Ich gehe mit einem Typen fort. Ich kenne ihn nicht wirklich gut.
Er redet viel – klingt teilweise reflektiert und vernünftig, aber irgendwas ist eigenartig an ihm.
Er erzählt, dass er sich nach einer Frau und Kindern sehnt. Er erzählt auch, was er in seiner Kindheit so mitgemacht hat. Dass er mit eineinhalb Jahren aus dem Stockbett gefallen ist und einen Schädel-Basisbruch hatte. Dass er als Kind im Bett seiner Mutter geschlafen hat und dort mitbekommen hat, wie sie von ihrem Vater vergewaltigt wurde. Er hatte auch noch eine kleine Schwester auf die er aufpasste – immer wenn die Mutter um 11 Uhr abends verschwand und morgens um 6 wiederkam. Er weiß bis heut nicht, wo sie immer hinverschwand. Er hat nach der Schule oft gebettelt, damit er sich in einem Gasthaus was Warmes zum Essen kaufen konnte.
Er war in einigen Schulen, Kindergärten und Heimen.
Während er so erzählt rasseln immer wieder sms herein. Er ist unruhig und zappelig. Er entschuldigt sich und geht mal telefonieren. Nach sechs Minuten ist er wieder da und erzählt weiter. Von den 150 Frauen, die er schon gehabt hat – die fliegen auf ihn. Vor ein paar Tagen kam sogar eine extra aus Wien, nur um ihn zu vögeln. Er ist ehrlich zu den Frauen, sagt ihnen , wie es ist – er fickt alles, was sich ihm in den Weg stellt. Dabei will er das irgentwie gar nicht. Es langweilt ihn. Das ganze Leben langweilt ihn.
Aber er hatte auch schon eine Freundin, der er sogar treu war. Er traf sie damals und wusste sofort: Das ist sie! Die EINE!
Fünfeinhalb Jahre waren sie zusammen – sie haben sogar eine gemeinsame Tochter. Doch sie betrog ihn mit seinem Freund. Er hielt das nicht aus. Die Wut kochte ihn ihm hoch und …
Der Freund würde sich gut merken, dass man sowas nicht macht. Aber seine Tochter wird der Typ wohl nicht mehr sehen.
Er tippt wieder eine sms. „Es ist kompliziert“ sagt er. „Meine letzte Ex hat psychische Probleme und ein Helfersyndrom.“ Die Antwort klingelt rein. Während dem Tippen erzählt er mir, dass sie fremdgeküsst hat. Einen 18jährigen Drogensüchtigen, der ihr irgendwie leid tat. „Ich habe ihr so viel beigebracht! Sowas mag ich – das ist mir wichtig. Aber deshalb versteh ich nicht, warum sie das getan hat. Sie war ein dummes Mädchen, als ich sie kennen gelernt habe. Ich hab ihr dann einiges erklärt – ich bin intelligent.“ Er klingt fast verzweifelt, als er mir erzählt, dass er manchmal die Welt nicht mehr versteht. „Die Leute sind undankbar und respektlos. Sie behandelt ihre Großeltern respektlos – das ist nicht o.k.“
Wir bezahlen und gehen weiter. Wir wollen in eine Disco. Er will heute die Frau seines Lebens kennenlernen. „Ich bin ehrlich, das ist mir wichtig. Viele halten mich für ein Arschloch, aber das ist in Ordnung – ich bin wohl ein Arschloch.“
Seine Ex ruft an. Diesmal hebt er neben mir ab. Ich höre nicht, was sie sagt, verstehe aber schnell, dass sie ihm droht, sich umzubringen. Offenbar nicht zum ersten Mal, denn er ist echt genervt.
„Dann tu es doch – hol dir ein Messer und machst. Das kann doch nicht sein, dass du mir dauernd damit drohst ...“
Langsam wird er noch unruhiger. Er erzählt mir, dass es immer wieder so mit ihr ist. Sie hat halt psychische Probleme. Ihm geht es wieder besser seit der letzten Panikattacke. Ist sehr anstrengend, sein Leben derzeit. Keine Arbeit. Keine Freundin. Keine Freunde. Ihm fällt die Decke schon manchmal auf den Kopf. Aber er liest viel. Auch über Eigenmanipulation. Er ist sehr zufrieden damit. Und mit sich. Als er sich das letzte Mal verliebt hat, hat er es so innerhalb einer Woche geschafft, von ihr loszukommen. Man muss sich halt einfach selbst manipulieren – intelligent ist er. Erzählt er.
In der Disco werden gleich Frauen abgecheckt – es geht um die Eine. Er will ja nur eine Familie und glücklich sein. Die Blonde hat es gleich auf ihn abgesehen. „Nein.“ sag ich und ich habe Recht. Eine blonde Schlampe, die darauf aus ist, mal von einem Bad Boy abgeschleppt zu werden.
Die süße Brünette, die leicht zurückhaltend tanzt und ganz unauffällig immer wieder zu ihm schaut. Ja, die wärs. Sie und ihre Freundin lassen sich lachend von ihm fotografieren – und suchen sich einen Platz weiter weg zum Tanzen.
Während ich zum Bankomaten geh, gräbt ihn die Blondine wieder an. Sie hat ihn gekratzt. Ich versteh das nicht. Aber ich war ja auch nicht da und hab deshalb keine Ahnung, was passiert ist.
Er wird plötzlich unruhiger. Viel unruhiger und in seinen Augen sehe ich etwas aufblitzen. Es war, wie ein Löwe, der zum Sprung ansetzt um eine Gazelle zu reißen. Er fängt an zu fluchen. Was mit den Leuten los sei. Warum keiner mehr normal ist.
„Mir ist schlecht, kommst du mit raus?“ Eigentlich geht es mir gut, naja, betrunken bin ich schon. Aber ich weiß, ich muss ihn hier rausbringen. Jetzt. Sofort. Auf der Stelle.
Draußen setzen wir uns hin. Er flucht auf die Leute. „Fuck Bundesland!“ Er will doch nur die Eine kennenlernen! „Warum sind die Leute so arg? Diese blöde Schlampe! Wenn ich will, kann ich sie umbringen lassen! Ich lass sie ganz normal umbringen! Die hats nicht verdient zu leben!“
Er versteht die Welt nicht mehr. Ich beginne zu verstehen, was hier los ist.
„Komm mit! Wir gehen zum Zug!“ Es ist 1 Uhr 16. Der Zug fährt um 1:35.
Das schaffen wir nicht rechtzeitig. Aber das ist mir egal. Wir müssen da weg. Er muss da weg. Weg von Leuten. Wir marschieren durch den Park. Den Gehsteig die Straße entlang. Über den Zebrastreifen. Er schimpft. Lauthals. Das Gehen kühlt ab und macht nüchtern. Aber nur mich.
Er wird immer schneller. Der Abstand zwischen uns beträgt inzwischen ungefähr 20 Meter und so bleibt er. Er geht vor mir und doch kann ich seine Wut spüren und seine Aggression in der Luft schmecken. Das Stoppschild konnte nichts für das alles und es hat sich auch kräftig gewehrt und gesiegt. Aber es zittert immer noch, als ich daran vorbeigehe.
Nur mehr 50 Meter bis zum Bahnhof. Er schimpft noch immer. Mir scheint sogar, er wird immer wütender. Inzwischen hoffe ich , dass keine Menschen mehr am Bahnhof sind. Er ist ganz bei sich. Oder in sich. Oder außer sich? Auf jeden Fall hat er sich während des kompletten 25-Minutenmarsch nicht einmal nach mir umgedreht. Gut so. Ich will ihm gar nicht auffallen. Er zeigt einem Parkschranken seine Wut. Wenn man auf 180 Grad ist, bekommt man einen zarten Schranken schon mal um 90 Grad gedreht.
Ich dreh mich mich am Absatz um. Und gehe in die entgegengesetzte Richtung. Denn egal, wo er hingeht, da will ich nicht hin.