Zuerst also, galt es Aellia aus der Stadt zu schaffen. Trojanas schlug vor, dass sie seinen geflügelten Löwen Typon dazu verwenden sollte, da sie dann schneller sein würde. Der Gedanke ein solch gewaltiges Tier zu reiten, weckte in Aellia schon einen grossen Respekt, aber Trojanas gab ihr alle nötigen Anweisungen und sie lernte normalerweise schnell. „Du wartest hier!“ sprach er „ich werde Typon holen und dann sogleich zu dir zurückkommen. Wir werden wenig Aufsehen erregen, denn die Solianer sind sich daran gewöhnt, die Löwenreiter überall anzutreffen. Es wird auch bald dunkel und dann sieht mein Volk sowieso nicht mehr so gut. Man wird es nicht bemerken, wenn wir unseren Platz tauschen. Fliege anfangs mit Typon weit hinauf in den Himmel und halte diese Höhe, bis du die Stadt hinter dir gelassen hast. Dann kannst du wieder tiefer gehen. Ich glaube kaum, dass noch jemand zu dieser Zeit unterwegs ist, der dir gefährlich werden kann.“ Sie nickte und dann wartete sie, während Trojanas von dem grossen, breiten Balkon hinunter zu den Ställen flog. Er begegnete einigen Wachen und auch ein paar andern Solianern, welche ihm allerdings, ausser eines respektvollen Grusses oder Kopfnickens, keine nennenswerte Beachtung schenkten. Immerhin kannte man ihn überall gut.
Ungehindert kam er zu den Stallungen, wo ihn das leise Knurren und Fauchen der Löwen empfing. Sogleich ging er zu Typons Boxe und rief ihn herbei. Das Tier reagierte sofort und rieb wie üblich seinen Kopf an den Gitterstäben um sich von ihm kraulen zu lassen.
Trojanas schaute sich noch einmal um und öffnete dann die Tür. Typon nahm das mit interessiertem Blick zur Kenntnis. Noch selten hatte ihn sein Meister am Abend nochmals aus der Boxe geholt.
Gerade wollte Trojanas dem Tier den bequemen Reisesattel und das spezielle, vergoldete Zaumzeug anlegen, als eine Stimme hinter ihm erklang. „So spät noch ausreiten Trojanas?“ Er fuhr erschrocken herum. Vor ihm tauchte ein älterer Solianer, mit einem roten Gefieder, auf. Sein kurzgeschnittenes, einst rotes Haar, war bereits ziemlich grau geworden. Es war Nestorias, man nannte ihn auch den Löwenmeister, denn er kümmerte sich jeweils um die Reittiere und pflegte sie, während der Abwesenheit ihrer Besitzer. Er war der erste der Löwenmeister und machte das beinahe schon sein ganzes Leben lang.
Trojanas versuchte seinen Schreck zu verbergen und meinte: „Ach, guten Abend Nestorias! Ja, ich hatte irgendwie das Bedürfnis noch etwas auszureiten. Ich bin noch so aufgepeitscht, von den Ereignissen der letzten Tage und will so etwas abschalten, da ich wohl doch nicht so schnell schlafen kann.“ Der Löwenmeister nickte verständnisvoll. „Ja, es ist auch eine schöne Nacht heute, wer weiss wie oft wir noch solche Nächte erleben werden.“ Trojanas wurde nervös. Was meinte Nestorias damit? „Warum hast du denn solche Gedanken?“ fragte er, während er Typon weiter sattelte. „Ach, ich weiss nicht…das was heute mit der Sonne passiert ist…es hat mir schon sehr zu denken gegeben. Ich habe einfach das Gefühl es ist kein gutes Omen für uns. Vielleicht werden wir von der Göttin bestraft?“ Der junge Solianer zuckte leicht zusammen, dann fragte er vorsichtig: „Wofür…sollten wir denn bestraft werden?“ Nestorias schaute etwas verlegen zu Boden, er wollte nicht gerne weitersprechen. „Ich…weiss auch nicht…war nur so ein Gedanke, vielleicht haben wir die Göttin zu wenig geehrt, vielleicht…haben wir einige Fehler gemacht…“ Doch dann hielt er inne und meinte schnell: „Aber das sind sicher nur Hirngespinste, eines alten Mannes! Schenke mir kein Beachtung Trojanas! Es…war dumm von mir!“ Der junge Mann legte dem Älteren die Hand auf die Schulter. „Es ist nicht dumm Nestorias. Ich habe manchmal auch…solche Gedanken.“ „Wirklich?“ „Ja und ich glaube es wird sich in nächster Zeit auch einiges verändern in dieser Welt. Halte dich bereit dafür!“ Der Löwenmeister wirkte verwirrt. „Was meinst du damit?“ „Halte dich einfach bereit!“ Dann schwang Trojanas sich auf den Rücken seines Löwen und erhob sich mit ihm in die Lüfte. Nestorias blickte ihm noch immer verwirrt nach, dann entschwand Trojanas seinen Blicken.
Der Königssohn achtete darauf, dass er Wege flog, auf denen er am wenigsten Aufsehen erregte. In einem weiten Bogen flog er um die Pyramide und steuerte dann den Balkon an, wo Aellia auf ihn wartete. Noch einmal schaute er sich um, damit ihn niemand doch noch entdeckte. Es war mittlerweile recht dunkel und das brachte ihnen einige Vorteile. Trojanas lenkte den Löwen ganz nahe an den Balkon heran. Aellia schaute sich ihrerseits um, dann schwebte sie zu dem Löwen. Trojanas glitt behände von dessen Rücken und sie wechselten den Platz. „So Typon!“ flüsterte er „dies wird nun eine Weile deine Reiterin sein. Gehorche ihr und beschütze sie!“ Der Löwe welcher sehr intelligent war, schien es zu verstehen, denn er liess Aellia ohne Widerstand auf seinem Rücken Platz nehmen. Der lederne, mit goldenen Beschlägen geschmückte Sattel, war sehr bequem und es war ein unbeschreibliches Gefühl auf diesem mächtigen Tier zu sitzen. Die kupferne Mähne glänzte und Aellia spürte die stählernen Muskeln unter dem kurzen, roten Fell. Wie sie Trojanas angewiesen hatte, lenkte sie den Löwen mit den Zügeln und ihren Schenkeln. Das Reittier reagierte auf die kleinste Anweisung. „Viel Glück!“ flüsterte Trojanas und sie sah, wie er sie mit einer Mischung aus Sehnsucht und Besorgnis ansah. „Ich danke dir und auch dir viel Glück!“ flüsterte sie und dann küsste sie ihn nochmals leidenschaftlich. Der junge Mann taumelte etwas zurück. Sie hob noch einmal die Hand zum Abschied, dann befahl sie Typon, steil hinauf in den Himmel zu steigen. Er war sehr schnell und sie spürte in ihrem Bauch ein Ziehen. Sie hielt diese Höhe eine Weile lang, bis die nächtlichen Lichter der Stadt ganz verschwunden waren, dann ging sie etwas tiefer und wandte sie sich nach Norden. Es klappte erstaunlich gut mit dem Löwenreiten, sie lernte sehr schnell sich auf den Typon einzustimmen und es gehorchte ihr bald aufs Wort. Er war ein ruhiges, sanftmütiges, sehr intelligentes und gut ausgebildetes Tier. Darum klappte das wohl auch so gut.
Schliesslich fiel die Anspannung etwas von der jungen Frau ab und sie konnte den nächtlichen Ritt, nun in vollen Zügen, geniessen. Die kühle Nachtluft streichelte sanft ihre nackte Haut und ihr Gesicht. Sie war sehr froh, dass sie im Dunkeln so gut sah, denn so konnte sie das trockene, goldrote Land in einem silbernen Schimmer unter sich vorbeiziehen sehen. Der Himmel war sternenklar und der Mond lächelte auf sie herab. Sie dachte wieder an Nannios. Bald würde sie ihn wiedersehen! Darauf freute sie sich unbändig. Natürlich dachte sie auch mit Zuneigung und etwas Besorgnis an Trojanas, der sehr viel für sie getan hatte. Allerdings waren es nicht dieselben intensiven Gefühle für ihn, wie für Nannios. Der junge Solianer wusste das und er respektierte es.