden konnte. Und je beduselter er sich fühlte, desto weniger hatte er seine Gedanken unter Kontrolle. Schon allein die Vorstellung, einfach zu Oliver rüber zu gehen und ihn zu küssen jagte Toni einen heißen Schauer über den Rücken.
Seine freie Hand krampfte sich um den Rand der Theke während er die Fantasie weiterspann, denn natürlich würde es nicht beim Küssen bleiben, er würde Oliver ausziehen und überall anfassen und streicheln. Und dann hätten sie Sex, wie die Kerle in den nich jugendfreien Filmen und es wäre einfach nur geil.
Toni war inzwischen innerlich so angespannt, dass er am liebsten wirklich zu Oliver rübergegangen und seine Fantasie in die Tat umgesetzt hatte. Aber sein Verstand arbeitet noch soweit, dass er wusste, dass das völlig unmöglich war. Aber er konnte diese Energie für etwas anderes, für etwas Besseres nutzen.
Er stieß sich von der Theke ab und ging mit schnellem Schritt zu Lydia rüber, die immer noch bei ihren Mitschülerinnen stand. Er griff sie sanft am Arm und sagte dicht an ihrem Ohr: "Kannst du mal mitkommen? Es ist wichtig!"
Das Haus war groß, igendwo würde sich sicher noch ein freies Zimmer finden. Lydia folgte ihm bereitwillig ohne Fragen zu stellen, als Toni die Treppe zum ersten Stock hochstieg. Da war es allerdings ziemlich voll, auf dem Flur standen lauter Leute, ein paar Zimmertüren waren geöffnet und es brannte überall Licht. Toni hatte inzwischen alle Gedanken an einen romantischen Ort über Bord geworfen, aber vor den ganzen Leuten Hand in Hand mit Lydia über den Flur zu gehen und nach einem freien Zimmer zu suchen ging absolut nicht.
Also stiegen sie die nächste Treppe hoch und hier war anscheinend gar keiner, denn es war alles dunkel. Sie öffneten die erstbeste Tür, es war ein kleines Zimmer, aber es stand ein Bett darin und im Schloß steckte ein Schlüssel und mehr brauchten sie ja gar nicht. Sie schloßen die Tür ab, Lydia warf ihre Umhängetasche in die Ecke und dann rissen sie sich die Klamotten vom Leib. Toni versuchte gar nicht mehr, nicht an Oliver zu denken. Wenn es nur so funktionierte, dann war das eben so. Also zog er Oliver aus anstatt Lydia, küsste ihn anstatt sie heftig und überall und hatte anschließend Sex mit ihm und nicht mit ihr. Das Einzige, was zählte war, dass er es endlich geschafft hatte.
Nachher lagen sie schweratmend nebeneinander auf dem Bett, das wer weiß wem gehörte, in der Dunkelheit. Irgendwann seufzte Lydia einmal tief. "Okay, das war jetzt nicht so, wie ichs erwartet hatte, aber es auf ner Party in nem fremden Bett zu tun war irgendwie heiß!"
"Ja, find ich auch," erwiderte Toni und legte den Arm um sie, als sie sich an seine Brust kuschelte. "Und es endlich mit dir zu tun war besonders heiß," flüsterte Lydia.
"Ja, das war alles total heiß," erwiderte Toni und grinste breit.