Das erste zarte Rosa des neuen Tages zeigte das grässliche Ausmaß des Kampfes. Überall lagen Ghoulreste herum, die sonderbar dampften und knisterten, als spürten sie die nahe Sonne.
Doch auch den schrecklichen Anblick der Überreste Stephen Boyds und Neil Bakers enthüllte es.
Garrett schluckte angesichts der blutigen Masse, die einst einer seiner ärgsten Peiniger war. Endlich hatte er Frieden vor ihnen - doch freuen tat er sich über diesen Ausgang nicht. Er hatte sie trotz allem beschützen wollen.
Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn wissen, dass sich Kyle in den Rinnstein erbrach. Ihn hatte der Verlust schwer getroffen.
»Was machen wir jetzt mit den Leichen?«, murmelte Garrett und klammerte sich haltsuchend an Dionysos' Hand.
»Nichts. Wir lassen sie liegen. Wir können nichts anderes tun. Kyle und dem Mädchen wird niemand glauben. Und ich töte beide, wenn sie dir Schwierigkeiten machen!«, knurrte der Vampir.
Kyle nickte nur erschöpft und kreidebleich vom Erbrechen.
»Das gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht. Aber zwei verschwundene Teenager werfen mehr Fragen auf als zwei Tote. Sie werden es Chester Bayfields Mörder anhängen.«
»Wurde... wurde der auch von so einem... Vieh...?«, krächzte Kyle und Dionysos ließ sich zu einem Nicken herab.
»Chester, meine Mum... alles Vampire«, ergänzte Garrett.
Kyle taxierte den Mann neben seinem ehemaligen besten Freund im Morgenlicht genauer. Sein Gesicht war fein geschnitten, attraktiv, ebenmäßig und dennoch maskulin. Die dunklen Augen waren von schwarzen Brauen überschattet, die Nase lang und elegant. Der Mund wirkte sinnlich, fast zart, war jedoch im Moment fest zu einem Strich gepresst. Ein äußerlich normaler, überdurchschnittlich attraktiver Mann. Doch Kyle hatte in der Nacht seine Augen gesehen, glühend wie die einer Katze, unheilvoll, rot. Er hatte gesehen, wie er allein und mit bloßen Händen diese Monster zerrissen hatte. Normal ging anders!
»Das hier sind doch auch Vampire, oder?«
Dionysos wandte den Kopf zu Kyle, der den Hass fast wie einen Ring um die Brust spürte.
»Ja. Und du verdankst es Garrett, dass ich dich nicht schon längst getötet habe.«
Kyle schluckte. Er könnte wetten, Garrett hatte ihm alles erzählt, was er und die anderen getan hatten. Doch warum hatte er ihn davon abgehalten, sich stellvertretend zu rächen? War Garrett wirklich so ein edler Mensch?
Hätte er, Kyle, einen Vampir zum Freund, hätte er ihn sicher nicht zurückgehalten.
»Bring' du Gemma nach Hause, Kyle. Jetzt sind die Straßen wieder sicher.«
Das Mädchen stand neben sich, war heiser und kaum ansprechbar. In einem Horrorfilm wäre sie vermutlich das hübsche, erste Opfer.
»Und kein Wort über heute Nacht. Ihr habt euch nach der Party getrennt und gut«, fauchte Dionysos, als Kyle Gemma wegführen wollte. Dieser nickte und die beiden verschwanden.
»Und wenn sie nicht dichthalten? Gemma war völlig außer sich.«
»Und wenn schon. Keiner würde glauben, dass jemand wie du körperlich zu so etwas fähig wäre. Diese Idioten hätten auf dich hören sollen...«
Garrett nickte und sah den Vampiren dabei zu, wie sie die Geschosshülsen aufsammelten.
Er war so müde und erschöpft, dass ihm bereits alles wehtat und der Kopf zu hämmern begann.
»Los, lass' uns abhauen, bevor die Leute hier aufwachen.« Dionysos ließ Garrett auf seinen Rücken klettern, um ihn zu tragen, und in Windeseile hatten sie das noch schlafende Gatwick hinter sich gelassen und die Hütte erreicht.
Jack, Phil und Anouk verzogen sich nach einer schnellen Wäsche ebenso müde in ihre Betten, wie Garrett es wollte. Doch Dionysos hielt ihn zurück.
»So dreckig kommst du mir nicht ins Bett. Ab in die Wanne!«
»Aber ich kann nicht mehr...«, jammerte der Junge, doch Dionysos zog ihn mit, stellte das Wasser an und entkleidete Garrett mit flinken Fingern.
Müde und wohlig brummte er, als er in das Wasser eintauchte. Tief errötend stellte er fest, dass der Vampir ihm folgte. Er senkte den Blick, was dazu führte, dass Dionysos lachte.
»Langsam solltest du dich an den Anblick gewöhnt haben«, kicherte er und stupste Garretts Nasenspitze an.
»Schon... aber das kam so plötzlich.«
»Ist mir plötzlich ein zweites Ding gewachsen, oder was? Du bist süß, Garrett.«
Dionysos lachte noch immer und begann, den Jungen mit einem Schwamm zu waschen. Dieser ließ es sich gefallen, auch als der Vampir sanft seinen Kopf ins Wasser tauchte, um die Haare zu waschen.
»Entweder bist du todmüde oder du hast echtes Vertrauen zu mir«, murmelte Dionysos und Garrett lächelte leicht.
»Beides. Komischerweise wusste ich trotz der Gruselstorys über dich von Anfang an, dass ich dir vertrauen kann. Dass du mir zwar drohen würdest, aber nicht ernsthaft etwas antun.«
»Den kleinen Gewaltakt vor zwei Tagen nennst du nichts?«
Garrett schnaubte. »Das war harter Sex. Kommt vor. Und war bis auf die Ohnmacht gar nicht mal übel.«
Dionysos schmunzelte und schäumte Garretts Kopf mit sanft massierenden Fingern ein. »Du hast dich gut geschlagen heute. Du warst eine große Hilfe. Zusammen haben wir heute Nacht an die 100 Ghoule vernichtet.«
»Wo die alle herkommen...«
»Ich weiß es nicht. Komm, abspülen.«
In ein Badehandtuch gewickelt trug der Vampir Garrett anschließend ins Schlafzimmer.
»Du hast nichts an!«, quiekte dieser verlegen.
»Und? Meine Sachen sind im Schlafzimmer im Schrank.«
Grinsend verfrachtete Dionysos Garrett ins Bett und luchste ihm das Handtuch ab. Sein Grinsen wurde breiter, als er sich - noch immer unbekleidet - ebenfalls zwischen die Laken schob. Mit einem Schnipsen zogen sich die Vorhänge etwas zu und sperrten den Großteil des Morgenlichts aus.
Garretts Wangen brannten, als der Vampir ihn an seine nackte Brust zog.
»Ich schlafe eigentlich nackt, weißt du?«, murmelte er und Garrett presste seine Wange an ihn.
»An dieses Gefühl gewöhne ich mich hoffentlich niemals«, flüsterte der Junge lächelnd. Dionysos' Finger streichelten sanft über den Rücken Garretts und dieser seufzte.
»Sag mal... wie machst du das mit dem... also, wie lässt du Ghoule einfach so... platzen?«
»Psychokinese.«
Garrett hob den Kopf. »Sowas kann ein Vampir?«
»Einer meines Alters schon.«
»Wie das?«
»Mit jedem Tropfen Blut, den ein Vampir zu sich nimmt, verstärkt sich seine Macht. Und je älter er wird, desto mehr Fähigkeiten entwickeln sich.«
»Also heißt das, wenn du noch hundert Jahre lebst, kannst du dich unsichtbar machen?«
Dionysos lachte. »Na das wohl eher nicht. Aber eine fortwährende Weiterentwicklung des Gehirns könnte drin sein.«
Garrett, den die Müdigkeit wieder im Griff hatte, nuschelte: »Also nutzt du mehr als... die üblichen 10 Prozent?«
Der Vampir zog die Decke bis an Garretts Ohren hoch und küsste ihn auf die Stirn. »Ja, das tue ich. Und du schläfst jetzt.«
»'kay.«
Der gewonnene Kampf verlangte von beiden seinen Tribut.
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»Nein, du bleibst zuhause!« Dionysos hatte sich vor dem Jungen aufgebaut und funkelte ihn an.
Die Vampire bereiteten sich auf eine weitere Nacht des Kampfes vor, doch Dionysos wollte partout nicht, dass Garrett mitkam.
»Warum denn? Du hast vorhin gesagt, ich hätte gut gekämpft!«
»Hast du. Aber du musst dich ausruhen. Du hast immer noch Blutmangel. Ich will nichts riskieren. Du warst heute morgen völlig erledigt.«
»Aber...«
»Schluss jetzt! Du bleibst hier.« Dionysos hieb mit der Faust auf den Tisch, wodurch Nikodemus fauchte und einen dicken Schwanz bekam. Garrett funkelte den Vampir zornig an, drehte sich schließlich um und schlug mit einem gezischten »Vollidiot« die Schlafzimmertür hinter sich zu.
»Das war unklug, Will. Garrett ist stur wie ein Esel in solchen Sachen«, kicherte Jack.
»Möglich. Aber der Erfolg letzte Nacht darf ihm nicht zu Kopf steigen. Er darf nicht übermütig werden. Ich will nicht, dass ihm das gleiche passiert wie einem der anderen Jungen.«
»Die Stadt ist übrigens in Aufruhr deswegen. Rufe, wonach ein Serienkiller in der Stadt ist, wurden laut. Wir müssen sehr vorsichtig sein«, murmelte Phil.
»Das mit dem Killer stimmt ja auch. Nur dass es mehr als einer ist.«
»Na los, gehen wir. Langsam wird mir die Spielerei mit den Ghoulen zu langweilig...«
Die Vampire nickten und verließen die sichere Waldhütte.
Garrett lauschte auf das Klappen der Tür und seufzte. Dionysos nahm ihn noch immer nicht ernst. Hatte er nicht bewiesen, dass er kämpfen konnte? Nicht bewiesen, dass er stark genug war? Er hatte Kyle das Leben gerettet, oder nicht? Und trotzdem wurde er zurückgelassen wie ein Kind.
Sie befanden sich im Krieg und da brauchte man jeden Mann. Da wurde keine Rücksicht genommen, ob jemand müde war. War man unverletzt, musste man kämpfen!
Es freute ihn, dass Dionysos sich so viele Gedanken um ihn machte, doch er hatte seine Entscheidung bereits getroffen. Er wollte mit den anderen Seite an Seite kämpfen. Gatwick war seine Stadt, sein Zuhause und Allisters Leute hatten nun bereits vier Stadtbewohnern das Leben gekostet.
Er wollte nicht hier rumhängen wie eine Hausfrau und sich von ihrem Liebsten beschützen lassen! Er war ein Mann, Herrgott noch mal!
Entschlossen stand er auf und verließ das Schlafzimmer. Die Küche war dunkel und von draußen drangen die üblichen Geräusche der Nacht hinein. Das winzige Haus wirkte groß, nun da er allein war. Seine Waffen lehnten gereinigt und kampfbereit an der Kühltruhe. Garrett sah sie einen Moment lang an.
Er war entschlossen zu gehen, doch Dionysos würde fürchterlich wütend auf ihn sein. Das wusste er.
Sei's drum, dachte er. Er musste dem Vampir endlich klarmachen, dass er nichts mit Lachlan gemeinsam hatte, den Dionysos so verzweifelt hatte beschützen wollen. Garrett war, im Gegensatz zu dem kleinen Jungen, kein kränkliches Kind.
Er drückte die Schultern durch, nahm seine Waffen und schloss die Tür hinter sich ab.
Es war kühl im Wald und langsam spürte man den Hauch des Herbstes deutlich. Sie hatten Oktober.
Kaum zu glauben, dass vor nicht einmal zwei Monaten noch Sommer war, noch Sommerferien. Dass Garrett damals nichts von der Existenz Dionysos' wusste, nichts über sich selbst. Dass er damals noch das Opfer war. Opfer von Jungen, die letzte Nacht starben. Einfach so, weg.
Bis auf die Todesfälle bedauerte er nichts, was in dieser Zeit geschehen war. Die paar Tage, in denen er und Dionysos nicht miteinander sprachen, versuchte er, zu vergessen.
Er hatte sich verändert. Er war stärker geworden, entschlossener, vielleicht auch mutiger. Und das alles durch diesen einen Mann. Er konnte Dionysos unmöglich verlieren.
Zielsicher eilte der Junge den Weg durch den Wald entlang, vorbei an seinem verlassenen Elternhaus, das dunkel dalag. Bald würde er es für immer verlassen. Sein Dad würde es sicher verkaufen wollen.
Er wandte sich in Richtung des Kirchplatzes, in der vagen Hoffnung, dort auf Ghoule zu treffen. Er fürchtete sich etwas davon, wie Dionysos reagieren würde, wenn er ihn sah, doch er hatte es sich ja selbst ausgesucht.
Der Kirchplatz war jedoch dunkel und verlassen. Die wenigen als Wohnhäuser genutzten Gebäude waren nicht erleuchtet und die Fenster mit Läden verriegelt.
Es war gespenstisch und Garrett fröstelte. Wie sehr sich ein Ort, an dem man sich immer sicher gefühlt hatte und der einem niemals Angst gemacht hatte, doch verändern konnte. Vor Allister wäre Garrett niemals auf die Idee gekommen, sich zu fürchten, wenn er nachts durch Gatwick lief. Wenn er nicht gerade von Kyle und Konsorten verfolgt wurde.
Was war aus seinem Zuhause geworden?
Er seufzte und blickte zur Kirche hinauf. Dort hatten Dionysos und er gesessen, als Allister seine Drohungen aussprach. Dort oben, an der Spitze des Glockenturms, wollte der Vampir diesen aufhängen. Garrett freute sich darauf. Das war die Rache für seine Mum!
Ein Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit. Ein ersticktes Wimmern, gefolgt von einem Knurren, einem Schnurren fast.
Das klang nicht nach einem Ghoul. Es roch auch nicht danach. Stattdessen erfüllte der aromatische Duft eines Holzfeuers seine Nase. Ein Duft, wie ihn auch Dionysos verströmte, leicht zwar nur und überdeckt von Seife, aber deutlich wahrnehmbar.
Garretts Herz zog sich zusammen. Kein Ghoul labte sich dort in der dunklen Gasse an seinem Opfer, sondern ein Vampir. Ein wesentlich stärkerer Gegner, einer, dem Garrett nicht gewachsen war. So ein Mist!
»Dionysos...«, flüsterte der Junge und versuchte, unbemerkt zu verschwinden, doch der Vampir hatte ihn natürlich längst wahrgenommen - oder sein Flüstern gehört.
Die leuchtend roten Augen, die Garrett an Dionysos so wunderschön fand, versetzten ihn nun in Panik.
»Naaa, wen haben wir denn da?! Das Mündel des Hochstaplers. Reichlich gewagt, ohne deinen Wachhund unterwegs zu sein«, säuselte der Vampir. Er war männlich, sehr schmal gebaut mit fast weißen Haaren, einem fliehenden Kinn und einer langen Hakennase. Er sah aus wie eine groteske Mischung aus einem Adler und einer Gottesanbeterin. Nicht wie ein sonst so ansehnlicher Vampir.
»Ach und du meinst, ich kann mich nicht ohne ihn verteidigen?«, brachte Garrett mit mehr Mut hervor, als er tatsächlich empfand.
»Wir können es versuchen. Dein Blut wird mir schmecken. Auch wenn es bereits befleckt wurde. Bei unserer ersten Begegnung hast du besser gerochen.«
Garrett bekam vor Zorn einen roten Kopf. Das ging diesen hässlichen Vogel nichts an!
Der Vampir schoss vor, ohne dass der Junge es bewusst mitbekam. Eher instinktiv riss er die Axt hoch und parierte den Angriff. Der Vampir stieß sich mit einem Lachen ab. Er stank fürchterlich nach Blut.
»Oh, du bist stärker als du aussiehst. Das wird dir aber nichts nutzen. Wir haben dem Emporkömmling gesagt, was geschieht, wenn er nicht verschwindet. Ein Jammer, dass du nun den Blutzoll dafür zahlen musst. Wehr' dich nicht, ich bin ganz sanft!« Der Vampir lachte hämisch.
Garrett fauchte: »Mich hat schon mal ein Vampir gebissen, du machst mir keine Angst. Darauf, mich zu beißen, kannst du lange warten!«
Der Vampir legte den Kopf schief und grinste nur. Seine Zähne waren unregelmäßig. Herrgott, war das eine hässliche Gestalt!
»Sicher?« Er schoss wieder vor, doch diesmal war Garrett vorbereitet. Er lebte bereits lang genug mit Vampiren zusammen, um einige Tricks durchschaut zu haben. Er schwang die Axt genau im richtigen Moment und erwischte den Angreifer hart am Kopf. Leider mit der stumpfen Seite, doch ein dickes Rinnsal Blut bahnte sich seinen Weg durch die pudrigweißen Haare des Vampirs. Er schwankte etwas, doch dann knurrte er unheilvoll. Offenbar war er Widerstand nicht gewöhnt. Und Schmerzen auch nicht.
»Du kleiner Scheißkerl willst mich umbringen?!«
»Na du mich doch auch, du Vogel!«, konterte Garrett und schluckte.
Fauchend stieß sich der Vampir vom Boden ab und Garrett verlor den Halt unter den Füßen. Die geschwungene Axt traf auf einen nachgiebigen Widerstand. Doch ein rasender Schmerz lenkte Garrett davon ab. Mit einem harten Aufprall landete er an der Mauer eines Hauses. Alle Luft entwich aus seinen Lungen und ein heißer Schmerz an seiner Kehle wollte ihn schreien lassen. Etwas Warmes floss ihm in den Kragen und der Junge starrte ungläubig auf seine bluttriefenden Hände. Ihm wurde schwindelig, doch er glaubte, Dionysos am anderen Ende des Platzes zu sehen. Dann wurde alles schwarz.
Dionysos' Kopf ruckte herum, als ein Ghoul gerade vor ihm zusammenbrach.
»Was ist?«, rief Jack und drosch einen weiteren Zombie nieder.
»Garrett. Er hat nach mir gerufen...«
»Sicher? Er ist zuhause.«
»Das sollte er. Aber ich rieche ihn viel näher... Gott, wenn diese Ghoule nur nicht so stinken würden! Da ist auch noch was anderes... Holzfeuer. Riechst du es nicht?«
Jack schnupperte, als Phil vom Dach sprang. »Ich rieche es. Und Blut. Doch nicht das von Garrett. Offenbar hat sich einer von Allisters Handlangern heraus getraut. Folgen wir der Spur?«
Dionysos nickte. Sollte Garrett, dieser Sturkopf, tatsächlich in die Stadt gekommen und auf einen Vampir getroffen sein, musste er sofort dort hin! Bevor der Junge verletzt oder gar getötet wurde.
Der Vampir rannte los, während die anderen drei ihm den Weg frei räumten. Sie waren nahezu umzingelt von Ghoulen.
Obwohl der Weg bis zur Quelle des Geruchs von Garrett nicht weit war, erschien es Dionysos endlos. Dieser kleine Idiot! Er hatte ihm immer wieder gesagt, er solle nicht gegen einen Vampir kämpfen, sondern abhauen.
Der schwere, süße Geruch vampirischen Blutes stieg ihm in die Nase und Dionysos war unwillkürlich stolz auf Garrett. Trotz der Gefahr, in die er sich brachte, indem er einen Vampir reizte. Ihn zu verletzen, dass er blutete, war eine Leistung.
Er bog gerade auf den Platz ein, als er den Zusammenstoß von Garrett und dem sonderbaren Albinovampir mitbekam. Die Axt des Jungen geriet tief in die Kehle des Vampirs, doch dieser riss ihm mit seinen Krallen den Hals auf.
Wie eine Marionette mit durchtrennten Schnüren fiel der Vampir geschwächt zu Boden, während Garrett an einer Hausmauer aufschlug und kurz darauf zusammenbrach.
Dionysos schrie nach seinen Kameraden und kam schlitternd neben dem schwerverletzten Jungen zum Stehen. Jack widmete sich dem übel zugerichteten Vampir, der in seinem Blut lag und schmatzte, als könne er sein eigenes Blut trinken, um nicht zu verbluten.
»So, du Ratte. Niemand verletzt einen unserer Leute!« Jacks blaue Augen waren hart wie Diamanten und der Vampir wimmerte. Er sah noch hundert Mal hässlicher aus als vorher. Rauchend vor Zorn trat Jack ihm auf den Kopf. Seine Miene blieb unbewegt und unverändert, als er diesen wie eine Nuss zertrat.
»Ich kann leider nur zu einer Person am Tag nett sein und heute war nicht dein Tag. Arschloch!«
Er eilte auf Dionysos zu, der neben Garrett hockte, die Knie in dessen Blut. Er hatte sein Handgelenk tief aufgeschnitten, rieb das Blut auf die bleichen Lippen des Jungen und presste eine Handvoll seines Blutes auf die Wunde am Hals.
Anouk stand hinter ihm und weinte, während Phil das kleine Kreuz an seinem Hals fest in den Fingern hielt, die Augen geschlossen. Seine Lippen bewegten sich. Er betete. Das war seine Art, für Garrett dazusein.
Jack legte dem verzweifelten Dionysos eine Hand auf die Schulter. »Will, vielleicht solltest du... wie bei mir...?«
Dionysos' Gesicht war verkrampft und hart, er schüttelte den Kopf und rieb mehr Blut in Garretts Wunde.
»Nein. Nein, er schafft das so, das weiß sich. Die Wunde heilt schon, ich merke es...«
Die Vampire schwiegen. Niemand wagte, auszusprechen, was Dionysos längst wusste. Selbst wenn die Wunde heilte, konnte Garrett dennoch sterben. Er hatte viel, vielleicht zu viel Blut verloren. Sein T-Shirt war vollgesogen, sein Sweatshirt auch, seine Haare waren verklebt. Seine Haut war bleich und durch das Blut auf seinen Lippen sah er bereits aus wie ein Vampir.
Tatsächlich schloss sich die schlimme Wunde, bis nur ein Kratzer zurückblieb, doch der Junge rührte sich nicht.
Dionysos zog ihn flach ausgestreckt auf den Boden, hob seinen Kopf und legte seinen Mund auf dessen Lippen. Trotz zitternder Hände und kaltem Schweiß auf der Stirn blies er routiniert Luft in Garretts Lungen, bevor er eine Herzdruckmassage machte.
Immer und immer wieder.
»Atme... atme, Garrett. Komm schon! Du kannst doch so nicht abtreten!«, murmelte Dionysos, während er den Jungen unermüdlich zu reanimieren versuchte.
»Will...«
Dionysos zog Garrett wie eine Puppe an seine Brust und presste ihn an sich. Seine Fassade war gefallen und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Wie ein Kind wiegte er sich vor und zurück.
»So nicht, Garrett. Tu' mir das nicht an, hörst du? Ich bitte dich. Nicht so... atme, bitte...«