Yalhan schrie auf als Blut über den Gang spritzte, Finn kniff die Augen kurz zusammen.
Er hatte Allison nicht lange gekannt, sie war ein wenig eigenartig gewesen, und arrogant, eine Elfe eben.
Aber das was sie getan hatte war mutig und dumm gewesen.
Der Schatten schien selbst überrascht zu sein, Finn riss sich vom Anblick der toten Elfe los, die sich selbst die Kehle durchgeschnitten hatte.
Er packte Yalhan und zog ihn mit sich: "Halt dich an meinen Schultern fest! Du musst dich gut festhalten hörst du? Bitte halte dich fest, ich kann nicht noch jemanden sterben lassen!"
Yalhan hatte keine Ahnung was der Blonde von ihm wollte, er tat einfach was ihm befohlen wurde.
"Zieh den Kopf ein!", schrie Finn ihm zu, dann hörte Yalhan das Bersten von Metall und Stein, er spürte zuerst den Boden unter sich verschwinden.
Er schloss die Augen um nicht den ganzen Staub hinein zu bekommen. Es fühlte sich an als würde er in die Luft gezogen und dann auf etwas landen, dass ihn immer weiter in die Höhe trug. Schreie unter ihm ließen ihn die Augen wieder öffnen.
Yalhan befand sich über einer schwarzen Kirche in der Luft, auf dem schuppigen schwarzen Körper eines Drachens.
Dieser schien noch dazu in dunklen Nebel gehüllt zu sein und gleitete über den Straßen der völlig zerstörten Stadt unter ihnen. "Was...", Yalhan hielt sich noch energischer fest, "das ist unmöglich! Was ist das...?"
Der Drache schrie unter ihm auf, dann hörte er die Stimme des Blonden in seinen Ohren: "Ich habe nicht mehr viel Kraft... Ich kann uns nicht weit weg bringen! Du musst... Du musst mich schützen sobald wir stürzen!"
Yalhan war mehr als verwirrt, er verstand schon lange nicht mehr was um ihn herum passierte.
"Was meinst du?", schrie er den Drachen, der wohl aus dem blonden Jungen erstanden war, an.
Aber er bekam keine Antwort mehr, der Drache zog die Schwingen zu seinem Körper zurück und schoss Richtung Boden.
Shanora starrte auf den leise plätschernden Bach vor ihr und lies ihre Gedanken mit dem Wasser fließen.
Sie hatte ihre Schuhe im Haus gelassen, war froh gewesen das warme Gras zwischen ihren Zehen zu spüren.
Dieser Ort hatte etwas so schönes ruhiges, und doch hingen im Haus die Wolken der Trauer.
Allister hatte sich in der Bibliothek eingeschlossen und kein Wort mehr gesprochen. Sassy hatte einige Zeit fluchend an die Türe geklopft, es dann aber aufgegeben und sich zurück gezogen. Shanora wollte einfach raus und genau das hatte sie nun getan.
Der Weg zum Bach war vom Haus aus gut sichtbar, Sassy konnte sie also immer sehen, kein Grund zur Sorge.
Shanora ließ sich auf einem der Moosbedeckten Steine nieder und strich mit den Fingern über die Pflanzenflechte.
Wie ein Polster der Natur, sie konnte gut verstehen, dass Sassy ein paar Jahre einfach hier geblieben war.
Sie versuchte den Gedanken daran, dass Finn auch etwas zugestoßen sein könnte, von sich zu schieben. Das letzte mal als sie ihn gesehen hatte war sie vor ihm weg gelaufen, er war so eigenartig gewesen. Sie hatte eine irrsinnig große Distanz zwischen ihnen gespürt, nichts schien zu sein wie es war.
"Wusste ich doch das du das bist!"
"Shanora"
"Weinst du etwa?"
"Nein, Männer weinen nicht, Shan!"
"Kommst du mit rein? Wie lange bleibst du? Du musst mir alles von deinen Reisen erzählen!"
"Ich kann nicht, ich muss geschäftlich in die Welt der Menschen reisen!"
"Aber... Dann nimm mich mit!"
"Das geht nicht, außerdem musst du noch viel lernen!"
Mehr war das letzte Gespräch mit ihrem Bruder nicht gewesen, und doch wusste sie, dass alles, was er gesagt hatte, gelogen war. Er hatte geweint, aber wieso nur?
Was war passiert, dass ihn so zerbrechlich gemacht hatte?
Und er musste nirgends geschäftlich hin, er hatte fast schon eine innerliche Panik, und als er Ladiras Stimme gehört hatte war er beinah weg gelaufen.
Das hatte sie von der Tür aus noch beobachten können. Und auch Ladira hatte gemerkt, dass er nicht in Ordnung war, auch wenn sie ihr damals gesagt hatte, es bestehe kein Grund zur Sorge .
Shanora starrte auf ihr Spiegelbild im Wasser, das sich eigenartig zu kräuseln schien unter dem Strom des kleinen Baches.
Sie kniff die Augen zusammen und streckte ihren Kopf weiter hinunter um besser sehen zu können.
Sie tippte die Wasseroberfläche vorsichtig an, auf einmal erschien eine Kulisse vor ihr, Nebel, Spitzbögen aus hellem Stein.
Eine alte Stadt, direkt dahinter, bedrohlich rauchend, der schwarze Thron. Flüstern ertönte aus den Nebel, Stimmen schienen sich zu erheben.
"Komm nach Osilia, rette deinen Bruder!"
"Trau dich Prinzessin, stell dich meiner Macht!"
"Bring mir was ich brauche!"
"Komm nach Osilia, oder ihr werdet brennen!"
Forderten die Stimmen, Shanora blickte sich panisch um.
Ein Schemen ihres Bruders erschien im Nebel, er streckte die Hand nach ihr aus: "Hilf mir!"
Seine Stimme klang verzweifelt, Shanora versuchte ihn zu erreichen, aber sie wurde zurück geschleudert.
Unsanft schlug sie im Bachbett auf, das Wasser war ziemlich kalt und ließ sie aufschreien.
Sie war wieder zurück, am friedlichen Ort vor Allisters Haus. Aber ihr Herz raste und ihre Knie brannten. Sie hatte sie, wie so oft, aufgeschlagen.
Shanora sprang auf und stellte fest, dass es bereits dunkel geworden war. Sie stürmte sofort zurück ins Haus und hämmerte an die immer noch verschlossene Türe der Bibliothek: "Allister, Ali, bitte mach auf!"
Frustriert ließ sie von der Türe ab als keine Reaktion aus dem Inneren kam. Also musste sie zuerst mit Sassy sprechen, auch wenn Allister ihre erste Wahl gewesen wäre.
Aufgeregt rannte sie die Treppen hinauf zu Allisters Schlafzimmer und stürmte ohne zu klopfen durch die Türe.
Sassy schreckte aus dem Schlaf hoch und starrte sie schockiert an. "Was ist los?", fragte sie Shanora besorgt.
Sassy ärgerte sich einen Moment einfach eingeschlafen zu sein. "Da war Finn! In meinem Spiegelbild im Wasser! Wir müssen nach Osilia, schnell! Wir müssen ihn retten!"
Sassy legte den Kopf in den Nacken: "Du hast nur geträumt Kleine, Es gibt keinen Ort Namens Osilia!"
Shanora stampfte auf als sie erkannte, dass Sassy ihr gerade nicht die Wahrheit sagte: "Ich habe nicht geträumt, Osilia liegt am schwarzen Thron! Wir müssen Finn helfen, er wird vielleicht verfolgt!"
Hinter ihr betrat nun doch Allister, alarmiert durch die lauten Worte, den Raum.
Er grübelte kurz und erklärte dann: "Osilia gab es einst, die Stadt der Dämonen am schwarzen Thron! Heimat der Schatten und anderer mächtiger Klans. Das Tor zum Limbus und den Unterlanden. Der Dunkle hat die Stadt ausgelöscht und alle versklavt, keiner weiß was aus ihnen wurde! Sie verschwanden einfach mit der Stadt, dort liegen jetzt die verfluchten Schlachtfelder mit ihrem undurchdringlichen Nebel!"
Sassy hätte ihm am liebsten einen der kitschigen Kerzenständer über den Kopf gezogen.
Finn war immer noch verschwunden, und einen Ausflug mit der Prinzessin des weißen Throns an den Fuß des schwarzen Throns war wohl das letzte, was sie jetzt tun sollten.
Sie selbst hatte Osilia gesehen, so dunkel und kalt, dieser Ort barg nichts Gutes.
"Kommt gar nicht in frage!", sie schaute die beiden eindringlich an, "dort ist nichts mehr!"
Shanora stampfte erneut auf: "Hast du je nach gesehen? Hat irgendjemand nach gesehen?"
Sassy nickte: "Ich war vor fünf Jahren am Fuße des schwarzen Throns!"
Allister sprang auf: "Der Weltenriss! So hat der Dunkle damals all diese Dämonen verbannt! Ihr habt ihn geöffnet und Osilia zurück gebracht! Die Ginn sind deswegen wieder in Elensar! Shan, wahrscheinlich hast du recht, und ich verspreche dir das wir sofort aufbrechen um sicher zu gehen! Aber nicht alleine!"
Sassy knallte ihm einen Polster ins Gesicht: "Wie kannst du das sagen, egal was da ist, Shanora sollte nicht dort sein!"
Shan knallte die Türe zu: "Und wo soll ich sonst sein? Mich unter einem Tisch verstecken um ja niemals etwas sinnvolles zu tun? Alle sagen, dass ich die Königin von Elensar sein soll, also lasst mich tun was ich tun muss! Wenn Osilia unter dem Terror der Ginn steht ist es meine Aufgabe die Stadt zu retten!"
Allister legte seine Hände auf ihre Schultern und zog sie von der Türe weg, die ihre Wut abbekommen hatte.
"Ich hatte Besuch in der Bibliothek!", begann er Sassy sein Verhalten zu erklären, "Ein Geist aus der Vergangenheit, aber nicht aus meiner! Sie möchte mit Shanora sprechen!"
Sassy verengte ihre Augen zu Schlitzen: "Wer soll das sein? Ein Geist? Shanora wird auf keinen Fall da runter gehen!"
Allister öffnete die Türe und schob Shanora hinaus: "Es ist ihre Entscheidung, hör auf sie zu belügen und wie ein kleines Kind zu behandeln! Sie hat ein Recht darauf selbst über ihr Leben zu entscheiden!"
Sassy sprang nun vom Bett auf um Shanora aufzuhalten, diese aber rannte die Treppen hinunter um zu sehen was sie in der Bibliothek erwartete.
Sie schaffte es gerade noch die Holztüre zu zu ziehen als Sassy schon dagegen prallte. Sie schien auf magische Art und Weise verschlossen zu sein und glänzte golden.
Ein warmes Gefühl machte sich in Shanoras Brust breit, und sie drehte sich um. In dem bequemen Ledersessel saß eine Gestalt in einem goldenen Umhang, dessen Kapuze alles verbarg.
Shanora holte tief Luft, sie hatte keine Angst vor dieser Gestalt.
"Weißt du wer ich bin?", die glockenhelle weibliche Stimme schmeichelte Shanoras Ohren.
Sie hatte diese Stimme einmal gehört, goldene Augen kamen ihr in Erinnerung. "Du weißt also wer ich bin", stellte der Geist fest, "dann werde ich dir nun eine Botschaft überbringen!"
Shanora legte den Kopf schief und lauschte gespannt.
"Was einst durch den Dunklen gestohlen wurde, wird wieder zurück zu den Erben des Lichts finden. Die Toten werden den Weg der Gerechtigkeit pflastern, ihr ableben so sinnlos und doch so endgültig. Eine Armee verborgen in der Dunkelheit, wartet auf ihre Erweckung. Die Königin, beschützt von den Schwingen des Drachens, in Vollbesitz ihrer Kräfte, wird befreien was gefangen gehalten wurde. Der dunkle König, bereit sich der gerechten Sache hingeben, wird ihr zur Seite stehen. So wird das Gleichgewicht der Welten wieder her gestellt!"
Shanora dachte eindringlich über diese Worte nach, sie verstand sie nicht ganz.
Der Geist erhob sich aus dem Sessel: "Das ist eine Legende Shanora, ein kleiner Hoffnungsschimmer in dunklen Zeiten! Ich hoffe sehr das er wahr wird und mein Tod nicht umsonst war! Im Moment schwindet die Hoffnung..."
Die goldene Gestalt verschwand langsam bis nur noch ein schimmer zu sehen war.
Im selben Moment schlug die Türe auf und Sassy stolperte herein. "Was ist passiert?", fragte sie das verwirrte Mädchen energisch, "Und was hast du dir überhaupt dabei gedacht?"
Shanora ballte ihre Hände zu Fäusten und begann zu zittern, sie fühlte sich so wütend wie noch nie zuvor.
Allister kam nun hinter Sassy her, er schien sich umgezogen zu haben, sein Haar war zusammen gebunden und er hatte einen Beutel über die Schulter gehängt. Sassy drehte sich um und starrte ihn an: "Nein, das kannst du nicht machen!"
Allister aber schritt an ihr vorbei und stellte sich neben Shanora: "Ich habe dem Geist etwas versprochen. Ein Versprechen das auch du einst abgelegt hast Sassy! Zumindest so ähnlich, aber es ist Zeit dieses Versprechen zu erneuern! Als Shanora ein Kind war, noch nicht fähig war die Tragweite ihres Schicksals zu erkennen, da war es angebracht sie zu schützen. Aber nun ist es an der Zeit sie zu beschützen und mit ihr zu gehen"
Verwirrter als je zuvor, dafür nicht mehr wütend, starrte Shanora zwischen den beiden hin und her. Was wurde ihr da verheimlicht?
Allister packte Sassy an den Schultern: "Bitte vertrau mir noch einmal, du siehst doch, dass es für das Mädchen schrecklich ist nichts zu wissen! Sie ahnt das etwas nicht stimmt, merkt das sie ständig belogen wird von euch allen!"
Sassy schüttelte den Kopf: "Noch nicht! Sie ist fast noch ein Kind! Dann stürmte sie aus dem Raum.
Shanora war mehr als verwirrt, hilfesuchend wendete sich an Allister: "Du würdest mit mir gehen?"
Allister legte den Beutel ab und lächelte: "Natürlich, nichts sollte sich von deinen Träumen, Wünschen und Entscheidungen abbringen!"
Shanora lächelte ihm dankbar zu, er schien der einzige zu sein dem sie trauen konnte.
"Ihr werdet nirgendwo hingehen!", schnitt eine scharfe Stimme direkt in Shanoras Hoffnungen.
Sassy saß in der Zwischenzeit am Bach und hatte den Besuch im Haus nicht mitbekommen. Sie starrte aus das Wasser und dachte über den alten Schwur nach.
"Elensars Wacht, am Rande des schwarzen Throns, verborgen vor aller Augen sind wir die Augen der Welt, die Hüter im Verborgenen, die Retter aller Welten und die Vergeltung des weißen Throns! Die Jäger, die Beschützer der Königin und Wächter der dunklen Artefakte! Wir schwören feierlich Finn zu dienen und geloben ihm unsere Treue! Wir beschützen die Königin des weißen Throns mit unseren Leben, wir opfern alles für die Königin, vom heutigen Tag bis in alle Ewigkeit!"
War dieser Schwur wirklich veraltert und musste nun schon auf Shanora lauten? War sie nun bereit alles zu erfahren, wie sollte das Mädchen das bloß verkraften?
Andererseits brachte es nichts sie weiter anzulügen, Allister hatte Recht. Auch Finn konnte angesichts der Ereignisse nicht mehr verlangen, dass man weiter ein Geheimnis daraus machen würde. Sie entschied sich zurück zu gehen und Shanora endlich alles zu erzählen. Aber davor gab es noch etwas zu erledigen, etwas von größter Dringlichkeit.