Kapitel 9
Aufgewühltes Wasser
„Oh Mann!“, seufzte ich wohlig, als wir in ihrem Hotelzimmer angekommen waren und schmiss mich wie selbstverständlich mit dem Rücken auf das harte kleine Bett. „Ist dir klar, dass wir vielleicht die letzte Woche in diesem Drecksloch hausen müssen?“
Sie zog eine Braue nach oben. „Ja, denn nächste Woche könnten wir auch schon wieder zuhause sein.“
Ich setzte mich auf und schüttelte grinsend mit dem Kopf. „Nein, denn nächste Woche könnten wir schon in der Villa sein.“
Ihre Augen wurden so groß, als hätte sie dieses nebensächliche Detail wirklich bis jetzt vergessen. Die TraumVilla war für Zuschauer oft das Highlight der ganzen Castingshow, weil sie dort die Kandidaten erst so richtig kennenlernen konnten. Am Wochenende kamen Reporter vorbei und zeigten der Außenwelt das Leben der Sternchen. Und auch für uns Kandidaten würde es sicher eine harte Feuerprobe werden. Zehn so verschiedene Menschen zusammen unter einem Dach. Das musste nicht immer gut gehen.
„Die Villa! Ich weiß nicht, warum ich nicht eher daran gedacht habe. Vielleicht, weil ich gar nicht damit gerechnet habe, überhaupt so weit zu kommen!“
Sie setzte sich neben mich und ich musterte ihr übermüdetes, aufgedrehtes Profil. „Möchtest du lieber etwas schlafen?“
Sie sah mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen. „Natürlich nicht! Ich will die Lieder sehen, aus denen wir uns eines aussuchen können.“
„Wie du willst.“, erwiderte ich lächelnd und zog die Liste aus meiner hinteren Hosentasche. „Das wird bestimmt nicht leicht.“
Es wurde nicht leicht. Ihr gefiel jedes zweite Lied. Bei jedem zweiten Lied konnte sie sich die Romantik auf der Bühne vorstellen und wie gut wir es zusammen performen würden. Wie viel Spaß es machen würde, es zu singen und ein passendes Outfit dazu herauszusuchen.
Um Viertel nach sins sprach ich schweren Herzens ein Machtwort. Wir waren beide total übermüdet und es musste eine Entscheidung gefällt oder eben diese doch auf morgen verschoben werden. „Fay, ich finde es ja toll, dass du so viel Begeisterung zeigst, ehrlich. Aber wir müssen uns ein Lied aussuchen. Jetzt rück’ schon mit der Sprache ´raus - Du hast doch eins im Kopf.“
Fay:
Natürlich hatte ich das. Ich hatte es im Kopf seit ich das Thema der nächsten Runde erfahren hatte. Und ich hatte es gesucht, kaum dass Damien die Liste aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Es ist mir gleich ins Auge gesprungen, als hätte es sich von mir finden lassen wollen. „Es ist zu schwer. Ich kann nicht einmal vergleichbar so gut singen wie sie.“
„Du sollst auch niemanden nachmachen, sondern du selbst sein!“, sagte Damien und sah mich fragend an.
„Zu dir würde die männliche Rolle passen.“
„Jetzt sag doch endlich, welches Lied du meinst, Fay!“
„Nobody wants to be lonely von Ricky Martin und Christina Aguilera.“, seufzte ich ergeben. Damien schien eine Weile nachzudenken, ehe er schließlich zustimmend nickte. „Warum nicht?“
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er jedem meiner Vorschläge zugestimmt hätte, was mich gereizt reagieren ließ. „Warum nicht habe ich dir gerade gesagt.“
„Und ich habe dir dazu auch schon etwas gesagt.“ Er reagierte ruhig auf meine Attacke, was mich nur noch wütender werden ließ. Wieso schrie er nicht zurück? Warum war er nicht so müde und überfordert wie ich? „Du kannst doch nicht einfach so zusagen, ohne darüber nachzudenken. Das ist wichtig!“
„Ich habe darüber nachgedacht. Fay, wir haben die letzten Stunden über nichts anderes nachgedacht! Wir sollten schlafen gehen, okay? Die CD können wir bis morgen früh um zehn im Theater abholen.“
Mein Ausbruch tat mir längst leid, aber ich wusste, wenn ich nicht sofort etwas allein wäre, folgte bald der nächste. „Nein, lass mich sie holen. Sie haben doch gesagt, das Gebäude sei die ganze Nacht besetzt. Sicher sind wir nicht die Einzigen, die schon jetzt mit Üben anfangen wollen, und so können wir morgen ausschlafen.“
„Ich lasse dich sicher nicht allein da draußen herum laufen.“, erwiderte Damien entgeistert.
Ich legte ihm eine Hand gegen die Brust, was ihn zu besänftigen schien, denn statt Sorge trat nun etwas anderes in seine Augen. Etwas so Beunruhigendes, dass ich den Blick abwenden musste. „Aber ich muss kurz allein sein. Ich muss jetzt einfach an die frische Luft. Es ist alles ein bisschen viel. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich nehme mein Handy mit, okay?“
Da ich niemals eine richtige feste Beziehung hatte, war mir auch nicht klar, dass wir uns wie ein Paar verhielten. „Okay, ich warte hier auf dich.“
„Das musst du doch nicht. Außer, du willst dann gleich üben?“, fragte ich ein wenig bang, denn dafür fehlte mir jede Energie.
„Nein, aber trotzdem.“ Er legte sich demonstrativ mit dem Rücken auf mein Bett und schaltete den Fernseher ein, sodass ich nichts mehr einwandte. Wenn er es so wollte…
Auf dem Flur blieb ich kurz stehen und lauschte. Von überall her waren romantische Duette zu hören. Die Nacht war schön und lebendig, mir konnte gar nichts passieren. Neidig nahm ich wahr, wie gut Sherrys und Saschas Stimmen miteinander harmonierten. Ich fragte mich, was sich zugetragen hätte, wäre ich an ihrer Stelle gewesen. Ob überhaupt etwas geschehen wäre?
Vor dem Hotel bemerkte ich erstmals, dass sich der September deutlich ankündigte. Die Nächte wurden immer kühler, ohne Jacke fröstelte ich leicht. Selbst hier mitten in Berlin roch es überall nach Laub und frisch gemähtem Gras und eine Woge des Heimwehs überkam mich, als ich so allein auf der nächtlichen Straße stand.
Ich hätte Damien bitten sollen, mich zu begleiten, schoss es mir durch den Kopf und dabei vergaß ich völlig, dass ich vor wenigen Sekunden noch unbedingt hatte allein sein wollen. Was typisch für mich war. Wenn ich mich eingeengt oder überfordert fühlte, wollte ich nur noch aus der Situation heraus und allein sein. Und war ich dann allein, wollte ich nichts sehnlicher, als dass mir jemand Gesellschaft dabei leistete. Ich bin wirklich schrecklich kompliziert.
Langsam wurde mir erschreckend klar, dass auch die erträumte Star-Karriere die Einsamkeit nicht auslöschen konnte. Vielleicht konnte sie sie sogar schlimmer machen. Natürlich war man tagsüber ständig unterwegs und mit Leuten zusammen. Doch ich hatte festgestellt, dass man sich auch zwischen vielen Leuten einsam fühlen konnte. Und die Nächte waren am schlimmsten.
Ich dachte an Damien, der in meinem Hotelzimmer auf mich wartete und lächelte warm. Ob es ihm wohl genauso ging? Wenn wir alle einsam waren, so war das schließlich auch etwas Gemeinsames. Dieser Gedanke war schrecklich tröstend.
Als ich aus ihm erwachte, fand ich mich vor dem Gebäude wider, aus dem laute Musik und fröhliches Stimmengewirr auf die Straße wehten. Unwillkürlich waren alle trüben Gedanken wie weggeweht. Hier gehörte ich hin. Hier kannte man mich und ich durfte entspannt in das Gebäude marschieren.
Dort wurde ich sofort von Tatjana in Empfang genommen. „Na endlich mal wieder ein Kandidat! Keine Sorge, das wird kein Interview, ich bin nur so froh, der Langeweile zu entkommen. Gerade habe ich schon überlegt, ins Hotel zurück zu kehren.“
Sie redete wie ein Wasserfall, und ich schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. „Ehrlich gesagt, bin ich auch nur hier, um schnell die CD zu holen. Damien wartet auf mich… was ist hier eigentlich los?“
Letzteres fügte ich hinzu als ich den Tresen sah, der zur Bar umfunktioniert worden war. Dort genehmigten sich sämtliche Kameraleute zusammen mit dem Rest der Crew und Holger einen Drink nach dem anderen.
Tatjana lachte über meinen fragenden Blick. „Willkommen im Showbiz. Das ist unsere Art herunterzufahren. Setz dich zu uns. Wenigstens eine halbe Stunde.“
Ich konnte Menschen einfach nichts abschlagen und seufzte: „Also gut.“
Fünf Minuten später hatte ich mich von Holger dazu bequatschen lassen, mit ihm zusammen einen Tequila zu trinken. Nachdem mir das Teufelszeug das erste Mal durch die Kehle rann und alles in meinem Inneren in Brand setzte, schlug er mir, während ich hustete auf den Rücken und sagte: „Mensch, der Zimt! Du musst den Zimt von deiner Hand ablecken und dann in die Orange beißen. Und das hopp hopp, dann passiert sowas nicht!“
Wie sollte man sich so etwas merken, während diese Flüssigkeit einem die Speiseröhre verätzte? Doch das behielt ich für mich, er war immer noch ein Juror. Obwohl ich schon etwas beduselt war, war ich noch klar genug, das zu erkennen und versprach nur: „Ich werde draus lernen.“
Was ein Fehler war, denn er goss mir gleich nach, nahm meine Hand und bestreute sie mit noch mehr Zimt, ehe er mir die nächste Orangenscheibe reichte. „Du weißt, Fay, bei DerTraum wird so lange geübt, bis es klappt.“
Ich sah ihn entgeistert an. „Ich bin nicht hier, um mich zu betrinken. Eigentlich wollte ich…“
„Dann mach es richtig.“, grinste er und ich gab böse zurück: „Also gut.“
Nach zwei weiteren Versuchen war ich Meisterin. Und völlig hinüber. Holger tätschelte mir begütigend den Rücken und gab mir netterweise die richtige CD. Ich hätte wahrscheinlich nicht einmal mehr gewusst, warum ich dort war - geschweige denn, welches Lied Damien und ich singen wollten.
„Ich muss jetzt wirklich los!“, säuselte ich, benommen durch die laute Musik und rutschte von meinem Hocker. Holger stand auf, und ich dachte in meinem betrunkenen Zustand noch, dass er ja ein richtiger Gentleman war und musste einen Lachanfall unterdrücken.
In diesem Moment erschien Sascha neben mir. Und seinem Lächeln nach zu urteilen, stand er dort schon länger. „Hi. Wen haben wir denn da!“
„Wo ist Sherry?“, stürzte ich hervor, um ihm zu beweisen, dass ich noch sprechen und denken konnte. Nur eben beides nicht mehr gleichzeitig.
Er lachte. „Die liegt längst in ihrem Bett. Ich konnte nicht schlafen und da hab ich beschlossen, die CD jetzt schon zu holen. Hätte ich gewusst, dass hier so eine Party steigt, wäre ich eher gekommen.“
Ich sah mich um. Es war keine wirkliche Party. Es waren vielleicht zwanzig oder dreißig Crew-Mitglieder, eine handvoll Kandidaten und die Juroren. Keiner war auch nur annähernd so angeheitert wie ich; und wieder platzte ich heraus: „Holger wollte, dass ich das Tequila-Trinken lerne!“
Saschas Lächeln reichte bis in seine Augen. „So? Und kannst du es jetzt?“
Ich nickte übermäßig stolz. „Jap!“
„Und wo ist Damien, wenn ich fragen darf? Ihr seid doch sonst auch unzertrennlich.“, wollte er wissen und nahm seine CD von Holger in Empfang, der sich sogleich wieder grinsend aus dem Staub machte.
„In meinem Bett, er wollte warten. Achso aber wir sind nicht zusammen. Wir haben geübt und… wir sind kein Paar. Ich habe gar keinen Freund.“ Gott sei Dank bekam ich diese Blamage selbst nicht mit.
Saschas Lächeln wurde immer breiter. Sicher wäre er beinahe in einen Lachanfall ausgebrochen. Doch er riss sich mir zuliebe zusammen. „Tja, ich bin auch Single. Warum gehen wir nicht zusammen zum Hotel zurück und du erzählst mir, warum du es bist.“
Ich fühlte mich siegessicher. Da ich nicht mehr klar denken konnte, wusste ich natürlich auch nicht, dass er mich nur zurück zum Hotel bringen wollte, weil er sich darum sorgte, dass ich es allein nicht mehr fand. Welche Erniedrigung!
Der Spaziergang verflog und ich nahm nicht wirklich wahr, worüber wir redeten. Alles war seltsam zweigeteilt in meinem Kopf. Ich hatte das Gefühl, als sollte ich woanders sein als hier neben Sascha. Mein Schädel dröhnte bereits und sehnte sich nur noch nach dem Bett.
Deshalb atmete ich erleichtert auf, als wir endlich vor meinem Zimmer ankamen und er sich von mir verabschiedete und mir eine gute Nacht wünschte. Es dauerte weitere zehn Minuten bis ich meine Zimmertür auf bekam, da ich die Karte die ganze Zeit falsch herum gegen den Sensor hielt und zunehmend saurer wurde.
Als die Tür endlich aufsprang, stürmte ich hindurch wie bei einem Banküberfall und kreischte erschrocken auf, als ich jemanden in meinem Bett schlafen sah. Damien fuhr wie von der Tarantel gestochen hoch. „Fay! Gott! Wo warst du? Ich bin eingeschlafen… bist du betrunken?“
„Holger hat mir das Tequila-Trinken beigebracht.“, erwiderte ich stolz.
Damien lächelte nicht, sondern lüftete lediglich amüsiert eine Braue, ehe er aufstand und die Tür hinter mir schloss. „Die CD hast du wenigstens auch mitgebracht.“
„CD?“, fragte ich und sah ihn mit großen Augen an.
Er lächelte. „In deiner Hand.“
Ich sah hinab. „Oh. Stimmt.“ Und versuchte fieberhaft mich daran zu erinnern, nach ihr gefragt zu haben. Beiläufig, wie ich fand, schielte ich auf den Titel und atmete erleichtert aus, als ich mich erinnerte, dass es der Richtige war. Dann schubste der Alkohol erneut die Wahrheit aus mir heraus. „Ich bin froh, dass du hier bist. Ich hasse einsame Hotelzimmer!“
„Ja?“ Er lächelte und ich merkte kaum, wie er die Arme um meine Hüften legte und seine Stirn gegen meine. „Ich auch.“
Ich schloss die Augen und genoss diese neue Nähe, diese Zärtlichkeit, die mir die Tränen in die Augen trieb. Und ich brachte kein Wort heraus. Alles in mir drehte sich. Ob vom Alkohol oder der Berührung, wusste ich nicht.
Er nahm mein Gesicht in seine Hände und flüsterte rau: „Wirst du dich morgen noch daran erinnern?“
Ich konnte ihn nur anstarren und beobachten und erfühlen, was geschah, während er mich küsste. Mein ganzer Körper erwachte. Ich wusste, dass ich es dieses Mal nicht vergessen würde. Nicht vergessen konnte. Ich würde die Tatsache nicht vergessen, dass wir uns geküsst hatten. Doch ich würde die Intensität vergessen, mit der es geschehen ist. Würde vergessen, wie er mich gehalten hatte, als mir die Knie weich wurden.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, fühlte ich mich wie neugeboren. Kein Kater, nicht einmal ein winzig kleiner Kopfschmerz. Innerlich erklärte ich den goldenen Tequila für mein neues Lieblingsgetränk.
Damien und ich frühstückten zusammen in der Cafeteria des Hotels. Keiner von uns erwähnte den Kuss, der mir nur so verschwommen in Erinnerung war, dass ich fast glaubte, ihn nur geträumt zu haben. Doch gleichzeitig spürte ich seine Lippen und ertappte mich dabei, wie ich ihn anstarrte.
Er wirkte wieder ganz wie der Alte und machte nicht das geringste Aufhebens. Weder um den Kuss, noch um meinen betrunkenen Zustand am vergangenen Abend. Für beides war ich ihm unendlich dankbar. „Wollen wir eine Runde schwimmen gehen?“
Ich blinzelte überrascht. „Gern. Wo denn?“
„Es gibt einen Pool im Keller des Hotels. Ich hab es auch erst gestern erfahren.“, erwiderte er. „Vielleicht kühlst du dich dort etwas ab.“
Ich wurde rot und konnte unmöglich sagen, ob er mit diesen Worten auf meine Gedanken an den Kuss oder meine Trinkorgie mit Holger anspielte, deshalb erwiderte ich nichts und tat als hätte ich es nicht gehört.
„Wow!“, staunte ich eine halbe Stunde später, als wir mit unseren Handtüchern das Schwimmbad betraten und auch Damien schien überrascht. „Sie haben wohl an den Zimmern sparen müssen, um das hier zu finanzieren.“
Ich kicherte. „So sieht es wohl aus.“
Es war einfach, aber groß und schön eingerichtet. An den Wänden luden bequeme Liegen aus Holz zum Verweilen ein. Zwischen den Liegen standen große Kübel mit riesigen Palmen darin. Das Oberlicht war gedämpft und flackerte auf der Wasseroberfläche des bunt beleuchteten Pools. Die Atmosphäre wirkte seltsam magisch.
Noch dazu kam, dass wir allein waren, da alle anderen noch zu schlafen schienen nach der letzten langen Nacht. Ich fühlte mich in meinem Bikini ungewohnt befangen in seiner Gegenwart. Auch er war nur mit einer Badehose bekleidet. Ich zwang mich, woanders hin zu sehen.
„Hier ist es wirklich schön.“, sagte ich dann, um die seltsame Stille zu übertönen.
Wir legten unsere Badetücher auf zwei der Liegen ab und sprangen sofort ins kühle Nass. Meine Lebensgeister erwachten, meine Muskeln schrien protestierend auf. Wir waren kaum im Wasser, da hörten wir Schritte an den feuchten Wänden des großen Raumes widerhallen. Ich sah zu Damien und rollte die Augen genervt himmelwärts. „Die Ruhe ist vorbei.“
„Allerdings!“, ertönte da ein Lachen direkt hinter mir, und ich lief rot an. Einerseits, weil mir nicht klar gewesen war, dass das Wasser meine Stimme bis zum Eingang trug und andererseits, weil es sich um Sascha, Sherry, Nicolás und Nici handelte, die jetzt den Raum betraten.
„Ich wusste nicht, dass ihr es seid.“, sagte ich ehrlich und begrüßte jeden mit einem nassen Handschlag aus dem Wasser heraus. Damien hatte sich schon wieder am Rand hochgezogen und ließ nur noch träge die Beine im Becken baumeln.
Sherry strahlte mich gewinnend an als sie sagte: „Hab ich doch richtig gesehen, dass ihr hier eingebogen seid.“
Ihr Zwinkern sagte mir, dass es kein Zufall war, dass sie jetzt mit Sascha hier war. Ich wusste nicht so recht, ob ich ihr dafür danken oder einen Wutausbruch bekommen sollte. Wie verhielt man sich in so einer Situation, verdammt? Wir alle waren halbnackt!
Den anderen schien das jedoch den Spaß nicht im Geringsten zu verderben. Nicolás hatte Nici soeben in hohem Bogen in den Pool geworfen. Gerade tauchte sie kochend vor Wut und mit angeklatschten Haaren wieder auf. „Du Idiot! Meine Schminke, meine Haare!“
„Ich habe dir gesagt, du sollst dich nicht so fürs Schwimmbad herausputzen.“, gab er nur achselzuckend zurück, und die drei Männer brachen in johlendes Gelächter aus, während Sherry und ich natürlich voll der weiblichen Loyalität mit auf sie einschimpften und Nicis Haare so gut es ging richteten.
Das hätten wir uns allerdings sparen können, denn kurz darauf sprangen die Jungs mit viel Wasserspritzen zu uns und Damien zog Sherry mit sich ins Wasser. Jetzt begann die große Schlacht. Ich glaube, unser Lachen und Kreischen hörte man bis in den obersten Stock des Hotels. Es war ein Krieg ohne Regeln. Jeder gegen jeden bis allen die Augen vom Chlorwasser brannten und unsere Muskeln schmerzten. Erst dann hievten wir uns wieder aus dem Wasser heraus und reichten einander die Handtücher. Ich bekam meins von Sascha.
„Danke.“, lächelte ich und trocknete mein Gesicht ab. „Tat gut.“
„Spaß muss eben auch mal sein.“, erwiderte er lächelnd und ließ sich auf eine Liege sinken. Er klopfte auf den freien Platz neben sich und ich setzte mich selig vor Glück zu ihm.
Damien:
Sie war so glücklich. So lebendig. So frei. Es war vorbei für mich. Ich konnte mir zusätzliche Kraftaufwendungen sparen. Ich war vergessen, wenn Sascha im Raum war. Sie war einfach hin und weg von ihm. Und ich konnte ihn nicht einmal dafür hassen, weil er das Leuchten in ihre Augen brachte.
Seufzend ließ ich mich auf meine Liege sinken und sah auf die bewegte Wasseroberfläche. Wenn sie nur wüsste, dass sie mich so sehr aufwühlte wie das Wasser. Aber ich war selbst schuld, da ich mir immer wieder neue Hoffnungen machte. Die Küsse hatten ihr nichts bedeutet. Das schmerzte mehr als die Tatsache, dass sie Sascha mir vorzog. Ich selbst hatte diese Begegnungen mit ihr jedes Mal überwältigend gefunden. Es war schier unmöglich, noch von einfachen Küssen zu sprechen. Mir war es gewesen, als hätten wir dabei eine andere Sphäre betreten. Vielleicht war das meine gerechte Strafe dafür, dass ich den betrunkenen Zustand einer jüngeren Frau ausgenutzt hatte. Zweimal. Vielleicht war ihr das ja auch klar geworden und sie hielt deshalb nicht allzu viel von mir.
„Alles klar, Kumpel?“ Das war Nicolás, der mir mit jedem Tag mehr ans Herz wuchs und der sich nun neben meine ausgestreckten Beine mit auf die Liege setzte.
Ich machte ihm Platz, sah aber weiter nur schweigend aufs Wasser. Ich hatte keine Lust auf Scherze oder Konversation. Doch darauf war er seltsamerweise nicht aus. Er klopfte mir freundschaftlich auf den Oberarm und sagte nur voller Mitgefühl: „Das wird sich schon noch finden.“
Ich sah ihm stumm nach, als er zu Nici rüber marschierte und sie abermals trotz ihres lautem Schimpfens und Kreischens ins Wasser warf. Und fragte mich, warum dieser Kerl meine Gedanken lesen konnte. Wütend zog ich mir mein Handtuch über den Kopf, blendete alles aus und fiel in einen tiefen, unruhigen Schlaf.
Eine dreiviertel Stunde später weckten mich lautes Wasserplatschen und Fays Gelächter. Benommen schlug ich die Augen auf und das Erste, was ich sah, war wie sie sich mit Sascha eine Wasserschlacht lieferte. Sie waren sich unerträglich nah. Wütend schnappte ich mir mein Handtuch und verließ – wie ich dachte unbemerkt - das Schwimmbad.
Im Foyer des Hotels angekommen, hämmerte ich ungeduldig auf die Knöpfe des Fahrstuhls ein und ging voller Frustration und Ungeduld vor den Türen auf und ab, bis sie sich endlich für mich öffneten. Irgendwie stand ich, obwohl ich bei DerTraum relativ erfolgreich war, in letzter Zeit ständig nur noch vor verschlossenen Türen. Ich wollte nur noch allein sein. Doch da wurde mir ein Strich durch die Rechnung gemacht.
„Halt!!“ Fay kam tropfnass durch die Halle geschlittert und steckte todesmutig ihre Hand zwischen die sich schon schließenden Türen, um sie entschlossen wieder zu öffnen und sich mit ins Innere des Aufzuges zu schieben. Offenbar hatte sie sich nicht einmal mehr die Zeit genommen, sich abzutrocknen. Es erstaunte mich, dass sie Sascha für mich verlassen hatte.
„Damien, was ist los?“
„Ich bin einfach müde.“ Ich mied ihren Blick und ich wusste, dass sie wusste, dass ich log. Doch sie verkannte den Grund. „Ich habe dich links liegen gelassen. Das tut mir leid. Ich weiß nicht, was mit mir los ist! Dabei mag ich sowas selber nicht.“
„Vergiss es.“ Ich hatte keine Kraft mehr, mir weitere Entschuldigungen anzuhören. Ich hatte keine Kraft mehr, aus ihrem Mund zu hören, dass sie alles um sich herum vergaß, sobald Sascha in ihrer Nähe war.
Das schien sie zu spüren, denn sie sagte nichts mehr. Stattdessen umarmte sie mich fest. Nasse Haut an nasser Haut. Ich weiß nicht, ob ihr bewusst war, wie intim die Berührung war. Viel intimer als jeder Kuss.
Ich wollte sie ärgerlich von mir schieben, weil sie mir neuerliche Qualen bereitete, doch stattdessen zog ich sie noch näher an mich heran. Ich Idiot. Kurz schnappte sie hörbar nach Luft und ich war mir nicht sicher, ob sich mich schlagen oder küssen wollte. Ich fand es auch nicht mehr heraus, denn in diesem Moment öffneten sich die Aufzugtüren und ein Reporter samt Kamerateam – anscheinend gerade auf dem Weg zu einem der anderen Interview-Kandidaten stand vor uns.
Als ich mich endlich von ihr losriss, hatte er das Foto schon im Kasten. „Aber hallo, ihr zwei Hübschen.“
In dem Wissen, dass es keinen Zweck hatte, bekam ich dennoch einen Wutanfall: „Sie können uns hier doch nicht einfach fotografieren! Hat Ihre Mutter Ihnen keinen Anstand beigebracht?“
Das Grinsen des Reporters wurde immer breiter, und mir wurde klar, dass jedes Wort und jede Geste, die wir taten, ein gefundenes Fressen für ihn wären. „Entschuldigt, wenn ich mich irre, aber für mich sieht es gerade eher so aus, als hättet ihr keinen Anstand.“
Es war zu spät, der Schaden war schon angerichtet. Alles, was wir jetzt noch tun konnten war, ihn so gering wie nur eben möglich zu halten. Zitternd vor Wut zog ich Fay mit mir aus dem Aufzug und schnellstens in mein Zimmer hinein, da es am nächsten lag.
„Damien, es tut mir so leid!“, sagte sie, kaum dass sich die Tür hinter mir geschlossen hatte.
„Du kannst nichts dafür, aber du musst damit rechnen, dass bald ein unschönes Bild von uns in der Zeitung erscheinen wird.“
„Das ist mir egal.“, sagte sie mit entschlossenem Blick. „Hauptsache, zwischen uns beiden ist alles in Ordnung. Ist alles in Ordnung, Damien?“
Herr Gott noch mal! Ich ergab mich wieder. „Ja, natürlich ist alles in Ordnung mit uns.“