9. Kapitel
Das Volk der Lunarier war verzweifelt und ausser sich, besonders die Männer und Kinder, denen die Frauen und Mütter entrissen worden waren. Sie hatten tapfer gekämpft und viele dieser fremden, rotgefiederten Wesen getötet, doch auch auf ihren Seiten hatte es einige Verluste gegeben. Zwischen empörten, verzweifelten Rufen, vernahm man auch Schluchzen und Weinen. Niemand war auf so einen Angriff vorbereite gewesen, seit Jahrzehnten lebten die Lunarier in Frieden und Abgeschiedenheit, und es gab für sie kaum natürliche Feinde. Es hatte lange gedauert, bis sie überhaupt merkten, dass sie überfallen wurden. Diese Fremden, hatten es überaus geschickt angestellt und einfach ein Haus nach dem andern im Morgengrauen überfallen. Sie waren gut organisiert und geübte Kämpfer. Auch die Lunarier hatten gute Kämpfer und auch sehr begabte Magier und Heiler, doch gegen die Solianer waren sie dennoch zu wenig gewappnet gewesen. Sie hatten trotzdem alles gegeben, was sie konnten. Der Verlust ihrer Frauen, spornte sie zu Höchstleistungen an und ihre Leidenschaft und Hingabe im Kampf, hatten die Solianer schliesslich auch zum Rückzug bewegt.
Nannios flog hin und her, sprach da einige tröstenden Worte, kümmerte sich dort um einen Verletzen. Doch seine übermässige Geschäftigkeit erweckte den Eindruck, dass er verzweifelt versuchte, nicht selbst die Fassung zu verlieren. Auch Aellia war von den Fremden entführt worden, wie so manch andere Frau, die er sehr gut kannte und mit deren Familien er eng befreundet war. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, besonders wenn er an seine Liebste- seine Gefährtin dachte, die nun in den Händen dieser Scheusale war.
Seine Mutter und der König Varthemos hatten eine Zusammenkunft Tempel einberufen. Hier sollte über das weitere Vorgehen entschieden werden. Nannios war sehr unruhig. Es schien ihm eine endlose Zeit vergangen zu sein, seit Artemia und der König sich zur Beratung zurückgezogen hatten. Was um alles in der Welt, machten die beiden so lange? Jede Minute mehr die verstrich bedeutete, dass Aellia und die andern Frauen sich weiter von ihnen entfernten. Diese rotgefiederten Mistkerle, würden nicht zögern sie in ihr Reich zu bringen und…er wagte nicht daran zu denken, was dort mit ihnen passieren würde. Nannios dachte wieder an den Moment zurück, als er von einem andern Heiler erfahren hatte, dass die Stadt angegriffen wurde. Er hatte ein Stück entfernt von der Heimat bei einem Patienten auf dem Land Wache gehalten, der während des Fällens eines der mächtigen Narami Bäume verletzt worden war. Er hatte innere Blutungen und einen Flügel gebrochen und es war von grosser Wichtigkeit, dass ein Heiler sich rund um die Uhr um ihn kümmerte und darum besorgt war, dass die verletzten Glieder und Organe wieder richtig verheilten. Da der Zustand des Patienten so kritisch gewesen war am Anfang, blieb Nannios bei ihm.
Dann aber auf einmal, als der Morgen bereits graute brachte man ihm die Nachricht, vom Überfall der fremden Wesen und das sie Aellia mitgenommen hatten.
Es war ein ziemlich weiter Weg zurück und so kam Nannios zu spät. Er machte sich deswegen grosse Vorwürfe, denn er meinte, dass er bei Aellia hätte sein müssen.
Der Angriff auf die Stadt des Silbermondes, war sowieso erst sehr spät bemerkt worden. Eigentlich war es Aellia gewesen, welche die Lunarier aufmerksam darauf gemacht hatte, denn sie kämpfte wie eine Löwin und riss viele Feinde in den Tod. Er war stolz auf sie. Er und einige anderen durchkämmten später die Häuser und stellten fest, dass man sehr viele Männer und auch Kinder gefesselt und geknebelt und die Frauen entführt hatte. Nannios begriff sofort, dass diese Fremden nur zum einem Zweck hergekommen waren, um neue Frauen zu beschaffen. So wie es aussah, hatten sie ein ähnliches Problem wie die Harpyas mit ihrem Männermangel. Welch eine Ironie und nun war sein Volk das Opfer. Er verfluchte diese Solianer, wie nur hatten sie sowas tun können? Wie nur konnten sie Männern ihre Liebsten und gar Kindern ihre Mütter entreissen, einfach so? Es war so schrecklich und schmachvoll. Zorn erfüllte ihn und er hätte jeden dieser Fremden eigenhändig umgebracht, wenn sie ihm über den Weg gelaufen wären. Er presste seine Lippen zusammen und umfasste den langen Stab, den er bei sich trug fester. Er bestand aus dem weisssilbernen Narami Holz, in welches man geheime magische Zeichen geritzt hatte, die ihm besondere Macht verliehen. Das obere Ende war mit einem weisslich- blauer, durchschimmernden Stein geschmückt, der etwas in die Spitze lief. Es war ein sogenannter Himmelskristall, den man nur an einem Ort in Equilibria fand und dem man besondere Kräfte zusprach. Der Stab diente Nannios als Waffe, man konnte damit aber auch einen Heilungsprozess unterstützen. Ganz abhängig davon, welche Gedanken, welche Kräfte man in ihn hineinfliessen liess. Diesmal würde ihn der junge Lunarier im Kampf nutzen. Er war wild entschlossen, Aellia und die andern Frauen den Fängen dieser Dreckskerle zu entreissen. Nichts würde ihn davon abhalten und die andern Männer, welche ihre Frauen verloren hatten auch nicht. Was immer also auch entschieden wurde. Nannios Vorhaben stand fest.
Endlich dann war es so weit. Der König und die Hohepriesterin traten vors Volk, sogleich wurden sie von wild durcheinander schreienden Stimmen empfangen. Der König trug einen silbernen Brustpanzer mit goldenem, eingraviertem Mond und Sonnensymbol und dazu passende Hosen. Seine aussergewöhnlichen, weissgoldenen Flügel rauschten. Artemia war auch in eine silberne Rüstung gekleidet. Diese war auch etwas mit Gold verziert, doch auf ihrer Brust…prangte der schwarze Mond! Der König mit seinem langen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen, kastanienbraunen Haar und den goldenen Augen hob die Hand, um das Volk zur Ruhe zu ermahnen. Zur Rechten und Linken des Paares, standen zwei Drakonier, des vor kurzem angekommenen Drachenschiffes. Die anderen Harpyas, darunter auch Irisa waren zu einer Reise, zum Volk der roten Drachen aufgebrochen, um mit ihnen über den Transport der Harpyas aus dem Reich des dunklen Mondes hierher zu verhandeln. Denn es gab keine andere Möglichkeit, da die Lunarier in jener Welt nicht überleben konnten. Nannios dachte bitter daran, was für eine Ironie es doch war, dass die Lunarier nun ihrer Frauen beraubt worden waren, da sie sich gerade entschlossen hatten den Harpyas Hilfe zukommen zu lassen. Es war auch eine grausame Ironie, dass die besten Kämpferinnen während des Überfalles nicht anwesend gewesen waren und genau aus diesem Grund. „Grosse Lunaria, wie nur konntest du das zulassen!“ stritt er im Innern mit seiner Göttin. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit wieder vom Geschehen um ihn in Anspruch genommen. Als der König das Volk einigermassen beruhigt hatte, sprach er mit wohlklingender, mitfühlender, aber einer klaren Stimme, die man weit herum vernahm: „Mein geliebtes Volk. Ich verstehe euren Schmerz. Was uns an diesem Tage wiederfahren ist, ist schrecklich, schmachvoll und unfassbar! So viele Männer und Kinder wurden einfach ihrer Frauen und Mütter beraubt. So etwas hat es in der Geschichte unseres Volkes noch nie gegeben und glaubt mir, wir teilen euren Schmerz und euren Zorn. Wir haben von den Drakoniern,“ er nickte in die Richtung selbiger „erfahren, dass diese Fremden, welche solches Elend über uns brachten, zum Volk der Solianer gehören, welches weit im Süden lebt, wo auch das Reicht der goldenen Drachen ist. Sie sind ein Volk, das hauptsächlich von Männern regiert wird. Die Drachen haben uns darüber informiert, dass die Solianer einen Frauennotstand zu beklagen haben, ähnlich wie die Harpyas Probleme mit den Männern haben. Wie die meisten von euch sicher wissen, wurden wir deshalb von den Harpyas um Hilfe gebeten und wir haben ihnen diese Hilfe zugesagt. Doch die Solianer haben uns nicht um Hilfe gebeten, sie haben sich einfach das genommen was sie brauchten, ohne in geringster Weise Rücksicht auf uns zu nehmen. Das können wir keinesfalls zulassen!“ „Die Menge geriet in Aufruhr, alles rief durcheinander, einige schrien nach Rache, andere forderten den sofortigen Aufbruch der Armee. Wieder hob der König beschwichtigend die Hand. „Versucht euch etwas zu beruhigen, auch wenn es im Moment schwer sein mag, mein Volk! Wir müssen uns gut vorbereiten. Die Drakonier haben sich bereit erklärt uns einige ihrer Schiffe zur Verfügung zu stellen, damit ein Teil der Armee, einige Heiler und Magier möglichst schnell in das Reich des Sonnengottes, wo die Solianer leben, aufbrechen kann. Wie ihr seht ist das Drachenschiff, welches vor kurzem hier angekommen ist, bereits aufgebrochen um andere Schiffe zur Hilfe zu holen. Es wird nicht lange dauern sie hier ankommen. Zwar werden die Drachen ihre Neutralität behalten und sich nicht am Krieg beteiligen, aber sie werden versuchen mit ihren Brüdern und Schwestern- den goldenen Drachen, vermittelnd einzugreifen. Vielleicht lassen die Solianer ja mit sich reden und haben ein Einsehen.“ Wieder rief die Menge durcheinander. Einige der Leute forderten, dass jeder einzelne Solianer für seine Taten büssen müsse und den Tod verdient hätte, andere wiederum drängten erneut zu einem sofortigen Aufbruch. Nannios erkannte sein sonst friedliebendes Volk kaum wieder, er wusste, dass der Raub der lunarischen Frauen es aufs Tiefste erschüttert hatte. Kein Wunder, so mancher Mann, der in dieser Nacht bei seiner Gefährtin gelegen hatte, war einfach aus dem Schlaf gerissen, gefesselt und geknebelt worden und hatte die Entführung seiner Liebsten hilflos mit ansehen müssen. Da musste man ja beinahe den Verstand verlieren, wenn er selbst schon beinahe den Verstand verlor. So viele Gefühle und Emotionen flossen da zusammen und es brauchte bestimmt seine Zeit, bis sich die Lunarier wieder einigermassen gefasst hatten. „Wir werden unsere Frauen zurückholen!“ ertönte wieder die klare Stimme des Königs. „Wie ihr seht, haben sich auch die Priesterinnen für den Kampf gerüstet. Sie werden unter dem Licht der dunklen Mondgöttin kämpfen, wir alle werden kämpfen, wenn die Solianer uns unsere Frauen nicht zurückgeben. Wir werden nicht eher ruhen bis unsere Familien wieder vereint sind! Das verspreche ich euch im Namen des Gottes und der Göttin!“ „Im Namen des Gottes und der Göttin!“ rief Nannios und hob seinen Stab. „Im Namen des Gottes und der Göttin!“ stimmten die andren ein und alle hoben ihre Waffen in die Höhe. Die Lunarier waren zu allem entschlossen und das würde ihnen bei ihrem Kampfe helfen.