„Lächeln‟; rief eine dunkle Gestalt unter Dorians Fenster hinauf und hielt ihnen die Kamera seines Smartphones entgegen. Es blitze kurz auf und Josh zuckte erschrocken zurück. Reflexartig griff er nach Dorians Arm, der wie erstarrt am Fenster stand und abfällig auf den Fremden herabblickte.
„Was sollen wir jetzt machen‟; flüsterte er ihm hektisch zu und trat einen Schritt von der Scheibe weg. Sein Cousin riss sich aus seiner Starre und streifte wütend seinen Arm ab.
„Hey‟; brüllte er plötzlich hinunter, „Verschwindet aus meiner Straße!‟ Der Fremde unter ihnen lachte und sah zu dem breitschultrigen Kerl neben ihm.
„Ich glaube nicht, dass es so ablaufen wird‟, krähte er und verschränkte die Arme vor der dürren Brust. „Du hast noch eine Chance. Gib mir das Echo-Rezept oder du wirst es bereuen.‟
Dorian lachte auf und sah zu Josh zurück, der zögernd näher trat und über seine Schulter nach unten blickte.
„Ich denke gar nicht daran und jetzt zieh Leine bevor ich die Bullen rufe.‟
Josh stieß seinen Cousin warnend an, doch der schüttelte abermals seine drängende Hand ab. „Pass auf was du sagst‟; raunte er seinem Cousin zu. Josh sah besorgt in die Dämmerung hinaus und erkannte in dem Fremden den Kerl, den er damals im Park getroffene hatte. Der Hüne neben ihm, war ihm allerdings unbekannt und schien kein Wort zu verlieren, während er drohend zu ihnen aufsah.
„Hast du das gehört?‟; wandte sich der Parkkerl an seinen Begleiter und stieß ihn manisch an, „Der Kleine will die Bullen rufen!‟ Er lachte schrill auf und sah mit einem verrückten Ausdruck zu ihnen hoch, „Letzte Chance oder soll ich deine Mami rufen? Du hast auch eine kleine Schwester nicht wahr? Wie alt ist sie? Ich glaube sie eben gesehen zu haben, ein süßes Kind. Nora heißt sie, ich hab ihren Namen an eurer Klingeln gelesen. Hat dir das Foto von ihr gefallen?‟
Dorian knurrte zornig und ballte die Hände zu Fäusten. Seine Aura pulsierte in hellem Rot, schwarze Schleier flirrten in ihrem Kern und die Kanten wirkten scharf wie zerbrochenen Glas. Josh legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter und widerstand angestrengt dem Drang seinen Zorn zu mindern.
„Beruhige dich‟, zischte er ihm stattdessen ins Ohr, aber Dorian umklammerte wutentbrannt den Fensterrahmen, seine Knöchel traten weiß hervor und mit hochrotem Kopf lehnte er sich aus dem Fenster.
„Zieht Leine!‟, donnerte er bedrohlich langsam. Die Dämmerung ließ seine Konturen verschwimmen, aber seine Augen funkelten mordlüstern auf die Männer unter ihm herab.
Josh wollte ihn zurück ziehen, blieb aber an der Aura des Parkkerls hängen. Sie flackerte wild, die Ränder schienen zerrissen und zahlreiche Narben verunstalteten die hektisch umeinander wirbelnden Farbschleier. Die meisten Risse waren golden, oder schimmerten in bunt wechselnden Farben ohne sich in die umliegenden Schwaden auszubreiten. Der dürre Mann trat näher an das Fenster und hob drohend die Faust. „Dein letztes Wort?‟, fragte er zischend und seine Aura flackerte blau auf. Die zahllosen Narben wurden bei dem Stimmungswechsel dunkel und zogen das Licht der Aura in ihre bodenlose Schwärze.
Er wollte in seine Jackentasche greifen, aber da schlossen sich die stählernen Fäuste seines Begleiters um seine Handgelenke. Der Schläger sah ihn warnend an und der dürre Kerl kniff verbissen die Lippen zusammen. Langsam zog er seine Finger aus dem festen Griff und hob beschwichtigend die Hände. Er warf einen letzten hasserfüllten Blick zu Dorian hinauf und spuckte angeekelt aus. „Das wirst du bereuen.‟
Sein Begleiter packte fest seine Schulter und murmelte ihm knurrend etwas zu, die schweißnasse Haut seines Nackens wölbte sich in dicke Wülste, als er sich zu ihm beugte und ihn zurück auf die Straße zerrte. Die Luft um seine massige Gestalt verdichtete sich, behielt jedoch ihre dunkelgrüne, matte Farbe. Weder Sorge, Angst, Hass oder nur Wut waren in seiner Aura zu erkennen und Josh sah ihm beunruhigt nach, während die beiden Männer in den Schatten verschwanden.
„Was sollen wir nun tun?‟, hauchte Josh schwach und sah hilfesuchend zu Dorian, der sich heftig atmend an die Wand lehnte. Die Luft pulsierte, rote Schwaden umwirbelten seine gekrümmte Gestalt und verblassten langsam in ein schmutziges braun.
„Ich werde die Sache klären‟, knurrte er und sah hasserfüllt aus dem geöffnetem Fenster. Josh trat ihm kopfschüttelnd gegenüber.
„Du allein? Keine Chance, wir stehen das gemeinsam durch.‟
„Ach ja? Du hast dir damals im Park fast in die Hosen gemacht und nimm es mir nicht übel, aber trotz deiner Superkraft, bist du kein Kämpfer.‟
„Wer sagt denn, dass wir kämpfen müssen?‟
Dorian lachte freudlos auf, „Und ich habe dir vorhin vorgeworfen, du hättest dich verändert.‟
„Ich habe mich verändert‟; schnaubte Josh und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, „Ich bin stärker als je zuvor und diese ganze Geschichte dreht sich nicht um dich. Es geht um das Echo, meine Erinnerungen.‟
„Du glaubst ein klärendes Gespräch würde den Konflikt aus der Welt schaffen?‟; vermutete Dorian spöttisch. Josh zuckte verzweifelt mit den Schultern und hob ratlose die Hände.
„Keine Ahnung, womöglich, aber einen Versuch ist es wert. Sie wollen das Echo-Rezept? Dann geben wir es ihnen! Meinetwegen sollen sie alles über mich erfahren, beweisen können sie es ohnehin nicht.‟
„Und glauben auch nicht‟, widersprach im Dorian gestresst, „Kann sein, dass es deine Erinnerungen sind, aber es war und ist noch immer mein Geschäft, mit meinen Kontakten. Halte dich aus dieser Geschichte raus, sie ist nichts für Feiglinge.‟
„Feiglinge?‟, wiederholte Josh bestürzt und Dorian seufzte schwer.
„Nimm es nicht so schwer aber ja. Du bist jemand, der sich sein Leben lang aus jedem Kampf heraus gehalten hat, bei jedem Streit klein beigibt und immer versucht es allen recht zu machen.‟
„Ich bin also feige, weil ich Gewalt und Starrsinn ablehne?‟, fragte Josh, sein Zorn wuchs mit jedem seiner Worte. „Kann sein, aber trotzdem lasse ich dich nicht allein.‟
„Das ist tapfer von dir‟, beruhigte ihn Dorian, „Aber auch dumm.‟ Er seufzte tief und schloss mit einem lauten Knall das Fenster. „Es ist spät, lass uns diesen Streit morgen beenden.‟ Dorian schnappte sich Joshs Jacke und drückte sie ihm in die Hand. „Komm morgen Abend wieder und wir planen gemeinsam das weitere Vorgehen.‟
„Du meinst unser weiteres, gemeinsames Vorgehen?‟, korrigierte Josh, während er zur Haustür geschoben wurde.
„Das besprechen wir morgen‟, antwortete Dorian knapp und sah seinen Cousin eindringlich an, „Ich habe immer versucht dich zu verstehen, auch wenn es nicht leicht war. Jetzt bist du an der Reihe. Das hier, ist meine Geschichte, akzeptiere es.‟
„Aber …‟, widersprach Josh, doch Dorian schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Sprachlos schloss er den Mund und fuhr sich durch das wirre Haar. Das mulmige Gefühl, dass er bei diesem Streit wie üblich verlieren würde, ließ ihn nicht mehr los, genau wie die böse Vermutung, dass Dorian seine Tragödie insgeheim genoss.
Seine Aura hatte rot geschimmert, leuchtend rot und schnell wie ein Vogelherz gepocht. Da war kein Anzeichen von Hass gewesen, oder bodenlosem Zorn, viel eher Erregung und … ein goldener Schimmer der Freude. Dorian schüttelte den Kopf und versuchte die absurden Gedanken zu verdrängen, aber so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht.
Selbst als er in seinem dunklen Zimmer lag, eingewickelt in dünne Laken und dem Zirpen der Grillen vor seinem Fenster lauschte, wollte ihn die Sorge nicht verlassen.
Was hatte Dorian noch gleich zu ihm gesagt? Ich glaube ich muss dir nicht sagen, wie verwirrt ich über unsere eigene Geschichte bin. Du, der Superheld, und ich der Dealer, der krampfhaft versucht seine eigene Hauptrolle zu schreiben.
Aber Dorian würde doch nicht auf die Idee kommen … Nein! Abermals drängte er die Gedanken zurück. Sein Cousin war chaotisch, undiszipliniert und faul, aber noch nie dumm gewesen.