Es musste Nacht sein und es regnete offensichtlich.
Scheinbar war es stockfinster und er glaubte, ein leises Plätschern hören zu können. Es klang beinahe wie zu Hause.
Er erinnerte sich, dass er es mochte, wenn draußen das Wasser in Strömen vom Himmel fiel. Im Sommer lief er dann immer wieder frohlockend auf dem Hof herum und sprang von Pfütze zu Pfütze.
Suhlt sich wie ein Schein, schau nur Alna. Sein Vater hatte stets nur den Kopf geschüttelt und seine Mutter gelacht.
Seltsam, nicht wahr? Der Regen oder viel mehr das monotone Geplätscher und Geprassel lullte ihn sogar bis in den Schlaf.
Er lag unbequem und sein Rücken schmerzte. Sobald Pa' auf die Felder geht, muss ich ihn bitten, mir beim Ausstopfen meiner Matratze zu helfen.
Kayden war im Begriff sich auf die Seite zu drehen und wie gewohnt seine Decke zurecht zu zupfen. Pein ließ ihn innehalten und schwer atmen. Grell leuchtende Sterne blitzten vor seinen Augen auf, sodass sein Körper wohlweißlich damit vorlieb nahm, in eben jener unbequemen Lage weiterhin zu verharren.
Laute, einem abfälligen Grunzen zu urteilen drangen an sein Ohr. »Du bist so was von tollpatschig, wenn man es so richtig ausdrückt. Ein Stümper und Wagehals noch dazu.«
Die Stirn des daliegenden Jungen verzog sich angestrengt. Sichtlich schien dieser zu überlegen, wer ihn da ansprach und allen voran, wo er sich befände.
»Mmh.«
Kayden mochte sich einstweilen vorstellen, wie der Sprecher nunmehr selber die Stirn krauszog und ihn beobachtete.
»Ich nehme an, der Schlag auf deinen Kopf hat mehr angerichtet, als ich dachte. Weißt du, wo du bist? Wer ich bin?«
Anstatt zu antworten, verneinte der augenscheinlich Verletzte vorsichtig, bedacht sich nicht zu ruckartig zu bewegen.
»Junge, ich dürfte nicht einmal hier sein. Ich weiß nicht, welcher Silberrücken mich geritten hat, aber irgendetwas ist an dir, das ich das Wagnis dennoch eingehe. Du tauchst zu den unmöglichsten Umständen auf und immer wieder aufs Neue, deuten Beschreibungen auf deine Person.«
»Du ... du bist dieser Hauptmann?«
»Jener der stehenden Stadtwacht und der Festungswehr, ja.«
Kayden spürte, wie der Mann nickte und ihn neugierig beobachtete. Schwer aber bewusst tief versuchte er, den Schmerz wegzuatmen. Konzentrierte sich wie von seinem Onkel einst gelehrt auf sein Innerstes. Verbannte sein Leiden an einen abgeschiedenen Ort, auf dass dieser ihn für die nächsten Momente nicht ereilte. Ein Bündnis mit der Zeit, mehr nicht. Vermasselte er es, bewegte sich auch nur ansatzweise falsch, würde die Welle der Pein mit benebelnder Wucht seinen Platz beanspruchen.
»Du bist nahe dran den Obristen ein Dorn im Auge zu sein. Voller Neugier und offenkundig. Zu viele Fragen, zu schaulustig. Die Leute erzählen sich von einem jungen Mann, der ...« Ogriir stockte, und behielt die folgenden Worte für sich. Den Grund hierfür hörte Kayden kurz darauf. Er war noch immer nicht vollends bei Sinnen.
»Hauptmann?«
»Verschwinde Soldat. Zurück auf deinen Posten.«
»Aber ...«, begann Zurechtgewiesener überrascht, blieb hingegen auf Abstand. Mehr noch schien dieser sich rückwertig zu bewegen, als dieser kräftige Thulene daranging, sich zu erheben. Warum ausgerechnet dieser für ihn Partei ergriff, erschloss sich ihm nicht. Dieser wusste es offensichtlich ebenso wenig, wie erst kürzlich gestanden.
»Spreche ich undeutlich, Mann?«
Kayden, der wie gebannt auf seiner Pritsche lag, lauschte und versuchte zu abschätzen, was sich zwischen den beiden Kontrahenten gerade abspielen mochte. Irgendetwas klapperte und kurz darauf erklangen schleifende Laute, dann so etwas wie ein dumpfer Tritt.
Ogriirs Stimme klang, als würde ein wildes Tier seine Worte formen. Bellen? Konnte das wirklich sein? »Noch einmal. VERSCHWINDE!«
Da war es wieder, dieses knurrende Gemisch untersetzt mit Wortlauten und einer Eigenart von Gebell.«
Die rappelnden Geräusche kamen zweifelsfrei von dem offenkundig gestürzten Soldaten, der nunmehr die Beine in die Hand nahm und davon eilte.
»Hör mir zu Junge.«
»Ich bin nicht dein Junge und werde es demnach niemals sein.«
Der Hauptmann schien für einen winzigen Moment sprachlos, beschloss jedoch das gehörte nicht zu werten. »Reden die Leute hier nicht so mit Jünglingen? Wie auch immer ...« Vor Kaydens Augen entstand ein Bild, so wie er sich an den kräftigen Thulenen in Erinnerte, der nunmehr eine wegwischende Handbewegung vollführte, um seine Worte zu unterstreichen. Es schien dem Mann von Belang, wenn er ohne direkten Auftrag oder Kenntnis der Obristen mit einem Gefangenen wie ihm sprach. Noch dazu mit dem ›Falken‹, wenngleich niemand davon wissen konnte.
»... für den Fall, dass du hier lebend wieder heraus willst, solltest du mir zuhören.«
Der Mann, der für die allgemeine Sicherheit Memnachs zuständig war noch dazu ein verfeindeter Thulene, berichtete von den vielen Verfehlungen, eines jungen Mannes, der durch die Stadt stolperte wie ein räudiger Köter.
Ungebeten und unerwartet plump solle dieser aufgetreten sein. Stellte immer wieder dieselben Fragen, ohne abzuwägen, ob sein gegenüber diese überhaupt nicht hören wollte oder vielleicht nicht sollte.
Die Krönung sei gewesen, dass der Bengel überall seine schmutzigen Parolen verteilte. Den Wachhabenden viel auf, das der Bursche scheinbar ohne es zu ahnen, Denunziantenkerben verwendete. Die Wachen hätten unlängst eingegriffen, wäre gewiss, dass dieser nach einem Muster vorging. Einige dieser waren selbst den Scharen neu, andere hingegen dienten der Stadtwache. Somit schien es als erwiesen, dass dessen Taten weder mit Sinn noch Verstand ausgeführt wurden.
»Weißt du Junge, deine Worte haben nur dafür gesorgt, dass einige der Wächter verdammt ungut auf dich zu sprechen sind. Der von vorhin kam sicherlich nur, um dir eine Abreibung zu verpassen.«
»Aber ... wieso?«
»Das fragst du ernsthaft? Irgendjemand muss diese schweinerein entfernen. Eines jedoch verstehe ich nicht recht.«
Es raschelte an seinen Ohren. So als reibe Papier aufeinander.
»In jeder Kerbe steckten zwei Zettel. Auf einem, dein lächerlicher Aufstand. Der andere ... leer. Wozu?«
Kayden schluckte, überlegte, inwieweit er den Thulenen ins Vertrauen ziehen wollte. Vermutlich kam dieser nur, um ihn auszuhorchen. Sie würden ihn ... nein, das konnte nicht sein. Er sprach von lebend herauskommen.
»Du willst es mir also nicht sagen? Gut. Du bist hier am falschen Ort und solltest umgehend zurück zu deinem Vater. Der alte Wachhauptmann hat versprochen dich bis hinter die Stadtmauer zu geleiten, wenn du mir versprichst, unverzüglich aufzubrechen.«
»Ich kann nichts sehen«, stellte Kayden nüchtern fest und hoffte, dass dieser Umstand vergänglich war. Allen voran wollte er keine Zusagen treffen, die er nicht bereit war einzuhalten.
»Wundert mich nicht, warte.« Der Sprecher kam näher und nestelte ihm am Kopf. Was verflucht tat er da?
»Anstatt nur die dicke Beule am Hinterkopf zu verbinden, band der Knecht dir gleich auch die Augen zu. Halt still jetzt.«
Verwundert verharrte Ogriir, als Kayden ihn mit der Linken die Seine hielt. »Was ist, willst du hier verrotten?«
Der ›Falke‹ wusste nicht, woher er die Gewissheit nahm, dennoch beschloss er, den gegangenen Weg weiter zu verfolgen. »Du würdest dafür sorgen, dass eben dies nicht geschieht.«
»Woher nimmst du Rotzlöffel deine Zuversicht? Ich brauche nur nach den Wachen rufen und stehst binnen Minuten vor den Obristen.«
Kayden erlaubte sich ein wissendes Lächeln und ließ den Mann weiter den Verband abbinden.
»Ich durfte jemanden kennenlernen, dessen ich mir bis vor einigen Jahren mehr als gewiss schien, niemanden seines Volkes jemals als Freund zu bezeichnen.«
»So?«
»Wenn man ab und an von der Art zu reden, der Körpergröße und Farbe einmal absieht, sind wir gar nicht so verschieden.«
Ogriir schnaufte verächtlich, als er sich eine passende Antwort abrang. »Ich gebe dir einen guten Rat, mein Junge. Lass dich nicht mit den Seebarbaren und schon gar nicht mit den Wüstenbewohnern ein.
»Dieser Freund würde mit mir durch dick und dünn gehen. Ich dachte, dies täte nur mein Bruder. Weißt du, dass dieser Freund vor langer Zeit war wie du?«
»Wage ich zu bezweifeln.«
Kayden nickte leicht und betastete seine Augen. Erleichtert atmete er aus. Eine halb heruntergebrannte Kerze ließ Schatten an den kalten und feuchten Kerkerwänden tanzen. Von irgendwo musste Luft hereinwehen. Sie roch seltsam süßlich.
Der ›Falke‹ versuchte in den Gesichtszügen des Mannes, der sich ihm als Ogriir vorstellte zu lesen. Regungen, die ihm verrieten, was er dachte.
»Was ist. Stimmt etwas nicht?«
Anstatt darauf zu antworten, richtete Kayden seinen Blick auf seine verschmutzten Stiefel und schien ermattet.
»Was belastet dich?«
»Mein Freund vermisst seine Familie, weist du? Er sprach davon, dass er einen Sohn habe, der jetzt in meinem Alter sein müsse.« Sein Blick hob sich und heftete sich an den Ogriirs. »Was ist mit deiner Frau? Deinem Sohn, Tochter?«
Er bemerkte, dass sein Gegenüber nachdachte. Sein Adamsapfel hüpfte und seine Schläfen pochten.
»Sie halten sie ebenfalls in Gewahrsam, habe ich recht?«
»Dein Freund ist dieser thulenische Kämpfer. Der, der vorgibt der Hauptmann dieses Lord Bestlins zu sein.« Ogriir formulierte seine Worte nicht als Frage. Er kombinierte Dinge, die ihm zugetragen und eigenst beobachtete. »Was, beim Leben der Göttlichen, hast du ihm versprochen? Nichts genießt bei einem meines Volkes einen höheren Stellenwert als die eigene Familie. Sprich, oder ich schwöre, ich werde dich eigenhändig dem Obristen vorführen und um Erlaubnis bitten dir das Herz herauszureißen.«
Die Lieder des jungen Mannes hoben sich gemächlich, so als nehme er das Gehörte nicht für wahr. Seine Pupillen weiteten sich. Diese schienen seinem Gegenüber direkt in die Seele schauen zu wollen.
»Nichts, was ich gedenke, nicht erfüllen zu wollen.«
Ogriir begann zu prusten. Schlug sich vor Lachen mit der Rechten auf seinen Oberschenkel und erhob sich. »Junge, beinahe hast du es geschafft. Für einen winzigen Moment dachte ich wirklich, dass an all diesem Gewäsch etwas dran sein könnte.«
»Gewäsch?«
Er griff dem noch halb daliegenden unter die Achseln und hievte ihn auf die Füße. »Wir müssen jetzt gehen.«