Schreie in der Dunkelheit.
Verzweifelte Hilferufe rissen Finn aus dem Schlaf. Sein Kopf dröhnte, die kalten Mauern die er erblickte, kamen ihm unangenehm bekannt vor.
Diese Zellen, er kannte diese Zellen, aber nicht von innen.
Seine Arme waren an der alten Mauer angekettet und über seinem Kopf gebunden. Neben ihm stand seine große Gasflasche, deren Schlauch zu einer Atemmaske führte, die ihm jemand nach unten gezogen hatte.
Er schloss daraus, dass er betäubt worden war mit einem Mittel aus dieser Flasche. Er versuchte sich zu konzentrieren und starrte auf das, was sich direkt vor ihm befand.
Gelbe neugierige Augen, dunkle gräuliche Haut und zerzaustes fast weißes langes Haar.
"Sie muss still sein!", seine Stimme klang gepresst und noch sehr jung, "Sonst kommen die Wachen und holen uns alle. Du bist mit ihr gekommen, bitte sprich zu ihr!"
Finn bewegte den Kopf und spürte wie es tief in ihm pochte. Er vernahm die dröhnende Stimme des Nachtschattens: "So dunkel, was ist hier los?"
Finn starrte auf die Ketten des dunklen jungen Mannes, sie waren geöffnet und er konnte sich frei bewegen. Ihm war dieser Blick nicht entgangen.
"Ich mache dich los, aber bitte unternimm etwas!", Als er Finns Ketten geschickt löste entdeckte dieser die spitzen Ohren, welche aus dem weißen Haar lugten.
"Du bist ein Elf?", fragte Finn überrascht und rieb sich die Handgelenke, dann sah er sich weiter um.
"Natürlich!", der Junge eilte zu dem schmalen Gitter an der Stahltüre, die der einzige Ausweg aus dem ganzen Schlamassel zu sein schien.
"Da drüben, in der Zelle gegenüber, diese hellhäutige Schlampe muss endlich aufhören alle 10 Minuten zu schreien und nach Hilfe zu rufen! Diese Wachen... Dieser Typ, er schlachtet reihenweise Insassen ab!", der dunkle Elf schien in Panik zu verfallen.
Finn lief ein Schauer über den Rücken. Er wusste nicht wie und warum, aber sie befanden sich in einer Zelle der dunklen Kathedrale.
Dem am besten bewachten Gefängnis aller Zeiten. Also unter Badria, warum hatte man sie hier eingesperrt und warum hatte Badria sie nicht hinaus geholt?
"Allison!", rief er aus dem Gitter über den Gang, "Du musst still sein hörst du? Ich hole uns hier raus, ich muss nur wieder zu Kräften kommen!"
Es dauerte einen qualvoll langen Moment bis eine Antwort erschallte: "Finn? Gott sei Dank du bist wach! Dieser Dämon... Chrunch... Er wird uns holen... Er wird uns...!"
Finn stolperte zurück, erst jetzt realisierte er die Kratzer an der metallenen Türe, Bilder waren hinein geätzt worden.
Diese Zelle hatte früher Chrunch, dem irren Dämonenkönig gehört. Aber dieser war tot, gefallen in Kampf gegen seinen eigenen Bruder Church.
Und Church war sicher nicht daran interessiert ihn zu töten. Plötzlich machte sich ein übler Gestank breit, süßlich scharf nach Verwesung.
"Fiiiiiinn!", das krächzen hallte durch den Gang und lies alle zusammen zucken. In dieser unwahrscheinlich düsteren Stimme lag so viel Abscheulichkeit, so viel Wahnsinn und brennender Hass.
"Da ist er wieder!", flüsterte der Dunkelelf Finn zu, "Der gestörte Wärter. Dieser abscheuliche Untote!"
Finn erkannte die Stimme sofort. Das letzte Mal, als er sie gehört hatte, war er fast gestorben. Auf dem staubigen Schlachtfeld von Argenshire vor der Stadt, die er Katzus getauft hatte. Aber das war unmöglich, Jahre später hatte Chruch, besessen vom Gedanken sein Herz aus dem dunklen Schwert wieder zu erlangen, seinen Bruder befreit.
Erst als er sah wie Saphira gegen ihn kämpfte, hatte er eingegriffen und dieses Übel aus der Welt getilgt.
Der Verschlinger selbst hatte die Überreste des irren Dämonenkönigs geschluckt, um zu vermeiden, dass er je wieder zurückkehren konnte.
Ein Schlüssel wurde in das alte Schloss der magischen Türe des Verlieses gesteckt und gedreht, dann schwang die Türe auf.
Das Licht des Ganges blendete Finn kurz und er konnte zuerst nur die verrotteten Umrisse von Chrunch erkennen.
"So sehen wir uns wieder, mein Prinz", höhnte dieser wobei ihm widerliches Sekret aus einem der Löcher in seinem fahlen Gesicht tropfte. Alle Stellen die Church durchbohrt hatte waren noch zu sehen, es musste sich also um den im Untot gefangenen Dämonenkönig handeln.
"Chrunch...", Finn hielt sich mit einer Hand die Nase zu. Der Geruch den dieses Wesen verströmte trieb ihm die Tränen in die Augen.
Der Dunkelelf wich zurück: "Was wollt ihr? Monster!"
Finn hob schnell die andere Hand und gebot ihm zu schweigen, Chrunch zu verärgern war noch nie eine gute Idee gewesen. "Mutig! Und dumm! Dafür wirst du sterben Langohr!", knurrte Chrunch und begann zugleich zu lachen.
Es war das widerliche, irre Lachen, welches Finn schon in Argenshire verflucht hatte. Die Zeit des Dunkelelfs war also abgelaufen. Fäden schossen aus den Überresten von Chrunch und tanzten und zuckten wirr in der Luft wie Schlangen.
Die Augen des Dunkelelfs weiteten sich, ein kurzes Keuchen entwich seiner Lunge, dann schien er zu erstarren. Die Fäden beendeten ihren seltsamen Tanz und schossen gesammelt auf ihn zu.
Blut spritzte auf die kalten Steine der Verlieswände und Chrunchs irres Lachen hallte durch die Gänge und Zellen.
"Was...", der Dunkelelf hatte die Augen geschlossen um sich auf den Schmerz vorzubereiten, der aber nicht gekommen war.
Er wischte sich das Blut aus dem Gesicht und starrte auf Finns durchlöcherten Körper vor sich. Die Fäden begannen sich in den Körper des Untoten zurück zu ziehen, in seinen schwarzen Augen lag unheimlicher Zorn.
"Was willst du hier beweisen, Finn, Prinz vom weißen Thron?", knurrte Church sein Gegenüber an. Finn viel auf die Knie, noch mehr Blut sickerte aus seinen Wunden, die Chrunchs Fäden hinterlassen hatten.
Sein Körper begann zu zittern und er spuckte eine ordentliche Ladung Blut aus seiner Lunge.
"Warum... warum hast du das getan?", keuchte der Dunkelelf hinter ihm und starrte mit panischen Blick auf den knienden Finn. Dieser stemmte sich immer mehr zitternd wieder in die Höhe und hustete weiter Blut.
Chrunch ballte seine verschimmelten Hände zu Fäusten und schlug Finn in die Magengrube: "Geh zur Seite Idiot!"
Finn japste und fiel wieder auf die Knie, ein Schwall Blut schoss aus seinem Mund. Chrunch versetzte ihm einen Tritt mit dem Fuß und streckte ihn damit endgültig nieder.
Dann wendete er sich wieder seinem eigentlichen Ziel zu: "Yalhan, der in den Weltenriss gefallen ist... So war doch deine Geschichte oder? Dunkle Haut und helles Haar, ich habe noch nie so einen missgestalteten Elf gesehen!"
Yalhan starrte auf das ganze Blut um ihn herum, der Schweiß rann ihm von der Stirn über die Nasenspitze und in seinem Kopf drehte sich alles. Es gab kein Entkommen, da realisierte er ein Zucken des geschundenen Körpers vor ihm.
"Dieser Irre", dachte er, "er kann doch nicht... Noch so einen Schlag wird er nicht überleben! Ein Wunder das er noch stehen konnte nach all dem!"
Doch genau das geschah, Finn richtete sich erneut auf und schlug diesmal zu. Seine Faust traf Chrunch hart am Kinn und lies ihn ein paar Zentimeter vom Boden abheben.
Yalhan schreckte zurück, er konnte nicht fassen wie viel Kraft in dem unscheinbaren, blonden Jungen steckte.
Auch Chrunch schien das unterschätzt zu haben als er aus der Zelle taumelte. "Wachen zu mir!", brüllte er, bevor ein Fausthagel über ihn kam. Finn schlug so lange auf den Untoten ein bis ihm alle Knöchel aufgeplatzt waren. Die Löcher des Angriffs von Chrunch hingegen begannen rauchend und zischend zu verschwinden. Seine Augen leuchteten gelb, was Chrunch nicht entgangen war:
"Wie kannst du... Was bist du?" Finn verpasste ihm einen Schlag der ihn einige Meter von sich beförderte und drehte sich zu Yalhan um.
Dieser starrte immer noch schockiert auf die Szenerie.
"Komm schon, wir gehen jetzt!", rief Finn ihm zu, dann wendete er sich der Zelle von Allison zu. Mit einem Ruck riss er die Türe aus den Angeln und warf sie zur Seite.
Die blonde Elfe wirkte ausgehungert und mitgenommen, aber sie war unverletzt. Sie fiel Finn um den Hals und klammerte sich kurz an ihn: "Ich dachte das ist das Ende!"
Finn löste sich aus der Umarmung, ihm war bewusst, dass sie schnellstmöglichst verschwinden mussten.
Er fuhr herum und packte Yalhan, der immer noch in der Türe seiner Zelle stand, und schüttelte ihn.
"Komm schon, oder willst du hier unten sterben?", schrie er den Dunkelelf an. Yalhan kniff die Augen zusammen und nickte ihm zu. Doch dann verwandelte sich sein Blick wieder in den eines scheuen Rehs, voller Panik. Auch Finn lief ein Schauer über den Rücken, es war unangenehm kalt geworden.
"Dachtest du wirklich wir würden dich hier raus spazieren lassen?", es war nicht wirklich eine Stimme, eher ein geisterhaftes Flüstern welches hinter Finn erschallte.
Finn wandte sich herum und seufzte, sein Plan war gescheitert. Der Körper des Schattens war in einen schwarzen langen Mantel gehüllt, der ganze Kopf mit Bandagen umhüllt, nur ein Auge war zu sehen. Dieses funkelte schwarz aus den Bändern hervor, ein unheimlicher Glanz lag darin.
Er hatte Allison überwältigt und hielt ihr eine von schwarzem Nebel umhüllte Klinge an den Hals.
"Was ist das?", entfuhr es Yalhan, Finn stellte sich sofort wieder schützend vor ihn: "Das ist ein Schattenmann aus den Unterlanden, ein mächtiger Dämon!"
"Zurück in deine Zelle, oder sie stirbt", hallte die unheimliche Stimme durch den Gang.
Finn begann zurückzugehen.
Plötzlich schrie Allison auf: "Lauf Finn, ich werde hier nicht die Geisel spielen!"
Finn hielt inne, er starrte Allison an, ihre Augen begannen zu Tränen und sie biss sich auf die Lippe.
"Nein!", er hob die Hand, "Allison, bitte, tu das nicht!"
Tränen rannen der Elfe über die Wange: "Beschütze meinen Bruder, er darf nicht fallen!"
Ihre Stimme war nur noch ein eindringliches Flüstern.
Shanora starrte nervös auf die offene Türe, kalter starker Wind lies sie immer wieder gegen die Wand schlagen und die Vorhänge aus goldenem und blauen Samt wurden aus den Bändern gerissen, welche sie zusammen hielten.
In dem Moment als Shanora wieder zurück durch die Türe laufen wollte kamen ihr Allister und Sassy entgegen, Allister schlug sofort die Türe hinter sich zu.
„Ihr habt es geschafft!“, Shanora lies sich beruhigt auf das schmale weiße Samtsofa sinken und strich fasziniert über die goldenen Ränder. Da sie keine Schuhe trug konnte sie den wunderschönen geknüpften Teppich unter ihnen spüren. Ihr gefiel dieser Raum, sie liebte jedes der schönen Details in Gold, dunklem Blau und Weiß.
„Wo sind wir hier?“, Shanora blickte die beiden gespannt an. Allister und Sassy wirkten ziemlich ramponiert, aber immerhin waren sie in einem Stück hinein gekommen.
„Wir sind Zuhause“, Allister zwinkerte ihr zu, „in Sicherheit, hier kann uns erst einmal nichts passierten!“
Sassy warf den schwarzen Mantel, den sie getragen hatte in die Ecke, dann atmete sie tief durch: „Ich gehe duschen, dann werde ich für Shanora ein paar Klamotten suchen!“
Allister nickte ihr zu und deutete auf die Fenster, Shanora rannte hin und blickte hinaus. Was sie sah war wunderschön, riesige Felder voller blühender Obstbäume, kleine Bächlein die in das Tal hinunter flossen, welches sich hinter den Feldern befand.
„Ist das dein Haus?“, fragte sie fasziniert. Allister stellte sich neben sie: „Ja, das Haus meiner Familie!“
Shanora sah sich um und lauschte, es herrschte Stille im ganzen Haus. Sassy ließ sich auf das Bett fallen und starrte an die Decke, sie schien ein wenig zu bereuen sich von Allister aus dem Kampf zerren zu lassen.
Vanessa und sie waren schon immer verfeindet gewesen, beide hatten große Kräfte, und vor Sassys Umstyling durch Allison, hatten sie immer um das längere, blondere Haar gewetteifert.
Sie hätte gerne gewusst wer die Stärkere war, aber sie musste Allister auch Recht geben, es war nicht an der Zeit sinnlose Kämpfe auszutragen.
"Sind wir die einzigen in diesem Haus?", fragte Shanora schüchtern, sie wollte nicht in ein Fettnäpfchen treten.
Allister nickte und starrte auf den Spiegel: "Ja, Sassy ist alles an Familie das ich noch habe!"
Shanora schluckte schwer, sie wusste, dass sie eigentlich nach ihrem Bruder und Allisters Schwester gesucht hatten.
Allister begann wie in Trance sich das zerzauste Haar zu richten, sein Blick war leer und doch glaubte Shanora in einer Mimik einen großen Schmerz zu entdecken.
Bedrückte Stimmung machte sich breit, auch Sassy konnte sie spüren und sprang auf. Shanora näherte sich Allister langsam und hielt seinen Arm fest, sodass er aufhören musste sich zu bürsten. Sassy packte seinen anderen Arm, sie merke sofort wie verkrampft er war, und das er leicht zitterte.
Er ließ den Kopf hängen sodass sein Haar sein Gesicht verbarg und ballte seine Hände zu Fäusten, Shanora lies ihn erschrocken los und warf Sassy einen verzweifelten Blick zu. Sassy zuckte mit den Schultern, sie wusste auch nicht was da gerade passierte.
Allister strich sich die Haare aus dem Gesicht und offenbarte seine Augen, aus denen Bäche aus Tränen flossen. Shanora schlug die Hände vor dem Mund zusammen: "Was ist den passiert?"
Sassy war ebenso verwirrt wie sie, was konnte in den Sekunden, die sie gebraucht hatten um durch die Türe zu kommen, passiert sein?
Allister ballte seine linke Hand zu einer Faust und schlug damit in den Spiegel, dieser zersplitterte an der Stelle und Risse zogen sich bis zu den verschnörkelten Rändern. Blut rann unter seiner in den Scherben verschwunden Faust über den Spiegel und tropfte langsam auf den Boden.
Shanora und Sassy blickten auf das bizarre Bild und schienen beide in ihrem Schock zu Eis erstarrt zu sein.
Allister riss seine Hand aus dem demolierten Spiegel und starrte auf die blutigen Schnitte, die sofort wieder zu verschwinden begannen nachdem er die Scherben hinaus gezogen hatte.
"Sie ist tot!", brach er das geschockte Schweigen im Raum und lächelte gebrochen. Shanora ging einen Schritt auf ihn zu, unsicher ob sie ihn berühren sollte: "Was meinst du damit Ali? Wer ist tot?"
Sassy hatte begriffen worum es ging. Geschwister konnten sich sehr nahe stehen, sie konnten spüren wenn es dem anderen nicht gut ging. Oder wenn der Andere gar nicht mehr am Leben war. Was würde das für Finn bedeuten? Der mit Allison verschwunden war, und von dem es genau so wenig Lebenszeichen gab.
Würde Shanora spüren ob es ihm gut ging, oder ob er noch lebte? "Allison ist tot!", Allister klopfte Shanora auf die Schulter, "Ich konnte sie nicht retten!"