Marc erging es auch nicht viel besser. Er konnte noch weniger gut einschlafen, als Nathalie. Es liess sich nochmals alles was sich zugetragen hatte, durch den Kopf gehen. Seine Gedanken drehten sich wild im Kreis. Einmal machte er sich selbst für sein unpassendes Verhalten zur Schnecke, dann wieder, erfasste ihn Groll auf Nathalie und Jonathan. Im ersten Moment war er zutiefst eifersüchtig, im anderen Moment, schalt er sich selbst einen Egoisten. Er dachte wieder an jenen Augenblick zurück, als alle Teile seiner selbst in diesem endlosen Universum geschwebt waren und die bunte Regenbogenschlange ihn dazu aufgefordert hatte, jene Teile loszulassen, die ihm nicht mehr von Nutzen für seine Entwicklung waren. So vieles hatte er damals abgelegt, der grossen Leere dargebracht. Er sah sie noch immer vor sich, all diese Teile, diese Aspekte, die funkelten, wie verschiedenfarbige Sterne. Einer dieser Sterne, hatte besonders hell gestrahlt, wie ein Edelstein, von innen heraus leuchtend und in sich umspielenden, pulsierenden Farben. Dieser Stern, war seine Liebe zu Nathalie gewesen. Damals hatte er das Ausmass seiner Liebe zu ihr erkannt und als er diesen herrlichen Stern wieder zu sich genommen hatte, da war er noch leuchtender geworden. So fühlte es sich auch gerade an. Seine Liebe zu dieser Frau, leuchtete heller, als es jemals bisher gewesen war. Früher hatten die Nebelschwaden seines Egoismus, sie noch verhüllt, ihn unempfänglich gemacht, für die Bedeutung dieses tiefen Gefühls. Und dennoch… diese Nebel, waren auch ein Schutz gewesen, davor zu sehr verletzt zu werden. So verletzt zu werden, wie es jetzt geschehen war, weil seine Angebetete, ihn wegen eines anderen, abgewiesen hatte. Eines anderen, der sogar noch mit ihr Schluss gemacht hatte. Eigentlich war es lächerlich! Und schon kam sie wieder diese Wut, dieser tiefe Groll, der sein Inneres zu zerfressen drohte.
Warum verhielt sich Nathalie so, hatte Jonathan sie doch auf schändliche Weise von sich gestossen? Diese wundervolle Frau, die auch Marc durch ihre blosse Anwesenheit, schon mit vollkommenem Glück erfüllte… Aber was ging ihm da Dummes durch den Kopf? Idealisierte er sie nicht zu sehr? Sie hatte ihn schliesslich auch nicht gut behandelt. Sie hatte ihm Hoffnungen gemacht, indem sie mit ihm sogar etwas geflirtet hatte, doch dann als er es wagte, ihr seine Gefühle zu offenbaren, hatte sie ihm die kalte Schulter gezeigt. Wie nur hatte sie das tun können! Wozu litt er so, sie war es doch gar nicht wert!
Aber so durfte er auch nicht von ihr denken. Ihr Verhalten war doch irgendwie verständlich. Sie war noch nicht über Jonathan hinweg. Sie hatte es genossen mit Marc auszutauschen und der Wein hatte sie etwas aufgelockert. Einen Augenblick lang, war es ihr vielleicht sogar gelungen, ihren Kummer etwas zu vergessen. Das war doch auch schon etwas wert. Der Gedanke, dass er- Marc, für sie so eine Art Fels in der Brandung hatte sein dürfen, erfüllte ihn mit einer grossen Zufriedenheit. An dieser Zufriedenheit wollte er nun festhalten und so… fielen auch ihm schlussendlich die Augen zu und der schlief ein.
Und dann träumte Marc, einen seltsamen Traum und in diesem Traum, war auch Nathalie anwesend. Noch wusste er nicht, dass sie genau denselben Traum, zur selben Zeit träumte.
Sie befanden sich wieder in einer anderen Zeit, in jener Zeit, als sie noch ein Paar gewesen waren. Sie waren glücklich und nichts konnte dieses Glück trüben. Es war noch vor der grossen Flut, die alles so schwierig gemacht hatte. Sie lebten in einem Dorf, dass sich auf einer wundervollen, blumenreichen Ebene befand. Täglich hörten sie das Zirpen der zahllosen Grillen und das Summen der Bienen. Es fehlte ihnen an nichts. Ein glasklarer Bach, mit zahllosen Fischen bevölkert, floss am Rand des Dorfes, welches aus verschiedenen Zelten bestand, entlang. Auch der kühle, dunkelgrüne Wald, war nicht weit und Vogelgezwitscher, erfüllte die lichtdurchtränkte Luft. Sie liefen über eine riesige Blumenwiese, lachten und neckten einander.
Nathalie- damals Suna, lief von Marc- damals Kai, davon und er versuchte sie einzufangen. Doch immer wieder entwische sie ihm knapp. Sie war sehr schnell und beweglich. Doch auch er hatte einiges bei seinen verschiedenen Tier- Mentoren gelernt. Schliesslich kriegte er sie zu fassen und zusammen wälzten sie sich nun im hohen Gras. Der Blütenstaub der vielen, wundervollen Blumen, wirbelte auf und senkte sich dann als gelber Puder, auf das glückliche Paar hernieder. Marc war fasziniert davon, wie viel Blütenstaub es in dieser Welt noch gab. Die Welt war damals noch unberührt gewesen, voll von Leben und Reichtum. Ganz im Gegensatz zur Welt von heute, die im Begriff war, langsam zu sterben. Es gab so viele Bienen hier, so viele Hummeln, Schmetterlinge und buntschillernde Käfer. Mit ihnen allen, verband sie etwas Wunderbares. Sie konnten mit ihnen kommunizieren, sie gaben ihnen, was immer sie brauchten, ohne dass sie selbst zu wenig hatten. Tiere aller Arten waren Freund mit den Menschen- den Sternen-kindern.
Tiefe Sehnsucht ergriff Marc, als er diese Herrlichkeit sah. Sehnsucht nach einer Welt, die nicht mehr existierte, Sehnsucht nach einer Zeit, wo noch alles so einfach, so klar gewesen war. Nichts war in seinem Leben nun noch klar, nicht mal die eine Konstante, die eigentlich immer da gewesen war, welche er nur viel zu lange nicht wahrhaben wollte: Seine Liebe zu Nathalie und ihre einstige Liebe zu ihm. Er verstand nun, was er damals, als sie sich kennenlernten, gespürt hatte. Es war diese wundervolle Verbindung gewesen, die teilweise noch immer da war, die sich nun jedoch, gewandelt hatte. Damals war sie noch sein gewesen und das fühlte sich wundervoll an.
Ihre beiden alten Ich's, hielten nun in ihrem wilden Gebaren inne und schauten sich tief in die Augen. Es war so ein unbeschreiblich schönes Gefühl. So rein, so gut. Und dann küssten sie sich leidenschaftlich und liebten sich in Schein der untergehenden Sonne...
Auf einmal jedoch, als die Nacht hereingebrochen war, erhob sich Nathalie. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet und sie war für Marc auf einmal nicht mehr erreichbar. „Ich muss jetzt gehen,“ sprach sie. „Ich gehöre nicht mehr hierher.“ Marc schaute sie ungläubig an und sprach: „Aber… das stimmt doch nicht, du gehörst zu mir, gerade noch waren wir uns doch so nahe. Du bist mein und ich bin dein.“ „Nein,“ sprach sie nun auf einmal ernst und nachdenklich. „Das ist vorbei. Es ist für immer vorbei. Mein Weg führt mich weiter, weg von dir…“ Sie schaute ihn liebevoll, aber entschlossen an. Tränen liefen ihm über die Wangen und sie wischte sie ihm sanft weg. „Sei nicht traurig, das ist nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang.“ „Aber… warum, kannst du mir denn nicht verzeihen, können wir nicht wieder so zusammen sein, wie vorhin, als wir uns so leidenschaftlich geliebt haben?“
„Ich kann nicht mehr dein sein, auch wenn ich es einst war. Ich liebe dich, aber nicht mehr so, wie du mich liebst.“ „Sag mir warum?“ „Weil ich dich schon vor langer Zeit verloren habe. Es war damals nicht deine Schuld…“ „Aber heute, heute ist es meine Schuld, weil ich die Chance verpasst habe, dich zurück zu erobern.“ „Ich kann nicht erobert werden, mein Herz schlägt, wie es schlägt, meine Liebe liebt, den sie liebt und das bist nicht mehr du.“ „Jonathan!“ rief Mac wütend aus. „Jonathan macht alles kaputt! Dabei hat er dich doch verlassen!“
„Jonathan…“ sprach sie mit einer weit entrückten Stimme. „Ja… Jonathan… ich muss gehen. Leb wohl!“ Er wollte ihr hinterherlaufen, doch es war, wie bei einem dieser Alpträume, wo man einfach nicht von der Stelle kam. So blieb ihm nicht anderes übrig als ihr zuzusehen, wie sie sich noch im Sprung, in einen mächtigen Wolf verwandelte und seinen, tränenverschleierten Blicken, entschwand…