Die Graue Stadt
Als das erste Morgenlicht durch das Fenster der Zauberkammer fiel, erwachten die Geschwister von selbst. Sie hatten etwa drei Stunden geschlafen. Voller Aufregung, blickten sie den kommenden Ereignissen entgegen. Das sie es geschafft hatten ihre Körper nach doch sehr kurzer Zeit zu verlassen, hatte ihnen mehr Selbstvertrauen gegeben. Sie spürten nun kaum mehr Ängste oder Zweifel, nur noch eine frohe Erwartung. Ululala erwartete sie bereits im Raum der Stille (dieser Mann war doch immer der erste!)
„Wir werden das Ritual mit den Elemente noch einmal machen!“ sprach er. „Das wird euch Kraft und Schutz für die dritte Phase geben.“
Das taten sie, dann setzten sich die Geschwister an ihren Pult und der Magier meinte: „Bevor ihr beginnt, müsst ihr euch wieder ein Ziel vornehmen. Ich würde euch ein anderes empfehlen, als eure Heimatwelt, das ist wichtig für die dritte Phase.“ „Wir haben aber keine Vorstellungen, von einer anfern Welt,“ wendete Benjamin ein. Ululala nickte verständnisvoll. „Vielleicht kann ich euch helfen. Wie wärs, wenn ihr euch Nofretes einstige Heimatwelt vornehmt?“ „Dann müsstest du uns aber noch eine genaue Beschreibung davon geben!“ „Ich werde euch eine Beschreibung geben, doch ihre werdet ziemlich erschrecken, seit Skarion über das Reich der hundert Juwelen regiert ist dies ein verfluchter, dunkler Ort. Ich werde diesen Anblick nie vergessen, er hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, wie ein glühendes Eisen.“ Der Magier beschrieb ein Reich voller verkohlter Ruinen und dunkler Erde.
Vor dem innern Auge der Turner Kinder entstand das Bild eine düsteren Stadt: Schwarze Wolken bedeckten den Himmel und überall in den Strassen lag Unrat, Kot und Abfall. Bräunliches Wasser lief durch schmale Gräben. Zwischen geschwärzten Häusern gingen zerlumpte, schmutzige Leute herum. Über dieser Grauen Stadt, stand auf einem Hügel ein mächtiger, pyramidenförmiger Tempel, aus schwarzem Marmor. Dieser war das einzige ansehnliche Bauwerk weit und breit. Doch von ihm ging etwas Unheimliches, sehr Bedrohliches aus. Die Geschwister fröstelten auf einmal. " Eine üble Gegend die du uns da beschreibst Ululala, “ sprach Benjamin. „Das ist sie auch. Skarion ist ein schrecklicher Herrscher, Malek hätte ihm niemals diese Macht geben dürfen. Ihr müsst deshalb sehr vorsichtig sein. Skarion darf euch unter keinen Umständen entdecken. Wir werden uns dann dort treffen, wenn ihr die letzte Phase der Weltenwanderung beherrscht. Es wird nun immer schwieriger. Möge der Grosse Geist mit euch sein!“
Die Geschwister nickten und setzten sich wieder mit unterschlagenen Beinen hin.
Erstaunlich schnell durchliefen sie die erste und zweite Phase der Sphärenwanderung. Sie stellten sich Nofretes einstige Heimatwelt vor, mit der Grauen Stadt und den vielen Ruinen.
Bald schwebten ihre Geister wieder an der Decke. Sie fassten sich an den Händen und konzentrierten sich intensiv auf ihr Ziel. Schliesslich wurden sie erneut in den seltsamen Strudel hineingezogen, der aus wild kreisenden Farben, zu bestehen schien.
Und dann.... schwebten sie über den verkohlten Ruinen von Nofretes einstiger Heimat!
Etwas weiter weg befand sich die Pyramide des bösen Priesters Skarion, ihm zu Füssen, die Graue Stadt. Erneut fröstelten die beiden.
Benjamin versuchte einen der geschwärzten Ruinensteine zu berühren, die hier herum lagen, doch er fasste durch ihn hindurch. „Unsere Seelen sind immer noch vom Körper getrennt“, meinte er etwas enttäuscht. „Wir müssen es wohl weiter versuchen.“ „Die Frage ist nur wie, “ gab Pia zurück.
„Wir könnten uns ja erst mal etwas hier umsehen“, meinte Benjamin, den die Neugier erneut gepackt hatte. „Es ist immer gut, wenn man über seine Feinde Bescheid weiss.“ „Aber Skarion ist nicht unser Gegner, sondern Malek.“ „Trotzdem. Ich würde gerne mal diese Pyramide von innen sehn.“ „Also ich weiss nicht so recht...“ „Wo ist deine Neugier geblieben Schwesterlein?“ „Ich weiss nicht, ob das so klug ist. Skarion soll uns ja nicht sehen.“ „Er sieht uns auch nicht. Wir sind nur Geister. Schon vergessen? Komm, wir schauen uns mal um! Das kostet uns kaum Zeit.“
Pia liess sich schliesslich überreden und die beiden schwebten auf die Graue Stadt zu. Wie erwartet, sah niemand die beiden. Das war schon ein tolles Gefühl. Allerdings wünschten sich die Geschwister mit der Zeit immer mehr, dass sie doch leiblich hier gewesen wären, denn die schreckliche Not die sich ihnen hier darbot, weckte tiefes Mitleid in ihnen und sie hätten für die Menschen hier gerne mehr getan. Überall sahen sie Elend, Krankheit und Tod. Bettler lagen in den verschmutzen Strassen, niemand kümmerte sich um sie. Die andren Leute gingen mit stumpfem Blick an ihnen vorbei. Alle schienen mit ihrer eigenen Not beschäftigt zu sein und diese Not musste gross sein. Daneben wirkte der prunkvolle Pyramidenbau von Skarion wie ein Hohn.
Eine gewaltige Treppe führte zu seiner, mit silbernen Beschlägen verzierten Pforte aus schwarzem, blank poliertem Ebenholz. Rechts und links davon standen zwei riesige Wächter. Sie wirkten wie gewaltige, schwarze Käfer, mit ihren, aus metallenen Platten bestehenden, Panzern und den schweren Helmen mit den geschlossenen Visieren. Ihre Hände waren grosse Klauen, die schreckliche, doppelklingige Schwerter umfassten. Sie nahmen keinerlei Notiz von den für sie unsichtbaren Geschwistern.
Pia und Benjamin zögerten einen Moment, bevor sie durch die Pforte hindurch, in das Innere des Tempels, schwebten.
Sie gelangten in eine riesige Eingangshalle, deren Säulen alle mit schrecklichen, dämonischen Fratzen verziert waren. Die Wände schmückten seltsame Malereien, die an jene aus den ägyptischen Tempeln erinnerten. Allerdings waren sie nicht so farbenprächtig und zeigten sehr einschüchternde Szenen: Unter anderem den Mord des Unterwelt- Gottes Seths an seinem Bruder Osiris. Er hatte selbigen, laut der ägyptischen Sage, in mehrere Teile zerteilt und dann im ganzen Universum verstreut, auf dass Osiris nicht mehr auferstehen konnte. Osiris Gemahlin Isis hatte dann aber das ganze Universum durchforstet, um die Teile ihres Liebsten wieder zusammen zu tragen, so das dieser wieder zum Leben erwachte. Allerdings zeigten die Malereien in Skarions Tempel den glücklichen Ausgang dieser Geschichte nicht, sondern nur den Triumph Seths. Das zeigte deutlich die Gesinnung des dunklen Priesters. Die Geschwister wussten, hier hatten sie es mit einem durch und durch bösen Feind zu tun.
Einige weitere Türen führten von der Halle aus in andere Räume. Davon war einer der Speisesaal. In dessen Mitte befand sich eine lange Tafel, um die Stühle ebenfalls aus Ebenholz standen, die voll mit grässlichen Schnitzereien waren.
Die Geschwister sahen auch den Thronsaal. Hier befand sich ein mit blutrotem Samt bezogen Thron, der auf einem Podest stand.
Die Tür an der Nordseite der Eingangshalle, flösste den beiden besondere Furch ein. Ein grässlicher Kopf mit langen Hörnern und Augen aus Rubinen, prangte über ihr. Pia und Benjamin flüsterten ein Stossgebet und schwebten schliesslich auch durch diese Tür hindurch. Sie fanden sich wieder, in einer Art schwarz magischen Kapelle. Auch hier gab es überall diese Fratzen und die Malereien. Schwarze Kerzen standen überall. Doch etwas war besonders furchteinflössend: Ein Art Abflusskanal, dessen Grund eigenartig rot verfärbt war, durchzog den steinernen Boden. Er führte von einem Altar weg, welcher ebenfalls diese roten Flecken aufwies. Die Geschwister fühlten, wie die Kälte in ihnen empor kroch, obwohl sie doch eigentlich zur Zeit gar keinen Körper besassen. Das Ganze sah aus wie... ja fast wie getrocknetes Blut! " Meinst du...dass auf diesem Altar schon Leute geopfert worden sind?" fragte Pia vor Schrecken bebend. " Ja möglich wäre es... Ich möchte jedenfalls so schnell wie möglich hier raus. Komm! Wir haben genug gesehen.“