Shanora starrte aus dem Fenster des alten Jaguars, seit Stunden fuhren sie jetzt durch eine nicht enden wollende Landschaft aus Wäldern und Landstraßen, Hügeln und ein paar vereinzelten Seen. Es waren kaum Vögel in der Luft zu sehen.
Shanora konnte es ihnen bei dem durchgehenden Regen auch nicht verübeln.
"Dieser Ort weint noch immer!", Church, der den Wagen steuerte, brach das Schweigen schließlich.
"Wie meinst du das?", wollte Shanora wissen. Kurz hatte sie überlegt ihre Füße auf dem Armaturenbrett ein wenig zu entspannen. Ein Gedanke und Churchs Reaktion bei Marbas, der nur den Kofferraum angefasst hatte, ließ sie das aber verwerfen.
"Finn meinte, dass Schwarzwasser einst wunderschön war! Bis der Dunkle alles an sich gerissen hat. Danach begann es zu regnen und es hat nie mehr aufgehört. Die Leute veränderten sich und übrig blieb das hier!", erklärte Church. Im selben Moment lichtete sich der Wald und vor Shanora wurde das Meer und die große Stadt Schwarzwasser sichtbar. Church bog aber sofort in Richtung des Hafens ab. Shanora kam die Gegend bekannt vor, ganz in der Nähe hatte sie Churchs Onkel getroffen.
Church parkte das Auto in einer Seitenstraße und zog sich seine Kapuze über: "Dann wollen wir mal, das wird bestimmt ein Spaß!" Shanora tat es ihm gleich und stieg aus, schnell rannte sie ihm nach, alleine in Schwarzwasser zu sein hatte einmal gereicht.
„Bist du sicher, dass wir sie brauchen?“, Shanora starrte auf die Bar in , die Aufschrift "Oben ohne" war eindeutig.
„Wir können froh sein zu wissen, wo sie ist“, Chruch öffnete die Türe, „sie ist nicht leicht zu finden. Und immerhin war sie die Schülerin deines Bruders, sie ist die letzte Hexe von Harmun und wenn du an die Unterlagen von Finn möchtest wird sie dir eine große Hilfe sein!“ Shanora zögerte nach wie vor, sie würde am liebsten draußen warten, aber Schwarzwasser war ihn nach wie vor suspekt.
„Aber wenn sie Finns Schülerin war, warum habe ich sie nie gesehen?“, fragte sie noch schnell.
Church ließ die Türe wieder zu fallen, er wusste, dass er Shanora eine Erklärung schuldig war.
„Wir fanden sie bei unserer ersten Reise in die Unterlande, in Mitten der Leichen ihrer Familie und Freunde. Damals war sie elf Jahre alt, Finn hat sich die größte Mühe gegeben sie auf den richtigen Weg zu bringen. Ich habe dir gezeigt wie wir sie gefunden haben, was sich davor ereignet hat werden wir wohl nie erfahren. Wir nannten sie Caja, sie war so traumatisiert, dass sie nicht einmal ihren Namen kannte. Finn trainierte sie, hoffte ihr dadurch eine Aufgabe zu geben. Aber ihr Hass auf die Unterlande und die Dämonen wuchs und wuchs. Ihre Kräfte entwickelten sich rasant, bis nicht einmal mehr Finn sie unter
Kontrolle brachte. Sie entwickelte eigene, grausame Zauber um ihre Gegner in ein Land der Schmerzen zu entführen bevor sie diese tötete. Das lag vor allem daran, dass sie wie Finn viel getrunken hatte! Außerdem war sie in Finn verliebt und...“, Church erschrak, als die Türe aufgerissen wurde. Marbas schaute heraus.
„Was macht ihr da, ich habe sie gefunden!“, erklärte er.
Chruch seufzte: „Ist sie nüchtern?“
Marbas lachte schallend: „Du fragst, ob die rote Hexe nüchtern ist? In einer Bar?“
Chruch seufzte erneut und deutete dann Shanora ihm endlich zu folgen.
In der Bar schien das reine Chaos zu herrschen, die Tänzerinnen hatten sich in eine Ecke zurückgezogen und auf dem rot beleuchteten Laufsteg türmten sich Männer, die sich windeten und wimmernd ihre Köpfe hielten.
„Macht, das es aufhört“, einer riss sich gerade selbst die Augen heraus.
Shanora starrte auf die zierliche Frau auf dem Laufsteg. Ihre Beine waren extrem dünn, ihre Hüften schmal und das kurze schwarze Trägerkleid schien über die unverhältnismäßig großen Brüste zu stolpern, bevor es hinunterhing.
Sie hatte einen hoch gebundenen Pferdeschwanz aus seidig glänzendem feuerroten Haar, welches ihr bis zur Hüfte hing. Ihre Augen strahlten orange und wirkten total vernebelt, auf ihren Wangen lag ein roter Schimmer. Ihr ovales Gesicht war ansonsten kreidebleich.
„Wer von euch Waschlappen denkt noch, dass er in der Lage ist es mit mir aufzunehmen?“, lallte sie, ihren Schmollmund zu einem grausamen Lächeln verzogen, „Na kommt schon!“
„Na toll“, fluchte Chruch, „sie ist total betrunken!“
Shanora starrte weiter schockiert auf die grausame Szene, die sich ihr bot.
Schlagartig wurde ihr bewusst, warum Finn keine Begegnung von ihnen zugelassen hatte. Was auch immer die rote Hexe mit diesen Männern getan hatte, es führte dazu, dass sie sich selbst verstümmelten vor Angst.
Marbas blieb hinten: „Ich gehe auf keinen Fall in ihre Nähe, ich bin doch nicht lebensmüde! Viel Spaß beim Versuch!“
Chruch winkte genervt ab und schwang sich auf den Laufsteg: „Na du blöde Kuh, schon wieder dabei unzählige Männerherzen zu brechen?“
Sie schien überrascht zu sein seine Stimme zu hören, langsam wankte sie auf ihn zu und starrte ihn an, kniff die Augen zusammen.
„Du bist es wirklich!“, lallte sie dann, „Church der Blödmann, wie lange ist das jetzt her, du Creep?“
Chruch fächerte mit seiner Hand vor seiner Nase herum: „Gott hast du eine Fahne Mädchen! Ich schätze drei oder vier Jahre! Und artikulieren kannst du dich nach wie vor nicht!“
Caja lachte auf: „Und was willst du, Bastard?“
Chruch beschloss es kurz zu machen: „Deine Hilfe, Finn braucht deine Hilfe, seine Schwester ist hier und wir brauchen Zugang zu all seinen Unterlagen!“
Caja lachte wieder: „Nach drei Jahren schickt Finn nichts als seine Schwester und will Hilfe? Vergesst es, er wusste meine Kraft nie zu schätzen. Wenn er etwas will, soll er selbst kommen! Und sein ewiges Gelabber von Frieden, lächerlich! Jetzt verpisst euch bevor ich wütend werde!“
Shanora war Church nun auf den Laufsteg gefolgt, sie hechtete an ihm vorbei und fixierte die betrunkene Frau. Ihre Blicke trafen sich und Shanora atmete wütend ein, bevor sie ihr eine Backpfeife verpasste und anfing zu schreien: „Du wärst tot ohne meinen Bruder, er hat versucht dir zu helfen! Und jetzt liegt er im Koma, weil er sich alleine dem Dunklen entgegengestellt hat!“ Eine Träne rann über ihre Wange und ihre Augen funkelten wütend. Church legte ihr seine Hand auf die Schulter.
„Lass uns gehen“, Shanora fuhr wütend herum, „es war eine dumme Idee von meinem Bruder an dieses Mädchen zu glauben!“
Dann stürmte sie aus dem Lokal, Marbas und Chruch folgten ihr.
„Wir kehren erst mal in unser Versteck zurück!“, Marbas zeichnete mit seinem Finger ein paar Runen auf den Boden.
Church starrte ihn verwirrt an: "Unser versteck? Ich hatte vor in einem Motel zu schlafen? Und wer hat den bitte dich eingeladen?"
Marbas wendete sich an Shanora: "Ich habe außerhalb von Schwarzwasser im Dorf Ilks, an der Grenze zu Südhafen, eine Hütte eingerichtet! Du kannst aber auch in einem Motel in Schwarzwasser bleiben!"
Shanora warf Church einen Blick zu: "Außerhalb von Schwarzwasser klingt sehr gut! Bring uns hin!" Church verdrehte die Augen, während Marbas eifrig auf seine Runen tippte, bis sich der Boden kräuselte.
"Wartet!", Shanora fuhr überrascht herum, als sie Cajas Stimme hörte.
"Was willst du? Ich werde auch ohne deine Hilfe finden was ich suche!", fuhr sie die sichtlich nüchternere Frau an.
"Nimm das, um den Rest du besorgen muss ich erst noch ein paar Dinge erledigen!", Caja reichte Shanora eine Laptoptasche. Shanora entdeckte darin ein Macbook und einen Zettel auf dem das Passwort stand.
"So solltest du an alles kommen, was Finn über den neunten Kreis gesammelt hat!", Caja wendete sich dann an Church, "Blödmann, passt auch euch auf, hier tauchen miese Gestalten auf, suchen nach einer Prinzessin aus Elensar!"
Church nickte und Shanora dankte ihr, bevor sie in der Dunkelheit verschwand.
"Lasst uns aufbrechen, bei Nacht ist es hier nicht sicher!", Marbas deutete auf das Portal auf dem Boden.
"Bei Tag auch nicht!", murmelte Shanora und sprang hindurch.
Hinter den zahlreichen kleinen Backsteinhäusern, die sich eng aneinander reihten, zierte ein Park das Bild der Kleinstadt. Ilks war vieles, nur nicht was Shanora erwartet hatte.
Sie konnte von dem Hügel aus, auf den Marbas Portal sie gebracht hatte, Schwarzwasser und das Meer sehen. In Ilks regnete es nicht, alles erstrahlte in einem saftigen grün und der Himmel war wolkenlos. Die Sterne gaben der beinahe schon kitschigen kleinen Stadt noch den letzten Schliff. Kaum zu glauben, aber Marbas hatte wohl recht behalten. Dieser Ort konnte auch schön sein.
"Gut, dann ab in die Hütte!", Marbas schien sehr zufrieden über die Blicke seiner Kameraden zu sein.
Church wendete sich von der Kleinstadt ab: "Zeig mir schnell den Weg, ich muss mein Auto holen!"
Marbas winkte ab: "Das habe ich Kyra bereits erledigen lassen! Ihre Fähigkeiten sind, was die Teleportation betrifft wirklich überragend!"
Church grummelte etwas Gemeines und stieß noch ein paar Drohungen aus, folgte Marbas aber wie Shanora den Hügel hinunter.
"Ich dachte du hast eine Hütte außerhalb der Stadt?", fragte sie Marbas überrascht. Sie gingen weiter über das Kopfsteinpflaster zwischen den netten kleinen Häusern.
Marbas wirkte beinahe verlegen: "Meine Hütte... Naja das ist eher so eine Redewendung! Und es ist außerhalb der Stadt, der Stadtkern ist 10 Gehminuten entfernt!"
Shanora beschloss sich überraschen zu lassen. Sie kamen an einigen weiteren Wohnhäusern vorbei, dann an einem Bäcker und einem kleinen Supermarkt. Alles wirkte so friedlich, sogar ein kleines Krankenhaus gab es.
"Es erinnert an das London des 18-19. Jahrhunderts!", stellte Church fest als er ein Pub entdeckte. Nach dem Pub war es dann so weit, riesig erstreckte sich ein altes Herrenhaus über ein großes Grundstück vor ihnen. Davor ein Gitter auf dem das Wort Pestilenz prangerte. Die Auffahrt zum Eingang war mit den Statuen zweiter Löwen verziert und das Haus machte einen gepflegten, wenn auch sehr dunklen, Eindruck.
"Was ist das?", Church sah seinen Jaguar durch das Gitter vor dem Haus stehen.
"Wenn ihr wollt unsere Zentrale im neunten Kreis, mein Elternhaus!", Marbas hob die Arme und das Gitter ging automatisch auf.
"Das ist schön hier!", Shanora folgte ihm begeistert über die Auffahrt bis vor die große Holztüre. Es gab keine Klinke, nur einen Löwenkopf aus Metall in dessen Maul Marbas seinen Arm streckte. Daraufhin schwang sie auf.
Shanora folgte ihm, über den Ebenholzboden, vorbei an den Ölgemälden und viktorianischen Lampen, welche die Wände zierten. Eine große Küche wurde von emsigen, aber eigenartigen Wesen bedient. Erschrocken stellte Shanora fest, dass sie sehr an die Kobolde die Illutia angegriffen hatten, erinnerten.
"Das sind Wichtel!", erklärte Marbas, "Niedere Dämonen, sie dienen meist in den Häusern, aber passt auf, sie sind flink und ihnen entgeht nichts!" Shanora betrachtete die kleinen Wesen genauer, dünne Körper, spitze Ohren die abstanden und eine bräunliche Haut. Die Augen waren groß und schwarz, beinahe wie die eines Stofftieres.
"Der Meister ist zurück!", brachte einer mit pipsiger Stimme hervor.
"Hat der Meister noch Wünsche?", fragte ein anderer.
"Die Zimmer für die Gäste des Meisters sind fertig, wie der Meister gewünscht hat!", schallte es hinter ihnen von einem weiteren.
"Danke, das war dann alles für heute!", rief Marbas und deutete den kleinen Wesen zu verschwinden. Shanora fand sie nun doch irgendwo süß: "Wie viele davon gibt es bei dir?"
Marbas zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung, ihre Population ist mir schon lange außer Kontrolle geraten!"
Eine süß duftende Rauchwolke vor ihnen kündigte den nächsten Hausangestellten an. Dieser war größer als ein Wichtel, aber auch seine Erscheinung erschien Shanora fragwürdig.
Eine gehörnte Frau, die trug ein viel zu freizügiges Hausmädchenkostüm und grinste süffisant mit ihren ebenfalls pechschwarzen Augen. Ihr Haar war weißblond und ihre Lippen blutrot.
"Meister, darf ich die Gäste auf ihr Zimmer bringen?", Shanora erinnerte ihre Stimme an die eines Pornostars.
"Leila, natürlich!", Marbas nickte den beiden zu, "Ich möchte, das sie wunschlos glücklich sind!"
Church verdrehte genervt die Augen: "Ein Sukkubus als Hausmädchen? Du bist erbärmlich, Marbas!"
Leila schien Church interessiert zu mustern: "Ein Schattenmann! Aber ein mächtigerer als die, die sonst hier ein und aus gingen! Schatten schlägt Nebel!"
Shanora warf Marbas einen warnenden Blick zu, den dieser auch zu verstehen schien.
"Zeig ihnen einfach ihr Zimmer, wenn du nichts gefragt wirst, musst du auch nicht sprechen!", fuhr Marbas sie daraufhin an.
Shanora war froh, dass er Churchs Identität geheim gehalten hatte. Man konnte nicht wissen, wie viel der Dunkle schon infiltriert hatte, sie durften kein Risiko eingehen. Nach einigen Treppen und Gängen waren sie in den Gästebereich des alten Anwesens gelangt. Shanora hatte ein wundervolles Zimmer mit einem eigenen kleinen Bad, sowie einen Balkon über den man auch Churchs Zimmer erreichen konnte. Neben den Ölgemälden, die prächtig gekleidete Leute mit Löwen zeigen, war der Schreibtisch aus Mahagoni eines der Highlights des Raumes. Das Himmelbett krönte in Kombination mit dem Marmorbadezimmer den Anblick. So viel Luxus hatte Shanora selten gesehen.
Sie wünschte Church noch eine gute Nacht, dann setzte sie sich an den Schreibtisch und klappte das Macbook aus. Es startete automatisch, aber der erwartete Desktop erschien nicht. Es blieb alles schwarz, nur ein Ordner war zu sehen. Shanora öffnete ihn gespannt, mit einem weiteren Doppelklick konnte sie die Dokumente einsehen.