„Ich weiß gar nicht, was du von mir willst, Jim, es war halt einfach keine große Sache, verstehst du? Ich würde ihm ja sagen ‚Mensch, danke, dass du mir so geholfen hast‘, aber die Wahrheit ist nun mal, ich sehs nicht so, Jim, komm schon.“, Beeker rieb sich seine Stirn und wischte sich Schweiß aus den Augen. Die Sonne brannte und, trotz des Schatten spendenden Daches aus Palmenblättern, war es unbarmherzig warm. Es war ein außerordentlich warmer Sommer. Alle Sommer waren in den letzten Jahren außerordentlich warm, was den Zweifel am Treibhauseffekt und dem Klimawandel im Grunde zerstören sollte. Doch einfache, idiotische Zeitgenossen sagten oft nur: „Mal wird’s warm, mal wird’s kalt. Das nennt sich Wetter“, und die Simplizität ihrer Aussage und die dahinter liegenden, teils verweigernden, teils missverstehenden, Gedankengänge waren für Jim schon immer ein Rätsel und würden es wohl auch immer bleiben.
„Trotzdem, Beeks, du musst doch einsehen, dass du ohne Mikes Hilfe niemals einen Job im Valley bekommen hättest. Er hat dich den entscheidenden Leuten vorgestellt. Seine Connections waren es, die dich dahin gehoben haben, wo du jetzt bist. Dank ihm einfach dafür. Musst ihm ja nicht gleich einen Präsentkorb in die Hand drücken. Über ein Bier würde er sich sicher genauso freuen“, Jim hatte allmählich die Schnauze gestrichen voll von diesem Gespräch und wollte einfach nur noch seinen Drink, einen Gin Basil Smash, austrinken und dann wieder ins Hotel fahren, wo Sue schon auf ihn wartete. Sicher hatte sie nicht an sich halten können und doch ein Tandem gemietet.
Er mochte Fahrräder eigentlich nicht, war eher ein Geher, Läufer, Ruderer und Schwimmer. Alles, nur nicht Fahrradfahrer. Doch er liebte sie und er liebte es, wenn sie vor Freude und Verzückung auf dem vorderen Platz saß und sich von ihm durch die Gegend strampeln ließ. Sie streckte dann immer ihre Beine aus und ließ sie vom Fahrtwind umspielen und lenkte sie mal in die eine Gasse, dann mal in die andere. Einmal wären sie dabei fast von einem Auto umfasst worden, als sie blind um die Ecke auf einen Boulevard bog und vergas, das in London Links-, statt Rechtsverkehr herrschte. Der Fahrer des alten Taxis mit der zerbeulten Karosserie hatte sie anzeigen wollen, doch Jim machte dem Kerl klar, dass er damit nicht weit käme und die Sache löste sich im nächsten Pub bei einem Stout in Wohlgefallen auf.
„Ja, hast du wohl Recht, Jim. Aber trotzdem. Er hätte nicht gleich so ein Arschloch sein müssen. Weißt du, was er getan hat?", Beeker hatte sich weit über den emaillierten Tisch gebeugt und klammerte sich mit seinen Händen so fest an die glänzenden Aluminiumarmlehnen seines Stuhls, dass die Knöchel weiß hervortraten, seine Augen waren merkwürdig von roten Adern durchzogen "er hat Sarah angerufen und aufgefordert, bei mir auszuziehen! Kannst du dir das vorstellen!?" Jim konnte sich das sehr gut vorstellen. Sarah, die Ehefrau von Beeker war auch Mikes Schwester. Im Grunde handelte es sich um einen Familienstreit und er wusste einfach nicht, warum Beeks ihn da unbedingt mit reinziehen wollte. Er hatte bisher so einen angenehmen Urlaub im golden state. Zudem schien die Wärme und Sonne Sue gut zu tun, was ihm auch gut tat. "Beeks, pass auf. Red einfach mit ihm. Er wird dir vergeben. Und Sarah hat er nur deshalb angerufen, um Druck auf dich auszuüben. Sie liebt dich, sie würde niemals von deiner Seite weichen", Jim war nun aufgestanden und hatte den Kellner herangewunken. "Hast Recht, Jim. Las nur", er winkte ab "Ich übernehm das für dich."
"Dank dir, Beeks."
"Sagst du Sue schöne Grüße von mir, Jim?"
"Klar, richt ich ihr aus, Beeks. Sie wird sich freuen von dir zu hören."
"Oi, dank dir. Machs gut, Jim."
"Du auch Beeks", sprachs und trat unter dem palmengedeckten Dach hervor und steckte sich eine selbst gedrehte Zigarette an. Eine Frau, in space-themed Leggins, die an ihm vorbei joggte, zischte ihn an. Er war dergleichen gewohnt. In Europa war man aufgeklärter als in Kalifornien, aber man war auch höflicher und gestattete den Menschen ihre kleinen Laster und Fehler. Er hatte immerhin gewartet, bis er aus dem Café heraus war. Schleierhaft war ihm trotzdem, wie Leute, welche eindeutig den Konsum von Cannabis befürworteten, gegen Tabak sein konnten. Er kannte die Studien. Das Gerücht, Cannabis würde Krebs heilen, hielt sich hartnäckig. Dabei war Cannabis, das heißt, die Stoffe die beim verbrennen inhaliert wurden, ebenso Karzinogene. Aber sich darüber mit einem anderen Menschen zu unterhalten hatte selten etwas von einer Diskussion. Öfters hatten solche Gespräche den Charakter von Glaubenskriegen.
Er ging die Straße entlang und genoss die Ruhe, die die Hitze den Straßen des Valleys aufzwängte. Sicher, richtig ruhig war es natürlich nicht und würde es auch nie werden, aber für die hiesigen Verhältnisse war es sehr entspannend. Er war bereits ein ganzes Stück gelaufen, sicher schon eine Stunde lang, und hatte sich versucht vorzustellen, wie die großen Geister der Gegenwart, die Zuckerbergs und Hawkings, hier Hand in Hand eine Zukunft schmiedeten, die so bunt und human zugeschnitten sein wird, und doch so fern und unmenschlich wirken wird. In seiner Hosentasche vibrierte sein Handy. Es war eine Nachricht von Mike. "Offenbar hatte Beeker sich meinen Rat zu Herzen genommen", dachte Jim. In der Nachricht stand: "Beeks ist verrückt geworden. Sarah hat die Polizei rufen müssen, weil er versucht hatte, sie umzubringen oder so. Was hast du ihm gesagt, zum Teufel?" Es war sehr warm, außerordentlich warm. Und still, man konnte das Summen der Mücken, Bienen und Klimaanlagen hören.
Erst eine Woche später erfuhr Jim, was genau passiert sein musste, lange also, nachdem er seine Aussage bei der Polizei machen musste. Er war für nichts verantwortlich, wurde deshalb auch weder verhaftet noch angeklagt. Es war für ihn und Sue dennoch ein Schock. Sie kannten Mike, Sarah und Beeker noch aus ihrer gemeinsamen Zeit am MIT. "Was genau ist denn nun passiert, Darling? Du hattest doch geschrieben, Beeks wäre auf deinen Vorschlag eingegangen", fragte Sue ihn aufgeregt und strich dabei eine Fluse von seinem Hemd. Er liebte sie, gerade für solche Kleinigkeiten. "Es macht es nicht einfacher zu erklären, noch zu akzeptieren, dass Beeker auf Drogen war. Aber damit geht die Geschichte im Grunde auch schon los."
Was war geschehen. Offenbar nahm Beeker, seitdem er im Valley arbeitete, Methamphetamin. Er war auch auf Meth, als er sich mit Jim traf und hatte, nach dem er wieder gegangen war, sich eine neue Nase gegönnt. Niemand weiß, ob er auch nur eine Sekunde daran gedacht hatte, Mike anzurufen und sich wirklich, aufrichtig zu entschuldigen. Er ist auf direktem Weg nachhause gefahren und dort hatte er Sarah getroffen, die einen Koffer packte. Sie wollte scheinbar nur Vorbereitungen treffen, da sie in einer Woche in die Berge fahren wollten, zum Hiken. Beeker hatte das aber offenbar falsch verstanden. Er dachte wohl, sie wolle zu Mike flüchten. Als er ihr mit einem Messer in der Hand drohte, war auch schon die Polizei eingetroffen. Sarah hatte sie per SMS gerufen, als Beeker ins Haus kam und da bereits Lärm gemacht hatte.
"Eine wirklich traurige Geschichte, Darling. Was meinst du, passiert jetzt mit Beeks?", Jim zuckte als Antwort nur mit den Schultern. "Ich weiß es nicht", erwiderte er "sicher wird er vor Gericht gestellt. All die Drogen und dann auch noch versuchter Mord. Ich denke, die nächsten Jahre sehen wir ihn nicht wieder." Ihre Haare dufteten nach Brombeeren und sie trug eine neue, weiße Bluse aus gestärktem Stoff, sodass der Kragen eng an ihrem Hals anlag und ihr ein wenig das Aussehen eines zu alten Schulmädchens verlieh. Ihre Haare hatte sie knapp unter den Ohren gerade abgeschnitten. So wirkte sie ganz, als sei sie aus einer anderen Zeit heraus zu ihm gekommen. "Ach, Darling. Kalifornien hat für mich seinen Glanz verloren. Ich kann nicht mehr die Sonne genießen wenn ich dabei immer an die arme Sarah denke. Meinst du nicht, wir könnten sie aufnehmen? Sie würde sich sicherer bei uns fühlen.", Sue blickte ihn direkt aus ihren smaragdgrünen Augen an. Doch Jim schüttelte nur den Kopf: "Nein. Mike kümmert sich um sie. Er ist ihr Bruder."
Sie trafen Sarah erst Jahre später wieder. Beeker hatte sich da schon im Gefängnis aufgehangen. Jemand hatte ihm das nötige dafür herein geschmuggelt und man hatte ihn erst nach drei Tagen gefunden. Zum Glück musste man Sarah nicht zur Identifikation hinzu ziehen.