Er lief.
Er lief über das unendlich-schwarze Feld. Das Feld, welches von Norden nach Süden, von Osten nach Westen, bis über den Horizont hinaus von einer undurchsichtigen Dunkelheit überdeckt war. Nur sein Körper sendete ein schwaches Leuchten aus, so dass er sich wenigstens selbst erkennen konnte.
Doch, warum lief Er? Er war auf der Suche nach Wesen. Wesen, die allgemein als sehr weise galten und als einzige, ihn aus dieser lichtlosen Leere führen konnten. Man sagte ihm, Er müsse nur den Anweisungen dieser Wesen folgen und schon käme er aus diesem Zwielicht in die erleuchtete Welt.
Fest in seiner geballten Hand hielt Er eine Münze, denn die Wesen forderten von jedem, der sie um Rat bittet einen Tribut in Form solch einer Münze.
Nach einer Weile des Laufens sah er in der Ferne ein Glimmen. Sofort wurde ihm warm ums Herz und die Hoffnung auf das Licht, dass die Finsternis aus seiner Seele treibe, gab ihm den Ansporn. Er erhöhte sein Tempo. Immer schneller setzte Er Bein vor Bein um endlich das ersehnte Ziel zu erreichen.
Als Er sich dem Glimmen näherte, schwand es und vor ihm türmte sich Nebel auf, aus der eine weiße, schemenhafte Gestalt trat. Das vernebelte Gesicht nahm altersgraue Züge an und auf seinem Kopf zeichneten sich Konturen einer Krone ab.
„Seid Ihr eines der Wesen, dass ich zu finden und um dessen Gunst zu flehen versuche?“, fragte Er die Gestalt.
„Gewiss doch“, antwortete sie. „Ich bin das reichste aller Geisterschemen, schon viele Seelen ersuchten mich um Rat und schon viele zahlten ihren Tribut.“.
Das Schemen zeigte auf eine massive, vergoldete Truhe, welche ein ebenso massives Schloss trug. Es öffnete die Truhe und als Er hineinschaute, sah er, dass sie von oben bis unten mit Münzen gefüllt war. Münzen, wie Er auch eine besaß, nur trugen die Münzen in der Truhe eine weiße Farbe.
„Wie du siehst, konnte ich all diesen helfen und auch dich werde ich aus diesem Unlicht führen können, denn nur ich besitze die einzig-wahre Weisheit.“.
„Was festigt diese Behauptung?“, entgegnete Er.
Das Geisterschemen zeigte ihm ein Buch, welches in einen starken Einband gebunden war und dessen Seitenzahl in die Tausender zu gehen vermag: „Hier steht es geschrieben, zusammen mit dem Rat, welcher dich befreien solle. Halte dich strikt an ihn und deine Augen sollen sofort Tageslicht zu spüren bekommen“.
Er ging zu dem Buch und wollte es aufschlagen, doch bevor Er der ersten Seite auch nur ein Wort entlocken konnte, ertönte eine Stimme.
„Halte ein!“
Er drehte sich um. Hinter ihm erschien ein weiteres Geisterschemen, es besaß eine Krone wie das erste, jedoch war seine nebelhafte Gestalt grün und nicht weiß. Die beiden Schemen zeigten zwar in ihrer Erscheinung eine unglaubliche Ähnlichkeit, dennoch hatten beide eine Eigenschaft, die sie deutlich von einander unterschied, Er aber nicht benennen konnte.
„Seine Worte enthalten Lügen“, sagte das grüne Geisterschemen und drückte ihm von dem Buch weg. „Schon so viele verlorene Seelen hat er hintergangen, du solltest deine wertvolle Münze nicht an diesen Hochstapler verschenken“.
„Und wer genau seid ihr?“, fragte Er.
„Ich bin der Bruder dieses Schwindlers und ich kann dich in das Licht führen“, antwortete das grüne Geisterschemen und zeigte auf eine weitere Truhe, welche zwar etwas kleiner als die Erstere, jedoch genau so vergoldet war. In ihr lagen grüne Münzen. „Ich mag zwar nicht so reich sein, wie mein Bruder, dennoch spreche ich als Einziger die Wahrheit und mein Rat ist der weiseste, wie es hier geschrieben steht.“ Das Schemen holte ein ebenso festes und dickes Buch hervor.
Er war verwirrt, wem er jetzt nun Glauben schenken solle.
Das weiße Geisterschemen empörte sich über die „Unwissenheit“ und „Eingenommenheit“ des grünen Geisterschemens und es brach ein unüberschaubarer Streit zwischen den beiden aus.
„Genug!“, ertönte eine weitere Stimme und hinter den Streitenden tauchte ein drittes Geisterschemen auf. Dieses trug eine himmelblaue Färbung und seine Gestalt ähnelte den anderen beiden Schemen sehr, wirkte jedoch älter. Unter seinem Armen klemmt ein weiteres Buch
„Glaube meinen Brüdern nicht!“, befahl es ihm. „Ich erleuchtete die Menschen schon lange vor meinen jüngeren Brüdern, bevor sie meine Weisheiten stahlen und sie mit ihrem Trug verseuchten. Letztendlich verdarben sie all diese Seelen, die ich hätte retten können, doch seitdem nimmt mein Reichtum ab“. Und tatsächlich trug das blaue Geisterschemen eine viel kleinere Truhe, gefüllt mit blauen Münzen bei sich. „So bitte ich dich, meinen Rat anzunehmen.“.
Doch als das blaue Geisterschemen das sagte, fingen das grüne und das weiße an zu wüten und Streit zwischen den dreien brach aus.
Er wich von den Streitenden, welche ihn gar nicht mehr zu beachten schienen zurück, unwissend wessen Rat er annehmen solle.
„Gütige Seele, komm zu mir!“, raunte es in seinem Ohr. Hinter ihm erschien ein weiteres Schemen, welches sich von den anderen drei unterschied. Er war in graue Farbe getaucht und seine Gesichtszüge waren unaussagend.
„Pass auf die Geisterschemen auf, diese bringen nichts als Tod und Verderben“, sagte es. „Wenn es nach mir ginge, würden allen Geisterschemen sofort den Garaus gemacht werden“.
„Aber, du bist doch selbst ein Geisterschemen“, als Er dies entgegnete, holte das graue Schemen ein Buch hervor.
„Nein, in meinem Buch steht es. Ich bin keines dieser lächerlichen Schemen, da ich keine Lügenmärchen, sondern, von Gelehrten studierte und bewiesene Weisheiten verbreite“.
„Woher weißt du, dass Gelehrte deine Aussage überprüften“, fragte Er.
„Es steht in meinem Buch, dies ist auch der Grund, warum so viele Seelen meinen Rat ersuchen und ich unermesslichen Reichtum besitze.“
Tatsächlich war die Truhe dieses Schemen westlich kleiner, als die des blauen. Verunsicherung machte sich in ihm breit.
„Willst du mir nun deine erlesene Münze geben?“, fragte das graue Schemen. Er wandte sich von den Geisterschemen ab, woher solle Er nur wissen, welches Schemen die Wahrheit sprach?
Er spürte ein plötzliches Unwohlsein, welches sich aus der Mitte seines Körpers auf diesen zu verteilen schien, Er wollte so schnell wie nur möglich von hier fort. Verzweifelt schaute Er sich um, ein Stück weiter weg von ihnen erkannte Er noch unzählige weitere Geisterschemen.
„Wer sind die?“, als er dies fragte hörten die ersten drei Geisterschemen auf zu streiten.
„Oh, dies sind die Ärmlichen“, sagte das graue Geisterschemen
„Niemand schenkt ihnen Bedeutung“, entgegnete das Himmelblaue. „Und dies solltest du auch nicht, sie sind schändlich.“.
„Schau hin“, befahl das weiße und zeigte auf ein schwarzes Geisterschemen. „Dieses Schemen steigt bei Nacht auf die Totenäcker und schändet die Ruhenden“.
„Und schau dir dieses an“, sagte das graue Schemen und zeigte auf eins in beige gefärbt. „Dieses versucht dir seinen Rat aufzuzwingen“
„Und dieses!“, fügte das grüne hinzu, währen es auf eine rosafarbenes deutete. „Dieses sagt dir Flüsse und Wälder können dich beherrschen“.
„Aber glaub ihnen nicht, sie verbreiten nur die Unwahrheit“, sagte das Himmelblaue
„Und welches Schemen spricht nun die Wahrheit, die rechte Wahrheit?“, fragte Er.
„Na ich!“, schrien alle Geisterschemen im Chor, wobei sofort ein Streit zwischen ihnen losbrach.
In ihm war nun alle Hoffnung geschwunden, wütend und enttäuscht rannte Er in die Dunkelheit.
Nach einer Weile ging Er erschöpft zu Boden, nie würde Er aus der Finsternis gelangen und die wärmenden Strahlen des Lichts zu spüren bekommen. Die Geisterschemen wolle alle nur seine Münze
Er hob den Kopf und wollte wieder aufstehen, als er nicht unweit von ihm, eine Gruppe von Geisterschemen erblickte. Sie hatten alle verschiedene Farben, jedoch glich sich der Rest bei allen. Sie alle wirkten, als seien sie Greis und Sprössling zugleich.
Eines der Schemen, welches die Farbe eines Hirschfelles trug, blickte zu ihn und kam nun näher.
„Was gedenkst du dort unten zu suchen“, fragte es.
„Ich bin verzweifelt, mein größter Wunsch ist es das Licht zu betreten, aber ich weiß nicht welchem Geisterschemen ich glaube solle, die Wahrheit zu sprechen.“, antwortete er.
Das rehbraune Geisterschemen half ihm auf und legte ihm anschließend seine Hand auf die Schulter.
„Weißt du, jedes Geisterschemen wird von sich behaupten, die Wahrheit zu sprechen, ich tue dem gleich“, sagte es. „Doch, du musst verstehen, jede Seele sieht ein anderes Licht, weswegen der Rat aller Schemen in gewisser Weise war ist, welche Wahrheit die deine ist, entscheidest du, am Ende wirst du immer in das Licht geleitet“.
„Du meinst es liegt alles an mir“, entgegnete Er.
Das Schemen nickte.
Er lächelte: „Ihr und die anderen, was für Geister seid ihr?“, fragte Er.
„Wir sind die Alten im jungen Gewand“, sagte es in einer ruhigen, wohlwollend-klingenden Stimme.
„ Die anderen Schemen haben gar nichts von euch erzählt“.
„Dies ist recht, die anderen Geisterschemen wissen nichts mehr um uns zu berichten.“, erklärte es. „Sie denken alle wir wären Tod, aber Geisterschemen können nicht sterben.“
„Und was sollte ich jetzt tun?“, fragte Er.
„Ich gebe dir einen Rat, auch wenn man dir dies vielleicht sagt, so brauchst du kein Geisterschemen, um in das Licht treten zu können.“, antwortete das Schemen. „Dies kannst du auch alleine, Geisterschemen sind nur stützten, welche dich auf dem Weg der Erleuchtung tragen können, aber nur der Gebrochene braucht stützten. Deine Münze ist wertvoll, verschwende sie nicht einfach, denn du wirst sie nur sehr schwer von Schemen zurückbekommen, doch was du tust ist allein deine Entscheidung“.
Er überlegte kurz, trat dann entschlossen vor und zeigte dem Geisterschemen seine Münze.
„Führt mich ins Licht!“, sagte Er.
„Nun denn, befolge meinen Rat!“, entgegnete es und holte ein Buch hervor. Dieses war lose gebunden.
Er öffnete es und noch bevor er las, umgab ihn eine wohlwollende Wärme.