Leise knisterte der Reif unter den Sohlen der bedächtig pirschenden Männer. Thorstein, der voranging, setzte konzentriert einen Fuß vor den anderen - nur kein lautes Geräusch verursachen! Zwar mochte das Knistern der Flammen den Lagernden am Moorsee manch einen Laut ihrer Umgebung verbergen, doch wenn sich dort Krieger aufhielten, waren sie möglicherweise wachsamer, als er ahnte. Dieses unbewusste Gespür für Gefahr kannte er bei sich selbst und auch Ragnar, Rollo und andere seiner Mitkämpfer sprachen manchmal davon.
Heute aber war keiner von diesen kampferprobten Männern bei ihm, nur seine drei Knechte und zwei seiner Hirten gingen hinter ihm. Da half es wenig, dass sie Schwerter und Äxte trugen - gegen eine kriegserprobte Meute würden sie nur durch Überraschung und Glück gewinnen, falls überhaupt ...
Der Steuermann hob eine Hand. Inzwischen waren sie so nah an den See herangekommen, dass er das Schimmern des kleinen Feuers auf den sich kräuselnden Wellen wahrnehmen konnte.
"Ich gehe erst einmal allein weiter und versuche herauszufinden, wer sich dort aufhält. Wenn keine Gefahr droht und es nur harmlose Wanderer sind, rufe ich euch mit dem Krächzen des Waldkauzes. Sind sie uns aber überlegen oder geht etwas schief, werde ich einen Rabenschrei schicken. Dann eilt ihr, ohne zu zögern zurück und verteidigt den Hof. Brauche ich euch, um die Bande festzusetzen, komme ich zurück und wir planen genau, was wir tun werden."
Die fünf Männer hinter ihm nickten zustimmend und ließen sich zurückfallen. Thorstein wusste, dass sie sich im ufernahen Dickicht verstecken würden, bis er sie benötigte. Er aber schlich weiter, nun mehr denn je darauf bedacht, keinen Laut von sich geben. Er nutzte die Deckung der halbhohen Sträucher und das leise Rauschen des Schilfes, um Schritt für Schritt näher an die Gruppe am Feuer zu gelangen.
Dann, als er schon beinahe am Rand des Lichtscheins angekommen war, ging er trotz des Frostes auf die Knie und schob sich, den Oberkörper dicht am Boden, nur noch langsam auf Händen und Unterschenkeln näher. Das Nordlicht schimmerte grünlich über dem Horizont und tauchte die Landschaft in ein nahezu unheimliches Licht. Verstärkt von den Spiegelungen des Sees war die Szene, die sich ihm bog, besser zu erkennen, als er erwartet hatte.
Drei zerlumpte, magere Gestalten drängten sich um das kleine knisternde Feuer und starrten gespannt auf einen Fisch, der, aufgespießt auf einen Stock, über den Flammen röstete. Sie schwiegen und Thorstein versuchte zu erkennen, welche Waffen die Menschen vor ihm bei sich hatten. Doch er sah weder Schild noch Speer, auch kein Schwert war auf den ersten Moment zu erkennen.
Dann beugte sich einer der Lagernden vor, um etwas aus der Glut zu graben und Thorstein beobachtete schockiert, wie bei dieser Bewegung ein langer Zopf vom Rücken der Person über deren Schulter rutschte - eine Frau!
Der Steuermann war verwirrt. Was taten die beiden Männer mit einer Frau am Ufer seines Sees? Kein Reisender und auch keine Wegelagerer würden eine so wehrlose Gestalt in der Kälte des Spätwinters mit sich nehmen!
Dann aber, als eine leise Stimme fragte: "Sind die Knollen schon gar, Mutter?", verstand der Krieger, dass er hier etwas ganz anders vor sich haben musste. Das waren keine Räuber oder Wegelagerer! Jene, die hier am Feuer saßen, waren mit großer Wahrscheinlichkeit eine Familie, Eltern mit einem halbwüchsigen Sohn, nicht mehr als ein paar zerlumpte Arme, die sich in ihrer Not an seinem Fisch und ein paar Schilfwurzeln gütlich taten.
Thorstein atmete auf. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie gefährlich es hätte sein können, so nah am Hof mit seinen unerfahrenen Leuten einer Bande Räuber auflauern zu müssen.
Mühsam beherrscht, sich nicht doch noch zu verraten, zog sich der Krieger zurück.
Der Rückweg ließ ihm Zeit, über sein weiteres Handeln nachzudenken. Er musste diese Menschen festsetzen, um zu erfahren, woher sie kamen und was sie in die eiskalte Wildnis getrieben hatte. Es kam nicht oft vor, dass man in der Umgebung von Straumfjorður auf solche Streuner traf. Wenn sie aus der Umgebung stammten - und daran zweifelte Thorstein nicht - konnten es vielleicht entlaufene Sklaven sein oder aufgrund von Schludrigkeit entlassene Knechte. Er wusste es nicht, doch er würde es herausfinden. In ihrer Gesellschaft gab es strenge Regeln. Einem verhängten Urteil durfte sich keiner entgegenstellen. Also war es gut möglich, dass Thorstein diese Menschen, wenn sie denn Sklaven waren, an ihren Besitzer zurückgeben musste. Doch vorher musste er sie erst einmal einfangen.
Endlich kam er bei seinen Männern an. Leise besprachen sie sich, wie vorzugehen sei. Thorstein wollte kein Risiko eingehen. Wenn die drei Flüchtigen irgendeine Gelegenheit für sich sahen zu entkommen, würden sie vielleicht doch kämpfen. Also schlug er vor, die Fremden mit ihrer gesamten Übermacht zu überraschen und sie so schnell wie möglich außer Gefecht zu setzen. Dazu sollten seine drei Knechte den Lagerplatz umgehen. Auf sein Zeichen hin würden sie von zwei Seiten angreifen. So dachte sich Thorstein, würde gar nicht erst der Gedanke an eine Gegenwehr bei den drei abgerissenen Gestalten aufkommen.
Wieder schlich er vorwärts - dieses Mal mit seinen Leuten hinter sich. Dann, als sie dem Platz nahe waren, stellten sie überrascht fest, dass sich die drei offenbar zum Schlafen niedergelegt hatten.
Nein, hier waren wirklich keine Krieger um das Feuer versammelt. So wenig Vorsicht ließ sich selbst für die Knechte nicht nachvollziehen. Dennoch blieben sie auf der Hut!
Wie geplant umstellten sie das Lager und schlichen dann heran. Fast konnte Thorstein den jüngeren der beiden Männer mit seiner Schwertspitze berühren, als er auf einen Zweig trat und das Knacken des trocknen Holzes den Schläfer weckte. Der Junge schlug die Augen auf und sah sich unvermittelt einem kriegerischen Gegner gegenüber. Stumm vor Angst blickte er auf den glänzenden Stahl, der nur wenige Handbreit vor seinen Augen bedrohlich hin und her schwang.
'Kein Laut!', bedeutete ihm Thorsteins Hand. Doch sobald sich der Liegende ein wenig von dem Schrecken erholt hatte, versuchte er geschickt, sich zur Seite aus dem Bereich des Schwertes abzurollen - direkt vor die Füße eines Knechtes. Die Männer des Steuermannes waren in Stellung gegangen.
"Auf!", befahl dieser halblaut und weckte die beiden anderen. Entsetzt fuhren die Schläfer von ihren erbärmlichen Lagern, um sich sofort den Waffen von Thorsteins Männern gegenüber zu sehen.
"Wer seid ihr und was tut ihr auf meinem Land?", herrschte sie der Steuermann an.
Der Mann vor ihm zitterte und brachte keinen Laut über die Lippen. Er war alles andere als ein mutiger Kämpfer. Die Frau zeigte ebenfalls ihre Angst und zog ihren halbwüchsigen Sohn näher zu sich.
"Wir wollen Euch nichts Böses!", stammelte sie. "Sind nur auf dem Durchweg - weiter nach Westen." Hilflos hob sie ihre magere Hand. "Wir ziehen sofort weiter, Herr! Wir haben keine Waffen. Bitte lasst uns gehen!"
Auf diese unsinnige Aufforderung hin konnte Thorstein nur ungehalten knurren und auch seine Männer ließen ein unzufriedenes Murmeln hören. Einer von ihnen rückte mit seiner Schwertklinge ein wenig näher zum Hals des Jungen. "Wir fragen nicht gern mehrmals!", ließ er die eingeschüchterte Frau wissen. "Woher also kommt ihr?"
Zitternd barg die Angesprochene den Kopf ihres Jungen an ihrer Brust und warf ihrem Mann einen flüchtigen Blick zu. Als dieser ergeben nickte, sah sie zu Thorstein auf.
"Moseby!"
Thorstein knurrte. Die Siedlung Arngrims! Was aber konnte diese Menschen von dort vertrieben haben? Sicher waren sie entlaufene Sklaven! Doch vielleicht gab es etwas, was er von ihnen erfahren konnte?
"Wir nehmen sie mit!", legte er schließlich fest. "Mir ist es viel zu kalt, um das alles hier zu besprechen. Bindet sie und dann nichts wie nach Hause!"