Zorn, Ärger, Wut, Missbilligung und ein Anflug von Trauer breiteten sich in seiner Magengrube aus und reflexartig hielt er sie fest. Er wollte nicht, dass Dorian aufgebracht und wütend war, lediglich, dass er ihn verstand, diesen Drang zu forschen und zu verstehen.
Dorian blieb abrupt stehen und wandte sich ihm wieder langsam zu. Mit tief gerunzelter Stirn griff er sich an die Brust und sah schließlich hoffnungsvoll auf. Joshs Augen leuchteten, er trat erleichtert einen Schritt auf ihn zu, als Doian wutentbrannt aufschrie und sich die Fäuste gegen die Schläfen schlug.
„Verschwinde!‟, brüllte er zornig, „Lass dich hier nicht mehr blicken.‟ Er biss sich fest auf die Unterlippe und vermied Joshs Blick. Unwillkürlich trat er von seinem Cousin zurück und krallte sich an seinem strähnigen Haar fest.
„Dorian‟, versuchte Josh ihn zu beruhigen und erschrak, als er die schwarz glühende Aura selbst auf diese Entfernung spürte, „Es tut mir so leid. Das wollte ich nicht‟, begann er zu erklären, aber Dorian taumelte mit wutverzerrtem Gesicht zurück.
Josh öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder ohne eine weitere Entschuldigung vorzubringen und verließ tief betrübt das Zimmer. Erschöpft lehnte er sich an die Wand des Flures und lauscht Dorians Bewegungen, während dieser sich ebenso entkräftet auf das Bett fallen ließ.
Dieses Mal habe ich es echt versaut, dachte er und blinzelte die Tränen weg, die sich in seine Augenwinkel schlichen. Nichts hatte ihn und seinen Cousin bisher trennen können und nie waren sie derart aufeinander losgegangen. Sicher hatten sie sich ab und zu gestritten, aber meist über Belanglosigkeiten oder sie hatten sich am Ende so lange finster angestarrt, bis einer in Lachen ausgebrochen war.
Heute gab es keine Versöhnung, kein Lachen und keine Möglichkeit es wieder gut zu machen. Josh schloss verzweifelt die Augen. Dieser Streit würde ihre Freundschaft auf ewig verändern, wenn sie sich nicht augenblicklich wieder vertrugen. Er holte tief Luft und stieß sich von der Tapete ab. Fest entschlossen trat er abermals in Dorians Zimmer und erstarrte, als er seinen Cousin mit tiefblauer Aura und gerunzelter Stirn dastehen sah.
„Was ist passiert?‟, fragte Josh besorgt. Die Angst seines Cousins färbte auf ihn ab und ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, fast vergaß er darüber ihren Streit. Dorian sah halb verwundert, halb verärgert auf und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust.
„Was an Verschwinde hast du nicht verstanden? Verpiss dich gefälligst‟; knurrte er und verbarg sein Handy in der Hosentasche. Josh folgte der Bewegung mit gerunzelter Stirn und trat einen Schritt auf ihn zu. Reflexartig wich Dorian zurück und Argwohn färbte seine Umgebung violett.
„Du bist besorgt‟, stellte Josh irritiert fest und suchte in der Aura seines Cousins nach schwarzen oder roten Anzeichen seiner mörderischen Wut.
„Analysiere mich nicht‟, zischte Dorian, aber er nahm zögernd sein Handy aus der Tasche.
„Du weißt, dass ich das nicht ändern kann‟, entschuldigte sich Josh achselzuckend und versuchte erneut einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu zumachen.
„Aber deine Gabe nutzen, um mich zu manipulieren kannst du, ja?‟, kam es fauchend zurück, „Du bist das Allerletzte.‟
„Glaub mir, das wollte ich nicht‟; versuchte es Josh erneut und hob händeringend die Arme, „Es ist einfach passiert. Kennst du das Gefühl, wenn du etwas siehst und es um jeden Preis berühren möchtest, oder bei einem Zaubertrick so lange stehen bleibst, bis du ihn verstehst? Es ist ein innerer Drang, Dorian! Ich wünschte ich könnte ihn unterdrücken, aber es fühlt sich so an, als ob man zwanghaft versucht sich nicht zu kratzen, obwohl der ganze Körper juckt und brennt. Es geht mir erst besser wenn ich sie spüre, die Energie und Emotionen.‟ Josh ließ die Hände sinken und sah seinen Cousin flehentlich an, „Es tut mir leid.‟
„Du musst endlich lernen, den Leuten ihre eigenen Gefühle zu lassen. Sie zu verändern, bedeutet ihre Gedanken zu verwirren, denn jede Emotion findet ihren Ursprung in den Köpfen der Menschen. Wenn man ein Buch liest, versucht man auch nicht die Handlung zu verändern, man liest die Worte und genießt die Geschichte, ohne sich selbst zu integrieren.
Du bist kein Bestandteil der Geschichte, lass dich außen vor und ließ die Auren, ohne sie zu manipulieren. Genieße deine Macht, aber wende sie nicht an.‟ Dorian vermied seinen Blick und fuhr sich unsicher durch das dichte Haar. „Ich glaube ich muss dir nicht sagen, wie verwirrt ich über unsere eigene Geschichte bin. Du, der Superheld, und ich der Dealer, der krampfhaft versucht seine eigene Hauptrolle zu schreiben.‟
Josh hörte seinem Cousin staunend zu und musste bei seinen letzten Worten grinsen, „Ich wusste nicht, dass du dich derart gewählt ausdrücken kannst. Was hattest du zum Frühstück, Shakespeare? Goethe?‟
Dorian sah beleidigt auf und warf ein Kissen nach seinem Cousin, „Halt deine verdammte Klappe.‟ Er grinste ihn an und Josh fiel ein Stein vom Herzen, ihre Freundschaft war gerettet, trotz seiner eigenen Dummheit und seiner Gabe, die langsam begann eine Kluft zwischen ihnen zu bilden. Einen Abgrund, den keiner von ihnen überbrücken konnte, ohne in die Finsternis zu stürzen.
Er deutet mit dem Kinn auf Dorians Hand und hob fragend die Brauen. „Was verbirgst du vor mir?‟ Sein Cousin zuckte mit den Schultern und sah nachdenklich auf den leuchtenden Bildschirm.
„Nichts wichtiges‟; brummte er grübelnd und hielt ihm zögernd das Handy entgegen. „Vermutlich ist es nichts, diese Kerle sind alle gleich. Große Worte, aber nichts dahinter.‟ Josh ergriff das Smartphone und scrollte die Textnachrichten mit weit aufgerissenen Augen durch.
„Das musst du der Polizei zeigen‟, murmelte er erschrocken und las den Verlauf erneut.
Dorian lachte verblüfft auf und schüttelte entgeistert den Kopf. „Der Polizei werde ich garantiert nicht den Chatverlauf zwischen mir und einem Kunden zeigen, auf den Knast kann ich gerne verzichten. Außerdem schreibt er öfter solchen Kram, vieles habe ich gelöscht, aber das Letzte kam erst vor ein paar Minuten.‟
„Du kannst diese Nachrichten nicht auf die leichte Schultern nehmen‟, rief Josh besorgt aus, „Er droht deiner lächerlichen Existenz ein Ende zu bereiten und allen die dir etwas bedeuten Leid zuzufügen‟, las er Teile des Textes vor, „Du wirst es bereuen, mir nicht zu gehorchen.‟ Er hob den Blick und biss sich auf die Unterlippe. „Das hört sich nach keinem belanglosem Gerede an.‟
„Das sind leere Drohungen, ich hatte schon befürchtet, dass du die ganze Sache zu ernst nimmst‟, entgegnete Dorian abweisend und streckte ihm fordernd die Hand entgegen.
Das Handy vibrierte zwischen Joshs Fingern und er ließ es vor Schreck beinahe fallen, als er die neuste Nachricht überflog. Ungläubig blickte er zum Fenster und spähte durch die Gardinen in den dämmrigen Abend.
„Dorian‟, hauchte er schockiert und warf ihm das Handy zu. Sein Cousin fing es geschickt auf und beobachtete, wie Joshs Gesicht alle Farbe verlor und noch bleicher als üblich wurde.
Stirnrunzelnd öffnete er den letzten Chat und las die Nachricht.
Komm raus, komm raus Dorian Wolff.
Dorian erbleichte und stand schwankend auf. Immer wieder las er die Nachricht und sah sich das angehängte Foto an, bis er neben Josh trat und die Vorhänge bei Seite schob. Quietschend öffnete er das Fenster und warme Abendluft wehte ihnen entgegen. Die Sonne war bereits hinter den Dächern untergegangen, aber die Luft hatte noch nichts von ihrer Wärme oder dem süßlichen Duft nach Gras und Sommer verloren.