Dabog schlenderte nachdenklich über den hölzernen Steg, der sich beim Dorf der Dunkelspeere befand. Es war ein seltsames Gefühl unter Feinden zu sein und zugleich auch wieder nicht. Einem Teil von ihm, waren die Trolle vertraut, einem andern Teil wiederum gar nicht und das war sein altes Ich, das nun irgendwie mit seinem neuen Ich verwoben war.
Hier in Schattenflucht, war ein friedvoller, stiller Ort. Die Trolle und auch die andern Hordenangehörigen, vormals Orcs und Tauren, waren sehr freundlich zu ihnen. Dabog mochte das Gasthaus in dem sie einquartiert waren. Es befand sich in einem der grössten, zweistöckigen Gebäude des kleinen Küstenortes. Es war mit dichtem, frischem Stroh gedeckt. Der Eingang war von zwei mächtigen Zähnen flankiert, vermutlich von einem Mammut oder sonst einem mächtigen Tier. Wenn man in den luftigen Innenraum trat, erblickte man ein grosses Kodofell, welches auf dem Boden lag. Es nahm beinahe den ganzen unteren Raum ein. Links und rechts an den Balken hingen Hängematten, die sehr bequem waren. Fenster gab es hier keine, es war beinahe immer warm und schön. Über eine schmale Treppe aus Holzlatten, gelangte man in den oberen Stock, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf die glasklare See, auf das Dorf und die umliegenden Klippen hatte. die Gastwirtin war eine gemütliche Taurin namens Sikeva, mit weiss-braun geflecktem Fell.
Dabog seufzte und blickte hinaus auf das nun veilchenblaue Meer. Die Sonnenuntergänge waren hier wirklich besonders schön. Er dachte an die Zeit zurück, als er einst mit Lumnia an einem ähnlichen Strand gewesen war, jedoch befand sich dieser damals an den Ufern der Östlichen Königreiche. Diese Zeit erschien ihm bereits seltsam weit weg… Dabog erschrak selbst über diese Gedanken. Warum nur, schien ihm die Sache mit Lumnia nun doch nicht mehr so wichtig wie einst? Das musste bestimmt an diesem seltsamen, untoten Körper liegen, den er zurzeit bewohnte. Als er den smaragdgrünen Traum durchwandert hatte, war ihm nichts wichtiger erschienen, als den Kontakt mit Lumnia aufrecht zu erhalten. Er fürchtete sich am allermeisten davor, dass sie ihn vergass, er wollte sie um jeden Preis festhalten. Doch, konnte er das überhaupt, hätte sie das noch gewollt? Er nahm erneut den Stein heraus den sie ihm gegeben hatte und doch hatte er ihn bisher nie benutzt. Er schien jedoch noch schöner und heller zu leuchten als jemals zuvor. Das deutete darauf hin, dass es ihr gut ging, wenn nicht noch besser als bisher. Vielleicht, hatte es so sein müssen, vielleicht hatte sein Tod einen tieferen Sinn gehabt? Vielleicht war alles ganz gut wie es war?
Ein anderes Gesicht erfüllte nun immer mehr sein Bewusstsein, als er so hinaus auf das Meer blickte. Die Sonne liess es nun in goldigem Licht erstrahlen, ein Licht, so schön, so wundervoll wie sie… Er zuckte leicht zusammen, als er erkannte, dass er mit ihr nicht mehr Lumnia meinte, sondern seine neue Freundin Balduraya…! Er schämte sich plötzlich. Wie nur konnte er seine einstige Liebe auf diese Weise verraten? Er schob die Gedanken an Balduraya von sich und ging weiter dem Meer entlang.
Warum nur, war er so verwirrt? Er musste auf einmal wieder an das schreckliche Erlebnis denken, dass er vor kurzem im Smaragdgrünen Traum gehabt hatte, als Lumnia von einem dieser seltsamen, verderbten Bäume in Stücke gerissen worden war. Es war entsetzlich gewesen. Doch… er hatte sich gegen das Entsetzen gewehrt und sein Glaube daran, dass in Wirklichkeit alles in Ordnung war mit Lumnia, hatte ihm damals sehr geholfen. Das Grauen verschwand, wie es gekommen war und Dabog überlegte sich, ob es wohl einfach seine Gedanken, seine Ängste gewesen waren, die sich in diesem Erlebnis manifestiert hatten.
Er starrte hinunter ins Wasser, dicht unter der Oberfläche sah er einige Wasserpflanzen, die von den Gezeiten hin und her gewiegt wurden… Auf einmal erstarrte er! Die Pflanzen verloren plötzlich mehr und mehr ihre Konturen und wurden… zu einem schmutzig grünen Nebel! Und dann entsann sich Dabogs Seelen- Ich an etwas Schreckliches! Er sah sich selbst wieder in Unterstadt, gegen diesen seltsamen Nebel kämpfen und… er schaffte es sogar ihn zu vertreiben. Seine Fürstin war in grosser Gefahr… er musste sie beschützen aber… er musste doch eigentlich Lumnia beschützen, ja vielleicht auch Balduraya, denn dieser Nebel, bedrohte nicht nur Unterstadt, sondern… vermutlich die ganze Welt! Das neue Wissen, dass eindeutig von seinem Untoten- Ich stammen musste, traf ihn wie ein Schlag und er keuchte auf. Sein Blick klärte sich wieder und vor ihm lag das stille, abendliche Meer, wie es seit eh und je gewesen war. Nun jedoch umklammerte neues Entsetzen sein Herz. Irgendetwas war da im Gange, etwas überaus Seltsames. Über seinen eigenen Kummer, war ihm das gar nicht bewusst gewesen. Doch nun… da er in diesem Körper steckte, der ebenfalls seine Erinnerungen und Erfahrungen in sich trug, und an denen er nun zwangsläufig teilhatte, wurde ihm die Tragweite des Ganzen erst so richtig bewusst. Es galt nicht nur Lumnia zu retten, oder das was sie einst verbunden hatte. Es ging hier um bedeutend mehr! Er musste mit Balduraya darüber reden und vielleicht auch mit Gwydyon, obwohl er bezweifelte, dass der Blutelfen Hexenmeister sich zur Zeit imstande sah, sich mit so einem bedrohlichen Szenario auseinander zu setzen. Er schien gerade ganz andere Sorgen zu haben. Auch hinter Gwydyons Verhalten steckte mehr, als es den Anschein machte. Was nur, wollte dieser hier genau? Was war geschehen? Etwas hatte es mit Vilevere zu tun, dieser durchtriebenen Sukkubus. Wenn Dabog die Gefahren sah, denen sich ein Hexenmeister mit seinen Dämonen ständig aussetzte, war er überaus froh, stets nur ein einfacher Krieger geblieben zu sein. Obwohl, seine kriegerische Seite hatte auch schon vieles angerichtet und indirekt vielleicht sogar dazu beigetragen, dass nichts mehr war, wie einst. Hätte er damals auf Lumnia gehört und wäre nicht ins Hügelland gegangen um gegen die Untoten zu kämpfen, wäre es nicht so weit gekommen.
Lumnia hatte damals gespürt, dass etwas Schlimmes passieren würde, doch er war trotzdem losgezogen, um irgendwelche sinnlose Gefechte zu bestreiten und was hatte er schlussendlich davon gehabt? Sein Körper war wiederbelebt worden und früher oder später dem Verfall preisgegeben. Er spürte es ganz deutlich, roch den unbeschreiblichen Gestank selbigen. Wie nur würde es mit ihm weitergehen? Würde er nun bei vollem Bewusstsein seinen Verfall miterleben? Manchmal wurde er bei diesen Gedanken beinahe wahnsinnig. Er sehnte sich irgendwie danach Balduraya näher zu kommen, doch mit diesem Körper war das schlichtweg nicht möglich und irgendwann würde auch sie sich von ihm abwenden und ihn verlassen… Er seufzte tief und setzte sich an den Rand des Steges. Etwas Feuchtes rann seine Wange herab, war es eine Träne? Aber… Untote konnten doch nicht weinen…“
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