5.
Ich wachte auf und mein erster Gedanke war Fe. Es war verrückt, aber an diesem Morgen sprühte ich nur so vor Glück und Zuversicht. Gestern Abend hatte ich gespürt wie die Barriere zwischen uns anfing zu schmelzen und uns erstmals erlaubt hatte uns in der Mitte zu treffen. Wir verstanden uns auf einer ganz anderen Ebene, ohne Worte und ohne große Zeichen, nur durch unsere bloße Anwesenheit und ich hatte gespürt, dass sie das Gleiche fühlte. Ohne ein Geräusch zu machen, öffnete ich Joons Zimmertür und erstarrte. Fe war nicht da, das Bett hatte sie ordentlich gemacht und kalt zurückgelassen, ihre Sachen waren aber noch da. Sofort rief ich nach ihr, aber als die kleine Wohnung durchsucht war, sah ich doch in ihrer Tasche nach, auch wenn es sich wie ein kleiner Vertrauensbruck anfühlte. Alles Geld und alle Klamotten bis auf die die sie getragen hatte, waren noch drinn und ich bekam ein schlechtes Gefühl. Es gab einfach keine Erklärung, sie war glücklich gewesen, ich hatte mich bestimmt nicht geirrt! Augenblicklich malte ich mir die schlimmsten Szenarien aus, wie sie wieder zusammen gebrochen und ich nicht da gewesen war um ihr zu helfen oder wie ihre Vergangenheit sie gefunden und verschleppt hatte. Als ich es nicht mehr aushielt, verließ ich die Wohnung und nahm mir ein Taxi zum Hauptbahnhof, in der Hoffnung sie oder irgendeinen ihrer alten Gruppe dort zu finden. Ich hatte zwar nicht viel Ahnung von der Szene, aber ich wusste wo sich solche Gestalten auch schon vormittags herumtrieben. Es dauerte nicht lange, da hatte ich ein paar solcher Typen gefunden und fragte sie direkt nach Fe. "Wenn du die Prinzessin meinst, musst du Luck fragen." lachten sie schmierig, aber ich war schon froh dass sie mir zeigten wo ich den Typen finden konnte. Als ich ihn dann auf sie ansprach sah er mich aus zu Schlitzen verengten Auen an und zischte:"Was hast du mir ihr zu tun? Hast du sie überredet weg zu gehen, willst du uns verpfeifen?" "Nein, nein ich will sie einfach finden!" "Um was mir ihr zu tun?" "Um Nichts," doch es war schon zu spät und Lucks Faust traf mich hart am Unterkiefer. Erst taumelte ich benebelt zurück, aber dann packte mich eine unbändige Wut, ich stürzte mich mit voller Wucht auf ihn und schlug ihm ein blaues Auge. Luck japste und ging zu Boden. Das war meine Change. Ich setzte mich halb auf ihn und drückte ihn am Hals aufs Pflaster. Keine Ahnung was in mich gefahren war, aber es erfüllte seinen Zweck. "Hast du sie noch alle? Ich weiß nicht wo die Schlampe ist!" Ohne ein weiteres Wort ließ ich von ihm ab und rief mir, einer schrecklichen Vorahnung folgend, ein weiteres Taxi zum örtlichen Krankenhaus. Dort rannte ich schon fast zur Rezeption und bestürzte die Frau dahinter mit Fragen "Wurde hier eine Fe eingeliefert? Bitte schnell ich muss sofort zu ihr!" Sie sah mich nur an und sagte viel zu langsam "Tut mir leid, eine Fe steht hier nicht im Verzeichnis, aber was ist denn mit ihnen passiert?" "Das ist egal, wirklich nicht? Sie ist ungefähr achtzehn, hat dunkelbraune, lange Haare und Augen, bitte sehen sie nochmal nach!" "Nein niemand unter dem Namen, ich glaube es wurde nur eine Unbekannte her gebracht, die auf ihre Beschreibung passt, fragen sie auf Station fünf nach Dr. Brahn, die liegt im dritten Stock auf der hinteren Ausstiegsseite des Aufzugs." erwiderte sie mit dem Lächeln einer Großmutter. Sofort hechtete ich zum Lift, nicht ohne ihr ein schnelles danke entgegen zu rufen, und drückte ungefähr hundert mal auf die Zwei. Oben angekommen fragte ich die erstbesten Schwestern nach besagtem Arzt bis ich endlich vor ihm stand. "Ah endlich jemand, der die Patientin identifizieren kann. Sind sie ein Angehöriger?" fragte er und musterte mich. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich in Jogginghosen und wirren Haaren vor ihm stand, aber das war unwichtig. "Nein ich bin ein Freund, was ist passiert? Ich muss zu ihr!" "Na schön können sie mir ihren vollen Namen nennen?" "Nein sie hat mir nur gesagt dass sie Fe heißt, aber das ist egal, ich muss wissen wie es ihr geht!" ich explodierte innerlich fast vor Anspannung und Sorge "Und sie kennen keine Verwandten, oder sonst jemanden?!" "Nein wie ich schon sagte, was ist los?" "Gut, aber das ist eine große Ausnahme. Ihre Freundin hier hat sich beide Pulsadern aufgeschnitten, Gott sein Dank hat sie ein Passant rechtzeitig gefunden und einen Krankenwagen gerufen." "Was? Was hat sie getan?" mir brachen fast die Beine unter mir zusammen, sodass der Doktor mich zu einer Sitzgruppe brachte. "Ja es tut mir leid, aber es sieht ganz nach einem Suizidversuch oder zumindest Selbstverletzung aus, deshalb wird ihr auch ein Psychologe gestellt, wenn sie aufwacht." "Wenn sie aufwacht? Also wird sie wieder gesund?" Das war das Einzige das für mich noch zählte. "Sie hat zwar sehr viel Blut verloren, aber das wird wieder zugeführt und es wurden keine Organe geschädigt, wir werden sie, aber unter psychologischer Aufsicht noch eine ganze Weile hier behalten müssen." "Oh Ok ich muss zu ihr." "Aber nur wenn sie sich beruhigt haben, sie braucht erst einmal Ruhe." "Ja natürlich, wo ist sie?" "Folgen sie mir." Er führte mich den kahlen, grauen Gang entlang bis zu einer ebenso tristen Tür mit der Nummer 109 und machte sie auf. Als ich sie sah, wollte ich einfach nur schreien, vor Schmerz, vor Wut, vor Trauer. Es tat so unglaublich weh sie zu sehen, da, wie versunken in den weißen Bettlaken die schon fast die gleiche Farbe hatten wie ihre Haut. Würde sie nicht so kraftlos und krank wirken, könnte man fast meinen sie würde schlafen, die Augen geschlossen, ihre Haare in dunklen Mustern auf den Kissen ausgebreitet. Doch die Verbände an den Handgelenken und die Infusionsnadel in ihrer Haut zerschmetterten den Schein endgültig. Wie betäubt schlich ich zu einem der Stühle in dem Zimmer und saß einfach nur still da. Der Arzt verließ zum Glück verständnisvoll den Raum und ließ mich mit Fe allein. Sie war doch glücklich gewesen, oder hatte sie mir das alles nur vorgespielt? Wäre es möglich, dass sie nie wirklich fröhlich oder entspannt gewesen und dass jedes Lächeln, jedes Kichern nur aufgesetzt war?! Mir wurde klar, dass ich für ihre waren Emotionen blind gewesen sein musste und dass ich immer nur das bemerkt hatte, was ich glauben wollte, nicht was ich sah und ich das wahre Mädchen hinter der Fassade vielleicht gar nicht kennen gelernt hatte, sondern nur die davor. Aber konnte man sich in eine erfundene Person verlieben? Und konnte man sogar glauben, dass diese Person auch nur ansatzweise genauso fühlte? Wahrscheinlich nicht, wahrscheinlich war das alles ein großer Fehler und ich jagte nur einem Hauch von nichts hinterher, unfähig zu unterscheiden was wirklich passierte und was nicht. Doch ich saß hier, am Bett von eben jenem Mädchen, halb schlafend, halb bewusstlos, das mich so hinters Licht geführt hatte und hoffte inständig sie würde einfach aufwachen und mit mir kommen, in diese makellose Welt, die ich mir bestimmt ebenfalls nur so zurecht legte, wie ich sie brauchte. Trotzdem war ich nicht in der Lage einfach aufzustehen und zu gehen, nein, es kam mir noch nicht einmal in den Sinn sie zu verlassen und einfach ganz normal weiter zu machen. Ich hatte sie schon nicht mehr aus meinem Kopf bekommen als ich sie gerade mal ein paar Stunden kannte, jetzt war es undenkbar sie zu vergessen. Auch wenn ich nicht wusste was mir mehr Schmerzen bereitete, zu bleiben und zu sehen wie sie zerbrach, oder sie nie mehr zu Gesicht zu bekommen und sich jeden Tag die Frage stellen zu müssen was passiert wäre wenn ich nicht aufgegeben hätte. Also wartete, oder vielmehr wachte ich, ließ die mitleidigen Blicke der Schwestern, die nach ihr sahen, und die inneren Schmerzen die mir Fe Sekunde für Sekunde bereitete über mich ergehen bis ich nach viel zu vielen qualvollen Minuten einschlief. Als ich wegen irgendeinem ungreifbaren Traum wieder hochschreckte, war es dunkel geworden und Fes Zustand unverändert. Mein Zeitgefühl hatte ich verloren und Hunger und Durst fühlte ebenso wenig wie den unbequemen Stuhl der in meinen Rücken einschnitt. Ich dämmerte gerade wieder weg, da bewegte sie sich endlich. Eine Sekunde später kniete ich neben ihr; Fe, ganz ruhig, alles ok., Sie riss die Augen auf, starrte mich erschrocken und entsetzt an und zog ihre Hand aus meiner. Verständnislos stammelte ich nur:"Hey, hey was ist los? Ich bins nur, Ju, ich bin da." Ich wollte nur, dass sie mich erkannte und wenigstens ein bisschen lächelte, trotz allem was passiert war, nur dass sie nicht so verstört wirkte, wenn ich etwas sagte. Aber sie drehte sich einfach von mir weg und ihre Worte schnitten mir ins Herz. "Geh weg, geh einfach weg und lass mich in Ruhe!" "Was, wie meinst du das?" "Geh!" schrie sie schon fast und versuchte mich von der Decke zu drücken. Wie in Trance stand ich auf, Traurigkeit und Wut bauten sich in mir auf. "Wie kannst du sowas zu mir sagen? Weißt du was ich für dich getan habe, weißt du das?" Ich stürmte zur Tür, hielt davor nochmal inne und sagte leise:"Fe es tut mir leid aber," Doch sie schnitt mir sofort wieder das Wort ab:"Julien verschwinde!" Das schlimmste war, dass sich ihre Stimme vollkommend klar und fest anhörte und dass sie keinen Funken Mitleid oder Wehmut enthielt, sie meinte es vollkommend ernst. Also verließ ich ohne mich nochmal umzudrehen das Zimmer, sank auf ein Sofa und schlug die Hände vors Gesicht. Eine junge Schwester setzte sich neben mich und fragte:"Alles ok? Geht es ihnen nicht gut?" "Doch, doch meine Fr… ähm das Mädchen da drin ist aufgewacht." "Oh gut, dann gebe ich besser mal Bescheid, Das, das ist doch gut oder?" "Sie will mich nicht sehen."antwortete ich und wollte mich im selben Moment dafür schlagen, das ich ihr gegenüber so offen war. Aber sie sah mich zum Kotzen verständnisvoll aus strahlend blauen Augen an und seuselte:"Ach das legt sich schon wieder, viele Patienten brauchen ein bisschen Zeit um sich wieder klar zu werden." "Wenn sie meinen., "Bestimmt!" Sie klopfte mir auf die Schulter und erhob sich. "Ich hole dann mal Dr. Brahn, der kann ihnen Genaueres erklären." Stumm starrte ich den hellblauen Boden an, weil ich das ständige rotlippige Lächeln der Frau nicht mehr ertragen konnte. Es interessierte mich ohnehin nicht was irgendein Arzt erzählte, außer wenn er mir mitteilen würde, dass das perfekte Mädchen das Fe gestern gewesen war, zurück kam. "Also," Plötzlich stand er vor mir. "Die Werte sind soweit gut, sie wird aber natürlich noch lange danach Narben behalten und muss sehr vorsichtig sein, aber nach ein paar Monaten wird alles wieder normal sein." "Mhh." "Die psychischen Schäden sind dagegen aber gravierend. Gerade ist sie eine große Gefahr für ihren Körper, die Schnitte waren ein abgebrühter Suizidversuch ohne jegliche Betäubung, weshalb sie nach ein paar Beobachtungstagen hier in eine Psychatrie zwangseingewiesen."Ich horchte auf. "Was heißt das?" "Das heißt, dass sie per richterliche Verfügung in die nächste Anstalt überführt wird bis sie wieder stabil ist." "Und wenn sie das nicht will?" "Das kann sie in ihrem Zustand nicht entscheiden, solange keine Verwandten Beschwerde einreichen, werden wir so über sie verfügen." "Und ich? Kann ich das auch?" "Nein, sie sind weder ein Verwandter, noch so etwas wie ein eingetragener Lebenspartner, ich weiß noch nicht einmal ob für sie das Besuchsrecht dort gilt." "Also nehmen sie sie mir einfach weg?!" "Nein, das ist nur zu ihrem besten!" "Schon klar." Angepisst stand ich auf und ging, das wurde mir alles zu dumm, aber was sollte ich tun? Ich konnte nicht mehr, dieses Mädchen hatte mir für ein paar Momente alles gegeben und sofort noch mehr genommen. Jetzt war ich nur mehr eine Hülle meiner selbst, komplett ausgelaugt und zu energielos um einen neuen Versuch zu starten um sie zu kämpfen. Warum auch? Sie hatte mir mehr als deutlich gemacht, dass ich nur ein weitere Gelegenheit für sie war, dass sie mich nicht brauchte, geschweige denn wollte. Fe hatte schon längst mit mir und ihrem restlichen Leben abgeschlossen es war ihre Entscheidung, ihr Leben. Nur wusste sie nicht dass ein großer Teil von mir mit ihr ging.