Kapitel 13
Abschiede sind nie endgültig
Die Fahrt zur Villa in Köln neigte sich ihrem Ende zu, als ich endlich wieder begann, meine nähere Umgebung wahrzunehmen. Mir fiel auf, dass der Wagen getönte Scheiben hatte und sich in dem kleinen Fach in der Tür eine gekühlte Flasche Wasser sowie eine gekühlte Flasche Sekt befanden. Der Fahrer hielt seinen Blick konzentriert auf die Straße gerichtet und sah nicht einmal in den Rückspiegel. Ich fühlte mich wie ein It-Girl, das in seiner eigenen Limousine zum roten Teppich gefahren wurde.
Ein It-Girl in schmuddeligen alten Jeans und einem ausgewaschenen T-Shirt. Ich wünschte, mein Auftritt in der Villa wäre etwas glamouröser. Doch eine Sekunde später verfluchte ich mich selbst für diesen Gedanken, denn glamouröser ging es kaum. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber dies irgendwie nicht. Ich hatte idiotischerweise geglaubt, mich still und heimlich durch den Hintereingang hinein schleichen zu können. Falsch!
Wir hielten vor einem großen schmiedeeisernen Tor, vor dem drei Dutzend kreischende Teenies mit Schildern und Stühlen kampierten. Große Männer mit ausdruckslosen Gesichtern schoben sie ungerührt zur Seite, sodass wir das Tor passieren konnten, das sich – kaum hielten wir im Innenhof – schnell wieder hinter uns schloss. Ich kam nicht dazu, meine Hand auf den Türgriff zu legen, da wurde die Autotür schon von einem der Security-Männer geöffnet. Ich dankte ihm unsicher, ehe ich auf sein Kopfnicken hin aus dem Wagen stieg.
Meine Koffer wurden bereits ins Haus gebracht und ich wunderte mich, dass keiner der Kandidaten den Tumult vor der Haustür zu bemerken schien. Wahrscheinlich lag das daran, dass alle noch so sehr damit beschäftigt waren, ihre Koffer auszupacken. Nur Sherry wartete bereits breit grinsend in der Tür auf mich.
Die Fans in meinem Rücken schrien meinen Namen, während mich der Security-Mann, der mir aus dem Auto geholfen hatte, zur Villa bugsierte. Es war, als wäre ich in einen meiner jahrelangen Träume gefallen. Ich nahm einfach alles wahr. Das Gefühl des Pflasters unter den Sohlen meiner alten Chucks. Den Druck der Finger des Mannes um meinen Arm. Die warmen Strahlen der untergehenden Sonne auf meinem Haar. Das Stimmengewirr im Haus. Sherrys tränenreiches Lächeln. Das Blut in meinen Adern. Das Herz in meiner Brust. Meinen stockender Atem. Ich war am Leben. So fühlte sich das also an! Der Augenblick war so glorreich und schön, dass ich hätte weinen mögen.
Als Sherry mich in der Villa in Empfang nahm und die Tür geräuschvoll und endgültig hinter uns ins Schloss fiel, konnte ich nur staunen. Die Eingangshalle war riesengroß. Von ihr gingen sechs Türen ab. Und eine breite Treppe führte ins Obergeschoss. Beleuchtet wurde die Halle durch einen großen Kronleuchter, der mich fühlen ließ wie die verlorene Prinzessin in einem Märchen. Nur ohne den Prinzen.
Sherrys warmer Atem befeuchtete mein Haar, als sie mich umarmte und sagte: „Ich bin so froh, dass du da bist.“
„Sherry! Du musst mir alles zeigen!“, sagte ich aufgeregt und mit leuchtenden Augen. „Ich kann nicht fassen, dass du all das freiwillig hinter dir lassen kannst.“
Sie schüttelte nur traurig mit dem Kopf. „Und ich hoffe für dich, dass du das auch niemals verstehen wirst. Herumführen lassen wirst du dich von jemand anderem müssen, denn ich nehme den Wagen, mit dem du gekommen bist, um nach Hause zu fahren.“
Mir erstarb das Lächeln auf dem Gesicht. „Das geht zu schnell, Sherry. Hast du dich von den anderen verabschiedet? Haben sie keine Fragen gestellt, wer nachrücken wird?“
Wieder schüttelte sie nur langsam den Kopf. „In dieser Welt gibt es keine Zeit, das weißt du so gut wie ich. Und die anderen wissen gar nichts. Ich bringe es nicht fertig, ihnen Lebewohl zu sagen, denn genau wie du, wird keiner von ihnen mich verstehen. Was ja gut für euch ist. Ich bin müde, Fay. Müde, mich immer wieder erklären und rechtfertigen und verbiegen zu müssen. Ich will heim. Und ich bin so unendlich froh, dass ich endlich heim darf.“
Ich drückte sie noch einmal ganz fest an mich und fasste in diesen Sekunden einen Entschluss, der bis Samstag mein Geheimnis bleiben würde. „Ich weiß, du hast es für dich selbst getan, lass mich dir trotzdem danken, Sherry. Ich werde mein Bestes geben. Was hättest du Samstag eigentlich gesungen?“
„Keep holding on von Avril Lavigne. Dabei musste ich immer an dich denken, Fay! Und als ich halbherzig zu üben begonnen habe, als mein Entschluss noch nicht so richtig feststand, habe ich dich dabei vor mir gesehen und dir ganz viel Kraft geschickt.“
Ich war mir sicher, dass sie mir das Leben gerettet hatte, sonst wäre ich vielleicht an meinem Schmerz zugrunde gegangen. Sie löste sich von mir und hielt mich in einigem Abstand zu sich fest, dann sah sie mir fest in die Augen. „Fay, bitte rede mit Sascha. Nutze deine Chance und folge deinem Herzen. Ich bin mir sicher, dafür bist du hier. Alles hat seinen Sinn. Du musst deinen Mut zusammennehmen!“
Diese Worte und mein Versprechen, welches ich ihr daraufhin gab, klangen mir auch dann noch in den Ohren, als ich allein und mit wackligen Beinen die Stufen zum Obergeschoss erklomm. Ich überlegte, wem ich als erstes begegnen würde und ob es eine Rolle spielte. Da ich ein Mensch der Symbole und Zeichen war, tat es dies für mich natürlich, obwohl alles reiner Zufall gewesen sein könnte. Und es war auch etwas zwiegespalten.
Ich klopfte nicht an die erste Tür, an der ich vorbei kam, sondern trat durch die nächste, die weit offen stand. Dort begrüßte mich fröhliches Chaos und der Anblick zweier Männer, die mein Herz zwar auf unterschiedliche Weise aber doch gleichermaßen schneller schlagen ließen.
Damien stand, den Rücken zu mir gewandt vor seinem Bett, und packte gemächlich seinen Koffer aus. Sascha saß mit seiner Gitarre auf einem der Betten und starrte mich mit weit offenem Mund an, als wäre ich ein Geist.
Ich wusste beim besten Willen nicht, was zu sagen war und war froh, als Damien mir diese Bürde abnahm, nachdem ihm Saschas entgeisterter Gesichtsausdruck auffiel. „Gott, Sascha! Lass diesen blöden Gesichtsausdruck nur nicht deine Fans sehen.“
Er klang ungewohnt spröde und freudlos. Das schnürte mir die Kehle zu. Sascha achtete auf keinen von uns, lachte erfreut auf, legte seine Gitarre beiseite und schob sich an Damien vorbei, um mich fest in den Arm zu nehmen.
Der Alptraum in meinem Kopf verschwand. In Wirklichkeit war ich nie weggewesen. Ich hatte nur lange geschlafen. Jetzt fühlte es sich wieder richtig an. Es war das erste Mal, dass er mich umarmte. Ich meine, so richtig. Ich spürte seine warme Herzlichkeit, die mir schon von Anfang an aufgefallen ist. Von diesem Tag an konnte ich das Gefühl nicht mehr vergessen, wie es war, in seinen Armen zu sein. Geborgen zu sein.
Damien:
Ich wusste nicht, dass man so viel auf einmal fühlen kann, obwohl ich es längst hätte wissen müssen. Sie brachte mir von einer Sekunde auf die andere Himmel und Hölle zurück. Ich war so glücklich, dass sie wieder hier war, wo sie hingehörte, obwohl ich noch nicht einmal den Grund dafür kannte. Obwohl ich sie noch nicht einmal richtig begrüßen konnte, weil sie in Saschas Armen lag und ich das erste Mal spürte, dass auch er große Zuneigung zu ihr empfand. Wie sollte er auch nicht, schließlich konnte ich nicht der einzige sein, der ihr Licht bemerkte.
Trotzdem stand ich wie ein Idiot mitten im Zimmer, eine meiner Hosen noch sinnlos in der Hand, und starrte auf die Umrisse der beiden, die zu einem Ganzen verschmolzen waren. Es schien Ewigkeiten zu dauern, ehe er sie endlich wieder freigab und in ihren Augen explodierten kleine Sterne. Sie hatte nur Augen für ihn, während er mit ihr sprach. Ich hätte gern daran geglaubt, dass das nur daran lag, weil sie ein Mensch war, der sich voll und ganz auf sein Gegenüber konzentrierte. „Ich fasse es nicht. Was machst du denn hier, Mensch? Wieder von den Toten auferstanden?“
„Genauso würde ich es auch bezeichnen.“ Sie nickte strahlend, dann erzählte sie uns die ganze Geschichte. Es dauerte nicht lange, da zog der Tumult in unserem Zimmer auch die anderen Kandidaten an, sodass sie immer wieder abbrechen und von vorn beginnen musste.
Als ich es mir zum dritten Mal anhören sollte, schlich ich mich an der glückseligen Nici vorbei aus dem Zimmer, um wieder zu mir zu kommen. Ich hatte mir die Situation in meinen Tagträumen eintausendmal ausgemalt, aber jetzt fühlte es sich ganz anders an. Ich war mir unsicher, obwohl ich mich freuen sollte. Denn mir war klar, dass meine seelische Tortur in den nächsten Tagen und Wochen noch schlimmer werden würde, wenn Fay sich erst einmal Saschas Zuneigung zu ihr bewusst wurde.
Ich ging durch den kleinen Partyraum im Keller, der heute sicher noch Verwendung finden würde, hinaus durch die Hintertür zum parkähnlichen Garten der Villa, dessen Herzstück ein See war, den man von jedem Zimmer aus sehen konnte. Er war in das rote Licht der untergehenden Sonne getaucht und ich stellte mir vor wie Fay sich freuen würde, wenn sie ihn sähe, da ich wusste, wie sehr sie das Wasser liebte. Sie hatte mir oft von dem kleinen Teich aus ihrem Dorf erzählt, zu dem sie jedes Mal gegangen war, wenn sie etwas bedrückt hatte oder einfach nur, um zur Ruhe zu kommen und nachzudenken. So wie ich jetzt auch.
Die Stille hier draußen bildete einen krassen Kontrast zu dem Trubel im Haus. Ich konzentrierte mich so fest darauf und war so sehr in meine Gedanken vertieft, dass ich nicht einmal bemerkte, wie sie an meine Seite trat, bis sie zu sprechen begann: „Soll ich erraten, was du denkst, Damien?“
Ich schrak zusammen und wandte mich ihr zu. In ihrem Gesicht standen tausend Sorgen, was mir leid tat. Sie sollte sich freuen! Ich wusste, was sie dachte. Sie dachte, ich freute mich nicht, sie wieder hier zu haben. Wie hätte ich ihr nur sagen können, dass ich mich schlecht fühlte, weil ich mich zu sehr freute? „Ich schnappe nur etwas frische Luft und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Außerdem warst du umringt von Leuten. Ich wollte dir etwas Zeit geben, bis sich der Tumult etwas gelegt hat.“
Zeit wofür, eigentlich? Gott sei Dank fragte sie nicht, sondern lächelte nur. Ich versuchte, es ihr nachzumachen. „Ja, ich habe mich vermutlich ebenso heimlich davon gemacht wie du.“
Jetzt musste ich wirklich lachen. „Du bist Grund und Hauptperson des Tumults. Wie ist dir das denn gelungen?“
Sie zuckte lachend die Achseln. „Vermutlich haben sie mich im allgemeinen Chaos einfach aus den Augen verloren. Sie redeten jedenfalls munter weiter, als ich längst auf dem Weg nach unten in die Halle war.“
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendjemand dein Fehlen nicht bemerken könnte. Fay, wir haben dich alle schrecklich vermisst.“
Ihre Wangen färbten sich rot vor Freude und wie immer, wenn sie verlegen war, vermied sie es tunlichst, mir in die Augen zu sehen und murmelte nur: „Das hätte ich nie für möglich gehalten.“
„Was?“, hakte ich nach. Nun sah sie mich wieder an und ihre Augen strahlten als sie die Hände ausbreitete. „Das alles! Dass mich jemand so sehr vermissen würde. Dass mich Fremde so sehr vermissen würden, die eigentlich keine Fremden mehr sind. Dass ich so gute Freunde finden würde. Alles ist so… einfach! Das Leben kann so unglaublich schön sein. Und glaub mir, ich werde dafür sorgen, dass es so bleibt. Ich habe gesehen, wie es mir ohne all das hier gehen würde.“
Ich lächelte und der Schmerz in meiner Brust verschwand. Ich war glücklich, wenn sie es auch war. „Das will ich hoffen, denn wir wollen dich nicht noch einmal verlieren.“
Sie scharrte zögerlich mit den Füßen und sah dann unsicher zu mir auf. „Also ist alles okay?“
„Es ist alles okay.“
„Wir haben uns nämlich noch gar nicht richtig begrüßt.“ Sie trat einen Schritt auf mich zu, um mich zu umarmen, doch ich umfasste ihr Gesicht und senkte meine Lippen auf die ihren. Ich hatte mich zu lange beherrscht, zu lange von ihr ferngehalten. Und ich ließ ihr die Wahl, den Kuss zu beenden. Was sie nicht tat.
Wie konnte jemand so küssen und dabei nicht mehr als Freundschaft empfinden? Wie konnte jemand so küssen und dabei mehr für einen Anderen fühlen? Aber all das war egal, solange es andauerte. Die Luft wurde kühler, weil die Sonne fast gänzlich untergegangen war und der Kuss blieb lang und sanft wie der Sonnenuntergang selbst. Vielleicht war sie dieses Mal kurz davor, es zu begreifen. Vielleicht hätte dieses Mal Alles daraus werden können, doch wir wurden unsanft unterbrochen als die Hintertür aufflog und die anderen mit lautem Getöse zu uns heraus traten.
„Fay, ich hab gesehen, dass du raus…“ Alina unterbrach sich, während wir uns benommen von einander lösten und sie irritiert ansahen. Ich spürte Fays Anspannung, als sie zu Sascha sah, der nur belustigt grinste. Sie war so leicht zu durchschauen.
Fay:
Was für eine Blamage! Da war ich kaum eine halbe Stunde wieder da und knutschte schon mit genau dem Mann, von dem ich vor aller Welt felsenfest behauptete, dass er nur ein Freund für mich war. Es war einer dieser Momente, in denen sich die Wahrheit so fadenscheinig anfühlte wie eine Lüge.
Nicolás applaudierte und fragte dann feierlich: „Sagt mal, was ist das denn hier?“
Darauf wusste ich nun wirklich keine Antwort. Mir wurde das erste Mal wirklich bewusst, dass wir uns bereits zum dritten Mal geküsst hatten. Warum taten wir das eigentlich? Ich war mir ganz sicher, in Sascha verliebt zu sein, konnte zu Damien aber nicht Nein sagen, weshalb ich mir die Frage zu stellen begann, was ich für ein Mensch war.
Gott sei Dank fiel Damien eine passende Erwiderung ein, die jedoch nicht die Frage beantwortete, die wir uns alle zu stellen schienen: „Manchmal überwältigt mich mein spanisches Temperament. Entschuldige Fay.“
Er grinste unbekümmert zu mir herunter, es wirkte harmlos und normal für die Anderen. Doch ich konnte das beängstigende Feuer in seinen Augen sehen, welches meinen Magen in Aufruhr versetzt hatte. Hilfesuchend sah ich zu Nici, doch die mied verlegen meinen Blick. Marc und Victoria tauschten vielsagende Blicke, genauso wie Lena und Sandro, die ich nur vom Sehen her kannte. Nur Sascha schien sich nicht das Geringste dabei zu denken. Ich atmete auf, als Alina wieder das Wort ergriff. „Eigentlich waren wir auf der Suche nach dir, Fay, weil wir uns überlegt haben, eine kleine Willkommenparty im Keller für dich zu veranstalten.“
Ich blinzelte irritiert. „Im Keller?“
Endlich sah Nici mich wieder an, als sie erklärend hinzufügte: „Da ist ein kleiner Partyraum. Es wird Zeit, dass dich endlich jemand herumführt, damit du alles kennenlernst.“
Nicolás brachte die Verlegenheit wie immer gekonnt in die Szenerie zurück, als er sagte: „Das macht am besten Damien. Wir bereiten derweil alles vor.“
Damit ließen sie uns stehen und wir wussten nicht, wie wir der Situation die Schwere nehmen sollten. Ich spürte nur mit Bedauern und Klarheit, dass wir uns wohl nie wieder küssen würden, als er schließlich sagte: „Tut mir ehrlich leid, Fay.“
Ich sagte nichts und folgte ihm ins Haus, während ich mich fieberhaft fragte, warum es mir nicht leid tat.
Die Eindrücke der riesigen hellen Küche, des angrenzenden Esszimmers mit Kamin, dem gemütlichen Aufenthaltsraum, der vier Badezimmer und unseren Räumlichkeiten wirkten noch massivst auf mich ein, als ich den Partyraum betrat.
Sie hatten in den zwanzig Minuten, in denen Damien mir wortkarg die Villa gezeigt hatte, ein kleines Wunder vollbracht. Auf einem langen Tisch standen Gläser und Sektflaschen sowie Teller mit Schnittchen und Knabberzeug. Die Musik dröhnte schon eifrig aus den Boxen, die in jeder Ecke angebracht waren. Beleuchtet wurde der Raum von bunten Discostrahlern. Es gab sogar eine Bar, hinter der ein großes Regal mit allen möglichen Spirituosen hing. Daneben stand ein kleiner Kühlschrank, randvoll mit Erfrischungen. Ich fragte mich, wie es ausgehen würde, wenn wir jeden Abend unsere private Disco so nah hatten und musste grinsen. Dann wurde mir bewusst, dass dieser ganze Zirkus nur für mich veranstaltet wurde. Ich musste mir Tränen der Rührung verkneifen. Alles in mir war ein einziges Chaos, sodass ich beschloss, dass es wirklich an der Zeit für mich war, einen kleinen Drink zu mir zu nehmen.
Ich gesellte mich zu Nici, die wartend mit zwei gefüllten Sektgläsern am Tresen lehnte und zu mir herüber sah. Ich nahm einen großen Schluck, ehe ich zu sprechen begann. „Du fragst dich jetzt sicher, was draußen passiert ist.“
„Ich glaube, ich bin alt genug, das zu wissen.“, gab sie lachend zurück. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Das meine ich aber nicht. Ich meine, warum.“
„Du musst mir nichts erklären, Fay.“
„Doch!“, widersprach ich heftig. „Du bist meine beste Freundin. Und ich versteh es ja selbst nicht.“
Für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass sie etwas sagen wollte, doch sie überlegte es sich anscheinend anders, als Sascha sich zu uns gesellte. „Oder ist das hier grade eines dieser Frauengespräche? Dann suche ich lieber das Weite.“
Ich lachte und sagte fast automatisch: „Nein, bleib ruhig.“
Er grinste und nahm sich ein Bier hinter der Theke hervor. Ich war mir ganz sicher, dass er irgendeine Anspielung zu dem Kuss machen würde, doch er überraschte mich. „Also wie fühlt es sich an, wieder hier zu sein?“
Ich suchte in seinen Zügen nach einem Zeichen des Argwohns, doch ich fand nichts weiter als ehrliches Interesse. Ich atmete erleichtert auf und wandte mich ihm zu. „Ich kann es nicht beschreiben. Ich meine, eben war ich noch zu hause, obwohl es sich so anfühlt, als wäre ich nie weg gewesen.“
„Das warst du auch nicht wirklich.“, sagte er und sah mich an. „Alle haben ständig von dir gesprochen. Und wenn das nicht der Fall gewesen ist, dann haben wir an dich gedacht und daran, dass du eigentlich hierher zu uns gehörst. Wir alle mochten Sherry, aber irgendwie fühlt es sich jetzt erst komplett an.“
Ich merkte, wie mir die Hitze in die Wangen fuhr und suchte fieberhaft nach einer passenden Antwort auf diesen emotionalen Monolog, doch mir wollte partout nichts einfallen. Ich sah hilfesuchend zu der Stelle, an der Nici gestanden hatte, doch bemerkte panisch, dass sie nicht mehr da war. Alle tanzten wild zu der lauten Musik. Ich war haltlos mit der Situation überfordert, denn ich war das erste Mal mit ihm allein, obwohl wir ja gar nicht richtig allein waren. Mir fiel unsere Begegnung im Aufzug wieder ein und dann der Grund für mein Ausscheiden und meine Wangen brannten noch mehr. Ob er mich für eine komplette Idiotin hielt, die nicht einmal geradeaus auf Schuhen laufen konnte, die mehr als zwei Zentimeter Absatz hatten?
„Sascha, ich habe dir doch in Berlin gesagt, dass ich nicht mit Damien zusammen bin. Das stimmt auch. Ich will nicht, dass du mich für eine Lügnerin hältst.“, platzte ich dann heraus und hätte mir in der nächsten Sekunde, als er warm lachte am liebsten die Zunge heraus gerissen. Wahrscheinlich interessierte ihn das nicht einmal!
„Das weiß ich doch. Wieso hättest du mich anlügen sollen? Warum hast du eigentlich das Gefühl, dich vor mir rechtfertigen zu müssen?“
Es war das erste Mal, dass ich in seinem belustigt warmen Blick so etwas wie eine Herausforderung lesen konnte. Ich geriet ins Schleudern. Innerlich bat ich Sherry um Verzeihung, als ich ihn feige belog: „Ich bin einfach so froh, wieder hier zu sein und will nicht, dass es irgendwelche dummen Missverständnisse gibt.“
Doch sein wissendes Lächeln sagte mir, dass er es mir nicht abkaufte. „Ich bin wirklich froh, dass du wieder da bist.“
Diese Feststellung war so einfach, dass sie sich absolut wahr anhörte und meine Verlegenheit verschwand. Stattdessen durchströmte mich ein wildes Glücksgefühl, wie ich es noch nie empfunden hatte. Ich stieß die Arme in die Luft und schrie: „Ich bin zurück!“
Es war schon in den frühen Morgenstunden, als ich mit Alina und Nici in unser gemeinsames Zimmer wankte, welches sie bis vor kurzem noch mit Sherry zusammen bewohnt hatten.
Alina fiel in den Klamotten auf ihr Bett und schlief sofort ein. Nici machte sich auf die Suche nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe, stieß dabei mit ihrem Kopf gegen eine der Schranktüren oben, die sie vergessen hatte zu schließen, und stöhnte gequält auf.
Das laute Geräusch des Knalls und der viele Alkohol ließen mich vor Gelächter fast in Tränen ausbrechen. Ich konnte wirklich ekelhaft schadenfroh sein. Nici fluchte kurz auf mich, als sie endlich das Licht fand, doch als sie sah wie ich mich krümmte, stimmte sie in das Gelächter ein.
Wir lachten so lange, bis wir keine Luft mehr bekamen. Selbst als wir schon im Dunkeln in unseren Betten lagen, fingen wir immer wieder von Neuem an und versuchten krampfhaft, leise zu sein, um Alina nicht zu stören, die immer mal wieder ein böses Brummen von sich gab. Doch das brachte uns nur noch mehr zum Lachen.
Wir machten noch lange weiter alberne Witze und zogen die Jury und Victoria und Marc durch den Kakao, bis wir schließlich beide völlig erschöpft, aber mit einem Grinsen auf den Lippen, in einen tiefen friedlichen Schlaf fielen.