"Es war schön, eine kurze Zeit zu existieren..."
"Du wirst nicht völlig verschwinden. Du kehrst nur in meinen Geist zurück!"
"Ich lebe in dir weiter?"
"Ja, Suma, deine Erinnerungen werden die Meinen sein!"
"Wir werden also eins!"
"Ja, man hat uns getrennt, aber du hast zu mir zurückgefunden!"
"Was wird passieren?"
"Du wirst einschlafen, sterben..."
"...um zu leben! Dann wird Suma nur noch eine Erinnerung sein!"
"Ja, aber immer noch ein Teil von mir!"
"Ich habe noch eine Bitte, bevor ich schlafe!"
"Was du immer möchtest."
"Kümmere dich um Treplew und Lumen. Befreie sie aus ihrem Gefängnis!"
"Warum ist dir das so wichtig?"
"Sie sind meine Freunde!"
"Du hast... Freunde gefunden im Traum?"
"Ja, auch wenn sie sich nicht an mich erinnern… Aber du musst sie beschützen!"
"Sie schlafen schon so lange. Ich werde sie wecken, ich verspreche es!"
"Und die Verstoßenen... Ich weiß nicht, wer oder was sie sind, aber sie wollen dich als ihren Anführer!"
"Ich werde sie anhören, versprochen!"
"Finn ... Danke. Ich war zu lange da draußen alleine, nun weiß ich wo ich hingehöre!"
"Ich werde dich nie vergessen, denk daran, du bleibst Teil meines Lebens..."
"Es lebt, es öffnet die Augen", die hektische Stimme des Arztes, welchen Finn durch die Glasscheibe erkennen konnte, weckte fremde Erinnerungen in ihm. Dr. Jaseia war sein Name und er hatte Suma, in seinem Traumzustand, in die Firma gesperrt. Langsam versuchte Finn seine Arme zu bewegen. Er schwamm in einer eigenartigen, zähen Flüssigkeit. Kabel steckten an seinen Armen. Sein ganzer Körper war damit versehen. Dr. Jaseia rannte zu einem der monströsen Computer und betrachtete aufgeregt die Daten, welche dieser wohl aus seinem verkabelten Glasgefäß zog. "Und du bist mächtig mein Lieber", schrie der Doktor und raufte sich die Haare, "Was hast du im Schlaf getrieben? Das zerreißt fast die Festplatte!"
Finn fühlte sich wie aus dem langen Schlaf heraus neu geboren. Seine Erinnerungen endeten mit dem Fall in den Weltenriss, welchen er selbst erschaffen hatte. Ein seltsamer Traum war sein Anstoß gewesen, um dieses Naturgesetz zu brechen. Er hatte von der Krone des Dunklen geträumt, versteckt hinter dem Weltenriss, in ihr lag eine unheimliche Macht und ein weiteres Fragment der Seele des großen Übels. Aber noch mehr: Ein uralter Geist schien ihr inne zu wohnen, er hatte nach Finn gerufen. Der Ruf war zu stark gewesen, um ihn zu ignorieren. Sein ganzer Körper schien davon angezogen zu werden. Den Riss zu erschaffen war eine Kleinigkeit gewesen, aber danach war etwas passiert und man hatte ihn in diesen Schlaf versetzt und seine Erinnerungen versteckt. Doch zu welchem Zweck? Welchen Nutzen zog der eigenartige Doktor aus ihm? Er hatte ihn in diesem Traum in die Firma gesperrt, mit Treplew und Lumen. Wo waren sie? Waren sie nicht im selben Labor? Die Fragen schossen durch seinen Kopf und es dauerte, bis er Sumas Erinnerungen ordentlich abrufen konnte.
"Das also ist das Endergebnis meiner Arbeit. Ein perfekter Klon des Dunklen, die Hülle eines Menschen und die Seele eines Titans!", schrie der allem Anschein nach völlig verrückte Doktor weiter.
Die Gedanken von Dr. Jaseia schienen sich beinah wirr zu überschlagen. Finn konnte sie laut und deutlich hören, als wäre er in seinem Kopf.
Der Dunkle wäre stolz. Es ist mir gelungen sein verlorenes Kind zurückzuholen, die Amnesie zu kurieren und ihn darauf vorzubereiten... Er wird die Krone tragen und der weiße Thron wird vernichtet. Es war seine Bestimmung das Schiffsunglück zu überleben. Wir hielten ihn für verloren... Aber vielleicht hat er das Mädchen instinktiv gerettet, um sie zu kontrollieren... Er ist noch da. Er kann nicht anders, als sein Schicksal zu erfüllen ...
Finn wurde wütend. Ein Experiment, kein echtes Lebewesen, nicht von der liebenden Mutter, die er kannte, geboren. Das sollte er sein? Eine einzige Lüge, ein Betrug? Der Sohn des Feindes, den alle Menschen die er liebte bekämpften? Er war also nicht Shanoras Bruder. Er war nicht der Sohn seiner Eltern. Er war ein Produkt des Wahnsinns des Dunklen. Sein Sohn, sein verdammter Sohn, sein Erbe, sein echtes Vermächtnis. Das dunkle Vermächtnis. Finns Zorn schien das Glas, welches ihn gefangen hielt, bersten zu lassen. Nie war er zu etwas Telekinetischen fähig gewesen, aber nun schoss diese Energie geradezu aus ihm heraus, bereit alles zu zerstören.
Klirrend flogen die Scherben durch das Labor und rissen einige Reagenzgläser mit. Der Doktor suchte erschrocken Schutz unter seinem Schreibtisch, aber der Computer, welcher die Daten gemessen hatte, bekam einige Scherben an und rauchte unbrauchbar. Finn riss die Kabel aus seinen Armen und Beinen, dann entfernte er sie von seinem Rücken. Als Kind hatte er sich immer gefragt woher die Punkte an genau diesen Stellen kamen. Traurige Gewissheit machte sich in ihm breit, er war hier entstanden, nicht am weißen Thron. Er war das Abbild des jüngsten Sohns der Königin, aber doch nicht deren Kind. Ein Klon, ein widerliches Experiment. Alles, was andere an ihm gemocht oder gehasst hatten, waren Eigenschaften, die auch der Dunkle gehabt hatte. Er wusste, dass sein Leben nun, mit diesem Wissen, zerstört war. Er hatte in Elensars Wacht gepredigt, dass der Dunkle und all seine Hinterlassenschaften, vernichtet werden müssten. In Argenshire war ihm die Entscheidung zu sterben so leichtgefallen. Eva hatte das zwar vereitelt, aber wahrscheinlich hatte er unbewusst wahrgenommen, dass er selbst eine Bedrohung für Elensar, für Shanora, war.
Der Zorn in Finn gewann überhand. Er drückte die Trauer beiseite. Durch die bloße Kraft seiner Gedanken begannen die anderen Geräte in Dr. Jaseias Labor Feuer zu fangen. Dieser versuchte erschrocken ihn zu bremsen, rannte auf ihn zu und wurde von Finns neu gewonnenen telekinetischen Energie umschlossen. Finn ließ ihn in die Höhe schweben, der Doktor lachte immer noch.
"Ist das meine Bestimmung, ist das mein Leben? Dafür habt ihr mich erschaffen? Um alles was ich liebe zu vernichten? Nein, das kann nicht mein Schicksal sein!", Finn starrte auf all die mit seltsamen Flüssigkeiten gefüllten Bottiche, die daraufhin explodierten. Dr. Jaseia lachte, er zog etwas aus seiner Tasche, ein winziges Schauglas mit ein paar Zellen darin, ein Fossil. "Was soll das sein? Keine Tricks, ich werde diesen Ort so oder so dem Erdboden gleichmachen!", schrie Finn ihn wutentbrannt an. Die Schränke begannen sich zu verformen. Dr. Jaseia funkelte ihn nun verächtlich an, das Fossil immer noch in der Hand. "Das ist deine Mum!", die Stimme des Doktors frohlockte spöttisch, "Du bist von mir erschaffen worden, genau wie deine Brüder. Die Hülle eines Menschen, aber die Kräfte eines alten Titanen aus der Hölle, dem Nachtschatten. Dazu die Gene des Dunklen, was euch eine unsterbliche Seele geschenkt hat! Deine beiden Brüder werden so glücklich sein, dass du zurück bist. Sie mussten so viel ertragen, als du fort warst, eingesperrt und mit vielen Versuchen sie zu verbessern... Aber ich konnte sie nicht verbessern, sie waren zu schwach. Dann ist einer davongekommen, also habe ich alles auf den anderen angewandt!"
Finn ballte seine Hände zu Fäusten, es gab mehr wie ihn. Eine Erinnerung schoss ihm, Treplew, die Experimente mit seinem Körper. Alle hatten hier gelitten, die Stadt, die Menschen... Wegen ihm. Er hatte unbehelligt in Elensar gelebt, ohne zu wissen, dass er eigentlich nicht einmal von dort stammte. Das sollte er also sein, ein abartig krankes Experiment. Im Reagenzglas gezüchtet und erschaffen um den schwarzen Thron zu besteigen. Dem Dunklen hatten seine normalen Kinder, Töchter, nicht gereicht. Nur ein Mann schien im Stande zu sein, die schwarze Krone zu tragen, der Stärkste von vielen. Er hatte sich neue Söhne gezüchtet, welche seine Krone tragen konnten. Die Krone selbst war also ein Relikt der Titanen, sie suchte sich seine Träger aus und verlieh ihnen unheimliche Macht. Die darin Gefangenen Titanenseele bestimmte den Träger. Der Letzte war der Dunkle gewesen, nun sollte also er folgen. Darum hatte er den Traum gehabt. Darum war er so leicht an diesen Ort gelangt.
"Meine Gedanken stehen dir also frei zur Verfügung! Du folgst schon dein Leben lang deiner Bestimmung, auch wenn es dir nicht bewusst war. Du absorbierst die Kräfte anderer. Der weiße Tiger und der goldene Fuchs. Wie du es geschafft hast, die Farbe deiner Augen so zu transformieren ist uns ein Rätsel. Jeder, der mit dem Erbgut des Titanen ausgestattet wurde, hat diese gelben Augen. Darum kannst auch nur du die Krone tragen!", Dr. Jaseia schien ihn weiter auszulachen.
Finn ließ ihn zu Boden fallen und richtete seine Wut weiter auf die Einrichtungsgegenstände, alles schien in einen chaotischen Strudel gesaugt zu werden, welcher den Boden und die Decke des Raums durchbrach. Sessel, Kästen, Computer, Scherben, unzählige Schreibutensilien und Mappen sowie Dokumente schienen einen Tornado zu bilden, grelle blaue Blitze zuckten hindurch.
"Finn!", der Schrei einer Frau ließ ihn kurz innehalten. Sie hielt sich verzweifelt am Türstock fest. Finn drehte sich langsam zu ihr um, als sie seine Augen sah, machte sich Verzweiflung in den ihren breit. Sie schienen gelb zu leuchten, man konnte keine Pupille mehr erkennen. "Newra, so sehen wir uns wieder", Finns Stimme war kalt und emotionslos, was ihr nicht entging. Der Doktor schien sein Ziel erreicht zu haben, Finn war gebrochen genug, um zu vergessen, dass er nur für die Jagd hier war. Tränen füllten ihre Augen, aber das schien ihn nur wenig zu beeindrucken.
"Bitte tu das nicht. Bitte vergiss nicht, wer du wirklich bist!", ihre verzweifelten Schreie schienen nicht zu ihm durchzudringen, er setzte die Zerstörung des Labors fort. Plötzlich streckte Finn die Hand nach ihr aus: "Wie weit kann ein Zombie fallen?" Newras Augen weiteten sich, eine Träne rann über ihre Wange: "Bitte nicht..."
Finn starrte noch kurz in ihre verzweifelten Augen. Sie schien noch an ihn oder das Gute in ihm zu glauben. So viel Schmerz lag in ihrem Blick, als würde sie einen geliebten Menschen verlieren.
"Du wirst nicht sterben", Finns Stimme blieb eiskalt, "aber du wirst fallen und du suchst vergeblich nach deinem Freund. Er hat heute aufgehört zu existieren!"
Newra war schockiert über seine Worte. Sie hoffte immer noch, dass er wieder zu sich kommen würde. Finn sah kurz ein wenig nachdenklich aus, dann sagte er: "Eigentlich hat er nie existiert!" Mit diesen Worten machte er eine Handbewegung, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. Newra wurde von seinen gewaltigen Kräften durch die drei verbliebenen Wände aus dem Gebäude geschleudert.
"Nun zu dir", Finn wandte sich dem immer noch kichernden Doktor zu, welcher sich an den Fensterrahmen geklammert hatte. "Du wirst mich zu meiner Krone bringen!", befahl er, dann packte er den Doktor am Arm. Ein unsichtbarer Wall schien sie zu schützen, als sie durch den Wirbelsturm nach oben gelangten und das Gebäude verließen.
"Was passiert mit meinem Labor? Was passiert mit meiner Arbeit?", schrie der Doktor aufgeregt. Finn grinste bedrohlich, dann zeigte er mit dem Finger in Richtung der Firma, welche unter dem sich ausbreitenden Wirbelsturm dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Dann stoppte er plötzlich, und blieb einfach wie er war. Alles, was sich darin befunden hatte schien zu schweben. Der Doktor lachte entzückt über die schwarz rauchenden Trümmer, welche von blauen Blitzen durchzuckt wurden.
Newra stemmte sich langsam hoch. Der Sturz hatte sie für kurze Zeit völlig um ihr Bewusstsein gebracht, aber nicht getötet. Wie Finn gesagt hatte, vielleicht gab es noch Hoffnung für ihn. Oder es war reine Berechnung und er hoffte, dass Newra die Jägerinnen dazu bewegen würde, die Suche abzubrechen. Schockiert beobachtete sie, wie der Junge, dem sie einst die Treue geschworen hatte, umhüllt von dunkelster Energie, durch die Decke der Firma brach, gemeinsam mit dem kryptischen Sturm, den er erschaffen hatte.
Der Tornado wurde schnell breiter, bis er plötzlich stoppte, als wäre die Zeit eingefroren. Alles, was der Sturm mitgerissen hatte hing einfach in der Luft, durchzuckt von dieser finsteren Macht. Der aufgewirbelte Staub bewegte sich weiter, daraus bildeten sich spektrale Tiger, die aufgeregt durch die neu erschaffene Ebene sprangen und zu spielen begannen.
"Er ist nicht fort...", Newra lächelte, "Er verfolgt den Plan nach wie vor, er muss einfach noch da sein. Er kann nicht glauben, dass es sein Schicksal ist, in die Fußstapfen des Dunklen zu treten."