Menschliche Schreie voller Qual waren plötzlich lauter und lauter zu vernehmen. Irritiert hielt er inne, hatte er sich doch just auf den Weg gemacht, um nachzusehen, was Merten mit der Brünetten anstellte.
Brandon stellten sich die Nackenhaare auf und wieder wusste er, warum er sein lautloses Töten perfektioniert hatte. Sein Kollege stolperte um die Ecke des Flurs, lichterloh brennend. Es waren seine entsetzten Laute, die die Anwesenden schockierten, bis ein paar Beherzte sich daran machten, den auf dem Boden Zuckenden zu helfen und ihn in Decken einhüllten. Merten schrie erbärmlich, als würden die Flammen sich trotz der Löschversuche in seine Eingeweide fressen.
Feuer? Brandon starrte von draußen auf das Geschehen und spürte, wie seine Gedanken anfingen, sich zu überschlagen. Mit reiner Willenskraft zwang er sich zur Ruhe, beobachtete, wie Merten reglos auf dem Boden zusammengekrümmt liegen blieb und hörte, wie weitere Feuer-Rufe durch die Partylocation hallten. Er hasste Feuer, verabscheute es wie kaum etwas anderes auf dieser Welt, seit … damals.
Sein Herz schlug dumpf und es gelang ihm nur schwer, sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Wieso hatte Merten wie eine Fackel gebrannt? Wie konnte das alles in kaum drei, vier Minuten stattgefunden haben? Und – wo war die Frau, Mertens Zielperson?
Das allgemeine Chaos und die Panik, die um sich griffen, machten es Brandon nicht einfacher, den Überblick zu behalten. Aus einem Impuls heraus sprang er die paar Stufen hinunter, die zum weitläufigen Garten führten und rannte um das Gebäude herum. Irgendwo musste es noch weitere Ein- und Ausgänge geben? Solch alte Villen hatten zumeist noch einen Boteneingang. Er hatte Recht – und Glück. Kaum war er an einer dieser Türen angekommen, öffnete sie sich und die Frau, die er suchte, kam herausgewankt.
Im Schein der milchigen Gartenbeleuchtung konnte er nicht viel erkennen, doch als sie auf ihn zu taumelte, eine Hand fest an ihren Hals gepresst, erkannte er, dass ihr Blut über die Hand lief. Viel Blut. Zuviel Blut, um als normaler Mensch noch so aufrecht stehen zu können. Seine Nackenhaare richteten sich augenblicklich auf.
Eine Begabte, hämmerte es in seinem Schädel, er hatte tatsächlich mit einer dieser Kreaturen geschlafen, einer Hexe, die ihm das Hirn vernebelt haben musste. Vielleicht war er sogar an eine Langlebige geraten, so wie Merten es behauptet hatte? Niemand sonst rannte mit solch einer Wunde noch so agil durch die Gegend.
All das schoss ihm in Sekunden durch den Kopf – und trotzdem konnte er sich ihren schockgeweiteten Augen nicht entziehen. Die etwas angetrunkene, fröhliche, ziemlich direkte Frau von vorhin war einem Wesen gewichen, das aus jeder Pore Angst ausdünstete und ihn so hilflos und gleichzeitig misstrauisch anstarrte, dass er sich nicht sicher war, ob sie sich ihm in die Arme werfen oder ihn k.o. schlagen würde. So oft er selbst Begabte eingefangen hatte – ihr Anblick traf ihn auf einer Ebene, die er nicht benennen konnte und wollte. Brandon versuchte, zu seiner ursprünglichen Wut zurückzufinden, doch ihr Anblick schien alles zu überstrahlen, als lähme er sein Gehirn. Er machte lediglich einen Schritt auf die Frau zu, berührte sie sachte am Arm und war nicht darauf gefasst, dass sie heftig zurückzuckte.
»Es brennt«, stellte sie tonlos fest, wischte sich mit der freien Hand übers Gesicht und hinterließ rote Streifen. »Ich muss dann mal … weg.« Sie taumelte ein paar Schritte rückwärts, stolperte um ein Haar in einen Strauch hinein und fing sich wieder. Mit erstaunlich schnellen Schritten bewegte sie sich von ihm fort.
»Hey!«, rief er und rannte ihr hinterher. Jetzt, wo er nicht mehr das verheulte Gesicht vor Augen hatte, konnte er wieder klar denken. Wenn Merten sie als Zielperson auserkoren hatte und sie wirklich so vielversprechend war, wie dieser behauptete hatte, musste er sie kriegen. Abgesehen davon hatte er da was Persönliches zu klären. Niemand führte ihn ungestraft hinters Licht.
Dem stolpernden Zickzack der Frau konnte er locker folgen, lediglich die zunehmende Dunkelheit machte ihm Probleme, genauso wie ihr auch.
»Bleiben Sie einfach stehen!«, rief er der Brünetten hinterher und versuchte zu beschleunigen. »Sie ersparen uns beiden viel Stress, wenn Sie – «
Er fluchte, als er stolperte, fing sich und spürte, wie sein vertrauter Jagdinstinkt in ihm aufstieg. Sie wollte rennen? Weglaufen, sich verstecken? Bitteschön. Es war schließlich sein Job, Leute wie sie einzufangen.
Es blitzte vor ihm auf, ein winziges Funkeln eines Strasssteinchens, das seinem geschulten Auge nicht entging. Augenblicke später war er so nahe, dass er ihr Parfum riechen konnte, ein paar Herzschläge darauf setzte er alles in einen Sprint, sprang ab und riss die dunkle Silhouette mit zu Boden. Mit einem erstickten Schrei ging sie in die Knie und flog lang hin. Äste knackten, ein Vogel schrie, die Frau stöhnte dumpf.
»Halt still, Kreatur!«, fauchte er sie an und knurrte unwillig, als sie zappelte und sich mit Händen und Füßen wehrte. Vielleicht war ihre Wunde doch nicht so dramatisch gewesen, wie er unterstellt hatte, denn die Frau wirkte erstaunlich kräftig und wehrhaft. Diese Erkenntnis und ein Treffer ihrerseits, der um ein Haar seine Weichteile zermatscht hätte, ließen ihn jede Rücksicht aufgeben. Er schlug zu, vernahm einen Schmerzenslaut, der seine Nerven zum Singen brachte und atmete auf, als sie schließlich heftig atmend still lag und nur noch leise wimmerte.
»Halt bloß still!«, warnte er sie leise und ärgerte sich, dass er zwar seine Waffen, aber nicht einmal ein paar einfache Kabelbinder bei sich hatte. Also musste er sie eben gut festhalten. »Deinen Namen, Kreatur!«, zischte er sie an, »den und deine Begabung will ich wissen!«
Stille. Dann vernahm er ihre Stimme, dünn, zittrig – und völlig verstört. »Was wollen Sie von mir?«
»Deine …« Er brach ab. Merten konnte sich genauso gut geirrt haben. Wenn das wirklich der Fall war, hatte er gerade eine unschuldige Frau zusammengeschlagen und dann auch noch eine, die er tatsächlich gern hätte wiedersehen wollen. Er fluchte in sich hinein, klopfte seine Taschen nach seinem Talisman ab und fand ihn schließlich – eine kleine silberne Münze. Dann würde er es eben testen. Ohne große Erklärungen langte er nach ihrem Handgelenk, erwischte es trotz der Dunkelheit sofort und presste die Münze darauf.
Zunächst geschah nicht viel – die Frau wimmerte herzergreifend und flüsterte panisch vor sich hin, doch jetzt war es ohnehin zu spät. Wenn sie eine normale Sterbliche war, würde sie ihn vielleicht anzeigen, aber mit solchen Kleinigkeiten konnte er sich nicht aufhalten. Irgendwo in seinem Kopf flüsterte sein Gewissen, doch die Einwände, dass die Frau vermutlich gerade Todesängste ausstand, ignorierte er geflissentlich.
Seine Aufmerksamkeit wurde schließlich auf den zuckenden Arm unter seiner Hand gezogen: Die Münze war warm geworden, glitschiges Blut bedeckte seine Handinnenfläche. Passend dazu bäumte die Frau unter ihm sich auf, versuchte, ihm ihren Arm zu entreißen und kreischte schrill, bevor er ihre Laute mit der anderen Hand erstickte.
»Na bitte!«, wisperte er triumphierend, » eine so schnelle Reaktion auf Silber sagt ja schon genug aus.«
Die Münze wanderte wieder in seine Tasche, dann zog er die Frau hoch. Es war so dunkel, dass er kaum mehr als ein paar Lichtreflexe wahrnehmen konnte. Diese weit aufgerissenen Augen glaubte er dennoch zu erkennen.
»Und jetzt noch einmal: Deinen Namen und – « Er konnte sie gerade noch festhalten, als ihr die Beine wegknickten. Brandon fluchte herzhaft. Hatte er so hart zugeschlagen?
Er holte tief Luft, um irgendetwas Beruhigendes, nicht ganz so Bedrohliches zu sagen – und stöhnte erstickt, als er mit voller Wucht etwas Hartes an die Schläfe gedonnert bekam. Mit einem verblüfften Ächzen kippte er zur Seite.