Trojanas und seine Leute hatten sich mittlerweile in drei grössere und eine kleinere Gruppe aufgeteilt. Die kleinere, darunter vor allem Frauen, sollte zum nördlichen Tor aufbrechen, um die Lunarier und Harpyas zu empfangen und ihnen den Weg in die Stadt zu weisen. Mit ihnen zusammen würden sie die Lunarierinnen, wenn nötig aus ihrer Gefangenschaft befreien.
Die zwei andren Gruppen verteilten sich möglichst unauffällig in der Stadt. Ihre primären Ziele waren die Wachtürme. Von dort liess sich alles überblicken und man konnte die Aktivitäten der Rebellen vor Solianas und seinen Anhängern weitgehend verbergen. Alles sollte möglichst ruhig vonstatten gehen, auch hier mit möglichst wenigen Verlusten.
Trojanas trug einen bei den Händlern üblichen Kapuzenmantel, um nicht gleich erkannt zu werden.
Unauffällig arbeitete er sich zusammen mit einigen Männern zum ersten Turm vor. Diese wurden meist von zwei Wachen betreut. Es waren hohe, breite Rund-Türme, mit elfenbeinfarbenen Wänden und einem spitzen Dach, mit Ziegeln die in Gold und hellem purpurrot schimmerten. Sie hatten zwei Plattformen, doch die Wächter befanden sich fast immer auf der oberen Plattform, wo es einen Ausguck gab, der weit übers Land blickte. Trojanas gab Astranias, welcher eine führende Position in der Armee inne hatte den Auftrag, die beiden Wächter abzulenken. Sein Herz klopfte heftig. Es hing sehr viel von ihrem Erfolg ab, wenn irgendjemand zu früh Alarm schlug, flogen ihre Absichten auf und dann würde das ein Gefecht auf Leben und Tod nach sich ziehen. Mögen die Götter das verhüten!“ dachte er bei sich.
Die Wächter auf dem Turm waren gerade damit beschäftigt, das, einige hundert Yards entfernte, Lager der Lunarier, im Auge zu behalten, so achteten sie nur wenig auf das, was hinter ihrem Rücken passierte. Das kam den Rebellen gelegen. Astranias flog hinauf auf die Plattform und begrüsste die beiden in kollegialem Ton. „Hallo Leute! Was tut sich da unten gerade? Ich dachte, ich schaue mal vorbei.“ Die beiden Wachmänner schöpften keinen Verdacht. Es kam öfters vor, dass einer der führenden Armeemitglieder die Türme aufsuchte und Astranias kannten alle sehr gut. „Zurzeit ist es noch ruhig, wir hörten der König macht sich auf zu Verhandlungen. Wir hoffen, das sie Früchte tragen werden, sonst steht uns wegen der Lunarierinnen, noch ein Krieg ins Haus.“ „Nun, wir sind ihnen ja weitaus überlegen, nicht wahr?“ sprach Astranias, um das Gespräch noch etwas in die Länge zu ziehen. Er tat alles, um sie von dem Geschehen hinter ihrem Rücken abzulenken.
Trojanas war zufrieden. Lautlos und mit gezückten Dolchen und Schwertern, flogen er und zwei andere Männer von hinten heran. „Die haben ja eine sehr kleine Armee, findet ihr nicht auch?“ sprach der ältere Solianer gerade. Trojanas schwebte immer näher und näher heran. Die Wachen rechneten nicht mit einer solchen Gefahr und liessen sich auf eine muntere Plauderei mit Astranias gerne ein, viel Abwechslung hatten sie ja hier oben sonst nicht.
„Noch ein Stück ein kleines Stück, “ dachte Trojanas bei sich und dann packte er den einen Wächter von hinten, hielt ihm den Mund zu und das Messer an die Kehle! Dieser wand sich, aber Astranias half ihn festzuhalten. Dem adern Wächter, erging es nicht besser. Die Augen der beiden blickten erst vollkommen überrascht, dann zornig und schliesslich fassungslos, als sie erkannten wer unter jenen war, die sie nun fesselten und knebelten. „Es tut mir sehr leid“, sprach Trojanas „aber es ist nur vorübergehend. Wir brauchen die Türme.“ Die Augen der Gefangenen wanderten von ihm zu Astranias und dann wieder zurück zu ihm. Sie konnten nicht verstehen, was da mit ihnen geschah. Ihr Vertrauen war missbraucht worden. Der Königssohn fühlte sich nicht sonderlich wohl damit, aber er wusste, dass es der einzige Weg war. Er wies die drei Männer die mit ihm und Astranias gekommen waren an, die beiden Wachen und das Geschehen in und um der Stadt gut zu beobachten. „Gebt ausserdem sogleich das Spiegelsignal, damit die Lunarier wissen, dass die Türme unter unserer Kontrolle sind!“ Seine Männer nickten und holten einen kleinen Spiegel aus der Tasche, diesen hielten sie in die Sonne. Ein heller Strahl wurde von ihm zurückgeworfen, den man bis weit übers Land sah. Trojanas und Astranias machten sich indes weiter zum nächsten Turm. Bisher hatte noch niemand Alarm geschlagen. Es schien, als seien die Götter ihnen gewogen…
******
Schon einiges Stunden warteten Aellia, die adern Harpyas und die Lunarier im Schutz der Felsen. Der Tag brach golden an und das Licht wurde dann immer heller und gleissender. Heliosus erwachte aus seinem Schlummer. Es wurde immer heisser und den, nicht an so grelles Sonnenlicht gewöhnten Männern und Frauen, stand der Schweiss schon bald auf der Stirn. Die Harpyas trugen ihre Schutzbrillen, sonst hätten ihre Augen das gar nicht ausgehalten. Sie drückten sich etwas in den Schatten der gewaltigen Findlinge und blickten hinauf zur Stadt. Wie lange wohl, mussten sie noch warten?
Schliesslich dann erschienen endlich die ersehnten Signale, von den nördlichen Türmen: ein heller Lichtblitz von einem glänzenden Gegenstand erzeugt. „Sie haben es geschafft!“ rief Aellia. „Jetzt könnt ihr aufbrechen! Haltet euch wenn irgend möglich im Schatten der Berge dort und danach im Schutz der grossen Ställe. Dort hat es kaum Leute, die euch gefährlich werden können. Solianas wird die grosse Hauptpforte im Süden benutzen, ihr könnt dann ohne Probleme an ihm und seinen Männern vorbeischlüpfen und…unsere Frauen befreien!“ Aellia hatte das Wort unsere ganz spontan ausgesprochen, ohne viel dabei zu denken. Erst jetzt wurde ihr das bewusst. Doch sie wollte es gar nicht anders formulieren. „Ich sehe dein Volk, auch als mein Volk Nannios“, sprach sie. „Ich werde nicht eher ruhen, bis alles sich zum Guten wendet.“ „Das werden wir alle nicht, Geliebte!“ sprach er, umfasste ihre Taille und küsste sie zum Abschied noch einmal leidenschaftlich. Die anderen, welche bereits zum Aufbruch versammelt hatten, lächelten. Sogar Irisa und die andern Harpyas, schienen sich für diese Liebe zu freuen. Als Aellia das sah, dachte sie bei sich: „Irgendwann werden alles Schranken zwischen den Völkern, zwischen Frauen und Männern fallen und alle werden dann wahrlich erkennen, was Glück ist.“ „Die Götter mögen euch schützen!“ rief sie dann. „Dich auch!“ war die einstimmige Antwort.