"Du bist einzigartig, Sel!" murmelte ich nun doch. "Du darfst mich nie verlassen!" Selina streckte sich ein Wenig und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. "Tu ich nicht, Liebling! Ich versprech es dir!" Irgendwann schlief ich ein und hatte für Stunden keine Sorgen.
Ich schlief so fest, dass Selina mich morgens wecken musste. Als sie das Bett verlassen wollte, hielt ich sie zurück und zog sie an mich. "Zehn Minuten, Sel..." - "Ausnahmsweise, mein Schmusekater! Aber nur, wenn du dann sofort mit mir aufstehst!" Ich grunzte irgendwas in ihren Nacken und genoss die kurze Frist in Tuchfühlung mit meiner Frau. Sie verging viel zu schnell.
Nach der Morgentoilette frühstückten wir zusammen mit Melina im Salon. Sie würde dieses Jahr in den Kindergarten kommen. Wir wollten, dass sie in einem normalen Umfeld aufwächst, weil das die Voraussetzung für soziale Kompetenz ist. Jetzt, nach den Drohbriefen, fragten wir uns, wie sicher das wohl sein würde. Diese Drohbriefe hatten mir gerade noch gefehlt. Ich war gespannt, was Max' ehemalige Kollegen zu sagen hatten. Einerseits wünschte ich mir, den Übeltäter benennen zu können, andererseits wünschte ich mir, dass aus Thomas ein anständiger Mann würde. Zu diesem Zweck unterstützten wir schließlich seine Oma, um ihn in vernünftiger Umgebung aufwachsen lassen zu können. Eines allerdings war für mich klar: Wenn er es tatsächlich war und noch mehr kriminelle Energie zeigen würde, würde ich sämtliche Unterstützung sofort beenden, egal, was Selina dazu sagen würde. Wenn er einsichtig wäre, könnten wir darüber reden, aber einen aufsässigen Kriminellen zu unterstützen, dessen Aktionen noch dazu gegen mich und meine Familie zielten, war selbst mir zu dumm. Dann wäre es mir auch egal, wenn sie die Wohnung verkaufen müssten! Irgendwo ist ein Punkt! Selina erriet glaube ich meine Gedanken, denn sie meinte plötzlich: "Michael! Wir wissen doch gar nicht, ob mein Verdacht überhaupt begründet ist! Lass uns warten, was Max uns zu berichten hat und uns ohne vorgefasste Meinung an das Problem herangehen." - "Weißt du, was mich ärgert, Sel? Ich hätte so gerne gehabt, dass du mich nach München begleitest und ich hätte dich auch noch herumgekriegt! Aber jetzt trau ich mich nicht mehr. Jetzt möchte ich Dich und Mel in Sicherheit wissen. Das einzige was diesmal besser ist: Du würdest mich nie im Stich lassen! Das weiß ich! Du hast es mir sogar einmal wörtlich gesagt..." - "Ich weiß auch noch, in welchem Zusammenhang, Liebling. Es war Silvies Brief. Und deine Weigerung, ihn Tommy zu zeigen." - "Wie du siehst, sind nicht alle meine Entscheidungen gut. Heute steh ich vor der Konsequenz, meines "Edelmutes", wie du es nennst." - "Erstens, wissen wir noch nicht, ob es so ist und zweitens, hast du das wirklich zu Gunsten Tommys getan. Und das war damals für Dich richtig! Ich hab dir gesagt, gestern, dass ich dich verstehe! Aber es ist traurig, dass dir deine edle Gesinnung auf den Kopf fällt!" - "Wovor du mich gewarnt hast, Selina..." - "Gib dir nicht die Schuld für Etwas, was du nicht ahnen konntest. Du brauchst dir nichts vorzuwerfen, Michael! Das Leben geht weiter. Wir werden die Konsequenz tragen! Zusammen!" Unter Anderem diese Eigenschaft meiner Frau, Die Eigenschaft, vorbehaltlos hinter mir zu stehen, auch wenn ich mir ein Problem selbst eingebrockt habe, ist etwas, das nicht Jeder Partner kann. Auch wenn ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe, schätze ich ihre Haltung diesbezüglich sehr. Ich muss ihr diese Form der Toleranz nur selten zurückgeben, tue es jedoch ohne Wenn und Aber, wenn es notwendig ist. Es macht einen Teil der Qualität einer Beziehung aus.
"Melina, magst du mit in die Klinik, oder oder bleibst du bei Maria heute?" - "Ich komm mit, Mami!" Selina schnappte ihre Tasche und Mel und gab mir noch einen flüchtigen Kuss. "Wir fahren dann schon mal." - "Ich komm bald nach, Schatz!" Selina hatte einen Kindersitz in ihrem GTI. Ich hatte einen im Rover, aber mit dem wollte ich heute nicht fahren. Ich hatte noch immer meinen alten weißen Targa-Porsche, den ich vor über zehn Jahren auf Elektroantrieb umgebaut hatte. Den fuhr ich noch immer gerne, wenn ich keinen großen Platzbedarf hatte. Ich schrieb noch ein paar Zeilen für meinen Vortrag und verließ rund eine Stunde nach meinen Mädels das Palais in Richtung Klinik. Als ich aus der Allee auf die Hauptstraße bog, fiel mir ein dunkelblauer Audi auf, der in etwa zweihundert Meter Entfernung linker Hand am Straßenrand stand. Ich bog nach rechts ab und fuhr los, behielt den Audi aber im Rückspiegel im Auge. Tatsächlich fuhr er an und bog zum Palais ab, als ich um die Kurve zu verschwinden schien. Sofort hielt ich an, und rief Georg an, er solle das schmiedeeiserne Tor (elektrisch) schließen, welches die Zufahrt zum Palais versperrte, aber fast immer offenstand. Ich wollte unbedingt wissen, warum jemand meine Abfahrt abwartet, bevor er zum Palais abbog... Mit einem gekonnten Powerslide wendete ich meinen Porsche und fuhr zurück zum Palais...