Die Party hatte für sie eindeutig ihren Zenit durchschritten, stellte Jella genervt fest. Klebrige rosa Bowle sickerte auf ihre Haut durch. Irgendeine Frucht musste in ihrem Ausschnitt gelandet sein und so stapfte sie auf der Suche nach einem Bad die Flure entlang, erklomm eine Treppe und entdeckte ein goldglänzendes Schildchen, auf dem ein Kind in der Badewanne hockte. Sie klopfte, und als keine Antwort kam, trat sie ein und drehte das Schloss auf »besetzt«.
Das Bad war auf jeden Fall für Gäste hergerichtet – zwei Duftkerzen flackerten auf der Fensterbank, Deo, Tampons, Kondome, Minzpastillen und Gummibärchen lagen hübsch drapiert am Rande des Waschtischs. Jella schnaubte belustigt und warf sich zwei der winzigen Minzbonbons in den Mund. Sannes Kollegin hatte wirklich an alles gedacht.
Der Abend war insgesamt eher durchwachsen gewesen. Sie hatte sich, fast wie in Teenagerzeiten, mit Sanne fertiggemacht. Eine Flasche Sekt für Sanne und drei Pils für sie selbst hatten die Laune ein wenig heben können und so hatten sie sich ein Taxi bestellt und waren hierher, zu Sannes Arbeitskollegin gefahren. Der noble Veranstaltungsort war für ihren Geschmack eine Spur zu sehr auf Hamburger Neureiche getrimmt, aber auch darüber hatte sie sich mit Sanne prächtig amüsieren können.
Dann jedoch war das erste Problem auf zwei Beinen angedackelt gekommen. Nicht, dass sie es anders erwartet hätte – Sanne war ein echter Blickfang. Als ihre Freundin ihr dann verschwörerisch mitgeteilt hatte, dass der hübsche Blonde, der betont desinteressiert um sie herumscharwenzelt war, ein neuer Arbeitskollege von ihr war, den sie auf Herz und Nieren testen wollte, wie sie es ausdrückte, war Jellas Laune drastisch gesunken. Sanne hatte zum einen ein Händchen für Psychopathen, da waren sie sich beide einig, zum anderen war sie davon ausgegangen, dass Sanne gern mit ihr zusammen auf diese Party hatte gehen wollen. Etwas genervt hatte sie schon die Segel streichen wollen – bis der mit Abstand heißeste Typ des Abends aufgetaucht war.
Sie konnte es immer noch kaum glauben, dass ihr Unterleib ihr nach kaum einem Blinzeln frohlockende Jubelschreie zugesendet hatte und der Gedanke, mit dem Mann eine kleine Nummer zu schieben, ihr alles andere als abwegig erschienen war. Er war groß und kräftig und seine dunklen Augen hatten sie angezogen wie eine verwirrte Motte. In ihnen wogte die Nacht, hielten sich Geheimnisse und Versprechungen auf und möglicherweise die Unendlichkeit des Universums – so oder ähnlich hatte sie es in ihrem angesäuselten Kopf zumindest empfunden.
Er war nicht schön, nicht einmal annähernd, trotzdem hatte er etwas Attraktives an sich. Genau das hatte sie einigermaßen irritiert, denn sie konnte beim besten Willen nicht sagen, was es war. Dunkle kurze Haare, Sommersprossen, ein hübsches markantes Kinn. Eine Handvoll Falten um die Augen, dunkle, kräftige Augenbrauen, zwei steile Falten über der Nasenwurzel. Sie hatten ihm einen dauerhaft grübelnden, etwas finsteren Ausdruck gegeben. An sich nichts Besonderes – doch sie mochte es, wie er sie taxiert hatte.
Die sekundenschnellen Blicke, die über ihre Brüste und ihre Hüften gehuscht waren, hatten ihren Körper bis in die hinterste und letzte Nervenzelle kribbeln lassen. Sie hatte das Verlangen in seinen Augen gesehen und es hatte ihr geschmeichelt. Sie und der Martini in ihrem Glas hatten den Gedanken an unkompliziertes Vögeln für aufregend und gut befunden. Und immer noch konnte sie ihm nachspüren. Jella seufzte genüsslich.
»Und jetzt reiß dich zusammen!«, wisperte sie ihrem Spiegelbild zu und ertappte sich dabei, etwas dümmlich zu grinsen. Sie wollte mehr davon, mehr von diesem Mann und hoffte, dass er es ernst gemeint hatte mit dem Wiedersehen.
In Windeseile zog sie sich das schwarze Kleid und ihren BH aus, schnippte in Rum eingelegte Johannisbeeren und eine kleine Erdbeere achtlos weg und schnappte sich eines der Gästehandtücher. Die zuckrige Flüssigkeit klebte wie Kleister. Mit lauwarmem Wasser wusch sie ihr Dekolleté ab und machte sich daran, das Gröbste aus dem schwarzen Kleid zu spülen. Schließlich sah sie ein, dass nur eine ordentliche Reinigung das Kleid noch retten würde und starrte finster in den Spiegel.
»Ganz toll gemacht, Trottel!«, zischte sie dem abwesenden Grauäugigen zu. Er war ihr auf Anhieb unsympathisch gewesen, als hätte ein siebter Sinn sie warnen wollen. Er hatte sich umständlich für seinen Fauxpas entschuldigt, doch sie hatte abgewunken, selbst als er angeboten hatte, die Reinigung des Kleides zu übernehmen. Irgendetwas an ihm war ihr unheimlich gewesen und so hatte sie sich lieber schnell verzogen.
»Ich suche mir einfach den heißen Braunäugigen und nehme ihn mit nach Hause!«, flüsterte sie dem Spiegel zu, »genau das werde ich machen. Und dann soll er mich vögeln, bis ich nicht mehr geradeaus denken kann.« Sie strich versonnen über ihre Brüste. »Spitzenplan!«, grinste sie und stutzte, als sich etwas an der Tür tat.
»Besetzt! Sekunde noch!«, rief sie laut und schlüpfte in ihren BH. Auch der würde eine gründliche Handwäsche bekommen, überlegte sie und quiekte überrascht, als die Tür aufgestoßen wurde.
»Hey! Raus hier!«, fuhr sie den Eindringling an. Ihr stockte kurz der Atem, als sie den Grauäugigen erkannte. Er schlich auf sie zu, als wolle er … ja was?
»Ich wiederhole mich ungern, aber verschwinden Sie! Jetzt!« Unsicher presste sie ihren halb geschlossenen BH an sich. »Das ist wirklich eine Frechheit, das ist – «
»Schweig.« Der blonde Mann mit den grauen Augen blieb knapp vor ihr stehen und musterte sie kühl. Ihre Nackenhärchen richteten sich augenblicklich auf. So nackt hatte sie sich noch niemals zuvor gefühlt, dabei hatte sie immerhin Unterwäsche und Strümpfe an.
»Was wollen Sie?«, presste sie heraus. Etwas mehr als nur Verunsicherung machte sich allmählich in ihr breit.
»Alles, was du mir geben kannst!«, murmelte der Mann, griff nach ihr und Jella fuhr zurück.
»Das ist nicht witzig!«, schrie sie und hasste es, dass ihre Stimme schwankte. »Fassen Sie mich ja nicht an, oder ich – «
»Oder Sie tun was? Schreien? Weinen? Juckt mich nicht. Das hier wird nur ein kurzer Test, meine Hübsche.« Abermals griff er nach ihr und Jella reagierte. Sie verpasste ihm einen gut platzierten Kinnhaken, nutzte sein Taumeln, um ihn zu umrunden und jaulte auf, als er sie in den Rücken schlug. Dank einer wodkagetränkten Erdbeere, auf die sie trat, brachte er sie doch noch zu Fall. Sie schlug und trat um sich, versuchte, zur Tür zu gelangen, doch als er sie auf den Rücken drehte und hart ins Gesicht schlug, war sie sich fast sicher, dass sie hier nichts mehr ausrichten konnte.
»Bitte«, flüsterte sie heiser, »Bitte nicht, was …?«
»Ruhe! Nur ein kleiner Test. Und falls du wieder aufwachst, werde ich da sein. Falls.«
Sie hatte keine Idee, wovon er sprach. Angst drohte ihr Denken zu ertränken, als der Mann eine Klinge zückte. Was auch immer der Kerl testen wollte, er wollte es mit Hilfe eines rasiermesserscharfen Messers tun. Das Blitzen des polierten Metalls ließ Jella entsetzt schreien, was ihr einen weiteren Schlag einhandelte.
Sie musste im falschen Film sein, einem grausamen Scherz auf den Leim gegangen sein, das alles hier konnte einfach nicht real sein!
Sie versuchte, ihre Hüfte zwischen seinen Beinen herauszudrehen, um wieder manövrierfähig zu werden, doch der Grauäugige nagelte sie einfach auf dem Boden fest. Sie zappelte, kreischte und weinte entsetzt, als er sie am Kinn packte, ihr den Nacken überstreckte und mit sachtem Druck die Klinge über ihre Kehle zog. Dank eines letzten Zuckens von Jellas Seite aus nicht so tief, wie es möglicherweise geplant gewesen war, aber tief genug, um das Blut wie einen warmen flüssigen Schal an ihrem Hals herunterfließen zu lassen.
Sekundenlang starrten sie sich an, und Jella konnte die Flammen der im Fenster stehenden Duftkerzen in seinen Pupillen flackern sehen. Seine Hand mit der Klinge hob sich abermals, als wolle er noch einmal nachschneiden, um sie damit endgültig über die Schwelle befördern – dann brach ein Inferno aus.
Ein heißer Wind fegte über sie beide hinweg und als Jella die Augen wieder voller Panik öffnete, krochen die blauen Flämmchen auf ihrem Arm auf den des Mannes hinüber, um sein Sakko einen Atemzug später gelb lodernd in Flammen aufgehen zu lassen. Der Grauäugige brüllte vor Empörung, vor Wut möglicherweise, dann wurden die Schreie schriller, schmerzverzerrter. Die Flammen krochen rasend schnell über seine Kleidung, ließen sie zu Asche zerfallen und Jella kreischte in denselben Tonlagen – vor Entsetzen.
Der brennende Mann taumelte wie betrunken hin und her.
»Die Dusche!«, murmelte Jella heulend, »stellen Sie sich unter die Dusche!« Doch da war er schon zur Tür hinaus.
Am ganzen Leibe zitternd krallte sich ihr nasses Kleid und die alberne kleine Handtasche und stürzte auf den Flur. Sie musste weg hier, hämmerte es in ihrem Kopf, in dem sich alles drehte, weg von diesem Verrückten, weg von all dem Blut und vor allem fort von den Flammen.